Fortsetzung

Nicht aber die Abendländer allein verabscheuten die Juden, nicht weniger heftig taten und tun dies heute noch die Orientalen. Zu nicht näher bestimmbarer Zeit drangen nämlich die Juden nach China. Wir wissen aus den arabischen Berichten des VII. christlichen Jahrhunderts, dass es um jene Zeit in chinesischen Hafenplätzen Judengemeinden gab, die nach Zehntausenden zählten, und möglicherweise haben sich auch Ansiedler nach Tsiampa verirrt, wie die Küstenstrecke Annams östlich vom Mekhong benannt wird, wenn nämlich nicht frommer Schwindel ist, was von den Religionssitten der heute an den Ufern des Mesap wohnenden seltsamen Völkerschaft der Thiâmes erzählt wird. *) In China schwangen sich die Juden zuerst zu Wohlstand und Ansehen empor, von dem sie bald aber in Elend und allgemeine Verachtung versanken, um sich nimmer wieder zu erheben. **) Man quält, misshandelt und bedrückt sie, aber trotzdem gewinnen sie an Verbreitung und zeigen mehr oder weniger offen ihre Nationalität. Ein Gleiches ist in den muhammedanischen Ländern der Fall. In Zentralasien, namentlich in Bochâra wurde der Jude nicht zum Sklaven gemacht, weil man ihn selbst dazu zu sehr verachtete. In den Augen der Eingebornen steht er so niedrig, dass die Usbeken und Tadschik (also zwei Völker ganz verschiedenen Stammes) den Russen z. B. vorwerfen, dass sie diesen „räudigen Juden" eben solchen Schutz wie auch anderen Völkern des Landes gewähren. Seine Behandlung durch die usbekischen Machthaber unterscheidet sich in gar nichts von der im europäischen Mittelalter üblichen; so wie hier darf er gewisse Kleidungsstücke nicht, andere muss er tragen. Überall lebt der Jude ärmlich und schmutzig, weshalb auch Seuchen ihn am meisten dezimieren, und wenn die blinde Volkswut des Mittelalters das Ausbrechen großer Epidemien, wie z. B. den schwarzen Tod, den Juden zuschrieb, so schoss die damalige Unwissenheit nicht gar so fehl. Die gleiche Zähigkeit in Sitte und Art bewahrten die Juden in Algier, wo sie nach ihrer Befreiung durch die Franzosen stolz und übermütig wurden. Genau dasselbe trifft in den nunmehr den Russen unterworfenen Teilen Zentralasiens und in Europa zu, seitdem die Vorurteile gegen das Judentum abgestreift sind. Am tiefsten stehen sie vielleicht in Arabien, welches doch einst nahe war selbst ganz judaisiert zu werden. Leben*) und Gut sind ihnen dort zwar gesichert, die Verachtung der Araber setzt sie aber grenzenlosen Demütigungen aus; wie in Marokko und Bochâra dürfen sie keine Pferde, sondern nur Esel reiten, müssen bei Begegnung eines Arabers links ausweichen, absteigen und sich auf gehörige Entfernung halten, denn die Nähe des verachteten Juden verunreinigt. *) Da die Araber keinen Begriff von der Religion der Juden haben, sind die fabelhaftesten Gerüchte über deren Ritus bei ihnen verbreitet, **) wie bei uns im Mittelalter. Rücken wir dem Westen näher, so sehen wir in der Gegenwart, die Juden bei den Türken dem gleichen Schicksale preisgegeben. So ist die jüdische Kultusgemeinde zu Diarbekir in Kleinasien schon seit vier Jahren verpflichtet, bei dem Eisenbahnbau in ihrer Stadt Frohnarbeiten verrichten zu müssen, von denen sich Keiner befreien kann, wenn er nicht per Tag 40 Francs Strafe zahlen will; selbst für den Versöhnungstag (Jom Kipur)konnte man sich nur in Folge eines Fermans Befreiung von dieser Arbeit erwirken. Ferner, so oft eine israelitische Leiche bestattet wird, findet man die Leiche am andern Tage ausgegraben und enthauptet; die Türken werfen dann den abgeschnittenen Kopf in den Fluss und lassen den Rumpf vollständig nackt liegen. Die israelitischen Gräber werden gänzlich zerstört, die Grabsteine fortgenommen und in den Fabriken der Regierung benützt. *) In Jerusalem zählt die Judengemeinde heute nicht weniger als sieben- bis achttausend Mitglieder, die ausschließlich vom Bettel leben und ihr kümmerliches Dasein nur von den Gaben fristen, die ihnen außerpalästinensische Gemeinden jährlich zufließen lassen. In neuester Zeit aber beginnen diese Gaben spärlicher zu fließen und mit Bangen sehen daher die Juden Jerusalems der Zukunft entgegen. Zwar hat man schon den Plan entworfen, dieselben langsam zum Ackerbau heranzuziehen; der Plan ist jedoch nicht durchführbar, da Leute, die nur gewöhnt sind, über ihren Talmud zu grübeln, nie und nimmermehr gute Feldbebauer werden, und sie an den Handel zu gewöhnen, geht auch nicht, weil sie keine Kapitalien und keine Kenntnisse dazu besitzen.*) Auch in Bulgarien leben nach den Mittheilungen des verdienstvollen F. Kanitz die Juden in sehr kümmerlichen Verhältnissen **) und in Krys, einer Ortschaft des Kaukasus, an dessen Fuße überall Juden wohnen ohne in dem höheren Gebirge ansässig zu sein, machte sein Dolmetscher, ein Armenier, den Reisenden Alexander Becker auf die Juden mit den Worten aufmerksam: „Auch hier treiben sich die Verfluchten herum." *) An den heutigen Naturvölkern und Stämmen minderer Kultur können wir unsere eigene Vergangenheit studieren und diese physiologisch-historische Methode der vergleichenden Völkerkunde lehrt allein die Kultur in ihrer natürlichen Entwicklung erfassen und begreifen.

Wenn nun übereinstimmend alle Völker und alle Zeiten gegen die Juden das Gefühl des Hasses und der Verachtung genährt haben, so wird es wohl erlaubt sein, den Grund hierfür in den Juden selbst zu suchen. Gewiss, das Mittelalter wusste und verstand nichts von den talmudischen Lehren, nichts von ihrem tiefen Sinne. Was davon in die Massen gedrungen war, war das dumpfe Bewusstsein, dass die Hand des Juden von den Bewahrern der Volkstradition stets gegen Jedermann erhoben sei. Es ist das Gesetz der Selbstverteidigung, welches dann die Hände Aller gegen ihn erhoben hat. Daher allerorts die tiefe Kluft zwischen Juden und Nichtjuden, für die wir nur gar zu gerne unsere eigene Intoleranz verantwortlich zu machen geneigt sind.**) Heute sind die Schranken gefallen, die Mensch vom Menschen trennten; die Juden wohnen zum Teil in prächtigen Palästen und speisen mit den Christen, leben mit den Christen, kleiden und scheeren sich wie sie. Dennoch sind das nur einzelne Ausnahmen; in Rom sind die wahren Juden bis auf den heutigen Tag den Römern nicht viel näher gerückt, als sie es zur Zeit des Pompejus waren; der Ghetto besteht fort wie einst in Trastevere und noch im März 1874 hörte Dr. Kleinpaul in eben diesem Ghetto von einem Juden in der sogenannten Tempelschule, dass kein Israelit einem Nichtisraeliten Hebräisch lehren dürfe, und von einem anderen in der catalonischen, dass der Tempel zu Jerusalem dereinst werde wieder aufgebaut werden, wie es der Prophet gesagt; denn ihre Religion sei die älteste, die alleinige, die wahre!***)


*) Presse vom 26. Juni 1875.
**) Ausland 1872. No. 31. S. 795.
***) Kleinpaul, Alt- in Neu-Jerusalem. (Ausland 1874 No. 26 S. 508); seine Schilderung der Juden in Rom passt trefflich auf die Juden aller Länder. Die Juden sind Juden geblieben bis auf den heutigen Tag; man wandere durch Ungarn, Polen und Russland, wo sie massenhaft auftreten, und man begreift dann Vieles, was man sonst nicht begriff. Vgl. meinen Aufsatz Zur Charakteristik des jüdischen Volkes (Ausland 1872 No .38 S. 904—905.) Vor wenigen Jahren erhielten die Juden in London von ihrer geistlichen Behörde die Weisung, dass auf ihren Grabmälern, wo sie neben der Jahreszahl seit Bestehen der Welt auch die gewöhnliche Aera anzugeben pflegten, diese letztere wegbleiben müsse, „weil sie eine Anerkennung des Christentums in sich schließe,"

