Die Juden und ihre Lage im Mittelalter.

Aus: Kulturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart. Band 2.
Autor: Hellwald, Friedrich von (1842-1892) österreichischer Kulturhistoriker, Geograph, Anthropologe, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1877

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Judenhass, Antisemitismus, Judenverfolgung, Mittelalter, Religion, Christen, Christentum, Judengasse, Schicksal, Glauben, Geschichte, Bildung, Gesittung, Bürgertum, Unwissenheit, Kreuzzüge, Klerus, Politik, Macht, Handel, Vertreibung, Flucht, Mord, Todschlag, Nation, Volk, Heimat, Weisheit, Leben, Ideale, Mut, Gottesfurcht, Geist, Freude
Inhaltsverzeichnis
Wie schon einmal erwähnt, waren es vorwiegend die Juden, welche den Menschenhandel im Mittelalter betrieben; es wäre aber ein schwerer Irrtum, etwa dem sittlichen Abscheu der damaligen Welt vor dem Sklavenhandel die gedrückte Lage des mittelalterlichen Judentums zuzuschreiben. Ein solcher Abscheu existierte nicht, das Volksbewusstsein erblickte kein Unrecht darin. Dennoch war zweifelsohne die Lage der Juden im Mittelalter eine überaus harte, ihre Behandlung eine grausame. In allen Ländern wurden sie auf das bitterste gehasst und verfolgt; es gab keine Schlechtigkeit, die man ihnen mit Recht oder Unrecht nicht nachsagte, keine Ungerechtigkeit, die ihnen gegenüber nicht statthaft gewesen wäre. Jude sein, war an und für sich ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, genügend, um gegen die Unglücklichen die tollsten Leidenschaften zu entfesseln. Jude sein war eine untilgbare Schmach; kein Ehrlicher wollte mit ihnen verkehren, sie galten als eine Pestbeule der Gesellschaft, sie zu morden und auszurotten, war kein Verbrechen, ja sogar Verdienst, und ließ man sie leben, so mussten sie diese Gnade durch Erduldung von Brandschatzungen und Erpressungen erkaufen. Solche Anschauungen über des Judentum trifft man mit merkwürdiger Übereinstimmung bei allen Völkern; woher diese seltsame Erscheinung? Mancher ist nun rasch hei der Hand, dem Christentum und der Kirche insbesondere alle Schuld der verübten Gräuel zuzuwälzen, und glaubt Wunder was getan zu haben, wenn er mit Pathos ausruft: Die menschliche Natur schaudert zurück vor solchen das Mittelalter und das Christentum furchtbar charakterisierenden Tatsachen! Nein, das ist es eben, die menschliche Natur schaudert nicht davor zurück, sie hätte ja sonst diese entsetzlichen Gräuel nicht begangen, nur die seither gewachsene Kultur einer ganz geringen Anzahl Völker wendet entsetzt davon die Augen ab. Auch die Wissenschaft kennt den Schauder nicht, ihr gelten alle Äußerungen der menschlichen Physis, die blutdürstigen Triebe der Dahomeyneger und der Fidschicannibalen wie die sanften Regungen eines Tasso oder Schiller gleich beachtenswert, gleich wichtig und in gewissem Sinne gleich berechtigt. Sehen wir auch hier näher zu.

