Der Verkehr an den deutschen Meeren in vorhansischer Zeit

Seit den ältesten Zeiten einer deutschen Geschichte finden wir unsre Vorfahren als Meeranwohner. Die Nordsee, die mit ihren Küstenländern von deutschen Stämmen die erste und hauptsächlichste Bedeutung erhielt, hieß deswegen das deutsche Meer, mare germanicum. Die Römer hatten hier in den ersten Zeiten ihres Kaiserreichs mit deutschen Stämmen ihre heftigsten Kämpfe, das auf den Trümmern Roms begründete Frankenreich fand in den von deutschen Franken bewohnten Küstengegenden der Nordsee seine vornehmsten Stützpunkte und zugleich in den Sachsen seine zähesten und kriegerischsten Gegner, England erhielt von hier den Teil seiner Bevölkerung, der dieses Inselreich zuerst als selbstständigen Kulturstaat in die Geschichte einführte. Das deutsche Rheingebiet, so weit es von den Mündungen aufwärts von den fränkischen Stämmen besetzt war, ist für unsre Kulturgeschichte von der ältesten Bedeutung, und von hier aus drangen zuerst deutscher Handel und Gewerbe über das Meer. Schon unter dem ersten fränkischen Herrscherhause der Merowinger erhoben sich die Städte wieder, die während der Römerzeit hier geblüht hatten, unter den drüberhin flutenden Wogen der Völkerwanderung aber zu Boden gelegt waren. Köln, Mainz und Straßburg traten zuerst mit kulturhistorischer Bedeutung hervor. Aus der Zeit der Karolinger haben wir von ihrem Verkehr und ihrer Schifffahrt die ersten zuverlässigen Mitteilungen. Karl der Große befreite im Jahre 775 die Bürger von Straßburg von allen ungerechten Zöllen am Rhein, welchen Namen sie auch haben möchten. Der lateinische Dichter Ermoldus Nigellus, der um 824 in Straßburg als Verbannter lebte, erzählt von einem lebhaften Verkehr der Straßburger mit den Friesen und nennt den Elsässischen Wein einen Hauptgegenstand dieses Handels. Zu derselben Zeit hatten auch schon die Friesen Zollfreiheit bei Worms und auf dem Neckar. Die Handelslinien von Mainz und Köln reichten im 10. Jahrhundert den Rhein hinab in die Nordsee und durch das innere Deutschland zur Donau hinüber und an dieser hinab bis nach Konstantinopel. Mainz hieß bis zum 13. Jahrhundert die vornehmste Stadt Deutschlands, das „goldene“ Mainz, und dieses Bistum das ruhmvollste, an Volk und Schätzen reichste, an Macht und Gebiet ausgedehnteste. Aber schon seit dem 11. Jahrhundert wetteiferte Köln mit Mainz und gewann im dreizehnten durch seinen Verkehr über die Nordsee in Handel und Gewerbe einen immer weiteren Vorsprung. Als die Kölner im Jahre 1074 einen Aufstand gegen ihren Erzbischof erhoben, doch von ihm bezwungen wurden, zählte diese Stadt schon über 600 reiche Kaufleute, die aber der auf Seiten des Erzbischofs stehende Geschichtsschreiber Lambert als ein Geschlecht schildert, das vom Winde bewegt wird, von Jugend auf unter städtischem Luxus und Vergnügen erzogen und, ohne alle Erfahrung des Kriegswesens, stets gewohnt ist, nach dem Verkauf der Waren bei Wein und Mahlzeiten wie Helden über den Krieg zu reden, ohne doch selbst das Werk hinausführen zu können. Wie wenig schmeichelhaft auch diese Schilderung sein mag, so sehen wir doch, dass Reichtum und Luxus schon im 11. Jahrhundert in Köln zu Hause waren. Weiter hinab in den Gebieten des Niederrheins erscheinen dagegen die Friesen als die ältesten Träger des Handels, als fleißige und geschickte Gewerbsleute, als tüchtige und kecke Seefahrer. Berühmt waren sie in der Wollenweberei, und ihre farbigen Tücher standen so sehr in Ansehen, dass Karl der Große dem Perserkönig als Gegengeschenk für kostbare Gaben mit hispanischen Pferden