Kapitel 17 - Doctor Monrove und Sander.

Die beiden Ladies hatten sich jetzt zum Aufbruch gerüstet, ihre Pferde waren vorgeführt, und nur Sander fehlte noch, sie zur Stadt zurück zu geleiten. Obgleich dieser aber recht gut fühlte, wie man auf ihn allein warte, ja es sogar für ganz in der Ordnung fand, daß er die Damen, die er herausgeführt, auch wieder zurückgeleite, so konnte und wollte er doch, aus den schon früher angegebenen Gründen, den Platz jetzt unter keiner Bedingung verlassen. Eine Ausrede mußte aber gefunden werden, und da ihn die in den Dornen zerrissenen Kleider nicht länger entschuldigen konnten, indem ihn Cook sehr bereitwillig mit einem von seinen eigenen Anzügen versah, so bat er Mrs. Danton um wenige Worte unter vier Augen. Hier erklärte er ihr, der Doctor Monrove sei ein verzweifelter Mensch, dem nur daran zu liegen scheine, die Leiche unter sein Scalpel zu bekommen. Er selbst aber habe Medicin studirt und fühle sich überzeugt, daß der unglückliche Verwundete durch sorgsame Behandlung noch gerettet werden könne; verließe er ihn aber in diesem Augenblick, so sei er rettungslos verloren.

Natürlich beschwor ihn Mrs. Danton, wie er das auch vorausgesehen hatte, nicht von des Armen Seite zu weichen, und dankte ihm zugleich für die Theilnahme, die er für einen, wenn auch verbrecherischen, doch immer unglücklichen Menschen zeige. Sie selbst hätten den Weg schon mehrere Male allein zurückgelegt und hofften nur, ihn bald, und zwar mit recht guten Nachrichten, wieder bei sich zu sehen. Sander versprach das auch und bat nun Miß Adele, der Mrs. Dayton mit wenigen Worten den Stand der Dinge erklärte, ihm nicht wegen seines jetzigen Mangels an Aufmerksamkeit zu zürnen. Er hoffe aber, vielleicht schon heut Abend, den Verwundeten so weit versorgt zu sehen, daß dieser wenigstens seiner Hülfe entbehren könne, und er würde dann augenblicklich nach Helena zurückkommen, um die junge Dame der Freundin zuzuführen.


Adele konnte natürlich hiergegen nichts einwenden. Alle kannten ja auch den Doctor Monrove und fürchteten den entsetzlichen Menschen, von dem das Gerücht vielleicht noch schrecklichere Sachen erzählte, als verbürgt waren. Mißmuthig aber bestieg sie heut ihr kleines Pony und sprengte – nach allerdings herzlichem Abschied von den beiden gutmüthigen Frauen, und besonders gegen die alte Dame mit dem Versprechen recht baldiger Rückkehr – schweigend voran in den heimlichen Schatten des Waldes.

Sie war verdrießlich – ärgerlich über sich selbst und über – sie wußte oder wollte nicht wissen über wen noch sonst, und das kleine Thier, das sie trug, fühlte plötzlich so scharfen und ungewohnten Peitschenschlag, daß es erschreckt emporfuhr, und dann in raschem Galopp den schmalen Pfad entlang flog. Mrs. Dayton konnte kaum Schritt mit dem Wildfang halten.

Indessen saß Doctor Monrove neben dem Mulatten und beobachtete aufmerksam und, wie es schien, mit wohlwollender Zufriedenheit die schmerzdurchzuckten Züge des Unglücklichen, während Sander am Kamin lehnte und ungeduldig seine Nägel kaute.

Endlich schien der Mann des Blutes einen Entschluß gefaßt zu haben. – Er stand auf, ging an den Tisch und fing an, die kleinste der Sägen hier und da nachzufeilen. Cook, der eben in der Thür erschien, wandte sich schaudernd wieder ab und ging in den Wald, nur um das Gespräch nicht zu hören, das ihm durch Mark und Nieren drang.

Sander vernahm kaum, was um ihn her vorging, so sehr war er mit seinen eigenen Plänen beschäftigt. Desto entsetzlicheren Eindruck machte es aber auf den armen Teufel von Mulatten, der in diesem Augenblick zum ersten Mal sein volles Bewußtsein wieder erlangt zu haben schien. Wenige Secunden starrte er, von keinem der Männer beachtet, nach dem Doctor hinüber, dann aber, als ob ihm eine Ahnung dessen, was ihn erwarte, dämmere, sank er stöhnend auf sein Lager zurück. Sander schaute sich rasch nach ihm um, der Unglückliche hatte aber die Augen schon wieder geschlossen, und lag starr und regungslos da.

„Hört einmal. Mr. Hawes,“ brach der Doktor endlich das Schweigen, indem er sich, über seine Brille hinüberlächelnd, an Sander wandte, als ob ihm da eben bei seiner Beschäftigung etwas ungemein Komisches eingefallen sei – „es ist doch eigenthümlich, wie man manchmal in der Praxis – so alt und erfahren man auch sein mag – irgend einen lächerlichen Schnitzer macht. – Bei dem Sägeschärfen muß ich gerade wieder daran denken. Oben in – aber Ihr hört mir doch zu?“

„Doctor, was ist denn hier in dem Fläschchen?“ unterbrach ihn da Sander.

Der Doctor sah einige Secunden scharf mit der Brille dorthin und rief dann:

„Nehmen Sie sich in Acht – ziehen Sie den Pfropfen ja nicht heraus – das ist Arsenik – und das gelbe Gläschen enthält Scheidewasser.“

„Und das hier mit dem blauen Papier und der darunter gebundenen Blase Verwahrte?“

„Ist acidum zooticum oder Blausäure – das Gefährlichste von Allem, lassen Sie's lieber stehn – ich habe nur das eine Fläschchen mit und es könnte Ihnen aus der Hand fallen und entzweigehen.“

„Die Blausäure wirkt wohl als Gift am stärksten?“ sagte Sander, während er das Fläschchen sinnend in der Hand wog.

„Allerdings – ist ein fürchterliches Mittel, animalisches Leben zu zerstören,“ erwiderte der Doctor.

„Könnte Ihnen darüber auch zwei wunderbare Geschichten mittheilen – ich habe nämlich schon zweimal Unglück, wirkliches Unglück mit Blausäure gehabt. Doch man schweigt lieber über solche Sachen. – Es kommt nichts dabei heraus, und wenn es nachher weiter erzählt wird, machen es die Leute gewöhnlich viel schlimmer, als es eigentlich ist.“

„Und dieses Gift tödtet unfehlbar und schnell?“ fragte Sander noch einmal.

„Stellen Sie mir um Gottes willen das Glas hin,“ rief der Doctor ängstlich und sprang von seinem Sitze auf – „Sie richten wahrhaftig noch etwas an – das ist fürchterliches Gift und kann in den Händen des Laien zu ensetzlichen Folgen führen.“

Sander sah sich gezwungen, das Fläschchen wieder auf den Kaminsims zu stellen.

„So,“ sagte jetzt Monrove – als er die Säge durch sein eines Brillenglas genau betrachtete – „ein Mulattenbein hab' ich mir lange gewünscht. – Ich wollte schon einmal Dayton's Burschen amputiren, der Squire gab's aber nicht zu, und es war auch vielleicht gut – für den Jungen heißt das – denn die Natur half sich wieder.“

Er trat jetzt zu dem Bewußtlosen hin, legte die Instrumente neben diesen auf einen Stuhl und betrachtete ihn aufmerksam.

„Ja, ja,“ sagte er endlich, nachdem er den Puls des Verwundeten gefühlt und die Hand auf dessen Stirn gelegt hatte, – „er bessert sich, wie ich sehe, da werden wir also doch an's Amputiren gehen müssen.“

„Glauben Sie wirklich, daß er sich wieder erholt?“

„Ja – wahrscheinlich – er athmet ganz regelmäßig und der Puls geht auch, allerdings noch fieberhaft, aber doch ruhiger als vorher. – Wäre er mir gestorben, so hätt' ich ihn lieber ganz mitgenommen, so aber werd' ich ihn nur um ein Bein bitten. Dafür will ich ihm aber den Arm wieder ordentlich einrichten, und er wird deshalb seinem künftigen Herrn gewiß nicht weniger, vielleicht noch mehr werth sein. Es ist manchmal recht gut, wenn Neger zwei Arme zum Arbeiten und nur ein Bein zum Weglaufen haben. Alle Wetter, jetzt hab' ich aber meine Schienen zu Hause gelassen; ei nun, im Walde kann man sich da schon helfen – der Hickory wird sich wohl noch schälen, und da hol' ich mir ein paar Rindenstreifen. Bitte, Sir, bleiben Sie einen Augenblick bei dem Kranken hier – ich gehe nur dort zu den nächsten Bäumen, um mir die passenden Stücke zu holen – bin gleich wieder da. Aber – hab' ich denn gar nichts, womit ich die Streifen abschälen könnte.“

Er wandte sich von dem Bette ab, irgend ein Instrument zu suchen, und Sander griff fast convulsivisch wieder nach dem Giftfläschchen, das er rasch in seiner Hand verbarg.

„Ah – dieser Tomahawk wird gut sein,“ rief der kleine Mann, als er die in der Ecke liegende Waffe aufhob und damit zur Thür schritt. „Da drüben steht auch Mr. Cook, den werde ich Ihnen indessen herüberschicken.“

Sander löste rasch das Papier von der Viole ab und zog sein Messer, die Blase zu durchschneiden; er durfte keinen Augenblick mehr verlieren, der nächste konnte schon entscheidend sein.

„Wasser!“ stöhnte da der Mulatte – es war das erste Wort, das er seit seiner Verwundung sprach. Sander aber zuckte mit wild gemurmeltem Fluch zusammen, denn in dem Moment fast, wo er Verrath für immer unmöglich gemacht hätte, drehte sich der Doctor, der jenen Ausruf vernommen, rasch wieder herum und kam eilenden Schrittes zurück. Auch Cook näherte sich dem Hause.

„Alle Wetter,“ rief da Monrove, nachdem er einen flüchtigen Blick auf den Kranken geworfen – „völlig bewußter Zustand – klare Augen – freies Athmen – und unbezweifelt rückkehrende Lebenskräfte; – ich bekomme wahrhaftig nur das Bein. – Mr. Hawes, wir werden augenblicklich zur Operation schreiten müssen.“

„Wasser!“ stöhnte der Unglückliche – „ich verbrenne – ich will ja Alles – Alles bekennen – nur – Wasser – Wasser!“

Der Doctor, so eifrig er auch seine eigenen Zwecke im Auge haben mochte, begriff doch, daß es sich hier um Etwas handle, was für die Farmer von besonderer Wichtigkeit sein mußte. Er unterstützte also den Kopf des Verwundeten, was diesem jedoch einen lauten Schmerzensschrei auspreßte, und hielt ihm dann einen neben dem Bett stehenden Blechbecher an die lechzenden Lippen.

Sander schlug – die Zähne vor machtlosem Ingrimm zusammenknirschend – das kleine Fläschchen rasch wieder in seine Papierhülle ein, die Blase war aber schon durch der darangesetzten Stahl verletzt worden, und ein Bittermandelgeruch erfüllte das Haus.

„Blausäure!“ rief der Doctor und wandte sich, während er jedoch den Kranken noch nicht aus dem Arm lassen konnte, halb gegen Sander um, „Blausäure, so wahr ich gesund bin! – Alle Wetter, Sir, Sie werden mir mit dem Glase so lange gespielt haben, bis es zerbrochen ist, es riecht hier ganz danach – Mr. Cook, es ist gut, daß Sie kommen: hier – der Bursche da scheint noch etwas auf dem Herzen zu haben – lassen Sie ihn erst einmal beichten, und dann wollen wir sehen, was die Wissenschaft für ihn thun kann.“

„Lebt er? Hat er gesprochen?“ rief Cook und trat schnell zum Bett, „wie geht es ihm?“

„Schlecht, Sir!“ flüsterte der arme Teufel – „schlecht – sehr schlecht – mein Kopf – oh mein Kopf!“

„Ja, die Wunde ist bös,“ bestätigte der Doctor. – „Hirnschale hier oben auf jeden Fall sehr bedeutend verletzt – Knochenhaut getrennt und Gehirn bloßgelegt. Mulatten haben zwar höchst anerkennenswerth harte Schädel – das Instrument aber, mit dem der Schlag geführt wurde, muß ein tödtliches gewesen sein. – Bitte, beeilen Sie sich nur mit den Fragen, ich möchte gern noch im Stande sein, den Mann zu trepaniren – man hat überhaupt viel zu wenig Erfahrung, wie lange ein Mensch im Stande ist, bei bewußtem Zustand den Gebrauch der Säge an der Hirnschale auszuhalten.“

„Massa Cook,“ sagte der Mulatte und streckte langsam die Hand nach dem jungen Farmer aus, „ich kenne Sie noch von früher her. – Sie sind gut – wollen Sie mir – wenn ich Alles bekenne, eine Liebe thun?“

„Sprich, Dan,“ sagte Cook mitleidig, und reichte ihm noch einmal den Becher hinüber, da er merkte, daß seine Augen schon wieder matt und glanzlos wurden – „wenn Du aufrichtig Alles bekennst, so soll Dir weiter nichts geschehen, darauf gebe ich Dir mein Ehrenwort; Du hast Strafe genug in diesen Wunden gelitten.“

„Und jener Mann,“ stöhnte der Mulatte, denn der Doctor war in ganz Arkansas berüchtigt, und er kannte und fürchtete ihn noch von früher her – „der Leichendoctor – soll mich – soll mich nicht haben und – zerschneiden?“

„Unsinn – Leichendoctor – zerschneiden,“ rief der Doctor und richtete sich unwillig auf – „zwischen Löschpapier kann ich ihn natürlich nicht trocknen.“

„Er soll Dir nichts thun, Dan, – ich habe Dir mein Wort gegeben – weder Messer noch Säge darf er an Dich legen; aber Du mußt auch aufrichtig bekennen, was Du weißt.“

„Mr. Cook,“ sagte Monrove, indem er sich schnell an den jungen Farmer wandte. – „Sie geben da ein höchst unüberlegtes Versprechen – ein Versprechen, was Sie unmöglich werden halten können, wenn Sie nicht die Wissenschaft mit ihren segensreichen Folgen gänzlich hintan setzen wollen. Ich glaube überdies gar nicht, daß dieses Niggers Leben wird erhalten werden können, wenn es ihm nicht gerade meine Säge erhält.“

„Dann will ich sterben,“ stöhnte der Mulatte und sank für den Augenblick wieder bewußtlos zurück.

„Doctor!“ sagte Cook, als er den Mulatten eine Weile beobachtet und gesehen hatte, daß er wahrscheinlich kurze Zeit der Ruhe bedürfe, ehe er wieder im Stande sein würde, irgend eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten – „ich will einmal hinübergehen und die Frauen fragen, was wir mit dem armen Teufel am besten anfangen, denn Pflege muß er doch haben. Ich bin gleich wieder hier, aber – thut mir den Gefallen und redet, wenn er früher wieder zu sich kommen sollte, als ich zurück bin, nicht mit ihm von den gräßlichen Dingen, wie Ihr das gewöhnlich thut – nicht wahr, Ihr vergeßt das nicht? Einem Gesunden gerinnt ja schon das Blut in den Adern, wenn er solche Sachen nur erwähnen hört, wie viel mehr also einem Unglücklichen, dem das Alles versprochen wird.“

Und damit verließ er rasch das Haus, während ihm der Doctor – sehr eifrig und ungeduldig dabei mit seinem langen goldnen Petschaft spielend – ärgerlich nachsah.

