Teilung Polens

Durch die Teilung Polens haben die drei großen absolut monarchischen Staaten selber die Revolution sanktioniert.

Man hat unrecht, wenn man die Erschütterung des göttlichen Monarchenrechtes vom amerikanischen Freiheitskrieg oder von der französischen Revolution datiert; — vom Jahr 1772 an haben die absoluten Mächte selber durch die Teilungen Polens ihre Throne für immer erschüttert. Durch jene Teilungen verloren diese Throne ihren innern sittlichen Grund und Halt, und das, was ihnen als vermeintlicher Gewinn von der polnischen Beute äußerlich zu- und aufgelegt wurde, ist nichts als eine drückende und beengende Bürde, die das gefährliche Schwanken der Throne wesentlich veranlasst und steigert.


Man hat unrecht, wenn man mit Hass und Grimm die philosophischen und politischen Schriftsteller beschuldigt, dass sie an dem Umsturz aller geschichtlichen Grundlagen der Gesellschaft, an der Zerreißung der heiligen Ordnung der Gesetze, an der Aufhebung des lebensbedingenden Eigentumsrechtes arbeiten; — nicht die freien Philosophen und Politiker, sondern die gekrönten Philosophen, Friedrich und Joseph, nicht die modernen Demagogen, Kommunisten und Freigeister, sondern die strengsten Selbstherrschers Friedrichs Joseph, Maria Theresia und Katharina. Mit ihren hocharistokratischen diplomatischen Gehilfen haben durch die Zerreißung Polens den Organismus der Geschichte zerrissen, die rechtliche Grundlage des Staatslebens umgestürzt, das Eigentumsrecht mit Füßen getreten, und der heilige Vater zu Rom, an welchen sich Maria Theresia um Rat gewendet, gab dem staatsräuberischen Werk seinen apostolischen Segen*).

*) Der Papst schrieb an die Kaiserin: „que l'invasion et le partage étaient non seulement poliltiques mais dans l’inierêt de la religion.“ — Wird Rom jetzt für diesen Satz die Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen? Wir wollen weiter unten die Stellung Roms zu Polen betrachten.

Vom sittlichen Standpunkt stimmt man ziemlich allgemein in der Verurteilung jener großen himmelschreienden Sunde der neuen Geschichte überein, und selbst die Machthaber lassen dieses Urteil gelten. Man tröstet sich darüber mit dem bekannten Satz, dass die große Moral eine andere sei als die kleine, woraus natürlich folgt, dass die Großen eine andere Moral haben müssen, als die Kleinen. — „Sprechen Sie mir nichts von Seelengröße“ — sagte Friedrich der Große zu einem Gesandten — „ein Fürst muss nur auf seinen Vorteil sehen.“

Auch in politischer Hinsicht gilt es ziemlich allgemein für ausgemacht, dass die Zerstückelung Polens unpolitisch, unklug gewesen, weil ein unabhängiges Polen die beste Schutzmauer gegen Russland wäre. Dies ist der gewöhnlichste, allgemeinste Ausgangs- und Zielpunkt bei Besprechung der polnischen Frage. Man empfindet es immer unbehaglicher, dass uns durch die Zerreißung Polens die unmittelbare Nachbarschaft Russlands zu Teil geworden, und selbst bei denen, die für kleine und große Moral, für Völkerrecht und Nationalgefühl keine besondere Empfänglichkeit haben, spricht doch der sehr populär gewordene Grund zu Gunsten der Polen, dass sie uns die Russen vom Leibe halten könnten und sollten. — Ich glaube, dass man diesen Umstand nicht nur viel zu hoch schätzt, sondern ihn sogar wesentlich irrig auffasst; wovon weiter unten ausführlicher gehandelt werden soll.

Der eigentliche politische Gesichtspunkt für diese unglückselige Sache ist ein höherer. Der große politische Fehler, der mit jener Staats- und Volkszerstückelung begangen wurde, besteht, wie gesagt, darin, dass man dadurch das monarchische Prinzip in seinem Grundwesen erschütterte.

Man wird diese Behauptung unbegreiflich, unglaublich finden. Man wird hervorheben, dass ja im freien Polen das monarchische Prinzip nur scheinbar, in der Tat aber aristokratische Oligarchie geherrscht, dass also die Polen eben erst durch die Teilung der Wohltat echt monarchischer Regierungsformen teilhaftig geworden.