und Maultieren friesische Tücher von blauer, weißer, bunter und grauer Farbe mit stattlicher Gesandtschaft schickte. Die Friesen vermittelten zuerst den Verkehr des innern Deutschlands und besonders der rheinischen Gegenden mit den Küstenländern der Nordsee, hielten die Verbindung zwischen den deutschen Küsten und den nach England gegangenen Angelsachsen aufrecht und legten zugleich durch ihren Seehandel den ersten Grund zu einer deutschen Schifffahrt. Auf den Messen von St. Denys waren sie schon zu Anfang des 8. Jahrhunderts tätig und belebten mit ihren Schiffen damals sogar die Seine. In Worms bewohnten sie einen besondern Stadtteil, in Mainz und Köln waren sie mit ihrem Handel tätig, auf dem Neckar hatten sie Zollfreiheiten, während die Kaufleute der oberrheinischen Städte in den Mündungen des Rheins und der Schelde Handelsfreiheiten und Zollerleichterungen erwarben. Als die bedeutendste friesische Handelsstadt trat schon zur Zeit der Karolinger da, wo der Leck vom Rhein sich trennt, Dorestatt hervor, wegen seines Reichtums und Ruhmes ein Hauptzielpunkt für die räuberischen Züge der Normannen. Von hier aus fuhren die Friesen mit ihren Segelschiffen nach England in den Humber, erschienen schon im Jahre 770 in York als tätige Kaufleute und erwarben sich zugleich als Baumeister und Seekrieger großen Ruf.

Weiter gegen Osten bewohnte die Südküste des deutschen Meeres der Stamm der Sachsen. Zuerst von Süden und Westen her durch die Herrscher des Frankenreichs, dann von Norden und Osten durch Normannen und Slawen vielfach bedrängt, erhoben sie nach Annahme des Christentums und unter dem Schutze des deutschen Reiches diese Gegenden zu einem der bedeutendsten und kulturreichsten Teile des Reiches. „Sachsen,“ so schreibt schon Einhard in seiner Lebensgeschichte Karls des Großen, „ist kein geringer Teil Deutschlands und wohl doppelt so groß, wie der von Franken bewohnte, dem es an Länge gleichkommen mag. Drei Winkel hat es, den einen im Süden am Rhein, den andern im Westen im Lande Hadeln, den dritten am Saalefluss; die Elbe bildet die östliche Grenze, doch auch noch jenseits der Elbe wohnen Sachsen. Fast ganz Flachland mit wenigen Hügeln, ist es berühmt durch seine Männer, durch Kriegstaten und Fruchtbarkeit, nur des süßen Weines entbehrt es, sonst bringt es Alles, was zum Lebensbedarf gehört, selbst hervor, denn es ist im Ganzen überall fruchtbares Acker-, Wiesen- und Waldland, am Rhein und an der Saale fett, gegen Friesland sumpfig und nur an der Elbe trocken. Elbe, Weser, Saale sind seine Hauptflüsse.“ Im 9. Jahrhundert treten hier schon Bremen, Hamburg und Magdeburg durch ihre vortreffliche Lage, den Ernst und die Betriebsamkeit ihrer Bewohner als aufstrebende, zu großer Bedeutung bestimmte Handelsplätze hervor. Bremen, durch seine Lage gegen die Seeräuber mehr geschützt und schon seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts Sitz eines Erzbischofs, schwang sich schnell zu einem weitreichenden Handelsleben empor und war schon ein nach den Verhältnissen jener Zeit glänzender Bischofssitz geworden, als Hamburg, von Karl dem Großen als Burg gegen die östlichen Slawen gebaut, noch durch Anfälle von diesen und den nordischen Seeräubern niedergehalten wurde. Bedeutend für die älteste Geschichte Bremens war die Regierung des Erzbischofs Adalbert im 11. Jahrhundert. „Das kleine Bremen,“ sagt der Geschichtsschreiber Adam von Bremen um diese Zeit, „wurde durch sein Verdienst weit und breit wie nur Rom selbst bekannt, und Andächtige und Gesandte kamen aus den fernsten Gegenden, selbst aus Island, Grönland und den Orkaden, bittend, dass er ihnen Prediger sende, was er auch tat.