Teil 02: Deutsche missionieren im Osten
Fast zwei Jahrhunderte war Kiew kulturell und wirtschaftlich Mittelpunkt und beherrschende Stadt von Olgas Nachfolgereichen gewesen. Die spätere Hauptstadt Moskau war dagegen lange Zeit nichts weiter als ein unansehnliches Dorf am Ufer der Moskwa. Der Name wurde erstmals im Jahre 1147 bekannt, als Juri Dolgorukij, ein Nachkomme von Olgas Heiligen-Enkel Wladimir, dort den Bojaren Kutschko auf der Jagd von einem Bären zerreißen ließ, um in den Besitz des an der Handelsstraße von Rostow nach Susdal so günstig gelegenen Ortes zu kommen.
Juri war nicht nur großzügig in der Wahl seiner Mittel. Genau wie die anderen russischen Fürsten liebte er es, Gäste und besonders politisch wichtige Personen mit endlosen Saufgelagen zu bewirten und unter Zuhilfenahme zahlreicher Freudenmädchen "verhandlungsreif" zu machen. Auch die Geschichte Moskaus begann mit einem solchen Bachanal. Dabei kam Juri der Gedanke, Moskau als Vorposten seiner eigentlichen Residenz Susdal zu einer starken Festung zu machen. In achtjähriger Bautätigkeit entstand hier der erste Kreml.
Nach Juris Tod im Mai 1157 machte sein Sohn Andrej das nahegelegene und neugegründete Wladimir zu seiner Residenz, wo er neben einem prächtigen Palast auch die berühmte Demetrius-Kathedrale erstehen ließ. Es war Kaiser Friedrich Barbarossa, der ihm bereitwillig die dazu erforderlichen Baumeister nebst Steinmetzen und Dachdeckern aus Deutschland stellte.
Mehr noch als sein Vater war Andrej ein entschlossener Herrscher. Sein Ziel war, das Reich Ruriks wiederherzustellen. Er eroberte das glanzvolle Kiew und bezwang ebenso das mächtige Nowgorod im Norden. Seine politischen Gegner, auch solche, die es einmal werden könnten, wusste er ohne große Umstände zu beseitigen. Nur bei einem ihm gefährlich dünkenden Neffen sah er sich veranlasst, etwas diskreter zu verfahren. Da der Bärentrick seines Vaters nicht mehr ratsam erschien, ließ er den vermeintlichen Nebenbuhler stattdessen in einem Bach ertränken. Eines hatte Andrej jedoch nicht in seine Gewalttaten und Berechnungen einbezogen; Eifersucht und Rachsucht stachelten drei Frauen an, sich gegen ihn zu verschwören. Mit viel Geduld und noch mehr Raffinesse war es ihnen gelungen, einige Männer von Andrejs Leibwache für sich zu gewinnen. Es war am 29. März 1174, als diese ihrem Herrscher auflauerten und ihn erschlugen, als er gerade das Portal seiner neuen Demetrius-Kathedrale verließ.
Die Brüder des Andrej stritten um die Herrschaft im Reich; der jüngste von ihnen, Wsewolod, wurde Sieger. Er unterwarf nicht nur die Brüder, sondern auch weitere kleinere Fürsten im Umkreis. Den Kreml baute er zu einer noch größeren und stärkeren Festung aus, die gleichzeitig seine Residenz war, in der er mit Pracht und Großzügigkeit Hof halten konnte.
Zu dieser Zeit berührte es ihn kaum, dass weiter westlich, entlang der Ostseeküste, der Deutsche Orden und die Schwertbrüder ihre Missionierung bis hinauf zum Finnischen Meerbusen begannen. Die bedeutendste Stadt in den neuen Ordenslanden wurde Riga am gleichnamigen Meerbusen. Ihr Gründer war der Niedersachse Albert von Buxhövden, Domherr in Bremen, der 1199 von seinem Onkel, dem Erzbischof von Bremen und Leiter der Heidenmission im Norden, zum Bischof von Livland geweiht wurde. Der neue Bischof unternahm kein geringes Wagnis sein Vorgänger war von den Letten getötet worden, da sie auf die christliche Missionierung keinen Wert legten.
Keineswegs war es nur christlicher Missionseifer, was zum Gedeihen dieser prächtigen Stadt mit ihrer fruchtbaren Umgebung beitrug und was auch die anderen bedeutenden Städte aufblühen ließ, die die Ufer der Ostsee bekränzten. Kaufleute der Hanse, hauptsächlich aus Lübeck, betrieben mit ihren Schiffen über das weitverzweigte russische Flußnetz einen regen Handel bis Nowgorod im Norden und bis Kiew tief im Süden. Ihre Waren kamen aus ganz Deutschland mit seiner weiter entwickelten Industrie. Im Austausch brachten sie Pelze und andere Kostbarkeiten aus den Weiten Russlands heim.
Ein so wichtiges Vorhaben wie die Christianisierung Kurlands erfolgte selbstredend mit eifriger Unterstützung Roms. Papst Innozenz III. forderte in seiner Bulle vom 5. Oktober 1199 alle abkömmlichen Männer in deutschen Landen auf, sich aktiv an der Slawenmission zu beteiligen. Damit sie nicht leer ausgingen, versprach er ihnen als himmlischen Lohn einen ähnlichen Ablass ihrer Sünden wie ihn die Rompilger genossen.
Einer dieser Männer war Albert; jedoch war er praktisch genug, sich nicht mit dem päpstlichen Segen zu bescheiden. Der damalige deutsche König Philipp von Schwaben lud Albert nach Magdeburg ein, um von ihm über dessen Pläne zu hören. Doch die dort versammelten Reichsfürsten hielten nur zum Teil zu Philipp, denn mit dem Sohn Heinrichs des Löwen hatte Deutschland einen zweiten König, und die kräftezehrenden Kämpfe ließen keinen Raum für eine großzügige deutsche Ostpolitik. Bei dieser Versammlung war auch Walther von der Vogelweide zugegen, der berühmteste deutsche Dichter des Mittelalters. Bitter beklagte er sich in Wort und Schrift über das Fehlen einer starken deutschen Zentralgewalt nach der Glanzzeit der Stauferkaiser und über Deutschlands Ohnmacht und Zerrissenheit, die rund sieben Jahrhunderte bis Otto von Bismarck anhalten sollte.
Mangels kaiserlicher Hilfe hatte Albert sich vornehmlich auf den Beistand der deutschen Kaufleute zu stützen, deren Handelsverbindungen die ganze Ostsee und deren östliches Hinterland umspannten. Da auch den Dänen an Machtpositionen entlang der Ostseeküsten gelegen war, musste Albert sich ebenso des Wohlwollens des Dänen-Königs Knud VI. vergewissern.
Mit den Segenswünschen von König Knud verließ Albert Anfang des Jahres 1200 mit 23 Schiffen Lübeck, nachdem er und seine Gefährten vorher ihren sämtlichen Besitz verkauft und somit alle Brücken zur Heimat abgerissen hatten. Albert wirkte 29 Jahre lang, bis zu seinem Tode, in Livland. Unter seiner Führung wuchs Riga nicht nur zum Bischofssitz, sondern zu einer bedeutenden Hafenstadt auf. Mit Hilfe der zahlreichen von ihm aus Deutschland geholten Handwerker und anderen Talenten entstand in kürzester Zeit eine blühende Stadt.
Diejenigen Deutschen, die nicht an ein Keuschheitsgelübde gebunden waren, heirateten die blonden livländischen Mädchen, und aus dieser Verbindung von Norddeutschen und Livländerinnen entstand nach und nach der Stamm der Deutschbalten. Er sollte viele bedeutende Männer in Kunst und Wissenschaft und auch berühmte Soldaten und Feldherren hervorbringen. Mit anhaltendem Zuzug deutscher Ostsiedler wuchs Alberts Wirkungsbereich, und nach Riga begründete er die weiteren Bistümer Dorpat, Kurland und Ösel-Wiek. Sein geistliches Fürstentum erstreckte sich nun von der Rigaer Bucht bis zur Düna und dem Peipus-See.
Die gewaltsame Christianisierung und anfallende kriegerische Auseinandersetzungen wurden vom geistlichen Orden der Schwertbrüder besorgt, der 1202 von einem Zisterziensermönch mit diesem Auftrag in Riga gegründet worden war. Albert, einer der politisch bedeutenden Köpfe seiner Zeit, war um gute Nachbarschaft mit den östlich von ihm liegenden Russen bemüht. Er wollte daher die Aktivitäten der Schwertbrüder in Grenzen halten.
Von Alberts Wirken war Philipp von Schwaben so beeindruckt, dass er ihm 1207 das Bistum Livland zu Lehen gab und ihn in den Stand eines Reichsfürsten erhob. Für 350 Jahre sollten die Bischöfe von Riga deutsche Reichsfürsten bleiben!
Obwohl Russland seinerzeit keine politische Einheit bildete, war Albert klug genug, mit seinen Nachbarn ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Dazu entsandte er seinen Bruder mit wertvollen Geschenken aus den heimischen Goldschmiedewerkstätten nach Osten. Solange die Deutschen die
Grenzen der Russen respektierten, wozu Albert fest entschlossen war, würden die Russen die Gründungen der Deutschen an den Flussmündungen und den Ausbau ihres Staatswesens nicht als unfreundlichen Akt ansehen. So wurde auch Reval unter wohlwollender Duldung des dänischen Königs mit deutschen Handwerkern aufgebaut. Es wurde wie Riga zu einem bedeutenden Mitglied der Hanse.
So maßvoll und weitblickend Albert war, so maßlos waren die Schwertbrüder. Sie unterlagen zwar dem Keuschheitsgelübde, aber ansonsten scheuten sie sich nicht, begünstigt durch die Ambitionen des Papstes, sich dreist gegen Albert zu wenden und von ihm einen Teil seines Landes als ihren eigenen Staat zu fordern.
Als Albert 1229 starb, hinterließ er, weitab vom Reich, ein Staatswesen, dessen Rückgrat die von ihm im Geist der freien deutschen Reichsstädte begründeten Städte waren: Riga, Dorpat, Reval, Narwa, Mitau, Pernau und Windau. Sie waren die Quellen der wirtschaftlichen Kraft des Landes mit einem selbstbewussten Bürgertum. Die drei politischen Kräfte des Landes waren der Bischof, die Bürger und die Schwertbrüder; und die wirkten mit ihrem deutschen Hang zur Uneinigkeit leider oft gegen statt miteinander. Nachteilig für den deutschen Adel war ferner das Gelübde, nicht zu heiraten, was zur Folge hatte, dass er laufend durch Nachwuchs aus dem Reich aufgefrischt werden musste.
Sieben Jahre nach Alberts Tod kam es, wie es kommen musste: Wegen ihres brutalen Missionseifers wurden die Schwertbrüder bei Schaulen in Litauen von einem überlegenen litauischen Heer gestellt und nahezu vollkommen aufgerieben. Die wenigen Überlebenden schlossen sich dem Deutschen Orden an, der ebenfalls seine Missionierung bis nach Livland vorgetragen hatte. Nach der Christianisierung der Pruzzen erbauten die Ordensbrüder Burgen in Kulm und Thorn, Bromberg, Graudenz, Königsberg und als berühmteste von allen: die Marienburg in Marienwerder an der Nogat. Die Burgen wuchsen zu Städten, und aus den eroberten Landen erwuchs der als Muster eines modernen Staatswesens weithin berühmte preußische Ordensstaat mit dem Hochmeister als deutschem Reichsfürsten.
Auch dem Deutschen Orden unterlief schließlich der Fehler, die Wünsche bzw. Sicherheitsgefühle seiner Nachbarn zu missachten. Bei seinem ständigen Vordringen nach Osten, über die Narwa bis Nowgorod und Pleskau, war es unvermeidlich, dass es eines Tages zum blutigen Zusammenstoß kam.
Es geschah am 5. April 1242 auf der noch zugefrorenen Eisfläche des Peipus-Sees: Zum ersten Mal in der Geschichte standen sich ein deutsches und ein russische Heer gegenüber. Alberts jüngerer Bruder Hermann führte das kleine deutsche Ritterheer; die Russen wurden von ihrem 20jährigen Kriegshelden Alexander Newskij angeführt, der schon 1240 eine schwedische Streitmacht im Norden besiegt hatte. Die grimmige Schlacht hinterließ einen über und über mit Blut befleckten See. Das kleine Ordensheer war besiegt, die Russen schleiften die Ritter, an 10 Pferdeschwänze gebunden, hinter sich her nach Pleskau. Vier Jahre später wurden auch die von Süden auf Nowgorod vordringenden Litauer von Alexander geschlagen.
Doch eine bei weitem unheimlichere Gefahr für sein Reich ballte sich inzwischen weiter im Osten zusammen.
Juri war nicht nur großzügig in der Wahl seiner Mittel. Genau wie die anderen russischen Fürsten liebte er es, Gäste und besonders politisch wichtige Personen mit endlosen Saufgelagen zu bewirten und unter Zuhilfenahme zahlreicher Freudenmädchen "verhandlungsreif" zu machen. Auch die Geschichte Moskaus begann mit einem solchen Bachanal. Dabei kam Juri der Gedanke, Moskau als Vorposten seiner eigentlichen Residenz Susdal zu einer starken Festung zu machen. In achtjähriger Bautätigkeit entstand hier der erste Kreml.
Nach Juris Tod im Mai 1157 machte sein Sohn Andrej das nahegelegene und neugegründete Wladimir zu seiner Residenz, wo er neben einem prächtigen Palast auch die berühmte Demetrius-Kathedrale erstehen ließ. Es war Kaiser Friedrich Barbarossa, der ihm bereitwillig die dazu erforderlichen Baumeister nebst Steinmetzen und Dachdeckern aus Deutschland stellte.
Mehr noch als sein Vater war Andrej ein entschlossener Herrscher. Sein Ziel war, das Reich Ruriks wiederherzustellen. Er eroberte das glanzvolle Kiew und bezwang ebenso das mächtige Nowgorod im Norden. Seine politischen Gegner, auch solche, die es einmal werden könnten, wusste er ohne große Umstände zu beseitigen. Nur bei einem ihm gefährlich dünkenden Neffen sah er sich veranlasst, etwas diskreter zu verfahren. Da der Bärentrick seines Vaters nicht mehr ratsam erschien, ließ er den vermeintlichen Nebenbuhler stattdessen in einem Bach ertränken. Eines hatte Andrej jedoch nicht in seine Gewalttaten und Berechnungen einbezogen; Eifersucht und Rachsucht stachelten drei Frauen an, sich gegen ihn zu verschwören. Mit viel Geduld und noch mehr Raffinesse war es ihnen gelungen, einige Männer von Andrejs Leibwache für sich zu gewinnen. Es war am 29. März 1174, als diese ihrem Herrscher auflauerten und ihn erschlugen, als er gerade das Portal seiner neuen Demetrius-Kathedrale verließ.
Die Brüder des Andrej stritten um die Herrschaft im Reich; der jüngste von ihnen, Wsewolod, wurde Sieger. Er unterwarf nicht nur die Brüder, sondern auch weitere kleinere Fürsten im Umkreis. Den Kreml baute er zu einer noch größeren und stärkeren Festung aus, die gleichzeitig seine Residenz war, in der er mit Pracht und Großzügigkeit Hof halten konnte.
Zu dieser Zeit berührte es ihn kaum, dass weiter westlich, entlang der Ostseeküste, der Deutsche Orden und die Schwertbrüder ihre Missionierung bis hinauf zum Finnischen Meerbusen begannen. Die bedeutendste Stadt in den neuen Ordenslanden wurde Riga am gleichnamigen Meerbusen. Ihr Gründer war der Niedersachse Albert von Buxhövden, Domherr in Bremen, der 1199 von seinem Onkel, dem Erzbischof von Bremen und Leiter der Heidenmission im Norden, zum Bischof von Livland geweiht wurde. Der neue Bischof unternahm kein geringes Wagnis sein Vorgänger war von den Letten getötet worden, da sie auf die christliche Missionierung keinen Wert legten.
Keineswegs war es nur christlicher Missionseifer, was zum Gedeihen dieser prächtigen Stadt mit ihrer fruchtbaren Umgebung beitrug und was auch die anderen bedeutenden Städte aufblühen ließ, die die Ufer der Ostsee bekränzten. Kaufleute der Hanse, hauptsächlich aus Lübeck, betrieben mit ihren Schiffen über das weitverzweigte russische Flußnetz einen regen Handel bis Nowgorod im Norden und bis Kiew tief im Süden. Ihre Waren kamen aus ganz Deutschland mit seiner weiter entwickelten Industrie. Im Austausch brachten sie Pelze und andere Kostbarkeiten aus den Weiten Russlands heim.
Ein so wichtiges Vorhaben wie die Christianisierung Kurlands erfolgte selbstredend mit eifriger Unterstützung Roms. Papst Innozenz III. forderte in seiner Bulle vom 5. Oktober 1199 alle abkömmlichen Männer in deutschen Landen auf, sich aktiv an der Slawenmission zu beteiligen. Damit sie nicht leer ausgingen, versprach er ihnen als himmlischen Lohn einen ähnlichen Ablass ihrer Sünden wie ihn die Rompilger genossen.
Einer dieser Männer war Albert; jedoch war er praktisch genug, sich nicht mit dem päpstlichen Segen zu bescheiden. Der damalige deutsche König Philipp von Schwaben lud Albert nach Magdeburg ein, um von ihm über dessen Pläne zu hören. Doch die dort versammelten Reichsfürsten hielten nur zum Teil zu Philipp, denn mit dem Sohn Heinrichs des Löwen hatte Deutschland einen zweiten König, und die kräftezehrenden Kämpfe ließen keinen Raum für eine großzügige deutsche Ostpolitik. Bei dieser Versammlung war auch Walther von der Vogelweide zugegen, der berühmteste deutsche Dichter des Mittelalters. Bitter beklagte er sich in Wort und Schrift über das Fehlen einer starken deutschen Zentralgewalt nach der Glanzzeit der Stauferkaiser und über Deutschlands Ohnmacht und Zerrissenheit, die rund sieben Jahrhunderte bis Otto von Bismarck anhalten sollte.
Mangels kaiserlicher Hilfe hatte Albert sich vornehmlich auf den Beistand der deutschen Kaufleute zu stützen, deren Handelsverbindungen die ganze Ostsee und deren östliches Hinterland umspannten. Da auch den Dänen an Machtpositionen entlang der Ostseeküsten gelegen war, musste Albert sich ebenso des Wohlwollens des Dänen-Königs Knud VI. vergewissern.
Mit den Segenswünschen von König Knud verließ Albert Anfang des Jahres 1200 mit 23 Schiffen Lübeck, nachdem er und seine Gefährten vorher ihren sämtlichen Besitz verkauft und somit alle Brücken zur Heimat abgerissen hatten. Albert wirkte 29 Jahre lang, bis zu seinem Tode, in Livland. Unter seiner Führung wuchs Riga nicht nur zum Bischofssitz, sondern zu einer bedeutenden Hafenstadt auf. Mit Hilfe der zahlreichen von ihm aus Deutschland geholten Handwerker und anderen Talenten entstand in kürzester Zeit eine blühende Stadt.
Diejenigen Deutschen, die nicht an ein Keuschheitsgelübde gebunden waren, heirateten die blonden livländischen Mädchen, und aus dieser Verbindung von Norddeutschen und Livländerinnen entstand nach und nach der Stamm der Deutschbalten. Er sollte viele bedeutende Männer in Kunst und Wissenschaft und auch berühmte Soldaten und Feldherren hervorbringen. Mit anhaltendem Zuzug deutscher Ostsiedler wuchs Alberts Wirkungsbereich, und nach Riga begründete er die weiteren Bistümer Dorpat, Kurland und Ösel-Wiek. Sein geistliches Fürstentum erstreckte sich nun von der Rigaer Bucht bis zur Düna und dem Peipus-See.
Die gewaltsame Christianisierung und anfallende kriegerische Auseinandersetzungen wurden vom geistlichen Orden der Schwertbrüder besorgt, der 1202 von einem Zisterziensermönch mit diesem Auftrag in Riga gegründet worden war. Albert, einer der politisch bedeutenden Köpfe seiner Zeit, war um gute Nachbarschaft mit den östlich von ihm liegenden Russen bemüht. Er wollte daher die Aktivitäten der Schwertbrüder in Grenzen halten.
Von Alberts Wirken war Philipp von Schwaben so beeindruckt, dass er ihm 1207 das Bistum Livland zu Lehen gab und ihn in den Stand eines Reichsfürsten erhob. Für 350 Jahre sollten die Bischöfe von Riga deutsche Reichsfürsten bleiben!
Obwohl Russland seinerzeit keine politische Einheit bildete, war Albert klug genug, mit seinen Nachbarn ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Dazu entsandte er seinen Bruder mit wertvollen Geschenken aus den heimischen Goldschmiedewerkstätten nach Osten. Solange die Deutschen die
Grenzen der Russen respektierten, wozu Albert fest entschlossen war, würden die Russen die Gründungen der Deutschen an den Flussmündungen und den Ausbau ihres Staatswesens nicht als unfreundlichen Akt ansehen. So wurde auch Reval unter wohlwollender Duldung des dänischen Königs mit deutschen Handwerkern aufgebaut. Es wurde wie Riga zu einem bedeutenden Mitglied der Hanse.
So maßvoll und weitblickend Albert war, so maßlos waren die Schwertbrüder. Sie unterlagen zwar dem Keuschheitsgelübde, aber ansonsten scheuten sie sich nicht, begünstigt durch die Ambitionen des Papstes, sich dreist gegen Albert zu wenden und von ihm einen Teil seines Landes als ihren eigenen Staat zu fordern.
Als Albert 1229 starb, hinterließ er, weitab vom Reich, ein Staatswesen, dessen Rückgrat die von ihm im Geist der freien deutschen Reichsstädte begründeten Städte waren: Riga, Dorpat, Reval, Narwa, Mitau, Pernau und Windau. Sie waren die Quellen der wirtschaftlichen Kraft des Landes mit einem selbstbewussten Bürgertum. Die drei politischen Kräfte des Landes waren der Bischof, die Bürger und die Schwertbrüder; und die wirkten mit ihrem deutschen Hang zur Uneinigkeit leider oft gegen statt miteinander. Nachteilig für den deutschen Adel war ferner das Gelübde, nicht zu heiraten, was zur Folge hatte, dass er laufend durch Nachwuchs aus dem Reich aufgefrischt werden musste.
Sieben Jahre nach Alberts Tod kam es, wie es kommen musste: Wegen ihres brutalen Missionseifers wurden die Schwertbrüder bei Schaulen in Litauen von einem überlegenen litauischen Heer gestellt und nahezu vollkommen aufgerieben. Die wenigen Überlebenden schlossen sich dem Deutschen Orden an, der ebenfalls seine Missionierung bis nach Livland vorgetragen hatte. Nach der Christianisierung der Pruzzen erbauten die Ordensbrüder Burgen in Kulm und Thorn, Bromberg, Graudenz, Königsberg und als berühmteste von allen: die Marienburg in Marienwerder an der Nogat. Die Burgen wuchsen zu Städten, und aus den eroberten Landen erwuchs der als Muster eines modernen Staatswesens weithin berühmte preußische Ordensstaat mit dem Hochmeister als deutschem Reichsfürsten.
Auch dem Deutschen Orden unterlief schließlich der Fehler, die Wünsche bzw. Sicherheitsgefühle seiner Nachbarn zu missachten. Bei seinem ständigen Vordringen nach Osten, über die Narwa bis Nowgorod und Pleskau, war es unvermeidlich, dass es eines Tages zum blutigen Zusammenstoß kam.
Es geschah am 5. April 1242 auf der noch zugefrorenen Eisfläche des Peipus-Sees: Zum ersten Mal in der Geschichte standen sich ein deutsches und ein russische Heer gegenüber. Alberts jüngerer Bruder Hermann führte das kleine deutsche Ritterheer; die Russen wurden von ihrem 20jährigen Kriegshelden Alexander Newskij angeführt, der schon 1240 eine schwedische Streitmacht im Norden besiegt hatte. Die grimmige Schlacht hinterließ einen über und über mit Blut befleckten See. Das kleine Ordensheer war besiegt, die Russen schleiften die Ritter, an 10 Pferdeschwänze gebunden, hinter sich her nach Pleskau. Vier Jahre später wurden auch die von Süden auf Nowgorod vordringenden Litauer von Alexander geschlagen.
Doch eine bei weitem unheimlichere Gefahr für sein Reich ballte sich inzwischen weiter im Osten zusammen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche helfen Russland bauen