Die Verbreitung der Juden in Europa reicht ins Altertum zurück; frühzeitig, schon 139 v. Chr., finden wir sie in Rom und damals schon bedrückt, Domitian jagte sie wegen religiösen Proselytenmachens aus der Stadt , unter Alexander Severus kehrten sie nach Trastevere zurück, welches Stadtviertel sie bis in das späteste Mittelalter bevölkerten. Wiederholt waren sie schon unter den Römern Verfolgungen ausgesetzt,*) obwohl im Besitze aller bürgerlichen Rechte. Philo sagt aber, dass Juden schon zufrieden sein müssten, wenn sie Anderen gegenüber nur nicht zurückgesetzt würden. In der großen fremden Stadt mussten sie ihr Brot verdienen und konnten und wollten doch nicht eine gewisse Selbständigkeit entbehren. Sie gerieten also auf allerhand kleine Künste, wie sie unter ähnlichen Verhältnissen die Zigeuner treiben; sie befassten sich mit Wahrsagerei, mit der Mischung von Zaubertränken — die Beschuldigung der Giftmischerei liegt dann dem gemeinen Volke sehr nahe — mit der Enthüllung von Diebstählen, sie bettelten wohl auch, aber namentlich fingen sie an mit Plunder zu handeln, zu schachern. Dies eigentümliche Gewerbe steigerte noch das charakteristische fremdländische Gepräge der Juden, eines Volkes, das, wie man nicht mit Unrecht sagte, alle Menschen hasste und sich allein als das auserwählte betrachtete, das auch in Korn zäher als je an seinen Satzungen und Gebräuchen festhielt. Ging es auch ohne jedwede Assimilation nicht ab, die Juden blieben Juden, sie bewahrten den alten Widerwillen gegen die Abbildung der Menschengestalt, sie beschnitten sich, sie aßen kein Schweinefleisch, sie verloren durch die Sabbathruhe, wie Seneca sagt, den siebten Tag ihres Lebens, kurz sie bildeten ihrem Wesen und ihrer Erscheinung nach die vollständigste Opposition zu den herkömmlichen Begriffen, Sitten und Meinungen der übrigen Völker. Besaßen die Hebräer auch viele Vorzüge, so traten diese doch nicht auffallend zu Tage wie ihre nationalen Besonderheiten. So konnte es nicht fehlen, dass schon im Altertum, ganz abgesehen von dem Eindrucke, welchen der jüdische Krieg hinterlassen hatte, die Juden in hohem Grade die Abneigung oder Scheu empfinden mussten, welche das Fremdländische immer zu treffen pflegt, wenn es nicht durch Reichtum und Glanz die Augen besticht, eine Abneigung, die sich bis auf den Geruch erstreckte.2) Schon die Römer waren der Ansicht, dass die Juden stinken,3) und sagten ihnen genau das nämliche Übel wie das spätere Mittelalter nach. Seneca, der edle Philosoph, nannte sie ein höchst verruchtes Volk.*)

*) Siehe darüber die Einleitung des Hrn. Ferdinand Delaunay zu seiner Ausgabe des Philo: Ecrits historiques de Philon d'Alexandrie, influences, luttes et persicutions des Juifs datis le monde romain. Paris 1867. 8°
**) Diese Darlegung nach der wahrhaft prachtvollen Abhandlung des Dr. Rudolf Kleinpaul. Alt- und Neu-Jerusalem. (Ausland 1874 No. 24. 25. 26.)
***) „O Markomannen, o Quaden, o Sarmaten" soll Marc Aurel beim Zuge durch das Land der stinkenden Juden (foetentium Judeorum) ausgerufen haben, „endlich habe ich doch noch eckelhaftere Kerle als euch gefunden." (Ammian. Mar cell. 22, 5 5.) Bei diesem Anlasse sei erwähnt, dass jedes Volk erwiesenermaßen einen eigentümlichen Ausdünstungsgeruch besitzt; er ist ein Kassenmerkmal, welches allerdings schwer definierbar ist und an Wichtigkeit hinter anderen Kennzeichen zurücksteht, aber unstreitig vorhanden ist. Der eigentümliche, seinen ganz besonderen Charakter zeigende Hautgeruch der Völker verliert sich unter keinen Umständen, und die größte Reinlichkeit, das sorgfältigste Waschen vermag ihn nicht zu entfernen. Eine Autorität wie Erman (Reise um die Erde. Historischer Bericht, II Bd. S. 145) stellt fest, dass die Ausdünstungen des menschlichen Körpers bei den einzelnen Nationen eine konstant unterscheidende und vererbliche Beschaffenheit annehmen, noch außer denjenigen individuellen Merkmalen, die jeder Hund an den Ausdünstungen seines Herrn aufzufassen weiß. Siehe hierüber den interessanten Aufsatz Dr. Richard Andrees: Völkergeruch (Korrespondentblatt der deutschen Gesellsch. f. Anthropologie. Mai 1876 No. 5), worin er Belege gesammelt hat für die Neger, die Mantras auf der malayischen Halbinsel und die Chinesen. Dass der Weiße gleichfalls seine spezifische Ausdünstung hat, unterliegt nach den Äußerungen, welche Angehörige anderer Rassen darüber machten, kaum einem Zweifel. Weitere Beispiele sind zusammengestellt bei M. Hauch, Die Einheit des Menschengeschlechtes. Anthropologische Studien. Augsburg 1873

06. Junge marokkanische Jüdin

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16. Marokkanische Jüdin im Prachtgewand

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