“ Alle Fremden, die hierher kamen, waren ergötzt durch die Pracht des griechischen Gottesdienstes, den der prachtliebende Erzbischof eingeführt hatte, durch den Rauch der Spezereien, das Blitzen der Lichter, den Donner der laut tönenden Stimmen und den Glanz der kostbaren Gewänder. „Aus allen Teilen der Erde,“ beschließt Adam seine Schilderung, „besuchten die Kaufleute Bremen mit den gangbarsten Waren.“ — Wenn auch der Tod des hochstrebenden Kirchenfürsten mit seinen Folgen die „Stadt Bremen an Bürgern, den Markt an Waren“ herunterbrachte, so dauerte dieser Rückschritt doch nicht lange; im folgenden Jahrhundert sehen wir den Bremer Markt wieder mit Waren und Schiffen erfüllt, wobei die friesischen Rustrer vor allen tätig erscheinen, und Bremer Seefahrer verbinden durch weitreichende Seefahrten die neuentdeckten livländischen und die estländischen Küsten mit dem Morgenlande. — Am lebhaftesten tritt in den unteren Elbgegenden neben dem in seiner Entwicklung niedergehaltenen Hamburg das weiter im Innern gelegene Bardewik hervor, das schon Karl der Große mit Magdeburg und anderen südlicheren Orten zu einem Verkehrsplatze mit den Slawen bestimmt hatte, und das im 10. und 11. Jahrhundert seine Handelslinien die Elbe hinauf und hinab, hinüber zu den von den Slawen bewohnten Ostseeküsten, mit andern sächsischen Binnenstädten Magdeburg, Soest, Stendal, Salzwedel erstreckte. Diese Städte trugen einen immer mächtiger sich entwickelnden Handelsstrom aus dem nordwestlichen Deutschland über die Elbe an die südwestliche Küste der Ostsee und waren trotz ihrer Lage im Innern des Landes die ersten, welche einen deutschen Seehandel auf der Ostsee begründeten, dem sie einen Teil ihrer schnellen Blüte verdankten. Das Salz der benachbarten Lüneburger Quellen war ein Hauptgegenstand dieses Handels und hob namentlich die Stadt Bardewik zu großem Reichtum, bis sie in ihrem Übermute Heinrich den Löwen beleidigte und nach gänzlicher Zerstörung durch denselben ihre Handelsstellung an das jüngere Lübeck abgeben musste. Weiter noch hinein ins Binnenland, aber auch mit lebhafter Beteiligung am Seehandel, blühte in frühesten Zeiten neben dem durch Kaiser Otto I. gehobenen und begünstigten Magdeburg die Kaiserliche Residenzstadt Goslar, die aber gleichfalls schon sehr früh ihre hervorragende Stellung einbüßte. Arnold von Lübeck, der Geschichtsschreiber, rühmt Goslar vor andern sächsischen Städten und nennt die Bürger kriegsgeübt durch beständigen Gebrauch der Schwerter, Bogen und Lanzen; noch beweisen kolossale Baureste aus dieser älteren Periode der Stadt frühen Reichtum und Bedeutung. Doch die Braunschweiger und ihre Fürsten bedrängten seit dem dreizehnten Jahrhundert unaufhörlich die Stadt, zerstörten ihre Bergwerke, schädigten die Bürger auf allen Straßen und eroberten endlich durch plötzlichen Überfall Goslar zu einer Zeit, da die Tore schlecht bewacht und der größte Teil der Bürger draußen war. Acht Tage lang sollen die Sieger auf großen Lastwägen die Beute hinweggeführt haben und darunter waren so viel Spezereien und Pfeffer, dass diese damals äußerst kostbaren Waren mit Scheffeln verteilt wurden: aus den Kirchen wurden goldene Kronleuchter und andere Zierraten in Menge geraubt. Seitdem erhob sich Goslar nie mehr zu der Bedeutung seiner ersten Periode wieder. Auch Halle nahm an diesen Verkehrslinien Anteil, und die Salzschiffe gingen von hier die Saale hinab in die Elbe, und von der Elbe die Havel aufwärts bis zu den Slawen an der Ostseeküste.