„Hm – ja – hm!“ sagte er und nahm aus seiner kleinen silbernen Dose eine entsetzliche Prise – „hm – das ist nicht recht“ – das fehlte auch noch, daß sich solche Holzköpfe um die Wissenschaft bekümmerten. Soll nicht einmal davon reden – soll weder „Messer“ noch „Säge“, wie sich dieser Barbar ausdrückt, an den schwarzen Cadaver legen dürfen – „ich möchte nur um Gottes willen wissen, wozu er sonst noch gut wäre?“

Sander hatte die ganze Verhandlung in wirklich peinlicher Ungeduld mit angehört. – Was aber konnte er machen? Einen Schritt thun, der auf ihn selbst den Verdacht lenkte, und dann fliehen? Er hatte erst an diesem Morgen gesehen, wie die Hinterwäldler einer Spur folgten. Ueberdies war es ja noch nicht einmal bestimmt, ob der Mulatte um die Existenz der Insel wirklich wisse, und unnütz eine solche Gefahr zu laufen, wäre mehr als thöricht gewesen. Da brachten ihn des Farmers letzte Worte und des Doctors Unwillen darüber auf einen neuen Gedanken. – Vielleicht konnte dieser gewonnen werden ihm beizustehen, wenn er seine Liebhaberei mit zu Hülfe rief, und nach kurzem Ueberlegen sagte er, indem er sich an den grimmig auf und ab laufenden kleinen Mann wandte:

„Doctor Monrove, ich würde mich nicht über einen Menschen wundern, der weder von Arznei noch Wissenschaft einen weiteren Begriff hat, als daß ›Indianphysik‹ auf die eine und Ricinusöl auf die andere Art wirkt. – Was hält uns denn ab, doch zu thun, was wir wollen?“

„Was uns abhält?“ rief der Doctor unwillig, indem er stehen blieb und dem Rathgeber in's Antlitz sah – „was uns abhält? – Haben Sie gesehen, was der Mensch für Fäuste hat? Ließe sich mit Gewalt dagegen etwas ausrichten?“

„Nein,“ sagte Sander lächelnd – „aber mit List – wenn man da überhaupt wirkliche List anzuwenden hat, wo es nur gilt, einem solchen mit der Axt zugehauenen Verstande zu begegnen.“

„Aber wie?“ frug der Doctor und warf einen scheuen Seitenblick auf den Verwundeten.

„Er verweigert Ihnen, Hand, oder vielmehr Instrument an den Lebenden zu legen,“ sagte Sander.

„Ja –“

„Gut, wenn der Mann nun stürbe.“

„Aber er stirbt ja nicht,“ lamentirte der Doctor. – „Solche Mulatten haben Katzenleben, und an einer Hirnwunde ist, glaub' ich, noch nicht ein einziger draufgegangen. – Zähe Naturen sind's, denen das Leben nur im Magen sitzt.“

„Gut – was hindert Sie dann, es auch dort anzugreifen?“ frug ihn Sander lauernd.

„Was mich hindert? Wie verstehen Sie das?“

„Ei nun, die Sache ist einfach genug – wozu führen Sie diese Gifte bei sich?“

„Doch nicht um Menschen zu vergiften, Sir!“ rief der kleine Doctor erschreckt aus.

Allerdings war es bei ihm zur Leidenschaft geworden, menschliche Glieder zu seciren und sich in eine „Wissenschaft hineinzuarbeiten“ – wie er's selber nannte – von der er kaum im Stande gewesen, oberflächliche Kenntniß zu erwerben. In der Ausübung derselben hielt er denn auch Alles für vollkommen gerechtfertigt, was einem ihm einmal unter die Hände gefallenen Opfer zustieß. Nie aber hätte er es so weit getrieben, wirklichen Mord zu begehen, um eben dieser Leidenschaft zu fröhnen, ja der Gedanke war vielleicht noch nicht einmal in ihm aufgestiegen, denn er starrte den jungen Verbrecher mehrere Secunden lang ganz erstaunt und bestürzt an. Dieser aber, der einsah, daß er vielleicht, gleich beim ersten Anlauf, ein wenig zu weit gegangen sei, lenkte rasch wieder ein und sagte:

