Peter der Große und die Hansastädte

Die Vertreter Lübecks in Nowgorod und Pskow, Thomas Frese und Heinrich Niestedt, blieben auch unter Demetrius auf ihrem Platze; 1) ihre Berichte über die damaligen Zustände schickte der Rat an Michael Schiele nach Wien, welcher im Auftrage Kaiser Rudolfs 1598 in Moskau gewesen, von Boris Godunow mit großer Auszeichnung empfangen worden war und es sich jetzt angelegen sein ließ, über die Vorgänge in Russland genaue Erkundigungen einzuziehen. Beide hansischen Berichterstatter geben nicht den geringsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ansprüche des Demetrius zu erkennen. Der Usurpator zeigte sich den Deutschen auch ganz besonders wohlgeneigt; unter seiner kurzen Herrschaft fanden ihre Kaufleute in Moskau reichen Gewinn, dafür mussten sie aber, namentlich die augsburgischen Goldschmiede und Juwelenhändler, mit Gut und Leben büßend als sich nach dem Sturze ihres Gönners die Volkswut gegen alle Fremden wandte.

Sobald Ruhe und Ordnung in dem Zarenreiche zurückkehrte, fanden sich auch die hansischen Kauffahrer wieder auf den russischen Märkten ein; den Lübeckern gelang es 1636, sich von Michael Fedorowitsch einen Schutzbrief zu erwirken, der ihnen gestattete, unter Vorbehalt der bestehenden Gesetze nach Russland Handel zu treiben; ihre Thaler konnten sie ohne Zwangskurs in Zahlung geben, doch blieb ihnen untersagt, russische Goldmünzen prägen zu lassen. Die alten Höfe in Nowgorod und Pskow erhielten sie zurück; in Moskau durften sie jedoch nur gruppenweise und zwar nie mehr als sechs auf einmal, eintreffen. Hugo Schockmann, der 1651 von Lübeck abgesandt wurden um den Schutzbrief von Michaels Nachfolger bestätigen zu lassen, wurde von dem Zaren Alexei huldvoll empfangen; sein Gesuch ward gewährt unter der Bedingung jedoch, dass der lübische Rat die russischen Interessen wahrnehme und des Zaren Reklamationen gerecht würde. Bald fand sich Gelegenheit, das Vertrauen Alexeis zu rechtfertigen.


Unmittelbar nach dem Tode Michaels war ein gewisser Timoschka Ankudinow aufgetaucht, der sich als Sohn des Zaren Wassilij Shuiski (1606-1610) ausgab; mit Hilfe des Auslandes, namentlich des Sultans, des Königs von Polens des Fürsten Ragotzy von Siebenbürgen, hoffte er sich auf den Thron schwingen zu könnend aber er fand weder in Konstantinopel, noch in Wien oder Stockholm die erwartete Unterstützung. Alexeis Sendlinge verfolgten ihn überall hin. Von Stockholm floh er nach Lübeck. Der Zar verlangte seine Auslieferung, aber Timoschka floh nach Holstein. Hier entdeckte ihn der lübische Kaufherr von Horn, der seine Verhaftung herbeiführte; in Lübeck wurde er auf ein Schiff gebracht und nach Russland beförderte wo ihn der Zar in Moskau zu Anfang 1654: unter furchtbaren Martern hinrichten ließ. Der von Horn erhielt für seine geleisteten Dienste die Erlaubnis auf acht Jahre in Russland ohne jede Abgabe Handel zu treiben, unter der alleinigen Beschränkung e dass die Summe der Abgaben, welche er auf feine Güter sonst zu entrichten hätte, 10.000 Rubel nicht übersteigen dürfe.