Ein Hindernis ganz besonderer Art, das wir hier näher erwähnen müssen, hielt noch im 9. und 10. Jahrhundert die Entwicklung der deutschen Nordseeküste zurück. Es waren die räuberischen Anfälle der Dänen und Normannen, die bis tief hinein ins Innere Deutschlands sich erstreckten. Vor Allen reizte sie das reich gewordene friesische Küstenland, und so oft sie auch von den kriegerischen Einwohnern mit schweren Verlusten zurückgetrieben wurden, so suchten sie stets das offene Land und die Städte mit neuen Plünderungen heim, vernichteten unter anderen den Hafenort Witla gänzlich und hatten sogar Dorestatt eine Zeitlang als Lehn vom Reiche inne. In stets wiederholten Raubzügen verwüsteten sie die Rheinufer bis über Köln hinauf, brannten diese Stadt zu verschiedenen Malen aus, dass sie ganz neu wieder erbaut werden musste, hielten sich dann den Winter hindurch auf dem Rheinufer und den Rheininseln mit den geraubten Schätzen und Vorräten, Männern und Weibern, die sie als Sklawen gebrauchten, hinter schnell aufgeworfenen Verschanzungen und stürmten im Frühling wieder mit Raub und Plünderung über das flache Land. Auch in Sachsen drangen sie die Elbe aufwärts tief hinein, wurden zwar oft mit schweren Verlusten geschlagen, kehrten aber immer gewitterschnell zurück und führten über das Meer, was sie nur an Beute erlangen konnten. Durch Ludwigs des Deutschen und seines Nachfolgers Arnulf nachdrucksvolle Kriegführung wurden sie endlich auf die Dauer aus den deutschen Gegenden hinweggewiesen und richteten seitdem ihre Raubzüge in die Länder jenseits des Rheins.


In der ältesten Zeit unserer Geschichte waren auch die Südküsten der Ostsee schon einmal von germanischen Völkerstämmen ganz besetzt gewesen, ohne dass diese aber zur Ruhe und zu einer bleibenden Heimat gelangen konnten. Als später das Frankenreich durch Karl den Großen den Gipfel seiner Macht erreichte, sehen wir diese Seeküsten von der dänischen Halbinsel bis in den äußersten Osten hinauf im Besitze slawischer Stämme und die Deutschen nach Westen bis über die Elbe zurückgedrängt. Aber zu derselben Zeit erwacht auch bei diesen schon das Verlangen, wieder über die Elbe zu dringen und die Ostsee zu erreichen, ein Verlangen, das in den folgenden Zeiten erst Ruhe findet, nachdem die Küsten bis zur Newa hinauf deutschem Einfluss und deutscher Bildung gewonnen waren. Zuerst dringen in kaum erkennbaren Linien deutsche Betriebsamkeit und Handelstätigkeit unter Karl dem Großen nach Norden zu den Dänen, nach Osten über die von diesem Kaiser angeordneten und beschützten Handelsplätze zu den Slawen an die wagrischen und abodritischen, holsteinischen und mecklenburgischen Ostseeküsten. In dieser Periode sind in den Ländergebieten der Ostsee die nordisch-germanischen und die slawischen Völker dem deutschen Elemente noch weit voraus. Die Germanen des Nordens hatten, durch die Nähe der schwedischen, norwegischen und dänischen Küsten begünstigt und durch größere Seekühnheit und Tüchtigkeit ausgezeichnet, die Straßen der Nord- und Ostsee schon aufgedeckt und verbanden durch ihre Fahrten die Küsten der britischen Inseln und der nordischen Reiche mit den slawischen und russischen Gebieten im Osten und über diese selbst mit Konstantinopel und dem fernen Morgenlande. Die slawischen Stämme ragten durch größere Beweglichkeit hervor, durch, ein schnelleres Aufblühen von Handel und Gewerbe, welche schon zu einer Zeit, da die Deutschen kaum erst die Ostsee kannten, hier schon sehr lebhafte, durch die Sage glänzend gefeierte Verkehrsmittelpunkte herausgebildet hatten. Adam, Helmold und Arnold, die drei trefflichen Geschichtsschreiber dieser Zeiten und Länder, rühmen gleichmäßig die Tätigkeit der slawischen Völker an der Ostsee, die Fülle und Behaglichkeit ihrer Lebensverhältnisse, ihre Geschicklichkeit und Emsigkeit in Ackerbau, Viehzucht, Fischerei, Handel und Gewerbe. Helmold lernte im 12. Jahrhundert als Begleiter des Bekehrers Vicelin zu einer Zeit, da das deutsche und slawische Element auf Tod und Leben im Kampf gegen einander lagen, aus eigener Anschauung diese Gegenden kennen. Beim Abodritenfürsten Pribislav wurden beide gastfreundlich aufgenommen und von Tafeln, die mit zwanzig Gerichten besetzt waren, gespeist. „Aus eigener Erfahrung habe ich kennen gelernt,“ ruft Helmold nach der Beschreibung eines solchen Gastmahls aus, „was ich bisher nur von Hörensagen kannte, dass kein Volk, was die Gastlichkeit anlangt, ehrenwerter ist, als die Slawen; denn in Bewirtung der Gäste sind sie alle eines Sinnes, so dass Niemand um gastliche Aufnahme zu bitten braucht. Was sie durch Ackerbau, Jagd und Fischerei erwerben, geben sie Alles mit frohen Händen hin und preisen den als den Tapfersten, der der Verschwenderischeste ist.“ Ebenso erstaunt waren die Begleiter des h. Otto über den Reichtum dieser Völker an Fischen, Rindvieh und Wildpret, Feld- und Gartenfrüchten, Honig, Butter und Käse. Die slawischen Sorben beuteten zuerst die Salzquellen Halles aus, die Pomeranen webten wollene und leinene Tücher, bauten Getreide, Flachs und Waid, brauten Met und Bier; der Fischfang wurde von ihnen und anderen slawischen Stämmen an den Küsten aufs Lebhafteste betrieben. Schon vor den Germanen übten die Slawen Bergbau und schmiedeten treffliche Geräte und Waffen. Dennoch hatten sie weder Häuser von Stein, noch Städte von dauerbarem Bau; ihre Wohnungen waren Hütten von Flechtwerk und Zelte von Leinwand, ihre Tempel und Paläste von Holz, ihre Festungen schnell aufgeworfene Erdwälle. Sie lebten in Allem leicht und schnell, mehr für den Tag als planmäßig, bald im Überflusse schwelgend, bald darbend und von Nachbar zu Nachbar ziehend. Hatten sie Alles durchgebracht, so gingen sie auf Raub und Diebstahl und teilten und verschmausten am folgenden Tage die Beute mit den Freunden. So geartet waren die Bewohner der südlichen Ostseeküsten vor der Germanisierung. Damals schon gab es hier ganz bestimmt ausgeprägte Schifffahrts- und Handelslinien. Vor Schleswig, in ältester Zeit Hadeby genannt, sammelten sich mit dem Eintreten der Fahrzeit die Handelsschiffe aus den westlichen Gegenden, zogen dann längs der Küste in meistens kurzen Tagefahrten nach dem wagrischen Aldenburg, dann zum abodritischen Reric, von hier zu der vielbesuchten und genannten Hauptstadt der Retharier, Rethra, „aller Welt bekannt.