Die Glocken aus dem Teufelssee bei Horst, unweit Tessin

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: J. J. F. Giese zu Strohkirchen, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sagen, Volkssagen, Rostock, Tessin, Thulendorf, Eichenhain, Hügelkette, Teufelssee, Horst, Teufel, Götzentempel, Glocken, Glockenstuhl, Petschow, Bösewicht, Gottesacker
Wenn man auf der Chaussee von Rostock nach Tessin reiset und etwa ein Drittel des Weges zurückgelegt hat, trifft man einen kleinen, von der Chaussee, mehreren Bächen und vielen Fußsteigen durchschnittenen Eichenhain, welcher im Sommer sehr oft von zahlreichen Gesellschaften — die entweder Gäste der an dem Saume des Hains liegenden Wirtshäuser, oder bei etlichen hier befindlichen Wunderlichen hilfesuchende Kranke sind — besucht wird.

Im Norden dieses Hains erblickt man in der Entfernung einer Viertelstunde das Dorf Thulendorf mit seinem alten, aus Feldsteinen erbauten Turm und seinem gleichen Kirchlein und seinen vielfachen Obstbaum- und Heckenanpflanzungen. Im Süden aber sieht man eine große, ebene, rings von einer kleinen Hügelkette umgebene Wiese, „will Wisch" genannt, und hinter derselben, auf der Hügelkette, ein halbes Dutzend größere und kleinere Höfe und Dörfer, unter welchen das bedeutende und durch seine ziemlich kolossale Kirche sich bemerkbar machende Petschow in mancherlei Hinsicht das wichtigste ist.

Reiset man weiter auf der Chaussee bis etwa auf das zweite Drittel der Strecke, so wird die ohnehin nicht einförmige Gegend noch freundlicher, indem das hügelige, fruchtbare Ackerland in lieblicher Weise mit Eichen-, Buch- und Bruchholz, mit Wiesen und Mooren wechselt und dazwischen die blauen Wasserspiegel dreier Seen sichtbar werden. Diese Seen liegen bei den gräflich von Bassewitz’schen Gütern Horst, Vietow und Wohrenstorf. Zwei derselben, der Horster und Vietower See, sind klar wie Kristall und fischreich, wie wenige Seen Mecklenburgs. Der dritte aber, welcher am Rande eines sehr bedeutenden Torfmoores liegt und nur der Teufelssee genannt wird, hat trübes, fast schwarzes Wasser, eine nach Behauptung der Fischer unergründliche Tiefe und eigentlich gar keine Fische. Auf keiner Stelle kann man zu seinem Wasser gelangen, weil rund umher mehrere hundert Schritte breit nur eine sehr dünne Wiesennarbe auf fast flüssigem Schlamme ruhet, die beim Betreten zwei bis vier Fuß in den Schlamm dringt und jeden Augenblick zu reißen drohet.

An der Stätte dieses Sees lag in alter, heidnischer Zeit eine Stadt, welche tiefer gesunken war in Abgötterei, Zauberei und sonstigem heidnischen Wesen, als manche andere Stadt jener Zeit. Der Teufel freute sich ob der Blüte, zu welcher sein Reich in dieser Stadt gelangt war und gab Glück und Wohlleben, so viel in seinen Kräften stand. Doch Gott, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde, und dass alle zur Erkenntnis und Gnade kommen, sandte christliche Priester in diese Gegend und ließ das segenspendende Evangelium von Jesu Christi verkündigen. Das Wort fand auch einen guten Boden, denn Gott lenkte die Herzen der Menschen, dass sie Gefallen hatten an der frohen Botschaft, und dass sie sich taufen ließen zu Hunderten und wieder Hunderten. Bald mussten die heiligen Haine und Götzentempel weichen und einem christlichen Kirchlein Platz machen. Alltäglich wanderten die umherwohnenden, zur Buße erwachten Heiden dahin, um das seligmachende Wort aus dem Munde eines Priesters zu vernehmen. Zwei große Glocken, welche durch die reichlich zusammengebrachten Gaben der nicht unbemittelten Gemeinde erstanden waren, sandten ihre Triumphlieder weithin durch die Wälder und Felder, Heiden und Weiden und luden zur Messe und Vesper, zur Andacht und Buße ein.

