Die Franzosen und Indianer rüsten zum Angriff

Vor dem Hause hielt auf einem hochbeinigen, mageren Gaul, dessen fliegende Weichen und müde herabhängender Kopf auf einen langen und schnellen Ritt schließen ließen, ein junger Mann, welcher den zum Rufen geöffneten übergroßen Mund bei dem Erscheinen Katharines zuzumachen vergaß. Das lange, semmelblonde Haar hing in nassen Strähnen unter dem großen, dreieckigen Hut auf die schmalen Schultern; der Schweiß lief über sein mit Sommersprossen übersätes langes bleiches Gesicht, und die nicht eben klugen wasserblauen Augen hatten einen so ängstlichen Ausdruck, dass Katharine erschrocken rief:

„Um Gott, was gibt es?“


„Wo ist er?“ lallte der auf dem Pferde, und ließ seine Augen nach allen Himmelsrichtungen umherschweifen.

„Du suchst Lambert Sternberg?“ sagte Katharine.

Der Reiter nickte.

„Ich will ihn rufen; steig unterdes ab und ruh' Dich einen Augenblick aus; ich komme bald zurück;“ sagte Katharine.

Der Reiter tat sofort, wie ihn das junge Mädchen geheißen. Er kletterte mühsam aus dem hohen Sattel und band das Pferd an den eisernen Ring. Katharine wandte sich eilends zu gehen, da kam Lambert um das Haus herum. Er führte den Hans am Halfter, und rief, als er den Reiter erblickte: „Gott zum Gruß, Adam Bellinger! ei, was bringt Dich hierher!“

„Die Franzosen sind da!“ erwiderte Adam.

Lambert stutzte, und sein Blick flog zu Katharine, die ihrerseits die großen Augen fragend auf ihn gerichtet hielt.

„Was soll das heißen?“ sagte Lambert; „wo sind sie? was weißt Du, Adam? zum Tausend, Mann, rede!“

„Ich weiß nichts,“ sagte Adam; „der Vater hat mich geschickt.“

„Wozu? was soll`s“

„Ich war auf dem Felde,“ sagte Adam; „da kam der Vater herzugelaufen, ich solle die Liese ausspannen und satteln, und der Herckheimer sei eben da gewesen und die Franzosen seien im Anmarsch, und ich soll es überall ansagen und heute Nachmittag sollten Alle nach seinem Hause kommen und wollten da Rat halten, was zu tun sei.“

„Nun, so kann es auch noch so schlimm nicht stehen,“ sagte Lambert, aufatmend „Der Herckheimer ist ein verständiger Mann und würde uns nicht auffordern, nach seinem Hause zu kommen, wenn die Gefahr für unsere eigenen Häuser so gar dringend wäre. Aber wie hattest Du erfahren, dass ich zurück bin?“

„Ich war bei Base Ursel, die hat mich hergeschickt, und lässt Dir sagen, sie ginge auch gut Versammlung und wenn Du das junge Frauenzimmer, das ja wohl Deine Braut ist, nicht allein lassen wolltest, solltest Du sie doch mitnehmen und unterwegs bei Eisenlords absetzen, wo die Weiber zu Hause bleiben, oder bei Volz, oder bei uns.“

„Es ist gut,“ sagte Lambert, indem er Katharine, die bleich und still neben ihm stand, bei der Hand nahm.„Und nun komm herein, Adam Bellinger, und nimm einen Bissen und einen Schluck; es scheint, dass Du es brauchst, und die Liese auch, das arme Tier. Wir sind in zehn Minuten fertig.“

Lambert rückte geschäftig die fliegende Krippe heran, während Katharine in das Haus eilte und ein Brot brachte, welches Adam für seinen Gaul in Stücke schnitt. Dann gingen sie Alle hinein, und setzten sich zu dem schnell bereiteten Mahl, dem Adam so herzhaft zusprach, dass er wenig Zeit hatte, Lamberts mannigfache Fragen zu beantworten. Dennoch erfuhr Katharine, die still zuhörte, genug, um sich ein Bild von der Lage der Dinge machen zu können. Den Nikolaus Herckheimer hatte sie schon öfters von Lambert erwähnen hören, als einen der reichsten und bravsten deutschen Ansiedler, der da, wo der Canada-Creek in den Mohawk mündet, eine große Farm und ein wohlbefestigtes Haus besaß. Er hatte sich schon im vergangenen Jahr bei Belletre`s Raubzug große Verdienste um die Ansiedelungen erworben; der Gouverneur hatte ihm seitdem Kapitänsrang verliehen und ihn für die Zukunft mit der Verteidigung der deutschen Grenzdistrikte betraut.

„Er wird seinen Plan schon fertig haben,“ sagte Lambert „Freilich, wir hier am Creek werden wohl für uns selber sorgen müssen, wir sind zu weit vorgeschoben; aber an uns soll es nicht fehlen, wenn ich auch nicht gedacht hätte, dass wir sobald die Mordbrenner wieder hier haben würden.“

Aus Lamberts ganzem Wesen sprach der gefestete Mut eines Mannes, der sich der Gefahr, welche hereindroht, wohl bewusst, aber auch entschlossen ist, ihr zu trotzen, komme, was da wolle. Seine Blicke suchten Katharines, die geräuschlos ab- und zuging und die Männer bediente und deren große, glänzende Augen sagten: Du siehst, Geliebter, ich bin wie Du ruhig und gefasst.

Adam schien alle seine Angst über dem Essen und Trinken vergessen zu haben. Er hatte nur aufgeblickt, um Katharine, wenn sie seinen Teller von neuem füllte, mit freundlichem Grinsen zuzunicken. Jetzt legte er Messer und Gabel zögernd nieder, und schaute so vergnüglich um sich, als ob er sagen wollte: Das sitzt sich hier doch ein gut Teil besser, als auf dem verdammten hohen Sattel der Liese, die mich bei jedem Tritt von der einen auf die andere Seite wirft.

„Bist Du bereit, Adam?“ fragte Lambert, der aufgestanden war und seine Büchse umgehangen hatte.

„Ich wohl,“ erwiderte Adam, die langen Beine von sich streckend, „aber die Liese schwerlich.; das arme Vieh ist an so etwas nicht gewöhnt.“

„Ich werde ihr Wasser geben, und den Hans satteln;“ sagte Lambert.

Katharine folgte ihm vor die Tür. Lambert ergriff ihre Hand und sagte: „Katharine, ich danke Dir, danke Dir von ganzem Herren. Ich weiß jetzt, dass ich mir keine Vorwürfe mehr zu machen brauche.“

„Du hättest Dir nie welche machen sollen,“ sagte Katharine. „Deine Sache ist meine Sache, Dein Los ist mein Los. Ich lebe und sterbe mit Dir.“

„Und so will ich jeden Blutstropfen für Dich hingeben,“ sagte Lambert; „aber ich hoffe zu Gott, dass uns noch viele gute Tage beschieben sind. Für diesmal hat es gewiss noch nichts zu bedeuten. Konrad, der eine Woche draußen war, und nach der Seite, von welcher sie kommen müssen, weiß sicher mehr von unseren Feinden, als irgend ein Anderer, und er hat mir gesagt, dass vorläufig wenigstens keine Gefahr sei.“

„So denke auch ich,“ sagte Katharine; „Und da will ich Dich gleich um Eines bitten, Lambert. Du hast um meinethalben ein wenig Deine Pflicht vernachlässigt. Du hättest, wärest Du allein zurückgekommen, gestern schon alle Deine Freunde gesehen und gesprochen, denn Du würdest den Weg durchs Tal genommen haben, anstatt durch den Wald. Heute ist es wieder ein Zufall, dass Dein Freund Adam uns gefunden hat, und so hättest Du leicht da fehlen können, wo Du hingehörst. Das ist nicht recht, und liegt mir auf der Seele. Nun hast Du einen langen Ritt; der Hans kann uns beide tragen, ich weiß es wohl; aber er läuft doch besser, wenn Du allein reitest. Und dann: was sollte daraus werden, wollte lieber bei einer solchen Gelegenheit die Weiber mit sich schleppen? Die Andern bleiben ja auch zu Hause; nicht wahr, Lambert, Du lässt mich hier?“

„Nun wird's aber Zeit,“ sagte Adam Bellinger zur Tür herauskommend.

Lambert stand unschlüssig da; er sah keine Gefahr darin, Katharine allein zu lassen; dennoch kam es ihm so schwer an, sich gerade jetzt von ihr trennen zu sollen.

„Und gewiss kommt auch Konrad zu Mittag zurück,“ sagte Katharine; „Und findet dann das Haus leer. Es ist wahrlich besser, Lambert, ich bleibe hier.“

„Nun, wie Du willst,“ sagte Lambert.

Er schnallte das Reitkissen, das er eben dem Hans aufgelegt hatte, wieder ab.

„Kommt die Jungfer nicht mit?“ fragte Adam, der schon aufgesessen war.

Lambert antwortete nicht.

„Nun denn, Adjes, Jungfer,“ sagte Adam, „und schönsten Dank. Hot, Liese.“

Er wandte sein Pferd, das sich nur widerwillig von der Krippe trennte.

Katharine flog in Lamberts Arme.

„Leb' wohl, Geliebter; Du zürnst mir nicht?“

„Ich Dir?“ sagte Lambert.

Seine Lippen bebten; er presste Katharine stumm an seine Brust; dann riss er sich mit einem gewaltsamen Entschluss los, schwang sich auf den Hans, und ritt im Galopp seinem Gefährten nach, der auf seinem langbeinigen Gaul voraustrabte und bei jedem Schritt des Tieres hoch in die Luft schnellte, während er die spitzen Ellbogen wie Flügel auf und nieder bewegte.

Lambert hatte den ungeschickten Reiter bald genug eingeholt. Die beiden jungen Leute trabten eine Zeit lang schweigend nebeneinander her, bis die Liese plötzlich schnaufend still stand, und Adam, der dabei auf dem Hals des Tieres zu sitzen gekommen war, erklärte: Die Liese sei ein gar kluges Geschöpf und wisse sehr wohl, dass es in dem Tempo unmöglich fortgehen könne; sie stehe dann immer still, um dem Reiter Zeit zur Überlegung zu geben, und er habe noch jedes Mal gefunden, dass man im Schritt endlich auch an das Ziel komme, und noch dazu viel bequemer.

„Aber auch ebenso viel später,“ sagte Lambert ungeduldig; „wenn Du durchaus nicht mitkannst, muss ich Dich allein lassen und voran reiten.“

„Um Gotteswillen,“ schrie Adam, und stieß die Liese mit beiden Hacken so heftig in die Seiten, dass sie ganz erschrocken vorwärts sprang und wieder in Trab fiel; „um Gotteswillen! das fehlte noch gerade.“

„Du bist ein Hasenfuß, der sich durch ein Mädchen beschämen lässt;“ sagte Lambert.

Er wandte sich im Sattel zurück nach dem Blockhaus, bevor es hinter der jäh vorspringenden, waldbekränzten Felsenhöhle, um welche sie eben bogen, seinen Blicken entschwand. Katharine stand auf derselben Stelle, vor der Haustür; er winkte mit der Hand, obgleich es nicht wahrscheinlich war, dass sie den Gruß noch sehen konnte, und jetzt hatte sich der Felsen dazwischen geschoben. Eine namenlose Traurigkeit überfiel Lambert, und es fehlte wenig, so hätte er den Hans herumgeworfen und wäre mit verhängtem Zügel zurückgesprengt; aber mit einem kräftigen Entschluss überwand er das Wehgefühl. „Ich bin ein eben so großer Feigling,“ sprach er bei sich, „und ein größerer, denn ich sollte besser wissen, um was es sich handelt, und dass mir nichts schwer fallen dürfte, was ich für sie tue.“

„Du hast gut reden,“ unterbrach Adam Lamberts Selbstgespräch.

„Weshalb?“ fragte Lambert.

„Wenn sie Dir den Schopf über die Ohren ziehen, kräht kein Hahn darnach; aber meine alte Mutter würde sich die Augen ausweinen.“

„Vielleicht findet sich doch jemand, der meinen Schopf lieber auf meinem Kopf, als an dem Gürtel eines Indianers sieht.“

„Du meinst das junge Frauenzimmer?“ fragte Adam, seinen Mund von einem Ohr bis zum andern ziehend, und für einen Moment den Sattelknopf loslassend, um mit dem Daumen über die Schulter rückwärts zu zeigen.

„.Vielleicht,“ sagte Lambert.

„Na, da sei nur ruhig,“ sagte Adam in tröstendem Ton; „die heirate ich dann; Mutter will schon lange, dass ich heirate; aber ich nehme nicht jede, weißt Du, und das Madchen gefällt mir.“

„So,“ sagte Lambert.

„Ja,“ sagte Adam; „das Barbche, das Gustche und das Annche werden wohl im Anfang ein wenig zetern: aber das gibt sich mit der Zeit, und Fritz und August Volz sind, glaube ich, mit dem Barbche und dem Gustche schon einig, und wir denken immer, Du heiratest doch noch das Annche.“

„Mit oder ohne Schopf?“ sagte Lambert.

Adam fand diesen Scherz so ausgezeichnet, dass er die Liese anhalten musste, um sich die Fäuste in beide Seiten zu stemmen und in ein schallendes Gelächter auszubrechen. Ein Reiher, der sich in das Röhricht des Ufers gebückt hatte, flog erschrocken auf und ließ seinen Warnruf erschallen.

„Ach, Du mein blutiger Heiland!“ sagte Adam, „ich glaubte wahrhaftig, es sei schon einer von den schuftigen Franzosen und Rothäuten.“

„Habt Ihr denn während dieser Zeit öfter von ihnen gehört?“ fragte Lambert, indem sie weiter ritten.

„Ein einziges Mal,“ sagte Adam; „vor einem Monat etwa; der Vater war nach Shenectady mit dem Korn, und ich war wieder gerade allein auf dem Felde, als Antonche gelaufen kam und schrie, die Indianer seien über den Creek geschwommen und schon in unserm Hause. Mir fuhr der Schrecken so in die Beine, dass ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, und ich eigentlich nach Hause wollte und den Frauenzimmern helfen; aber als ich wieder zu Atem kam, stand ich vor Eisenlords Tür, wo der Alte grade daheim war, und schnell seinen jüngsten Buben zu Peter Volz' schickte, von denen dann auch bald drei, der Alte selbst und Fritz und August, kamen. Da gingen wir denn mutig vorwärts, obgleich uns die heulenden Weiber nicht fortlassen wollten und unterwegs stießen auch noch Christian Eisenlord und der junge Peter Volz zu uns, so dass wir unserer sechs oder sieben waren, obgleich, offen gestanden, auf mich nicht viel gerechnet werden konnte, denn ich weinte mir bald die Augen aus vor Kummer und Herzeleid, dass ich nun unser Haus niedergebrannt finden sollte, und meine schönen Blessen weggetrieben, und die vier englischen Schweine, die ich erst an demselben Morgen von Johann Mertens gekauft, und die Mutter und das Barbche und das Gustche und das Annche ohne Schopf; aber als wir aus dem Wald herauskamen, denn wir hatten uns gut herangeschlichen, lag unser Haus ganz ruhig da, und die Frauenzimmer standen vor der Tür, und schalten auf das Antonche ein, das ganz heillos schrie.“

„Nun und die Indianer?“ fragte Lambert.

„Du musst mich nicht unterbrechen, wenn ich meine Geschichte ordentlich erzählen soll,“ sagte Adam. „Wo war ich stehen geblieben?“

„Bei dem Anton, der heillos schrie.“

„Der arme Junge,“ sagte Adam; „ich könnt es ihm nicht verdenken; er sollte hineingehen und den Indianer zudecken, der so gut wie gar nichts anhatte, dass sich die Frauenzimmer schämten.“

„Es war also doch einer da?“

„Nun freilich, und war wirklich durch den Creek geschwommen und lag an dem Herd, so betrunken, wie nur eine Rothaut sein kann, und schnarchte, dass wir es draußen hörten. Da haben mich die Andern schon ausgelacht und mich seitdem immer mit dem betrunkenen Kerl gefoppt, obgleich man den Teufel nicht an die Wand malen soll und ich doch eigentlich gar nichts dazu konnte, sondern das Antonche, der auch gescheiter hätte sein können; und so wollten sie denn heute auch gar nicht an meine Botschaft glauben, und wenn ich nicht gesagt und beschworen hätte, der Herckheimer selber habe es dem Vater gesagt, so waren sie Alle zu Hause geblieben, außer Base Ursel natürlich, die gleich die beiden Gäule sattelte.“

„So ist der Ohm auch mit?“ fragte Lambert erstaunt.

„Wir werden es ja gleich erfahren,“ sagte Adam; „ich werde einmal rufen.“

Sie hielten vor dem Dittmar`schen Hause; Adam hob sich in den Bügeln und ließ, die beiden Hände an den Mund legend, sein: „He, holla, Christian Dittmar, holla, he!“ erschallen, dass die Tauben aus dem Dache erschreckt davonflogen, und Melac, der Kettenhund auf dem Hofe fürchterlich zu heulen und zu bellen begann. Trotz alledem wollte sich in der obern Öffnung der Tür, durch die man in das innere des Hauses sah, die lange Gestalt des alten Dittmar nicht zeigen, und Lambert mahnte zur Eile, gestattete auch nicht, dass man bei Wilhelm Teichert vorsprach. Dessen Farm lag etwas abseits am Rande des Waldes, welcher jetzt in einem großen Bogen vom Bach zurücktrat, und erst bei Peter Volz' Hof wieder hart heranschnitt. Hier musste freilich angehalten werden, denn Mutter Volz hatte die Reiter schon von weitem kommen sehen und stand nun vor der Tür, in jeder Hand einen Krug, selbstgebrauten Braunbieres, das Peter, ihr jüngster Sohn, schnell von einem frischen Fass hatte zapfen müssen. Mutter Volz war sehr aufgeregt, und dicke Tränen liefen ihr über die dicken Backen, als sie den Reitern die Krüge darreichte, und dabei auf die Franzosen und auf ihren Peter schalt, diesen Guck in die Welt, der durchaus mit zur Versammlung und sie alte hilflose Frau allein lassen wollte.

„Wenn ich ein Guck in die Well bin,“ sagte Peter, „kann ich Dir auch nicht helfen, Mutter; aber ich soll immer zu Hanse bleiben und Nesthäkchen spielen, das ist die Sache.“

„.Ja, das ist die Sache,“ sagte Adam, der sich sein Bier trefflich schmecken ließ, „und wir Andern müssen es uns sauer werden lassen.“

„So gib mir die Liese und bleib hier;“ sagte der mutige Peter.

Adam hatte nicht übel Lust, einem so annehmbaren Vorschlage zu willfahren, und wollte eben aus dem Sattel klettern, als die Liese — sei es, dass sie die Bewegung des Reiters falsch verstand, sei es, dass sie die Nähe ihres heimatlichen Stalles spürte — sich plötzlich in Trab setzte, zu Adams Entsetzen und Lamberts Freude, dessen Ungeduld durch die unnötigen Verzögerungen bereits aufs höchste gestiegen war.

Nun aber, Dank Liese's festem Entschluss, mit der ungewohnten Arbeit für heute ein Ende zu machen, ging es unaufhaltsam weiter, schnell und schneller, dass dem Adam, der sich krampfhaft am Sattelknopf festhielt, die langen gelben Haare um die großen Ohren flogen: immer am Bach entlang, vorbei an Johann Eisenlords Haus, wo die Frauen ebenfalls an die Tür liefen, und den dahinstürmenden zuriefen und verwundert nachblickten; — weiter und weiter, und schneller und schneller, bis Liese vor dem Bellinger'schen Gehöft mit einem Ruck anhielt, und ihren Reiter über den Hals in den Sand warf, unmittelbar zu den Füßen seiner Mutter und seiner drei Schwestern und seines jüngsten Bruders, dem die Mutter zuschrie: „lauf, Antonche, und mach der Liese den Stall auf, dass sie sich nicht den Schädel an der Tür einrennt, das arme Vieh!“ Um Adam bekümmerte sich Niemand. In der Tal war dies die gewöhnliche Weise, in welcher ihn die Liese nach einem derartigen Ausfluge den Seinen wieder zustellte, und er kam denn auch diesmal bald genug wieder auf und rieb sich weinerlich die langen Beine, während die Frauen Lambert umstanden und ihn nach seiner Reise befragten: Wann er zurückgekommen sei? und weshalb er nur gestern in aller Welt den bösen Weg durch den Wald gemacht habe? und wie sich denn seine neue Magd anlasse? und weshalb er sich fünfzig Meilen weit geholt, was er aus der Nähe bequemer und vielleicht auch besser hätte haben können?

Lambert dankte kurz für gütige Nachfrage, erkundigte sich, wie lange es sei, dass die Männer aufgebrochen; gab seinem Gaul die Hacken und trabte mit kurzem Gruß davon, zu nicht geringer Bekümmernis der hübschen, blonden Annche, die sich von ihren beiden Schwestern Bärbche und Gustche sagen lassen musste: nun sehe man ja klar, was sie immer behauptet, dass der Lambert Sternberg nicht der Tannen wegen die lange Reise nach New-York gemacht habe! Annche erwiderte: dass sie nicht an den Lambert denke und Fritz und August Volz sich auch noch nicht erklärt hätten. Die Mutter nahm die Partei der Annche, und der Streit drohte heftig zu werden, bis man sich glücklicherweise darauf besann, dass man ja Adam noch nicht einmal gefragt habe, was für eine Person denn eigentlich das neue Mädchen sei? und nun von dem kühnen Ritter, der sich in dem Hause die Schienbeine mit Branntwein rieb, erfuhr, dass keineswegs Lambert, sondern er selbst das Mädchen heiraten werde, sobald die Indianer Lambert den Schopf abgezogen hatten, und dass er darüber mit Lambert vollkommen einig sei.

Während so in der Bellinger'schen Familie über Katherines Schicksal entschieden wurde, setzte Lambert, die verlorene Zeit einzubringen, im schnellsten Trabe seinen Weg fort. Er hatte aus den Fragen der Frauen, noch mehr aus dem Tone, in welchem man fragte, wohl herausgehört, dass man nicht eben günstig über seine Handlungsweise dachte. Er war darauf gefasst gewesen und hatte gestern, um dieser nachbarlichen Teilnahme zu entgehen, den Weg nicht durch's Tal genommen; dennoch fühlte er sich gekränkt und zürnte der Base, welche allein die Kunde von seiner Rückkehr und seinem Verhältnis zu Katharine verbreitet haben konnte, und sagte sich dann wieder, dass man es ja doch in aller Kürze erfahren musste und es daher das beste war, wenn man es so früh als möglich erfuhr. Wie dem aber auch sein mochte, er sah wohl, dass er einen schweren Stand in der Gemeinde haben würde, so lange Katharine nicht seine Frau war und vermutlich auch noch nachher; dass es aber jedenfalls seine Pflicht sei, vor aller Augen Klarheit in sein Verhältnis zu Katharine zu bringen. Er nahm sich vor, noch heute, wenn sich irgend dazu Gelegenheit fand, mit dem Pfarrer zu sprechen und sich den Rat und die Hilfe des trefflichen Mannes zu erbitten.

Er war jetzt, nahe an der Mündung, aus dem eigentlichen Tale des Creek herausgekommen. Rechts von ihm lag die weite Fläche in der Gabel zwischen dem Creek und dem Mohawk: fruchtbares, dem Urwald schon langer abgewonnenes Land, mit seiner in fast ununterbrochener Linie fortlaufenden Reihe von Ansiedlungen, in der Mitte auf einem Hügel die kleine Kirche und das Pfarrhaus. Vor ihm, bereits jenseits des Mohawk, dessen klares Wasser zwischen den bebuschten Ufern hier und da hervorblickte, erhob sich, ebenfalls auf einein Hügel, wie eine kleine Festung anzuschauen, das Ziel seines Rittes: Nikolaus Herckheimers stattliches Haus.

Und jetzt sah er auch, dass er nicht, wie er schon gefürchtet, der Letzte sein würde. In der Ebene tauchten zwischen den Kornfeldern und dem Buschwerk, einzeln oder zu zweien und dreien, die Gestalten von Fußgängern und Reitern auf, die sich aus den verschiedenen Richtungen sämtlich nach derselben Stelle bewegten: einem einzeln gelegenen Hause auf dieser Seite des Flusses, der Herckheimer'schen Farm schräg gegenüber, wo Hans Haberkorn, der Fährmann, wohnte.

Hier traf Lambert einige Minuten später mit mehreren der Männer zusammen, welche er schon von weitem hatte kommen sehen, und von denen er um so lebhafter begrüßt wurde, als Alle wohl von seiner Reise nach New-York, aber noch Niemand von seiner Rückkehr gehört hatte. Man wollte wissen, wie die Sache abgelaufen? und vor Allem, was er in der Stadt über den Krieg in Europa in Erfahrung gebracht habe! ob die Franzosen wirklich im vorigen Jahre bei Roßbach so heillose Schläge bekommen? und ob es dem Könige von Preußen, der doch ein ganzer Mann sein müsse, auch in diesem Jahre gelingen werde, sich gegen seine zahllosen Feinde im Felde zu behaupten?

Lambert erzählte, was er wusste und erkundigte sich seinerseits nach dem Stande der heimischen Dinge. Von den fünf oder sechs Männern, die sich bereite zusammengefunden, gab jeder seine Ansicht zum Besten, wobei sich herausstellte, dass genau so viele Ansichten zu Tage kamen, als Köpfe in der kleinen Versammlung waren. Ja, während man Hans Haberkorns Rum eifrig zusprach, wurde man so hitzig, dass man ganz zu vergessen schien, weshalb man eigentlich hier war, bis Lambert dringend zum Aufbruch mahnte. Hans Haberkorn meinte freilich, die Sache habe gar keine Eile, und man sonne hier eben so gut Rat pflegen, als drüben bei dem Herckheimer; nun aber wollten die Andern auch nicht zurückbleiben. Man band die Pferde der Reihe nach in dem offenen Schuppen an die Krippe und bestieg das Floß, um auf der kurzen Überfahrt den angefangenen Streit noch heftiger als vorher fortzusetzen, ja es fehlte nicht viel, so wäre es auf dem schwanken Fahrzeuge zu Tätlichkeiten gekommen.

Es war daher ein Glück zu nennen, dass, als man drüben landete, sich sofort noch Einige dazu fanden, welche zum Teil bereits früher übergesetzt waren, zum Teil, von der andern Seite kommend, am Ufer auf die im Fährboot gewartet hatten, um mit ihnen gemeinsam weiter zu gehen. Über der Begrüßung vergaß man für den Augenblick, dass man sich gestritten, hatte aber kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als der Wortwechsel von neuem und heftiger als zuvor begann, denn die neu Hinzugekommenen mischten sich, aus dieser oder jener Seite Partei nehmend, hinein. So gelangte man, jaulend und streitend, auf den Vorplatz des Herckheimer'schen Hauses.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Pioniere