“ Hier war dem slawischen Hauptgotte Radegast ein prachtvoller Tempel erbaut mit seinem Bilde von Gold und einem Lager von Purpur; die Stadt hatte neun Tore, war von tiefer See rings umgeben und durch eine hölzerne Brücke mit dem Festlande verbunden. Von Rethra ging die Fahrt in die Mündung der Oder, wo Vineta für „Barbaren und Griechen (Russen), die ringsum wohnen,“ einen lebhaften Markt bot. Diese Stadt wurde von der Sage mit besonderer Vorliebe verherrlicht, als das glänzendste Beispiel vergangener slawischer Herrlichkeit, deren versunkene Trümmer immer noch sichtbar aus der Tiefe des Meeres emporragen. Wenn die schärfere Forschung diese Steintrümmer auch schon längst als Klippen und Kreidefelsen erkannt hat, so sind doch die Nachrichten von der Stadt Vineta zu bestimmt, um Alles für Sage halten zu können. Adam von Bremen redet von Vineta also: „Weil zum Preise dieser Stadt große und fast unglaubliche Dinge vorgebracht werden, so will ich Einiges einschalten. Es ist wirklich die größte von allen Städten, die Europa einschließt. In ihr wohnen Slawen und, andere Nationen, Griechen und Barbaren, denn auch den dort ankommenden Sachsen ist unter gleichem Rechte mit den Übrigen zusammenzuwohnen gestattet, freilich nur, wenn sie, so lange sie sich dort aufhalten, ihr Christentum nicht kundgeben. Übrigens wird, was Sitte und Gastlichkeit anlangt, kein Volk zu finden sein, das sich ehrenwerter und dienstfertiger bewiese. Jene Stadt nun, welche reich ist durch die Waren aller Nationen des Nordens, besitzt alle möglichen Annehmlichkeiten und Seltenheiten; auch der Vulkanstopf, den die Gingeborenen das griechische Feuer nennen, findet sich dort u. s. w.“ — Hierher führte von Hamburg aus eine Landhandelsstraße, die Adam auf 7 Tagereisen berechnet. Jedenfalls also war Vineta ein berühmter und vielbesuchter Hafenplatz, doch nach slawischer Art leicht und für den Augenblick gebaut, im Winter nur von sesshaften, heidnischen Slawen bewohnt, im Sommer von den Ostseefahrern, Fischfängern, Kaufleuten aller Nationen des Nordens besucht und belebt. — Von hier aus zog sich dann in den ältesten Zeiten der Handel zu Lande weiter in den Osten, über Sedanie (Danzig) durch die Küstengebiete der Pomeranen, Prusten, Esten u. s. w. nach Ostrogard, dem späteren Nowgorod, der Russen westlichsten Handelsstadt, die ihre Handelslinien auf dem Dniepr nach Kiew, der Nebenbuhlerin Konstantinopels, zog und hier mit dem großen morgenländisch-asiatischen Handelsstrom zusammentraf. Auch in der Ostsee selbst und an der gegenüberliegenden schwedischen Küste hatten die sich kreuzenden Handelslinien verschiedene Verkehrsknotenpunkte gebildet. Als ein ältester und berühmtester erscheint die dänische Insel Holm (Bornholm), ein sicherer Standort für alle Schiffe, welche zu den Slawen und an die russischen Küsten gesandt wurden, desgleichen an der schwedischen Küste Sigtuna und Birka (Biörköe). In diesen letzteren Hafen, dessen Eingang aber durch die zum Schutz gegen die Seeräuber unter der Meeresfläche aufgeführte Steinmauer sehr gefährlich geworden war, kamen alle Schiffe der Dänen und Normannen, der Slawen und Sachsen, um von hier aus die russischen Küsten und Ostrogard zu erreichen.

Diese Verhältnisse der Ostseeküsten erhalten im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts eine gänzlich veränderte Gestalt. Das Vordrängen der Deutschen über die Elbe nach Osten, die gleichzeitigen Eroberungen der Dänen an den Südküsten hin über Rügen und Pommern bis nach Estland, die durch die Deutschen der Nordsee eröffnete Fahrt durch den Sund und über die offene Ostsee bis nach Livland, ließen die alten Verkehrsplätze fast alle bis auf den Namen verschwinden und erhoben nach vollendeter Germanisierung der Küsten an deren Stelle die Städte, welche uns später, als die Träger des Handels und der Hansa in diesen Gebieten entgegentreten. Die deutschen Eroberungen begannen hauptsächlich mit Albrecht dem Bären im Süden und mit Heinrich dem Löwen im Westen; die Gründung des Schwertordens in Livland, die Übersiedelung des deutschen Ordens in das Land der alten Preußen schlossen den Kreis der bedeutsamen Tatsachen, welche die langgedehnte Südküste der Ostsee zu einem wichtigen Teile des deutschen Reiches umbildeten und die Ostsee zu einem deutschen Meere machten. Zuerst fielen Aldenburg und Reric, und der letzte Ort verschwand bis auf den Namen. Rethra wurde i. J. 906 durch Otto I. und den Markgrafen Gero vernichtet, Vineta 1043 durch den Dänenkönig Magnus gänzlich niedergeschlagen, 1170 auch die russischen Städte Arkona und Karenz zerstört. Die Slawen wurden von den Deutschen und Dänen teils vernichtet, teils in die Sklaverei verkauft, und was übrig blieb, lebte vom Raub zu Land und See oder gab sich dem Eroberer in Zins und Dienstpflicht. Zuerst trat jetzt als der hauptsächlichste Mittelpunkt des Ostseeverkehrs Wisby auf Gothland hervor. Die schwedischen Kaufleute, damals die gotischen genannt, ließen sich hier zuerst nieder und verkehrten von hier aus mit Slawen und Russen; dann kamen von der Nordsee und den nun deutsch gewordenen südwestlichen Ostseeküsten auch die deutschen Kaufleute, um über diese Insel ihre Handelslinien auf der Ostsee nach allen Richtungen auszubreiten. In der Travelandschaft erblühte damals das zuerst von den Slawen erbaute, — das Dorf Alt-Lübeck gibt noch Zeugnis davon, — dann etwas höher hinauf von den holsteinischen Grafen auf einem von der Trave und Wakenitz umflossenen sicheren Hügel Buku neubegründete Lübeck.

Heinrich der Löwe, der um diese Zeit hier seine Vernichtungskämpfe gegen die slawischen Stämme mit Glück und Nachdruck führte, erzwang von dem Grafen von Holstein die Abtretung der neuen Stadt Lübeck und machte sie nach Zerstörung von Bardewik zu einem Mittelpunkte dieses südwestlichen Ostseegebietes. Dadurch erhielt die weitere Germanisierung dieser Gegenden einen festen Rückhalt und sie drang nun mit dauerndem Erfolge nach Osten unausgesetzt weiter, bis die Abodriten, Ranen, Luitizen, Wilzen, Pomeranen und Kassuben nach blutigen Kämpfen dem Christentum und dem deutschen Reiche unterworfen waren. Zu gleicher Zeit drängte aber auch das dänische Reich, damals und noch in späteren Jahrhunderten die größte Macht des nördlichen Europas, von der Nordküste vorwärts und erstreckte im Gleichschritt mit den Deutschen am Meere hin seine Eroberungen über mecklenburgische und pommersche Gebiete bis nach Rügen und bald auch bis nach Liv- und Estland.