Je freundlicher sich aber die Beziehungen Lübecks zu dem russischen Herrscher gestalteten, um so mehr Schwierigkeiten legten die Könige von Schweden den lübischen Kauffahrern in den Weg. Gustav Adolf 3) verlangte, sie sollten in Reval einlaufen, während sie noch immer Narwa den Vorzug gaben; endlich verbot er ihnen die Fahrt nach diesem Hafen und wies alle gegen dieses Verbot erhobenen Vorstellungen und Einwendungen zurück. In freundlichen Worten setzte er jedoch den Lübeckern auseinander, wie und warum sie nur über Reval Handel treiben möchten; dieser Hafen läge ihnen doch so bequem und die Stadt sei ihnen von Alters her verwandt. Nur ihr eigenes Wohl liege ihm am Herzen hätten sie doch wie er ein Interesse daran, den Verkehr nach Archangel durch Wiederherstellung der Kauffartei aus der Ostsee zu unterdrücken. Der Rat zu Lübeck hatte aber allen Grund, den Worten des Königs zu misstrauen; denn sobald ein hansisches Schiff in Reval oder Narwa einliefe hatte es doppelten oder dreifachen Zoll zu entrichten ungeachtet aller königlichen Zusagen. Aber während Hamburg und Bremen sich diesen Bedrückungen durch die Fahrt auf Archangel entziehen konnten, sah sich Lübeck genötigt, die hohen schwedischen Zölle zu bezahlen. Seine Beziehungen zu Schweden verwickelten es endlich auch in ernste Zerwürfnisse mit dem Zaren. Karl XII. verlangte von der Stadt, welche bisher für Peter I. die Anwerbung geschickter Meister und Künstler vermittelt und ihn mit Kriegsbedürfnissen aller Art versehen hatten den Abbruch jeden Verkehrs mit und nach Russland. 4) Lübeck musste sich dem schwedischen Druck fügend es ließ die Reklamationen des Zaren unberücksichtigt und legte seinen Abgesandten Hindernisse mancherlei Art in den Weg. Nach dem Siege Peters über den Schwedenkönig hatte die Stadt für seinen Abfall von der russischen Sache schwer zu büßen. Sobald Menschikow an der Spitze eines russischen Heeres in Deutschland einrückte, erhielt er die Anweisung, Hamburg und Lübeck wegen ihres Verkehrs mit Schweden zu brandschatzen. Die dagegen erhobenen Reklamationen blieben ohne Erfolg und traf daher der lübische Rat mit Menschikow am 17./26. Juni 1713 eine Übereinkunft, welche Peter am 11. Dezember ratifizierte. Danach verpflichtete sich Lübeck dem Fürsten sofort fünftausend Dukaten und dem Zaren ratenweise 33.333 Reichsthaler in neuen Kurfürstlich brandenburgischen und braunschweigischen Zweidrittel-Stücken zu zahlen. Menschikow sicherte dagegen den Lübeckern freie Schifffahrt in der Nord-, Ost- und Westsee zu und verpachtete sich, seine Bemühungen darauf zu richten, „dass die Lübeckschen Commerzien, Privilegien und Freiheiten im russischen Reiche in specie aber an den deutschen Höfen zu Groß-Nowgorod und Plescau, wie auch in der Stadt Moskau von Sr. Großzarischen Macht confimiret werden mögen, mithin auch denen Lübeckschen Kaufleuten den Genuss derjenigen Freiheiten, so andere nationes, als Engell- und Holländer wegen Ein- und Ausfuhr, auch Ein- und Verkauffung der Waren, an Zöllen und anderen Immunitäten genießen: gleichfalls verstattet, und mehr erwähnten Stadt soviel immer möglich, aufgeholfen werden, damit dieselbe sich wiederumb erholen möge.“

