Anknüpfung von Handelsbeziehungen zwischen Brandenburg und Russland

Die alten Handelsplätze, welche ehemals die deutschen Kauffahrer so mächtig angezogen hatten, behaupteten auch unter den veränderten politischen Verhältnissen noch immer einen Vorrang. Nicht nur Lübeck suchte sich die alten Rechte an den deutschen Kaufhöfen am Wolchow und an der Welikaja stets von Neuem zu wahren, auch der Kurfürst von Brandenburg war bestrebt, seinen Kaufleuten in Pleskau und Smolensk besondere Freiheiten zu sichern. Ein Jahr nach dem Abschluss des Westfälischen Friedens fasste der damals sich in Cleve aufhaltende Kurfürst Friedrich Wilhelm den Gedanken, eine Gesandtschaft nach Moskau abzuordnen, um von dem Zaren die Erlaubnis zur Ausfuhr von Getreide nach den brandenburgischen Landen zu erbitten. Mit dieser Sendung betraute er einen clevischen Beamten, den Richter von Cranenburg, Heinrich Reiff.

In einen Schreiben an Alexis erklärt der Kurfürst: er habe jetzt nach Wiederherstellung des Friedens in Deutschland den Vorsatz gefasst, ,,zu mehrer Perfektion und Vollkommenheit eines solchen von Gott uns herkommenden glücklichen Zustandest auch mit auswärtigen christlichen Potentaten in freundschaftlichen Verkehr zu treten. Reiff erhielt den Auftrag, den Zaren zu bitten, entweder seinen Untertanen den Verkauf von Getreide an den Kurfürsten zu gestatten oder selbst aus seinen Kornmagazinen zu Archangel ihm auf vier oder sechs Jahre jedes Jahr 2.000 Lasten für einen billigen Preis zu überlassen. Alexis antwortete unterm 22. Mai (1. Juni) 1650: In seinem Reiche hätte in letzter Zeit Misswachs geherrscht, außerdem hätten auch der König von Dänemark, die Königin von Schweden und die holländische Regierung ihn um die Gestattung der Ausfuhr von Getreide gebeten und es sei ihm unmöglich, für dieses Jahr die gewünschte Menge Korn zu bewilligen, doch wolle er ihm zum Zeichen seiner Freundschaft 5.000 Tschetwert Roggen aus seinen Magazinen in Archangel, den Tschetwert für einen Rubel überlassen. In Zukunft gedenke er, wenn der Kurfürst es wünschen würden ihm eine größere Menge und zu billigerem Preise zu liefern. 2)


Ob der Kurfürst von der ihm erteilten Erlaubnis Gebrauch gemacht und Getreide aus Archangel hat holen lassend ist nicht festzustellen; aber die Folge hatte der von ihm getane Schritt, dass sich zwischen Brandenburg und Russland politische Verbindungen anknüpften, die für die Zukunft von höchster Bedeutung werden sollten.

Friedrich Wilhelms Nachfolgern Kurfürst Friedrich III., schickte 1688 den Geheimrat Johann Reyher von Chaplitz nach Moskau, um dem Zaren seine Thronbesteigung anzeigen zu lassen, vornehmlich aber zu dem Zwecke einen Handelsvertrag abzuschließen. 3) Chaplitz erbat für die brandenburgischen Untertanen die Erlaubnis in allen russischen Häfen landen und alle Städte mit ihren Waren beziehen zu dürfen, namentlich aber die freie Einfuhr in Archangel, Pleskow und Smolensk, sowie das gleiche Recht, welches den Engländern und Holländern bewilligt worden sei. Der sicheren und klugen Haltung des kurfürstlichen Gesandten gelang es, die Bedenken der zarischen Regierung gegen solche Zugeständnisse zu überwinden. Im Januar 1689 erhielt er „Sr. Zarischen Majestät Begnadigungsbriefe“, welche allen späteren Handelsverträgen zwischen Preußen und Russland als Grundlage dienten. Sie gewährten den brandenburgischen Kaufleuten Einfuhrfreiheit in Archangel und die Erlaubnis „mit allerhand Waren über Land zu reisen in die angrenzenden russischen Städten Smolensk, Pleskau und Andere“, sowie die Zusicherung, in allen Dingen gehalten zu werden, „gleich als anderer Herrschaften Ausländern welche von langer Zeit her Handel im russischen Reiche treiben.“ In Moskau war man über den Verlauf der Verhandlungen so zufrieden, dass die Zarewna Sophien als Regentin, dem Kurfürsten im März 1689 dankte für die Entsendung „eines ebenso gewissenhaften als weisen Mannes“ wie Chaplitz.