So lange die beiden Reiche, das deutsche und das dänische hier dasselbe Ziel verfolgten und als natürliche Bundesgenossen zu demselben schweren Kampf aneinander gefesselt waren, gingen sie ohne heftiges Zusammenstoßen mit- und nebeneinander diesen Eroberungen nach, welches Verhältnis durch die freundschaftliche Verbindung des ersten dänischen Waldemar mit Friedrich I. und Heinrich dem Löwen und des zweiten Waldemar mit Friedrich II. bewiesen wird. Später erwuchsen aus diesem Verhältnisse Kämpfe und feindselige Wechselbeziehungen, die den friedlichen und nachhaltigen Abschluss auch heute noch nicht gefunden haben. Zugleich mit den Dänen erwarben noch von anderer Seite die Polen, damals durch kraftvolle Herrscher zu einem Reiche und einem Ziele vereinigt, in diesem Werke der Unterwerfung und Christianisierung der Ostseeküsten mit und erstreckten ihren Einfluss tief in die pommerschen Gebiete hinein. Doch das deutsche Element erhielt durch überlegene Kriegstüchtigkeit und höhere Bildung, durch zäheres und gleichmäßigeres Vorgehen das Übergewicht, der dänische Einfluss blieb auf Küstengebiete und Inseln beschränkt, die polnische Macht wurde gegen Südosten zurückgedrängt, und zwischen beiden schritt die deutsche Eroberung und Bildung, getragen durch die Kriegsmacht des deutschen Ordens und des Ordens der Schwertbrüder, durch die Geisteskraft der Kirche, durch die Gewerbs- und Handelsmacht der alsbald aufblühenden Städte, bis zur Newa hinauf. Die Gabe, verlassene Landstriche zu kolonialisieren, unterlegene Völkerstämme der eigenen Bildung auf die Dauer zu gewinnen und dienstbar zu machen, bewährte sich damals in erfolgreichster und glänzendster Weise, so dass bis zum 14. Jahrhundert das ganze langgestreckte Küstengebiet von der Mündung der Trave bis über die Düna hinweg mit aufblühendem städtischen Gemeindewesen besetzt war und deutscher Handel und Gewerbefleiß, deutsches Recht und deutsche Bildung über das Meer in das innere Land hinein gegen Osten und Südosten sich die Herrschaft gewonnen hatte. Lübeck, Wismar und Rostock, Stettin, Garz, Stargard, Greifswalde, Stralsund, Anklam, Demmin, Kolberg, Danzig, in Preußen Thorn, Kulm, Elbing, Königsberg, Memel, in Livland Reval, Dorpat, Riga und viele andere mit deutschem Rechte begabte, von deutschem Gewerbe- und Handelsfleiß belebte Städte füllten mit ihren Waren und Schiffen die Wege der Ostsee, trugen des deutschen Reiches Einfluss und Bildung nach Russland und in die nordischen Länder, erstreckten ihre Handelslinie über den Sund hinaus nach Norwegen, England, Flandern, Frankreich, bis nach Spanien und machten im Verein mit den kriegerischen Orden und den geistlichen und weltlichen Fürsten die Südküste der Ostsee in ihrer ganzen Länge zu einem untrennbaren Glied des Reiches, wenn auch die förmlich vollzogene Einverleibung einzelner Teile fehlte, und von Seiten der mitwerbenden feindlichen Mächte, insbesondere Dänemarks, mancher Widerspruch und erfolgreicher Widerkampf entgegengesetzt wurde. Dieses weitgedehnte norddeutsche Küstengebiet von den Rheinmündungen hinauf bis zur Düna, mit den schon lange rein deutschen Küstenländern der Nordsee, mit den stets vom dänischen Einflusse bedrohten Landschaften der Niederelbe und Trave, mit der von der Travemündung bis zur Düna langausgedehnten Südküste der Ostsee, die kaum erst den slawischen Völkerstämmen entrissen war und mit den Resten derselben durchzogen blieb, dabei vom Meere her durch dänischen und skandinawischen Einfluss, vom Lande durch polnische, lithauische, und russische Eroberungsgelüste bedroht wurde, bildet den Boden, aus dem die allgemeine deutsche Hansa als ein alle hier aufblühenden deutschen Städte umfassender Bund emporwuchs, um drei Jahrhunderte hindurch in diesem Teile Europas das Ansehen des deutschen Reiches und Volkes mit städtischen und bürgerlichen Mitteln allein in Herrschaft zu erhalten. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Hansa als deutsche See- und Handelsmacht