„Verstehen Sie mich nicht unrecht, Sir – nicht tödtliches Gift würde ich dem Burschen geben, nur irgend einen unschädlichen, aber doch dahin wirkenden Trank, daß er in einer Art Starrkrampf liegen bliebe, wo Sie dann nicht allein im Stande sein würden, ihn mit fortzunehmen, da die unwissenden Farmer das sicherlich für den Tod selbst hielten, sondern ihn auch – ein Sieg der wirklichen Kunst – wieder herzustellen.“

„Hm, so – ja so – auf die Art meinten Sie das? – hm ja, das wäre vielleicht eher möglich. Da könnte man zum Beispiel –“

Seine Rede wurde hier durch Cook kurz abgeschnitten, der in diesem Augenblick mit einem großen Blechbecher irgend eines kühlenden, von Mrs. Lively selbst bereiteten Getränks in der Thür erschien und ohne weitere Umstände zum Lager des Kranken schritt.

„Dan,“ sagte er – „Dan – wie geht Dir's?“

„Besser!“ flüsterte der arme Teufel nach kleiner Pause, während er die Augen aufschlug und einen leisen Dank murmelte, als ihm Cook den Becher an die Lippen hielt – „Massa Cook – Ihr seid gut,“ sagte er dann, während er mit einem tiefen Seufzer wieder zurücksank – „recht gut – aber – laßt die beiden Männer einmal hinausgehen – will Euch – will Euch wichtige Nachricht mittheilen.“

„Die beiden Herren da, Dan? – ei die mögen dableiben,“ meinte Cook – „es ist doch kein Geheimniß, was mich allein betrifft?“

„Nein,“ stöhnte Dan, und man sah es ihm an, wie schwer ihm das Reden wurde – „nein – nicht allein – geht Alle an in Arkansas – viel böse Buckras – will's Euch aber allein sagen.“

Cook bat nun die beiden Männer, das Zimmer einen Augenblick zu verlassen. Sander natürlich suchte alle möglichen Entschuldigungen vor, nur wenigstens in der Nähe zu bleiben; Cook aber, da der Mulatte unter keiner andern Bedingung reden wollte, bestand fest darauf, und er mußte sich zuletzt fügen.

Cook und Dan hatten nun eine gar lange und heimliche Conferenz mit einander, bei der selbst der Pflock innen vor die Thür geschoben war, um auch die geringste Störung zu vermeiden.

Erst als Dan wieder, vom vielen Reden erschöpft, ohnmächtig wurde, oder doch in eine Art bewußtlosen Zustand verfiel, rief der junge Farmer die beiden Frauen herüber, die sich erboten hatten, die Wunden zu besorgen, und besprach sich nun, während es sich der Doctor nicht nehmen ließ, wenigstens gleichfalls hülfreiche Hand anzulegen, mit dem vermeintlichen Mr. Hawes über das, was er eben von des Mulatten Lippen gehört.

Dieser nämlich, obgleich er recht gut das Bestehen der Insel kannte, da Atkins schon sehr viele Pferde dorthin besorgt und ihn selbst einmal bis zum Stromufer mitgeschickt hatte, war doch nicht im Stande, die Lage derselben genau anzugeben, ja wußte nicht einmal bestimmt, ob sie dicht über Helena, oder weiter abwärts liege – wenn er sie auch in der Nähe dieser Stadt vermuthete. So viel aber sagte er als gewiß aus, daß sich die Bewohner derselben fürchterlicher Verbrechen schuldig gemacht hätten, und Cook wollte jetzt nur noch die Rückkunft der Freunde abwarten, um augenblicklich die entscheidenden Schritte zu thun. Diese nämlich sollten nicht allein dahin gehen, jenes Raubnest aufzuheben, sondern auch die Verbrecher selbst zu überraschen und sie den Arm strafender Gerechtigkeit fühlen zu lassen. Früher hatte er schon gehört, daß Sander mit dem Mississippi ziemlich vertraut sei, und verlangte nun zu hören, wie dieser wohl glaube, daß man der gesetzlosen Bande am besten und zwar so beikommen könne, um besonders die Flucht derselben zu verhindern.