Neben Lübeck hatte vornehmlich Hamburg sich die Verbindung mit Russland angelegen sein lassen; es war die erste Stadt, welche von den im Jahre 1603 der hansischen Vormacht erteilten Vergünstigungen Vorteil zog; denn bereits im folgenden Jahre liefen hamburgische Schiffe in den Hafen von Archangel ein. Zar Michael Fedorowitsch zeigte in einem besonderen Schreiben dem Rate seine Thronbesteigung an; 5) seit der Zeit waren die Hamburger unablässig bemüht für sich besondere Handelsvorrechte in Russland zu erwerben. Im Mai 1615 erhielten die hamburgischen Kaufleute Isaac Alen und Jacob Denker einen zarischen Freibrief; ein anderer Hamburger, Marsilius, erwarb sich als Geldwechsler und in sonstigen Geschäften einen Ruf am russischen Hofe, so dass der Zar dem Sohne, Peter Marsilius, ,,als Belohnung für die treuen Dienste des Vaters“ einen besonderen Gnadenbrief erteilte, der ihm gegen die Verpflichtung, den Hof halt mit Galanterie- und Schmucksachen jeder Art zu versorgen, vollkommene Abgabenfreie für seinen Handel zusicherte. 1644 erhielt derselbe Peter Marsilius, sowie der holländische Kaufmann Philemon Akam auf zwanzig Jahre das Rechte an den Flüssen Schecksma, Kostroma und Wolga, sowie an allen Orten im russischen Reiche, wo es ihnen geeignet erscheinen sollte, Eisenerz zu graben, zu schmelzen und zu Eisendraht, Flintenläufen und anderen Eisenwaren zu verarbeiten und selbst über das Meer zollfrei auszuführen. 6) Nach Ablauf dieser Frist sollten sie aber gehalten sein, von jedem Schmelzofen jährlich einen Obrok von 100 Rubel und von den verarbeiteten Eisenwaren den durch Ukas vorgeschriebenen Zoll zu entrichten. Von Ausländern, Meistern und Handwerkern sollten sie für die Eisenfabrik nur die unentbehrlichsten in Dienst nehmen, russische Leute dagegen so viel als möglich zu allen Arbeiten heranziehen und sie in allem unterrichten. Andere Hamburger erhielten ähnliche Verbriefungen, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, dass sie die bestehenden Gesetze anzuerkennen sich verpflichteten, was bei dem Gnadenbrief für Marsilius nicht der Fall war. Die hamburgischen Bürger, welche auf längere Zeit nach Russland gingen und in den groß­fürstlichen Dienst traten, mussten sich nach Vorschrift des Rats ihrer Stadt eine zarische Erlaubnis auswirken, welche ihnen nach Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen die freie Rückkehr in die Heimat sicherte. Alle Hamburger standen, wie ein dem Kaufmann David Vermalen 1633 ausgestellter Freibrief vermuten lässt, unter der besonderen Gerichtsbarkeit der „Gesandtenkanzlei (posolsky prikas)“. 1675 verlangte der hamburgische Rat die Auslieferung eines gewissen Hassenkrug, welcher bei dem Kaufmann Wilde Geschäftsschulden hatte; die Moskauer Regierung antwortete das Jahr darauf, Hassenkrug erkenne die Schuld nicht an und Wilde möge nur nach Russland kommen, um zu seinem Rechte zu gelangen; 1682 erfolgte nochmals eine Aufforderung an die Erben Wildes, in bestimmter Frist in Moskau zu erscheinen, wenn sie die Klage gewinnen wollten. Indes scheinen sie darauf verzichtet zu haben, wenigstens ist über den weiteren Verlauf dieser Angelegenheit in dem Archive der Gesandtschafts-Kanzlei nichts erhalten geblieben. 7)

Der hamburgische Rat erhielt unausgesetzt Zuschriften aus Moskau, in denen er um die Übersendung tauglicher Männer aus allen Künsten und Gewerben ersucht wurde; Alexei Michaelowitsch forderte erprobte Obersten, Hauptleute und Lieutenants auf, in seine Dienste zu treten. Peter I. zeigte sich den Bürgern Hamburgs sehr geneigt und lieh ihnen nicht selten seine persönliche Unterstützung. Als aber im Nordischen Kriege Schmähschriften in Hamburg gegen ihn gedruckt wurden und er vergeblich die Bestrafung der Verfasser und Drucker gefordert hatte, geriet er in leidenschaftlichen Zorn gegen die freie Stadt und erließ ein Verbot wider den Handel mit derselben. Darauf bequemten sich Bürgermeister und Rat, ehrenvolle Abbitte zu leisten und die Bestrafung der Schuldigen zu versprechen. In einem Schreiben vom 31. Mai 1705 empfiehlt ihnen Peter, sich nicht mit der Ausweisung der Verleumder Russlands zu begnügen, sondern dieselben körperlich zu züchtigen; den Angebern solle man eine Belohnung aussetzen. Der Rat beeilte sich, dem Zaren zu melden, dass er dem „Mercur“ wegen unehrerbietiger Auslassungen über Se. Majestät auf einen Monat das erscheinen untersagt habe; eine Maßregel, die allerdings nicht vermochte, Peter zu befriedigen, der immer von Neuem durch ihm feindlich gesinnte Flugblätter aus den hamburgischen Druckereien in heftigen Zorn versetzt wurde. 1708 erschien Fürst Boris Iwanowitsch Kurakin in besonderer Sendung in Hamburg, um den Bürgermeistern zu Gemüte zu führen, wie illoyal es sei, den Schweden zu gestatten, sich in Hamburg gegen Russland zu rekrutieren. Die Stadthäupter entschuldigten sich damit, dass sie gegen den König von Schweden, der ein Mitglied des Reiches sei und Bremen, sowie andere deutsche Provinzen besitze, nichts tun könne. Kurakin musste sich von der Wahrheit dieser Erklärung bald selbst überzeugen; er sah sich 1709 zur schleunigen Flucht genötigt, um seiner Gefangennahme durch die Schweden zu entgehen. An seiner Stelle wurde ein Deutscher, Namens Böttiger, welcher in des Zaren Dienst getreten war, als russischer Resident in Hamburg und später auch für den niedersächsischen Kreis beglaubigt; seine Ausgabe sollte darin bestehen, die Veröffentlichung verleumderischer Schriften über Russland zu verhüten und dem Zaren über die Vorgänge in Europa Bericht zu erstatten.

Menschikow wusste an der Spitze seiner Russen auch den hamburgischen Senat zur Gefügigkeit gegen den Zaren zu bewegen. Er hielt den Bürgermeistern ein langes Sündenregister vor, darin als am schwersten belastend angeführt wurde, dass man einen russischen Beamten und Handelsagenten verhaftet und seiner Proteste ungeachtet eingekerkert, ferner geduldet habe, dass russische Offiziere beraubt und russische Untertanen, wie Baron Löwenwolde, beleidigt wurden. Der Rat kannte das Mittel, den Fürsten Menschikow zu besänftigen; am 4./15. Juni 1713 feierte man zu Wandsbek die Versöhnung. Die Stadt verpflichtete sich 200.000 Thaler Schadenersatz zu zahlen, wofür sie die Versicherung erhielt, dass alle Beschwerden der Vergessenheit übergeben und die Kaufleute Hamburgs in ihre alten Freiheiten und Vorrechte wieder eingesetzt werden sollten und das hamburgische Gebiet nach Möglichkeit von russischen Truppendurchzügen bewahrt bleiben würde. Der Vertrag wurde von Peter am 30. April 1714 ratifiziert.

Von den ehemals zur Hansa gehörenden Seestädten wurde auch Danzig 8), das in dem Nordischen Kriege eine wichtige Rolle spielte, von Menschikow heimgesucht. Seit Jahren hatte Peter die Stadt mit Kontributionen bedrängt, aber noch immer war es ihr gelungen, die Zahlung der ihr auferlegten Summe von dreimal hunderttausend Thalern trotz aller Drohungen des Fürsten Dolgoruki und des Generals Bruce zu verzögern. Aber dem Fürsten Menschikow, der sein Hauptquartier in Marienwerder aufgeschlagen hatte und dorthin die Vertreter der Stadt vor sich beschied, vermochte man nicht länger zu widerstehen und der Rat war glücklich, die Kontribution wenigstens auf 300.000 Gulden ermäßigt zu sehen. Der am 27. Oktober 1713 unterzeichnete Vertrag, den Peter am 30. April 1714 genehmigte, sollte das wiederhergestellte Einvernehmen zwischen den Danzigern und Russen bekräftigen. Bald darauf zog sich jedoch Danzig abermals den Zorn Peters zu, weil es den Druck ihm unangenehmer Flugschriften nicht verhinderte und seinen Reklamationen nicht Folge leistete. Eine vom Marschall Sheremetjew und dem Fürsten Dolgoruki unterzeichnete Deklaration vom 29. April 1716 erklärte die Stadt für eine Feindin Russlands und Peter befahl von Paris aus, wo er sich damals aufhielt, mit allen Mitteln gegen dieselbe vorzugehen. Eine im August 1717 an ihn nach Amsterdam geschickte Abordnung von Rat und Bürgerschaft, welche seine Verzeihung und Gnade erflehen sollte, kehrte ohne Erfolg zurück und Dolgoruki erhielt den Befehl, die Stadt zur Unterwerfung zu bringen. Nunmehr gab man den Widerstand gegen den Zaren auf und unterzeichnete am 19./30. September 1717 eine Konvention, kraft deren sich die Stadt verpflichtete, jede Verbindung mit den Schweden abzubrechen, sowie russische Kriegsschiffe und Kaper in ihrem Hafen aufzunehmen, außerdem ,,zu mehrerer Demerirung Sr. Zaar. Maytt. Höchster Gnade“ 140.000 Speciesthaler zu zahlen. Dafür wurden ihren Kaufleuten alle Handelsfreiheiten und Vorrechte, welche sie früher in Russland erlangt hatten, von Neuem bestätigt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Hansa in Russland
Zar Peter der Grosse

Zar Peter der Grosse

Kosaken

Kosaken

Lübeck Das Holstentor

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Rostock Stadtansicht

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Stettin, das Alte Schloss

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Wismar, Stadtansicht

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Hamburg, Blick auf die Unterelbe

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Hamburg, Flet in der Altstadt

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Danzig - Frauengasse

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Wirtshausszene in der Hansezeit

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