So ist es denn unzulässig, die mittelalterlichen Judenverfolgungen der christlichen Kirche allein zur Last zu legen; sicherlich haben Christentum und Kreuzzüge den Judenhass bestärkt, nicht aber erzeugt; beseelte er doch auch die nichtchristlichen Römer. Eben so wenig sind die Judenverfolgungen von oben ausgegangen, ist der Volksfanatismus gegen sie von oben genährt worden. Die Judenverfolgungen waren vielmehr vollkommen im Sinne der unteren Volksklassen, die sich an den Ermordungen und sonstigen Gewalttaten mit dem nämlichen Vergnügen beteiligten wie die Priester und Herrscher. Instinktmäßig fühlten die arischen Europäer in dem semitischen Juden den eingewanderten Fremdling, nach der Meinung minder gebildeter Volksklassen den fremden Eindringling. Die gemeiniglich als Gegensätze zwischen „Christ" und „Jude" hervorgehobene Differenzierung ist nichts anderes als der Gegensatz zwischen Arier- und Semitentum überhaupt. Ein gut Teil des Judenhasses, zumal im Mittelalter — jugendlichen Völkern ist die Reinerhaltung des Blutes besonders heilig und der Fremdenhass in höherem Maße eigen — des sogenannten Vorurteils selbst in höheren Schichten der modernen Gesellschaft, beruht auf dieser ethnischen Verschiedenheit, die der Freisinnigste nicht bestreiten kann. Allerdings wehrt sich der Geist der Jetztzeit gegen eine solche Auffassung, möchte den Gegensatz zwischen Semiten- und Ariertum am liebsten ganz in Abrede ziehen, und die Betonung dieses ethnologischen Momentes als „übelvermummte Böswilligkeit" hinstellen. Mancher glaubt wohl einen besonderen Trumpf gegen diese ethnologische Wahrheit ausgespielt zu haben, wenn er meint: „Aber auf die eine Frage muss diese allerneueste Weisheit die Antwort schuldig bleiben: woher es bei der ewigen Artverschiedenheit zwischen Ariern und Semiten denn komme, dass ein wenig Wasser das ganze Semitentum mit seiner Unverträglichkeit herunterspülen und in das allerbeliebteste Ariertum zu verwandeln im Stande ist, dem dann der Weg zu den höchsten Ehren der Gesellschaft offen steht. Auf diese Frage gibt es nur dann eine Antwort, wenn man im Judenhass nur Glaubensfeindschaft nur ein Vorurteil erblickt, wie dies auch jederzeit von allen Ehrlichdenkenden geschehen ist." *) Letztere unanständige Verdächtigung unberücksichtigt lassend, ist es leicht zu zeigen, dass nur Unwissenheit auf die beregte Frage keine andere Antwort zu erteilen vermag. An sich tut das Taufwasser freilich gar nichts, und dass es das Semitentum nicht hinabspüle, zeigt sehr deutlich der Volksmund, welcher unbekümmert fortfährt, den Neophyten als Juden zu betrachten und verächtlich von „getauften Juden" spricht. Ja, die jüdische Abstammung wird selbst Kindern und Kindeskindern nachgetragen, so lange die Erinnerung daran lebt, und die physischen Stammeseigenschaften der Juden sorgen von selbst dafür, dass diese Erinnerung nicht all zu früh erlösche. Die Kraft des Atavismus bringt oft in der dritten und vierten längst christlichen Generation den jüdischen Typus wieder zum Vorscheine, und dann können wir stets wieder von „getauften Juden" reden hören. Erst wenn die körperlichen Merkmale des Semitismus verschwinden, verstummt auch die gehässige Rede. Dies geschieht aber erst dann, wenn die Familie tatsächlich so viele Verbindungen mit arischem Blute eingegangen hat, dass in den Nachkommen dieses die Oberhand erlangt, das Semitentum in Charakter und Typus aufgesaugt oder doch wenigstens unmerklich geworden ist. Die Leute haben dann de fucto aufgehört als Fremdlinge in unserer Mitte umherzuwandeln, sie sind eben arianisiert und damit hört die Eacenabneigung auf. Zu dieser Arianisierung hilft nun das Taufwasser, indem es die sozialen Schranken niederreißt, welche nicht das Vorurteil nicht die Glaubensfeindschaft, sondern der angeborene Rassenhass ursprünglich errichtet hatte, der dann freilich die Glaubensfeindschaft als willkommene Bundesgenossen in seine Dienste nahm. Würden getaufte Juden sich stets nur wieder mit getauften Juden verbinden, mit anderen Worten ihren semitischen Typus rein erhalten, wie sie dies vor der Bekehrung zu tun pflegen, so würden sie unfehlbar den Makel ihres Fremdentums sich in alle Zukunft vorwerfen hören. Die Zähigkeit aber, womit sich der jüdische Typus und die jüdischen Rasseneigenschaften vererben, ist eine in der Völkerkunde unerschütterlich feststehende Tatsache. Bei den chinesischen Juden in Tschin kiang am unteren Yang tse kiang fallen die krummen Nasen und überhaupt die Physiognomien auf, die denen auf altägyptischen Denkmälern und jenen in Houndsditch (dem Londoner Trödelmarkte) gleichen. Andererseits belehrt uns ein gewiegter Naturforscher, Ludwig Schmarda, dass auf Jamaica unter den Farbigen der Aussatz (Lepra oder Elephantiasis graecorum) auftrete. Die Weißen bleiben gänzlich davon verschont, nur die Juden leiden darunter, und am stärksten die jüdischen Mulatten. So hat sich die Krankheitsdisposition bei der orientalischen Rasse trotz aller Wanderungen erhalten. Blut ist ein ganz besonderer Saft, sagt Mephistopheles.

Wie man aus dieser unbefangenen Darlegung ersieht, ist das sogenannte Vorurteil gegen die Juden eine Art instinktiven, natürlichen Gefühls, das sich allenthalben geltend macht, wo Völker verschiedener Rasse mit einander in Berührung kommen. Von diesem Gesichtspunkt ist die Lage des Judentums bei allen europäischen Völkern zu betrachten; die Frage ist eine rein ethnographische und hängt mit jener anderer ausgestoßener Rassen innig zusammen, welchen wir uns im folgenden Abschnitte zuwenden wollen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden und ihre Lage im Mittelalter.