Allerdings nun war Polen eine Adelsoligarchie, war der König von Polen nichts als eine politische Figur, und allerdings lernten die Polen erst unter preußischem, österreichischem und russischem Szepter die Monarchie im strengsten Sinne kennen und fühlen; und man weiß ja, dass unter den diplomatischen Rechtfertigungsversuchen jener großen Untat auch die angeblich dringende Notwendigkeit figuriert, die Polen an ein geregeltes Staatsleben zu gewöhnen, sie dadurch vor dem sonst unvermeidlichen Untergang, Europa aber vor Zerrüttung zu bewahren. Dennoch wurde durch jene vermeintlich sehr monarchisch vorsorgliche Gewalttat das monarchische Prinzip in seinem Grundwesen erschüttert, in seinem innersten Leben unheilbar verwundet.

Wir wollen uns dies mit kurzen Worten klar machen.

Die wesentliche Grundlage des monarchischen Prinzips ist das historische Recht. Durch die Zerreißung und Unterwerfung Polens aber zeigte man den Völkern recht klar und tief eindringend, was es mit diesem historischen Recht eigentlich für eine Bewandtnis habe.

Der ähnliche und gleiche Ursprung des historischen Rechtes in den meisten, wenn nicht in allen Staaten war im Lauf der Jahrhunderte in den Schleier der Vergessenheit gehüllt und in dieser Verhüllung recht romantisch verklärt worden. Die Fiktion einer freiwilligen Unterwerfung oder gar eines philosophischen Staatsvertrages trug wesentlich dazu bei, das Staatsverhältnis so zu veredeln, dass es im Lauf der Zeit wirklich als ein freiwilliges, als ein gegenseitig berechtigendes und verpflichtendes erschien. Edle Persönlichkeiten, Zusammenlebung in Leid und Freud und der den Menschen in der Regel angeborne Untertänigkeitssinn hatten das ihrige getan. Der Glaube an angestammte Herrscherrechte stand fest und bildete die festeste Grundlage der Throne. Da störten und vernichteten diesen wohltätigen Glauben gerade diejenigen Mächte, welche am dringendsten Ursache gehabt hätten, sich fest an denselben zu klammern.

Plötzlich sahen die Völker in einem schauerlichen, blutigen Beispiel, auf welche gewalttätige Weise und zu welchen kleinlichen eigennützigen Privatzwecken Herrscherrechte und Untertanenpflichten entstehen. Die Wirkung dieses Ereignisses musste um so nachtheiliger sein, da es gerade in die Zeit fiel, wo die Wissenschaft das Staatsbewusstsein zu durchdringen und zu veredeln begann, wo der Genius der Völker an das Riesenwerk ging, die zufällig entstandenen und gewaltsam erzwungenen Staatsverhältnisse mit den Forderungen der Vernunft in Einklang zu bringen. In dieser begeisterten, philosophischen Zeit, wo die Philosophie auf den Thronen verkörpert zu sein schien, wo Friedrich der Große sich selber den ersten Beamten des Staates nannte, wo Joseph II. öffentlich erklärte, Philosophie und Recht sollten die Gesetze seiner Reiche diktieren, wo sogar die russische Zarin gesetzlich verkündigte: „der Zweck der souveränen Gewalt sei keineswegs, die Menschen ihrer natürlichen Freiheit zu berauben, sondern die Handlungen derselben zur Erreichung der höchsten vernünftigen Wohlfahrt anzuleiten, diejenige Regierung komme daher am besten mit dem Zwecke vernünftiger Geschöpfe überein, welche sich auf eine vorzügliche Weise bestrebe, diesen Zweck zu erreichen und zugleich die natürliche Freiheit weniger als andere zu beschränken,“ — gerade in dieser Zeit setzten dieselben Monarchen dem vernünftigen Streben des Menschengeistes ein empörendes Beispiel rücksichtsloser Zertretung der heiligsten Menschenrechte entgegen und ließen sich durch kleinliche Habsucht zu einer Tat hinreißen, deren Verworfenheit sie selber durch die gezwungenen sophistischen Rechtfertigungsversuche bewiesen. Indem sie einen neuen Teil ihres Herrscherrechtes auf offenbar ungerechte Gewalt gründeten, musste dadurch notwendigerweise der Nimbus des ganzen Rechtes zerstört werden, selbst wenn dieses ganze Rechte in seinem Ursprung wirklich rein vernünftig und direkt göttlich gewesen wäre. Die Monarchen brauchten zur Vermehrung ihres ursprünglich größtenteils zufällig und willkürlich erworbenen Rechtes offene ungerechte Gewalt; wie konnten sie sich dann wundern und entsetzen, als wenige Jahre später die Völker zur Eroberung und Sicherstellung ihrer natürlich angebornen wahrhaft göttlichen Rechte ebenfalls Gewalt gebrauchten! Durch die Zerreißung und Knechtung Polens haben die Monarchen das revolutionäre Zeitalter eröffnet.