Sander schaute lange und sinnend vor sich nieder – seine schlimmsten Befürchtungen waren eingetroffen – ihrer Aller Leben war bedroht, ihr Schlupfwinkel verrathen, und er selbst stand machtlos da, konnte den Verräther nicht züchtigen, ja wußte im ersten wirren Augenblick selbst weder Rath noch That, diesem fürchterlichen Schlage zu begegnen. In seinem ersten Schreck suchte er denn auch, ehe er im Stande war, irgend einen andern Plan zu fassen, die Sache geradehin als unglaublich und unwahrscheinlich aufzustellen, und meinte, der Mulatte habe allem Anschein nach solch' tolle, wahnsinnige Schreckbilder nur erfunden, um sein eigenes Leben zu retten – seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen. Davon wollte Cook aber nichts wissen, und erst als Jener fand, daß er ihn auf keinen Fall dazu bringen würde, des Mulatten Aussage zu mißachten, beschloß er nach einem andern, nach dem letzten Plane hinzuarbeiten.

Cook war allerdings jetzt noch der einzige Mensch, der um das Geheimniß wußte, und wäre er allein mit ihm im Walde gewesen, wer weiß, ob er da nicht versucht hätte, sein Leben zu nehmen. Hier aber wäre das für ihn mit zu großer persönlicher Gefahr verknüpft gewesen, und überdies genügte es ihm ja, die Entdeckung der Insel nur noch zwei Tage hinauszuschieben. Bis dahin behielt er vollkommen Zeit, seine Freunde zu warnen; die Beute konnte dann rasch vertheilt, und Alle konnten in Sicherheit sein, ehe die schwerfälligen Waldleute im Stande waren, einen Schlag gegen sie zu führen.

„Gut, Sir,“ sagte er nach langem ernsten Nachdenken zu dem Farmer – „wenn Sie denn wirklich glauben, daß jener Bursche die Wahrheit gesagt hat, und gesonnen sind, eine Bande, wie er sie beschreibt, aufzuheben, so dürfen Sie das auch als kein Kinderspiel betrachten, denn solche Burschen, wenn sie wirklich existiren, würden, da ihr Alles auf dem Spiele steht, auch wie Verzweifelte kämpfen. Fallen Sie also nicht mit der gehörigen Macht über sie her, so geben Sie ihnen nur eine Warnung und finden später das Nest leer, denn dazu kenne ich den Mississippi und seine Ufer zu genau – und Sie vielleicht auch – um Ihnen nicht die feste Versicherung geben zu können, daß an eine Verfolgung darauf nicht zu denken ist. Wollen Sie also das, was Sie thun, auch mit Erfolg thun, so bereden Sie die Sache heut Abend mit Ihren Freunden, benachrichtigen dann morgen Ihre Nachbarn und kommen morgen Abend oder Sonntag früh nach Helena. Ich selbst will augenblicklich nach Helena zurück, dort den Richter davon in Kenntniß setzen und dann nach Sinkville hinüberfahren, um dort ebenfalls Alles an waffenfähigen Leuten aufzubieten. Sonntag Nachmittag spätestens bin ich wieder in Helena, und dann müssen wir noch an demselben Abend den Schlag ausführen, da wir keine lange Zeit darüber versäumen dürfen.“

Dieses Alles leuchtete dem jungen Farmer, der Sander natürlich nicht selbst in Verdacht haben konnte, vollkommen ein. Früher, das wußte er selber, war es auch kaum möglich, die nöthigen Kräfte zusammen zu bringen. Er versprach also, bis längstens am Sonntag Morgen wohlbewaffnet mit allen Nachbarn in Helena einzutreffen, und Sander, dem jetzt natürlich nur daran liegen mußte, die Freunde so schnell als möglich von der ihnen drohenden Gefahr in Kenntniß zu setzen, erklärte, keinen Augenblick länger verlieren zu wollen, um die nöthigen Schritte noch vor der zum Aufbruch bestimmten Zeit in Sinkville zu thun. Rasch holte er sein Pferd, das er selbst aufzäumte und sattelte, und sprengte bald darauf, dem Thier vollkommen die Zügel lassend, in wildem Galopp die Straße nach Helena entlang.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi