Die Entstehung des Sees bei Probst-Jesar, unweit Lübtheen

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Von J. J. F. Giese zu Strohkirchen, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Lübtheen, Probst-Jesar
Wenn Mecklenburg auch sonst so gesegnet und reich an Landseen ist, dass durchschnittlich auf jede Quadratmeile zwei derselben zu rechnen sind, so ist doch die südwestliche Gegend des Vaterlandes — die Heideebene und die Umgegend von Boitzenburg — fast gänzlich ohne Seen. Die beiden einzigen, welche sich in dieser großen Ebene finden, sind die jesarschen, nämlich bei Probst-Jesar und Kirch-Jesar. Dass auch diese beiden Seen nicht groß sind, hört man schon an dem Namen der bei denselben gelegenen Dörfer, welcher slawisch ist und zu deutsch Teich heißt.

So klein auch beide Seen sind, so merkwürdig sind sie doch. Der See bei Kirch-Jesar ist bei einer noch unerforschtenTiefe voller Morast, Modde und Schlamm und hat selten mehr als zwei oder drei Fuß Wasser über dem Schlamm; der bei Probst-Jesar aber, durch seine abschüssigen Ufer schon gefährlich, steht auf seinem Grunde voller großer Eichen und anderer Waldbäume, weswegen man von ihm auch glaubt, dass er durch einen Erdfall entstanden ist.

Trotz des unverdorbenen Aussehens der großen Eichen, die auf dem Grunde des letzteren stehen, ist derselbe doch höchst wahrscheinlich schon in vorchristlicher Zeit entstanden und das dabei liegende Dorf Probst-Jesar erst später an seinen Ufern emporgestiegen, sich seinen Namen von dem Wasser erborgend.

Die Sage aber erzählt, dass das Dorf schon lange gestanden hatte und bereits zu einigem Wohlstand gekommen war, ehe der kleine See entstand. Über die Entstehung desselben berichtet sie Folgendes:

Das Volk, welches früher in dieser Gegend wohnte, war zwar kein sehr arbeitsames und fleißiges, aber doch durchaus auch kein faules zu nennen. Es hatte den Boden, der damals freilich um ein Bedeutendes besser war, als jetzt, urbar gemacht und baute fast alle Nahrungsmittel selbst. Auch seine Hütten zeigten, dass dieses Volk nicht mehr auf einer ganz niedrigen Kulturstufe stand.

Es lebte aber auch noch ein anderes Volk in dieser Gegend, welches hier zwar nicht ansässig war, aber dieselbe doch bettelnd, stehlend, wahrsagend und glücklügend durchzog. Es waren dies die „Taters",*) welche freilich das ganze Land durchstreiften, aber doch besonders in dieser Gegend sich aufhielten. Täglich wurden die Dörfer dieses Landesteils von großen Banden des berüchtigten Volkes bettelnd, und wenn sie stark genug waren, plündernd durchzogen. Kein Wunder war es darum, wenn sie an den Türen der Dörfler „getröstet" wurden, sobald solche sahen, dass die Banden Gewalt zu gebrauchen nicht stark genug seien.

*) Zigeuner.

Eine solche nicht sehr starke Bande hatte eines Tages auch das später mit dem Namen Jesar belegte Dorf durchzogen, aber vergebens vor den Türen um eine Gabe angehalten, missmutig und voll Wut und Grimm hierüber lagerte sie sich am Ende des Dorfes in einem kleinen Eichenhain, welcher dem Dorfe sowohl zur Zierde gereichte, als er den Bewohnern desselben Schatten und Erquickung gewährte, wenn sie sich in der Mittagssonnenhitze dort ausgestreckt hatten. Hier beratschlagte die Bande, welchen Fluch sie über das Dorf aussprechen, welches Unglück sie über dasselbe verhängen, welche Rache sie nehmen wollte.

Den roten Hahn über die Dächer stiegen zu lassen, schien Allen zu gelinde, da die Hütten bei dem Holzreichtum bald wieder aufgebaut sein würden. Die ganze Umgegend in eine Koby oder in einen Salzsee zu verwandeln, stand nicht in ihrer Macht, obgleich in diesen Wunsch die ganze Bande von Herzen einstimmte.

Nach langem Hin- und Herlenken ihrer fluchbrütenden Gedanken trafen sie endlich dahin zusammen, den Dorfleuten den erfreulichen und erquickenden Schatten dieses schönen Eichenhaines zu rauben, und damit er nie wieder entstehen könne, diese Stätte in einen See zu verwandeln.

Da aber die Taters nicht die Kraft besaßen, durch ein bloßes Zauberwort das Bestehende zu vernichten und etwas Anderes dafür ins Dasein zu rufen, so war es ihnen auch jetzt nicht möglich, durch die Macht des Zaubers allein ihren Plan in Ausführung zu bringen; sie mussten sich, wie immer, dazu auch noch eines natürlichen Mittels bedienen. Solches Mittel wurde hier ein Pferdekopf, in welchen sie Quecksilber gossen und ihn alsdann unter allerlei Fluch- und Verwünschungsformeln vergruben.

Noch hatte der Pferdekopf keine Stunde gelegen, als er eine kreiselnde Bewegung annahm. Diese Bewegung wurde mit jedem Augenblicke geschwinder und nahm endlich so sehr zu, dass der Pferdekopf mit einer furchtbaren Kraft die Erde teils wegwarf, teils so zusammenpresste, dass nach jahrelanger Ablagerung daraus der beste Gipsstein geworden ist.

Als der mit Quecksilber gefüllte Pferdekopf also die von Eichenwurzeln durchzogen, sehr zähe und zusammenhängende und deshalb schwer zu zerreißende und fortzuschleudernde Oberfläche an vielen Stellen durchbohrt und alle Erde darunter auf eine Stelle zusammen gedrängt hatte, versank sie mit Allem, was darauf war. Und so mussten denn auch die Eichen mit in den Abgrund, wo sie sich noch bis auf den heutigen Tag befinden und zu sehen sind.

Auch die Zigeuner, welche die Gefahr noch nicht so nahe glaubten, versanken und konnten sich nicht retten aus dem von allen Seiten auf sie eindringenden Wasser. Sie wurden die ersten Opfer ihres eigenen zum Fluch bestimmten Werkes. Furchtbar waren ihre Verwünschungen, grässlich ihre Worte, als das Wasser über ihren Häuptern zusammenschlug. Tod und Verderben, schrien Einige, solle Jeden treffen, der sich auf dieses Wasser wagen werde; Andere bestimmten die Zeiträume, in welchen sie einen aus dem von ihnen verdammten Volke nachholen wollten etc.

Und leider hat sich dies schon oft erfüllt; schon oft hat ein unvorsichtiger Bader, Glittscher oder Booter hinunter müssen in das nasse Grab.

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Noch vor etwa 40 Jahren hörten an dem See vorbeigehende Tagelöhner eine Stimme aus dem Wasser rufen:

„Tied un Stunn is um, äwa noch is dei Mann nich hia!"*)

Kaum war aber die Stimme verschollen, als ein wohlgekleideter Herr auf einem Grauschimmel durch die Tannen daher trabte und sein durstiges Rösslein auf den See zulenkte, um es dort zu tränken; denn Staub und Sonnenhitze hatten gleich ermattend auf dasselbe gewirkt. Die erstaunten Tagelöhner standen noch unschlüssig da, ob sie den Fremdling warnen sollten oder nicht, als derselbe schon vor ihren Augen verschwand und in die Tiefe des Sees sank.

Den Bemühungen der Fischer gelang es freilich, den Fremden als Leiche wieder aus dem Wasser zu ziehen; dies vermochte aber nicht die über diesen Todesfall höchst unglückliche Braut in Lübtheen zu trösten, zu welcher der Verunglückte auf der Reise gewesen war, um durch den Segen der Kirche auf immer mit ihr verbunden zu werden.

*) „Zeit und Stunde ist um, aber noch ist der Mann nicht hier!"