Noch einmal sei es gesagt, durch die französische Revolution wurde das monarchische Prinzip nicht so sehr erschüttert, als durch die Teilung Polens. Durch die Schreckensgräuel, in welche die französische Revolution ausartete, wurden die Völker zur Anhänglichkeit an das monarchische Prinzip zurückgeführt und das Märtyrertum der königlichen Familie von Frankreich umgab das Königtum mit einer neuen Glorie; durch die kaiserlich königliche Verhöhnung und Zertretung des königlichen Thrones von Polen aber wurde es für ewige Zeiten beschimpft. In den Strafgesetzbüchern derselben Mächte, welche Polen zerrissen, wird der geringste Angriff auf das Recht und die Würde des Monarchen, ja der entfernteste, ganz erfolglose Versuch eines solchen Angriffs als Hochverrat mit dem Tode bedroht. Und die philosophische Strafrechtstheorie billigt diese Strenge, weil es für notwendig erkannt ist, das Monarchenrecht unverletzlich und heilig hoch zu stellen. Allein wie auffallend wurde diese wohltätige Theorie praktisch widerlegt, als dieselben Monarchen, welche sich für die eigene Würde ganz besonders nachdrücklich auf die heilige Erhabenheit des Thronrechtes berufen, den althistorischen polnischen Königsthron zuerst viele Jahre hindurch auf die erniedrigendste Weise verhöhnten und beschimpften, ihn zuletzt räuberisch zertrümmerten und die vorher besudelten Bruchstücke der polnischen Königskrone triumphierend in das eigene Diadem einsetzen ließen. Musste dadurch nicht der Heiligenschein dieser Diademe verblasen werden? — Es gibt Verteidiger jener Untat, die sich nicht entblöden, zu behaupten, die polnische Königskrone habe keine große Berücksichtigung verdient, weil der König von Polen nur ein Wahlkönig, also kein eigentlicher König von Gottes Gnaden gewesen. Es hieße den Verstand der Leser beleidigen, wenn man auf diese ebenso unsinnige als heuchlerische Unterscheidungstheorie näher einginge. Aber fragen müssen wir doch: wenn die polnische Krone als eine Wahlkrone so geringen Wert hatte, warum bemühten sich doch selbst von Gottes Gnaden regierende Herren, warum bemühten sich besonders deutsche Prinzen so sehnsüchtig um diese Krone? Warum wurde denn das kursächsische Haus seinem Weltberuf untreu und katholisch aus Sehnsucht nach der polnischen Wahlkrone? Warum erniedrigten sich sogar Erzherzöge von Österreich, ja selbst deutsche Kaiser vor den polnischen Wahlherren, um auf den polnischen Wahlthron erhoben zu werden? — Andere Verteidiger des Polenraubes sagen, die polnische Königswürde habe keine besondere Schonung verdient, weil sie keine vollkommene, sondern eine beschränkte, eine konstitutionelle gewesen. Es ist nämlich in den geographischen und statistischen Lehrbüchern der absoluten Monarchien bis zum heutigen Tage üblich, die konstitutionellen Staaten im Range unter die absoluten zu stellen; — in den geographischen Lehrbüchern nämlich, die in Berlin, Wien und Petersburg sanktioniert werden. Oder glaubt man denn wirklich, dass die sehr beschränkte Königin von Großbritannien im Range unter dem despotischen Selbstherrscher aller Reussen stehe? Und wenn eine gewisse starrgläubige Partei es glaubt, glaubt sie denn auch, dass es auf der anderen Seite noch irgend jemand glaube? — Kurz, man hat durch die Beschimpfung und Zertrümmerung des polnischen Königsthrons sich selbst beschimpft und die Grundlage der eigenen Throne zertrümmert. Man hat der Welt gezeigt, auf welche Weise ein uralt historischer Königsthron abgetan werden könne, ungeachtet auch auf seinen Münzen das Dei gratia zu lesen war. Die Völker sahen in einem unmittelbar gegenwärtigen empörenden Beispiel, dass man auf eine, weder vor göttlichem noch menschlichem Recht zu rechtfertigende Weise zur Untertanentreue verpflichtet werden kann, und es musste dadurch diese Treue überhaupt um so mehr erschüttert werden, als durch diese Erfahrung bei den meisten Völkern die Erinnerung an ähnliche und gleiche Gewaltepochen geweckt wurde. Die drei großen monarchischen Mächte haben durch die Zerreißung und Unterwerfung Polens einen Zustand geschaffen, in welchem es absolut unmöglich ist, ein aufrichtig treuer Untertan zu sein, einen Zustand, in welchem man die Untertanenpflicht eben nur so viel und so weit erfüllt, als man eben muss, einen Zustand, in welchem es vor dem eigenen Gewissen und vor dem Urteil jedes menschlich Fühlenden als eine unausbleibliche natürliche Folge erkannt wird, dass man gegen die aufgezwungene Verpflichtung, wo, wann und wie man kann, mit List und Gewalt kämpft, einen Zustand, in welchem die Berufung auf gesetzliche Obrigkeit und angestammte Landesväterlichkeit geradezu als Verhöhnung des eigenen Prinzips erscheint, einen Zustand, in welchem es Gotteslästerung ist, von Göttlichkeit des Herrscherrechtes zu sprechen. Man wird diese Äußerungen für revolutionär halten, aber man widerlege sie aus der Geschichte, aus der Vernunft, aus der christlichen Moral, und der Verfasser will sein Haupt dem Henker darbieten.

Wollte man recht grimmig radikal sein — und an Versuchung dazu fehlt es, weiß Gott, nicht — so könnte man sich über den geschilderten Zustand freuen. Und es freuen sich auch wirklich viele wackere und sehr ehrenhafte Leute darüber. Unsere öffentlichen Zustände sind nämlich bereits so schlimm geworden, dass gerade die ehrlichsten Gemüter vollständig in Verzweiflung verfallen. Man verzweifelt an der Möglichkeit eines friedlichen Besserwerdens. Wie viel man auch wünscht und hofft und sogar demütig erflehen will, nirgends zeigt sich Gewährung. Es ist so, als ob gerade diejenigen mit Blindheit geschlagen wären, die doch am weitesten und tiefsten sehen sollten, weil sie auf der alles beherrschenden Höhe stehen. Allein eben sie werden von denen beherrscht, die scheinbar zu ihren Füßen kriechen. Diese despotischen Diener halten den Herrschern statt des Spiegels der Wahrheit ein äffendes Kaleidoskop vor, und so wiegen sich denn die Herrscher in dem Wahne, da unten im Volke sei alles vortrefflich und glückselig. Da unten aber, glaubt es, ihr Fürsten, da unten ist's fürchterlich! Und das fürchterlichste droht darin, dass, wie gesagt, täglich mehr und mehr die Hoffnung einer friedlichen Reform verschwindet, und die Sehnsucht nach gewaltsamer Revolution allgemeiner wird. Man wünscht geradezu, die Regierungen möchten in noch ärgere Irrtümer verfallen, sich zu noch schlimmern Gewalttaten hinreißen lassen, damit es endlich einmal zum Bruche käme, denn es ginge nun einmal nicht anders. Wie viel auch die meisten bei einem Umsturz zu verlieren haben, wie ungewiss auch für diejenigen, von denen man gewöhnlich sagt, sie hätten nichts zu verlieren, die Hoffnung des Gewinnes ist, dennoch sehnen sich täglich mehr Menschen aus beiden bezeichneten Klassen geradezu nach dem gewaltsamen Umsturz der jetzigen Verhältnisse. Deshalb freut man sich auch über die traurigen polnischen Zustände, weil man in ihnen den Keim der Revolution erblickt, der im natürlichen Lauf der Dinge immer verderblicher aufgehen muss.

Allein wir wollen uns dieser Verzweiflung so lang als nur irgend möglich zu entringen streben. Wir wollen so lange, als nur der geringste Hoffnungsschimmer übrig bleibt, an dem Gedanken fest halten, dass es möglich sein werde, die großen und schwierigen Aufgaben der Zeit in gegenseitigem Vertrauen, in friedlicher Zusammenwirkung zu lösen. Wir wollen nicht die gewalttätige Revolution, sondern die vernünftige Reform. Wir wollen nicht den Umsturz, sondern die vernünftige Reinigung und rechtliche Begründung der Monarchie. Denn alle Vernünftigen, Wohlmeinenden und Geschichtskundigen sind überzeugt, dass bei der geschichtlichen Entwickelung Europas, aus welcher die Völker eben so wenig lebendig herauskommen können, wie der einzelne Mensch aus seiner Vergangenheit, dass bei dem jetzigen Stande der europäischen Bildung, ja dass für größere Staatsverhältnisse, wenn sie in kräftiger Dauerhaftigkeit erhalten werden sollen, wahrscheinlich immer und überall das edle, vernünftig beschränkte und eben durch diese Beschränkung allem rechtlich festgestellte monarchische Prinzip das allein zusagende und ausreichende ist.

Daher beklagt es jeder Freund des vernünftigen, sittlichen Fortschrittes, jeder männlich aufrichtige Anhänger der Monarchie, dass die großen Monarchen selber durch ihr gewalttätiges Beispiel das Staatsleben in einen ewigen Kriegszustand zwischen Regierung und Regierten versetzt haben. Die Regierungspresse deklamiert fortwährend von angestammter Untertanentreue und Landesväterlichkeit; und plötzlich protestiert ein bedeutender Teil der Landeskinder mit den Waffen in der Hand, und die Regierung muss sich in ein blutiges Kriegsgericht verwandeln, muss zu Kartätschen ihre Zuflucht nehmen. Es ist dies um so tiefer zu bedauern, da es gerade in Gegenden der Fall ist, wo der Genius der Menschheit zur Erfüllung einer besonders wichtigen Bildungsaufgabe hinweist. Eben der Osten Europas, welcher der friedlichen Reform so sehr bedürftig ist und durch dessen Kultivierung dem gesammten Europa ein neuer Lebensaufschwung werden soll, ist durch jene monarchische Gewalttat zum immerwährend glühenden Herd der Revolution gemacht worden. Gerade dort, wo es die dringende Aufgabe ist, halbasiatische Stämme für europäische Kultur zu gewinnen und das gewaltgierige asiatische Prinzip durch staatsrechtliche Freiheit zu verscheuchen; gerade dort huldigen die beiden Mächte, welche die Parteikämpfer und Lichtträger des freien Rechtes sein sollten, selber dem asiatischen Gewaltprinzip und ziehen Asien nach Europa herein.

Dieser unselige Zustand muss vorzüglich von jedem Deutschen und zunächst von jedem Preußen und Österreicher bitter beklagt werden. Preußen und Österreich, bestimmt, eine feste Schutzwehr gegen Asien zu bilden, sind wegen des vulkanischen Charakters Polens beständig in Gefahr, in die Luft gesprengt zu werden. Österreich und Preußen, so dringend aufgefordert, ihre verschiedenen Bestandteile durch friedliche und freisinnige Entwickelung zu einem organischen Ganzen zu machen, sind durch den revolutionären Charakter Polens fortwährend in neue Zerrüttung gestürzt. Vergeblich ist all ihr Bemühen, über das Geschehene den Schleier der Vergessenheit zu decken. Kaum scheint es einigermaßen gelungen zu sein, so zerreißt eine neue Tat der Gegenwart den Schleier und die blutige Vergangenheit steht unverhüllt vor der Seele des unglücklichen Volkes und stachelt zur Rache auf. Und die preußischen und österreichischen Stammvölker müssen die unglücklichen Polen in Fesseln halten, müssen gegen sie Schergen- und Henkerdienste leisten. Sie müssen sich dieser Dienste schämen, sie müssen sich eines Staatsverbandes schämen, welcher zu solchen Diensten verpflichtet. In dieser Völkerscham aber liegt für Österreich und Preußen die Gefahr des Unterganges. Vergeblich ist das Bemühen der Mächte, die tiefe schmerzliche Wunde Polens durch das zu heilen, was man landesväterliche Wohltaten zu nennen übereingekommen ist. Wo das Herz so tief gekränkt, das Gemüt so voll gerechten Zornes ist, da kann von Wohltat keine Rede sein, da verwandelt sich der Segen in Fluch. Hier herrscht fortan zu beiderseitigem Verderben der böse Dämon rücksichtsloser Gewalt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutschland, Polen und Russland