Der Teufel hatte Alles versucht, sein mit Macht zusammenbrechendes Reich zu retten, er hatte Aufruhr und Priestermord, Wasser und Dürre gebraucht, aber Alles vergebens; die Gemüter waren auf bessere Bahnen geraten und er vermochte nicht mehr, sie wieder zurück zu bringen. Da beschloss er, die Stadt von der Erde zu vertilgen, dass man nie ihre Stätte mehr finden könne. Und das tat er. Zuerst erschien er persönlich in der Stadt und lud zu einem Opfer in einem nahen Eichenhain ein, da aber Niemand seiner Einladung folgte, entwich er wieder. Er kam aber bald auf einem Wetter zurück, das mit solcher Furchtbarkeit vom Norden heraufzog, wie ein gleiches noch nicht auf Erden gesehen war. Oben auf den Wolken saß nun der Teufel selber und warf mit Blitzen in die Stadt, als wären es Kinderballe. Zwar gelang es den Gläubigen noch zur rechten Zeit aus dem Ort des Verderbens zu fliehen, allein all ihr Hab' und Gut blieb dem Zorn des Teufels Preis gegeben. Und man ließ ihm solches gern, man hatte es als Kinder der Bosheit und Finsternis unter seiner Herrschaft erworben, warum sollte man also jetzt dessen Verlust beweinen?

Die Stadt hatte der Teufel tief in den Erdboden hinein geschlagen, und er selber soll ihr darnach nachgezogen sein mit all seinen Wolken, welcher so viele waren, dass sie die ganze entstandene Höhle ausfüllten und also die Stadt bedeckten, damit Niemand von des Teufels abtrünnigen Untertanen in dieselbe zurückkehren konnte. Diese Wolken befinden sich noch bis auf den heutigen Tag in der Höhle und bilden den jetzigen Teufelssee.

Aber obgleich die Stadt in der Gewalt des Teufels war, über die Kirche und den Kirchturm hatte er doch seine Macht nicht erstrecken können. Diese blieben stehen auf der Oberfläche des Sees, bis sie verfielen, welches schon nach etlichen Jahrzehnten geschah, da Turm und Kirche nur für den ersten Notfall leicht und aus Holz erbaut waren. Bei dem Verfall des Turmes sanken auch die Glocken in die Tiefe, aber nicht für immer. An jedem Johannistage stiegen sie empor und ließen ihre Töne erschallen, so klagend und zu Herzen gehend, dass Jedem, der sie hörte, die Tränen über die Backen rieselten.

Wenn nun die Glocken an einem Johannistage auf dem Wasser schwammen und die Leute von nah und fern durch ihre klagenden Melodien herangerufen hatten, dann wurden von diesen alle Mittel versucht, sie aus der sie gefesselt haltenden teuflischen Macht zu befreien. Doch kein Mittel half, keine Kraft vermochte die Glocken auch nur eine Linie breit von der eingeschlagenen Richtung abzulenken. Von neun Uhr Morgens bis drei Uhr Nachmittags bot sich dieses Trauerspiel den Augen und Ohren der Zuschauer dar, welche während dieser Zeit alles Mögliche taten, die Glocken in ihre Gewalt zu bekommen. Da aber Alles vergeblich war, so mussten denn endlich auch die Mutigsten verzagen und ihre Hoffnungen aufgeben.

So mochten die Glocken schon hundert- und mehrmalheraufgestiegen und eben so oft wieder verschwunden sein, da geschah es, dass ein junger Fischer von den benachbarten Seen, Hans Döppe soll er geheißen haben, auch einmal einen Versuch machen wollte, auf dem Teufelssee zu fischen. Er ließ sich dieserhalb früh Morgens sein Fahrzeug dahin helfen, stieß vom Ufer ab und warf seine Netze aus, unbekümmert darüber, dass es gerade Johannistag war, wo die Glocken wieder auf die Oberfläche des Sees kommen würden.

Zweimal schon hatte der emsige Fischer seine Netze ans Land gezogen und nichts gefangen; noch einmal wollte er's versuchen und dann, falls er wieder nichts fangen würde, heimkehren; denn die Sonne stand schon hoch am Himmel, und dumpfe Glockentöne aus der Tiefe deuteten an, dass die neunte Morgenstunde, in welcher die Glocken empor stiegen, nicht mehr sei. Er eilte, so schnell wie möglich, den Zug zu beenden, allein als er sein Netz etliche Klafter gezogen hatte, saß es, von unsichtbaren Kräften gehalten, wie angewurzelt fest und war nicht von der Stelle zu bringen. War es voll Fische oder voll Modde, oder voll sonst etwas? Der Fischer wusste es nicht; er untersuchte es auch nicht, weil er hier Teufelskniffe und dergleichen befürchtete. Und doch, trotz dieser Furcht, konnte er das Netz nicht verlassen, ein Etwas gebot ihm, nicht von dannen zu gehen. Lange Zeit arbeitete er vergebens mit der größten Anstrengung; seine Herzensangst ließ ihn nicht gewahr werden, dass die Glocken auf dem See fehlten und sich daher leicht in seinem Netze befinden konnten.

Endlich nach drei Stunden gelang es ihm, das Netz von der Stelle zu bringen und es nun sogar mit Leichtigkeit ans Land zu ziehen. Da sah er den Grund und die Ursache seiner großen und so lange vergeblich geschienenen Anstrengung; denn in seinem Garne hingen zwei Glocken, so groß und so glänzend, wie er sie noch niemals gesehen hatte. Gern vergaß er nun seine Mühe; was Hunderte und Tausende vor ihm vergebens versucht hatten, war ihm ja jetzt gelungen.
Die Kunde von der Erlösung der Glocken im Teufelssee durchflog bald alle umliegenden Ortschaften, und eine derselben kam nach der andern herbei, das Geschehene zu bewundern und die Glocken zu sehen. Auch nach Rostock flog die frohe Nachricht und viele ehrbare Männer dieser Stadt zogen hinaus nach dem 2 1/2 Meilen entfernten Teufelssee. Als diese die Glocken sahen, wie sie so groß waren und so schön, beschlossen sie, dieselben für ihre Vaterstadt zu erwerben. Der Handel ward auch sogleich zur Stelle geschlossen, denn der Fischer, der sich die Glocken zueignete, war mit Wenigem zufrieden gestellt und die naheliegenden Ortschaften gaben, außer dem für sich selbst werbenden Städtchen Petschow, bald ihre Zustimmung.

Sechs stolze Rosse, vor einen eigens zu diesem Zwecke erbauten Wagen gespannt, zogen die Glocken Rostock zu, und eine jubelnde Menge Volks begleitete dieselben auf ihrem Wege zur neuen Heimat. Ohne Störung ging der Zug eine Meile vorwärts. Dort aber, es war wieder an einem See, der jetzigen sogenannten „wilden Wiese" zwischen Petschow und Thulendorf, vermochten die Pferde nicht weiter zu ziehen.

„Die Pferde sind ermüdet”, hieß es, „nur neue Pferde herbeigeschafft!" Diese kamen, aber auch diese vermochten nicht, den Wagen zu bewegen. Es wurde ein zweites Sechsgespann davor gelegt, allein der Wagen stand wie festgewurzelt. Eben so wenig nutzte ein drittes und viertes Gespann von 6 Pferden. Die 24 Pferde rissen die Deichsel aus dem Wagen und die Glocken blieben, wo sie waren. Da sah denn ein Jeder, dass die Glocken nicht nach Rostock sollten, sondern dass sie für einen andern Ort bestimmt seien. Aber wohin sollten sie nun?

Zwei Türme standen in der Nähe und waren bereit, die Glocken aufzunehmen: zur Linken der des damaligen Städtchens, jetzigen Hofes Petschow, und zur Rechten der des Hofes Thulendorf. Petschows Turm hatte zwar schon ein Glocke, allein noch standen zwei Glockenstühle leer da. Obgleich das Städtchen durch Handel und Wandel ziemlich wohlhabend geworden, auch der Ertrag des Petschower Sees, welchen die jetzige wilde Wiese damals noch bildete, ein ungewöhnlich großer war, auch ein Drittel der Petschower Ländereien der Kirche daselbst gehörte, so hatte man sich trotzdem noch immer nicht bemittelt genug gefühlt, die beiden fehlenden Glocken gießen zu lassen. Darum hatte Petschow auch so eifrig um die Glocken aus dem Teufelssee geworben.

Jetzt, wo man sah, dass die Glocken in der Nähe bleiben sollten, fing Petschow aufs neue an, darum zu werben. Da man jedoch den Widerstand der Glocken bald dahin deutete, dass dieselben nicht wieder nach einer Stadt wollten und Petschow ebenfalls eine solche war, so entschied man sich allgemein dafür, sie nach Thulendorf zu bringen.

Thulendorf war damals ein liebliches Höfchen, welches ein Edelfräulein von Thulen eben erst erbaut hatte, samt seinem kleinen Kirchlein und seinem sehr hohen Turm. In dem hohen Turme hing aber noch keine Glocke, um die gläubigen Hofbewohner zur Kirche zu rufen; denn ein Dorf war damals viel leichter erbaut, denn so eine Glocke angeschafft. Dieser Turm stand also gleichsam wie für diese Glocken gebaut da, und Keiner bezweifelte auch das glückliche Gelingen, sie dorthin zu bringen.

Sechs Pferde zogen denn nun auch bald die Glocken mit Leichtigkeit nach Thulendorf, und mehr als hundert dienende Hände halfen sie hinaufbringen in die bereitstehenden Glockenstühle. Ob aber gleich der Turm aus Feldsteinen erbauet war und sehr starke Wände hatte, so vermochte er doch seiner unverhältnismäßigen Höhe wegen die beiden Glocken nicht zu tragen.— Diese Höhe war nämlich so bedeutend, dass er den Schiffern auf der Ostsee zum Wahrzeichen diente, trotzdem er zwei Meilen und weiter von der See entfernt und auf keiner erheblichen Anhöhe gelegen war. — Die Turmwände bekamen nämlich von dem mächtigen Druck der Glocken einen Riss, welcher befürchten ließ, dass der Turm zusammenstürzen werde, wenn die Glocken nicht bald wieder entfernt würden. Deshalb wurden denn die Glocken schleunigst wieder vom Turme genommen, um sie nun endlich nach Petschow zu bringen; „denn”, sprach man, „lieber lasst uns den Transport nach Petschow versuchen, als dass wir sie hier von den Trümmern des Turms zerschlagen lassen." Und sie wären zerschlagen worden von den großen Steinmassen, da der in dem Mauerwerk entstandene Riss von Jahr zu Jahr größer geworden ist, bis endlich ein Sturm die obere Hälfte des Turms herabgelegt hat.

Der Zug nach Petschow ging schnell und ohne Unfall von Statten; als man aber in die Stadt kam, suchte ein verruchter Bösewicht ihn dadurch aufzuhalten, dass er den ermüdeten und sich gerade vor seiner Tür ausruhenden Pferden vergiftetes Brot reichte. Dieser hoffte nämlich, während des hierdurch sicher entstehenden Wirrwarrs, noch andere Mittel zur Verhinderung der jetzt fast vollendeten, für alle Andern so freudigen Tatsache anzuwenden und sie somit zu vereiteln. Er hatte jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Höchste, welcher den Zug bis hierher geleitet hatte, wollte das Werk nicht noch am Ziele zu Schanden werden lassen; denn siehe, den Pferden fehlte nach dem genossenen Gifte nicht nur gar nichts, sondern sie wurden vielmehr mutiger, als sie gewesen waren, so dass man schneller bei dem Kirchturme anlangte, als man erwartet hatte.

Aber welch grässlicher Anblick bot sich hier der jubelnden Menge dar: der, welchen sie noch eben den Pferden Brot reichend gesehen hatten — was freilich Alle gewundert hatte, da er als erster Lästerer und Verächter alles Heiligen bekannt war — lag vor ihren Augen da, als verstümmelter Leichnam und einer seiner Hände beraubt. Grund und Ursache eines solchen schrecklichen Todes wusste anfangs freilich Niemand anzugeben, da keiner Augenzeuge seines Tuns im Turme gewesen war; als man jedoch nach oben kam, sah man, was geschehen war. Der Herr hatte selber über einen Missetäter zu Gericht gesessen, welcher versucht hatte, die Glockenstühle so zu durchschneiden, dass sie herunterstürzen mussten, sobald sie die Glocken aufgenommen hätten. Ein zu weit durchsägtet Balken war jedoch herunter geschlagen, als er noch bei seiner Arbeit gewesen, und hatte seine Hand vom Arme getrennt, wie er ihn selber darauf mit sich zur Erde gerissen und so furchtbar zerquetscht und verstümmelt hatte.

Als der Leichnam dieses Bösewichts an der Mauer des Gottesackers begraben, die abgeschlagene Hand aber zur ewigen Erinnerung an dieses Gottesgericht in der Kirche auf dem Altar niedergelegt war, wo sie wahrscheinlich noch heute liegt, brachte man auch den angerichteten Schaden auf dem Turme wieder in Ordnung. Solches war schnell geschehen, da den Bösewicht schon zu Anfang feines Frevels das Verderben ereilt hatte. Nachdem Alles auf das sorglichste geprüft und untersucht war, und Niemand eine den Glocken Gefahr drohende Stelle gefunden hatte, wurden diese endlich ohne weitere Störung auf die für sie bestimmten Plätze gebracht.

Da sind sie denn auch geblieben bis auf den heutigen Tag, und Jedermann, welcher sie zu sehen wünscht, kann sie in den beiden großen Glocken Petschows täglich sehen.

Als Stadt besteht Petschow schon lange nicht mehr; es hat mit dem Dorfe in dem nicht sehr fernen Kriegholze, von welchem jetzt nur noch 15 verfallene Brunnen und etliches alte Gemäuer übrig ist, gleiches Schicksal gehabt. Mandelshäg, so hieß das Dorf seiner 15 Gehöfte halber, und die Stadt Petschow sind in einem wilden Kriege zu Grunde gegangen. Von letzterem ist nur noch das heutige gleichnamige Dorf übrig.

Wenn Petschow auch nicht groß gewesen, so soll’s doch berühmt gewesen sein; noch im letzten französischen Kriege haben die Franzosen nach der Stadt Petschow gefragt und sollen kaum zu überzeugen gewesen sein, dass diese nur noch in dem Dorfe Petschow vorhanden sei.