Als Peter I. im März 1696 seine epochemachende Reise nach dem Westen antrat, war der erste europäische Fürst, den er begrüßte, Friedrich III. von Brandenburg. 4) Beide Herrscher trafen sich zu Königsberg und ließen durch ihre Räte ein Schutz- und Trutzbündnis vereinbarem das sie auf der kurfürstlichen Yacht im Hafen von Pillau am 10. Juni 1689 unterzeichneten. Artikel zwei desselben enthält Bestimmungen über die den Kaufleuten beider Staaten bei ihren Handelsfahrten zu gewährenden Vergünstigungen. Die russischen Kaufleute dürfen gegen Zahlung des „gebührenden Zolles“ ohne jede Behinderung Handel treiben nach Memel, Königsberg, Berlin, auch durch die kurfürstlichen Lande nach dem übrigen Deutschland reisen.

Den brandenburgischen Kaufleuten wird dagegen gestattet, in Archangel, Pleskow, Naugard, Smolensk und Kiew Handel und Gewerbe zu treiben gegen Erlegung des auch den anderen Ausländern auferlegten Zolles.

In diesem Artikel, so weit wir ersehen konnten, wird Nowgorod, Naugard, zum letzten Male als ein den deutschen Kauffahrern vertragsmäßig offen stehender Handelsplatz angeführt. Die alte Freistadt am Ilmensee hatte längst ihren Glanz eingebüßt und war von Pskow und Smolensk überflügelt worden; die Gründung von Petersburg besiegelte ihren Verfall. Unter kriegerischen Drangsalen, Hungersnöten und Feuersbrünsten ist die Zahl ihrer Bewohner von viermalhunderttausend, welche ehemals ihre Straßen und Plätze bevölkerten, bis auf siebzehn­tausend herabgesunken und der einstige Weltmarkt, den die Hansa als die Quelle ihrer Macht betrachtete, ist zu einem kümmerlichen Jahrmarkt von vierzehntägiger Dauer zusammengeschrumpft.

Von den Kaufhöfen der Goten und Deutschen ist jede Spur verschwunden; nur mühsame wissenschaftliche Forschungen können heute ihre Lage feststellen. 5) Die alten Archive der Stadt sind vernichtet und ohne den glücklichen Umstand, dass der Inhalt aller Briefe, welche der deutsche Kaufmann aus dem St. Petershofe an Riga und Dorpat richtete, auch Reval mitgeteilt werden mussten, würde auch die Mehrzahl der schriftlichen Zeugnisse jener Glanztage hansischer Herrlichkeit unwiederbringlich verlorengegangen sein. So aber haben sich in dem Revaler Archiv, das Feuer und Kriegslärm verschonte, abschriftlich die meisten Urkunden erhalten, deren Originale in den andern Städten zu Grunde gingen. 6)

Die Auflösung der durch innere Zwietracht schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert in sich gehaltenen deutschen Hansa ward besiegelt durch die 1630 erfolgte Vereinigung von Lübecks Hamburg und Bremen zu einem Sonderbunde. Ihr Stern begann zu erbleichen in demselben Jahrzehnt, in welchem Columbus eine neue Welt entdeckte ; sein Niedergang war unaufhaltsam, seitdem Spanier und Portugiesen, Holländer und Engländer die Herrschaft auf den Meeren an sich rissen. Die alten Handelsmonopole konnten gegen den Ansturm der neuen Mitbewerber auf dem Weltmarkte nicht mehr behauptet werden. Während die Hanseaten festhielten an den starren Satzungen veralteter Anschauungen, segelten jene mit dem Winde der neuen Ideen, welche die Welt erfüllten.

In richtiger Würdigung der Vergänglichkeit alles Irdischen hatten die Unterzeichner des Handelsvertrages von 1229 die Urkunde eingeleitet mit den sinnvollen Worten: „Was auf der Zeit beruht, vergeht mit der Zeit.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland