Base Ursel

„So!“ sagte Base Ursel, „da wäre ja der Musjö!“

Sie war stehen geblieben, hatte die Büchse von der Schulter genommen und starrte mit den großen, runden Augen auf die Herankommenden, wie ein Raubtier auf die sich nähernde Beute.


„Gott zum Gruß, Base,“ sagte Lambert, mit ausgestreckter Hand die alte Freundin begrüßend, „es ist lange her, dass wir uns nicht gesehen.“

„Und hätte noch lange wahren können, wenn es auf den Musjö angekommen wäre,“ erwiderte Base Ursel; ,aber freilich zuerst muss man seine Tannen besuchen, die Verwandten und Freunde kommen später. Ein Glück, dass Base Ursel ihre Leute kennt, sie hätte sonst lange nach dem Musjö suchen können.“

Sie warf das Gewehr mit einem kräftigen Ruck über die Schulter, drehte sich kurz auf den Hacken ihrer plumpen Männerstiefel um, und begann den Pfad längst des Baches, den sie gekommen war, zurückzuschreiten. Sie hatte Lamberts Begrüßung kaum erwidert, und Katharine scheinbar gar nicht beachtet.

„Woher wisst Ihr, dass ich zurück bin?“ fragte Lambert.

„Von Ihm nicht, Musjö!“ erwiderte Base Ursel.

„Wie geht es dem Ohm, Base?“

„Wie immer.“

„Und Ihr habt Euch meiner Wirtschaft so wacker angenommen —“

„Man muss ja wohl, wenn die Herren im Lande herumvagiren.“

„Ich bin nicht aus freien Stücken und nicht bloß um meinetwillen so lange fortgewesen, Base; Ihr wisst es wohl. Auch war die Reise nicht vergeblich. Das Geschäft, wegen dessen ich in New-York war, ist so geordnet, dass Ihr und die Andern zufrieden sein dürft.“

„So!“ sagte Base Ursel.

„Und habe Euch außerdem eine junge Freundin mitgebracht, die Ihr lieb haben werdet, wie sie es verdient; und der Ihr Euch freundlich annehmen wollt, wie Ihr Euch Aller annehmt, die eurer Hilfe bedürfen.“

„So!“ sagte Base Ursel.

Der Pfad war so schmal, dass sie hintereinander gehen mussten; Ursel wandte sich nicht um, aber Lambert tat es jetzt und er sah, dass Katharine bleich war und ihr die Tränen in den Augen standen. Der Anblick schnitt ihm ins Herz: hatte er doch noch eben das schöne Geesicht so strahlend von Glück gesehen! „Sei guten Mutes, mein Mädchen,“ sagte er leise; „sie meint es nicht bös.“

Katharine versuchte durch ihre Tränen hindurch zu lächeln und nickte, als wollte sie sagen: „Laß nur, ich bin Alles zufrieden, da Du mich liebst.“

„Lambert!“ rief Ursel, die immer rüstig weiter schritt, „komm Er einmal hierher!“

„Geh nur!“ flüsterte Katharine; „aber um Gotteswillen sage ihr nichts, ich könnte sie nicht ertragen.“

Der junge Mann riss sich mit einem gewaltsamen Entschluss los, und eilte Ursel Dittmar nach, die er halb eingeholt hatte.

„Komm' Er hier an meine Seite,“ sagte -Base Ursel, „der Weg ist breit genug, Er braucht nicht mehr hinter mir her zu trotteln.“

Lambert tat. wie ihm die Base geheißen: Base Ursel duldete keinen Widerspruch und Lambert hatte sie von Jugend auf wie eine zweite Mutter verehrt. Dennoch konnte er sich nicht enthalten, mit leisem Vorwurf zu sagen: „.Ihr seid sehr rau gegen das arme Mädchen, Base.“

„So!“ sagte die Dame, „meint Er? Es ist natürlich ungeheuer wichtig für mich alte Person, zu wissen, was so ein Guck in die Welt meint. Na, und da darf ich Ihm ja auch wohl meine Meinung sagen: Er hat einen Narrenstreich begangen, Musjö, hört Er! einen ganz buntscheckigen Narrenstreich, als Er sich in einer solchen Zeit ein Frauenzimmer aufhalste; hätte Er uns doch dafür ein halbes Duzend Mannsleute mitgebracht, die könnten wir wahrlich besser brauchen.“

„Aber, Base Ursel,“ sagte der junge Mann, „hört doch nur erst —“

„Ich will nicht hören; ich brauche nicht zu hören,“ unterbrach ihn Base Ursel; „ich kenne die ganze Geschichte, als ob ich von Anfang an dabei gewesen wäre; verhungerte Armesünder, die alle aussehen, als hätten sie schon vier Wochen lang Gespenster gespielt, freilich! es ist eine Sünde und Schande und der Böse vergelte es den gierigen Spitzbuben und Neuholländern und gieße ihnen geschmolzenes Gold in den unersättlichen Schlund! Aber weit davon ist gut für den Schuss! Was hatte Er dabei zu stehen und zu gaffen, wenn Er doch wusste, dass er so ein Butterherz in der Brust hat? Nun hat Er die Bescherung! was soll daraus werden? Er will das Frauenzimmer heiraten, natürlich! und dann? dann erscheint jedes Jahr ein schreiender Balg, bis es ihrer viere sind oder fünf, und beim fünften stirbt das arme Geschöpf und Base Ursel kann dann die junge Brut zu sich nehmen und großziehen. Aber ich sage Ihm: Daraus wird nichts, ein für alle Male nichts. Ich lasse mich nicht darauf ein und wenn er mir für jedes Rind eine Tonne Gold böte.“

Base Ursel hatte sich in eine solche Aufregung hineingesprochen und erhob die kräftige Stimme so laut, dass Lambert froh war, als er, sich umwendend, Katharine schon in größerer Entfernung erblickte, wie sie, gesenkten Hauptes und manchmal eine Waldblume pflückend, langsam folgte.

„Wie Ihr nur so reden könnt, Basel“ sagte Lambert

„Euch freilich wäre es lieber, wenn ich Euch nach dem Munde redete, und Ja und Amen zu Allem sagte, was Eure dummen Kopfe bereits ausgeheckt haben und noch aushecken werden. Übrigens habe ich mit Ihm gar kein Mitleid, Musjö! Er hat sich die Suppe eingebrockt, Er kann sie ausessen. Die arme Person! In die Welt hinausgestoßen zu sein, nackt und bloß, so zu sagen, und dabei mit solchen Augen, gerade wie seine Mutter selig, in die sich alle Mannsleute vergafften! Das ist an sich schon ein himmelschreiendes Unglück; ich weiß auch ein Lieb davon zu singen. Was lacht Er, Er Grünspecht! Glaubt Er, weil ich jetzt in meinem siebenundfünfzigsten Jahre nicht mehr so schlank bin wie eine Weidengerte und so glatt wie ein Aal, ich habe mit siebzehn Jahren den Mannsleuten die Köpfe nicht verrücken können? Da kommt Er schön an! Ich sage Ihm: wie närrisch waren sie; was freilich so viel nicht heißen will, denn das sind sie alle Wege; aber an jedem Finger hatte ich ein halbes Dutzend und sein Frauenzimmer hat vorläufig denn doch erst zwei.“

„Aber ich verstehe Euch wahrlich nicht, Base;“ sagte Lambert; dessen Unruhe, je länger jene in ihrer sonderbaren Weise redete, nur immer zugenommen hatte.

„Nun denn, so will ich deutlich reden;“ sagte Ursel, nachdem sie sich schnell nach Katharine umgesehen. „Heute Morgen — ich war eben dabei, mein Heu zu rechen — kommt Sein Bruder mit einem Satz über die Hecke, dass ich in der ersten Überraschung ihm beinahe eins auf den Pelz gebrannt hätte, und sieht auch wirklich aus zum Entsetzen, verstört und wild, und fängt an zu reden die Kreuz und die Quer, dass kein Mensch daraus klug geworden wäre außer mir, die ich ihn kenne von Kindesbeinen: er müsse sich totschießen, beim Ihr Beide könntet sie doch nicht heiraten, und was dergleichen Narrenspossen mehr waren, die alle darauf hinausliefen, dass er toll und blind in das Mädel verliebt ist.“

Lambert war erschrocken, als er jetzt aus Base Ursels Munde hörte, was ihm Katharine selbst erst vor wenigen Minuten mitgeteilt hatte. So war die schlimme Laune also nicht, wie er gehofft, verflogen mit dem ersten Morgenwind, der über die Wangen des Jägers fächelte! Er hatte sie wenigstens bis zu Base Ursel getragen und —

„Ihr habt ihm doch den Kopf zurecht gesetzt, Base?“ fragte Lambert laut.

„Setz' Er der Tanne da den Kopf zurecht,“ sagte Ursel, auf einen gewaltigen Baum deutend, dem ein Blitzstrahl die Krone zerschmettert hatte, so dass sie, kaum noch von der jähen Bastfaser gehalten, an dem Stamme herabhing. „Und dann Musjö, Er hat auch unrecht, weshalb hat Er sein Versprechen nicht gehalten, und dem Jungen eine Frau mitgebracht, wie sich selber?“

„.Ich habe nichts derartiges versprochen!“ erwiderte Lambert lebhaft; „ich konnte unmöglich glauben, dass es Konrads Ernst war, als er mir, der ich schon das Tal hinabtrabte, nachrief: bringe uns Jedem eine Frau mit! Ich habe nicht wieder daran gedacht, selbst dann nicht, als der Himmel mich in den Weg der armen Verwaisten führte, und ich der von aller Welt Verlassenen bei mir einen Zufluchtsort bot. Ihr seht, Base, dass ich wahrlich unschuldig bin.“

„So gib ihm das Mädel?“ sagte Ursel.

„Eher mein Leben!“ sagte Lambert heftig.

„Das wollte ich nur wissen,“ sagte Ursel. „.Ihr seid also einig! es ließ sich denken, es ließ sich denken! und ich soll noch immer nicht recht haben, zu sagen: dass die Schönheit für uns Frauenzimmer ein Unglück ist, und für die Mannsleute, die sich d'rein vergaffen, nicht minder? Was hat das arme Geschöpf davon? nicht mehr als die Holztaube, die ich blutend auf dem Wege dicht bei Seinem Hause fand? was habt Ihr davon? just so viel wie die beiden Adler, die sich der Taube wegen das Fleisch vom Leibe rissen. Ach, das arme Frauenzimmer! das unglückselige Frauenzimmer!“

„Konrad wird Vernunft annehmen,“ sagte Lambert mit zitternder Lippe.

„.Ich weiß nicht,“ erwiderte Ursel, den großen Kopf schüttelnd; „es kommt freilich manchmal vor, dass Mannslaute Vernunft annehmen, aber sie warten gewöhnlich damit, bis es zu spät ist. So wird es, fürchte ich, auch diesmal sein. Jetzt ist er in den Wald gelaufen und wird sich da, der Himmel weiß wie lange, herumtreiben, und das jetzt, wo wir keinen Mann entbehren können und am wenigsten ihn.“

„Er wird uns nicht fehlen, wenn wir seiner bedürfen,“ sagte Lambert.

„Er hat uns im vorigen Jahre gefehlt und haben wir damals seiner etwa nicht bedurft? Aber so seid Ihr, und Ihr jungen Leute besonders! Ihr macht einen Jagdzug, oder haltet Wettrennen, oder tanzt Euch die Sohlen auf einer Hochzeit durch und tut Alles, was Euch gefallt, und das Andere lasst Ihr gehen, wie's Gott gefällt. Wir habend im vorigen Jahre gesehen! Was habe ich geredet und gepredigt, Euch zur Vorsicht zu ermahnen, nachdem ich sah, dass der General Abercrombie in Albany sich nicht rührte, und Ihr natürlich die Hände in den Schoß legtet! Ich habe tauben Ohren gepredigt! Hernach, als die scheußlichen Franzen hereinbrachen und gesengt und gebrannt und gemordet haben nach ihrer Herzen böser Lust — nun ja, ha hat sich jeder seiner Haut gewehrt, wie er konnte, aber wieviel Häuser könnten jetzt noch stehen, wieviel Weiber und Kinder könnten heute noch zur lieben Sonne da aufblicken und den himmlischen Vater loben, wenn Ihr von Anfang an zusammengehalten hättet, wie es verständigen Männern geziemt! und nun, Lambert, da steht mein Gaul, und ich wüsste Ihm auch nichts mehr zu sagen; so helfe Er sich denn selbst aus der Patsche und mir auf den Gaul, und, was das Frauenzimmer betrifft, so komme ich morgen wieder; oder Er kann es auch morgen zu mir bringen, ich werde es nicht beißen, habe Er keine Sorge! Für heute kann und mag ich nicht mehr bleiben. Behüte Ihn Gott, Lambert, und grüß Er auch das Frauenzimmer. Wie heißt es denn nur?“

„Katharine Weise,“ sagte Lambert; „und sie ist eine Waise. Ihren Vater, der Prediger war und nur seinen Pfarrkindern zu Lieb’ mit ausgewandert ist, hat sie verloren acht Tage bevor das Schiff vor New-York ankam.“

„Katharine,“ sagte Ursel, „Katharine, du lieber himmlischer Vater, so wollte ich immer meine Tochter nennen, wenn ich jemals eine gehabt hätte. Meine beiden Großmütter selig hießen so! Na, dergleichen kommt vor; also grüß Er das Mädel, das übrigens eine ordentliche Person zu sein scheint; und behüt Euch Gott, Lambert!“

Die Amazone ordnete ihre Kleider, was etwas schwer hielt, da sie nach Männerweise im Sattel saß, schnalzte mit der Zunge, gab ihrem Pferde einen kräftigen Hieb über den Hals, und trabte munter von dem Waldrande, wo sie zuletzt gestanden hatten, den Hügel hinab über die Wiesen, bis sie den Pfad erreichte, der bachabwärts zu den andern Farmhäusern führte.

Der junge Mann schaute der Forteilenden mit trüben Blicken nach und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Da hörte er hinter sich einen leichten Schritt; er wandte sich lebhaft um und breitete die Arme gegen die Geliebte aus. Aber Katharine schüttelte das schöne Haupt; ihre dunklen Augen, in denen noch die Spuren frisch gemeinter Tränen glänzten, ruhten groß und forschend auf seinem Antlitz.

„Um Gotteswillen,“ rief Lambert; wie blickst Du so eigen, Katharine! was gehen uns die Andern au! !Ich liebe Dich ja!“

„Und ich Dich!“ sagte Katharine; „aber es muss doch geschehen!“

„Was muss geschehen, Katharine, geliebte Katharine!“ rief Lambert.

„Komm,“ sagte das Mädchen, „lass uns hier niedersitzen und ruhig, recht ruhig mit einander sprechen.“

Sie setzte sich auf den Stamm einer umgesunkenen Tanne und blickte sinnend vor sich hin.

Lambert hatte an ihrer Seite Platz genommen; er wagte nicht ihre Hand zu ergreifen. Er wollte reden; aber bevor er noch das rechte Wort finden konnte, hob Katharine die Augen auf und sagte:

„Sieh, Lambert, was Du an mir armem Mädchen getan, das ist so viel und so schön, und ich konnte nicht anders tun, als Dir das Einzige geben, was ich habe: mein Einziges und mein Alles, und Dich lieben mit allen Kräften meiner Seele und mit jedem Blutstropfen in meinem Herzen. Ich konnte nicht anders und ich will nicht anders, und so wird es sein, so lange ich lebe und über das Leben hinaus in alle Ewigkeit. Aber, Lambert, es war nicht recht von mir, dass ich zu dem Vielen und Schönen, das Du mir gegeben, nun auch noch Deine Liebe nahm. Ich fühlte es von dem ersten Tage an und ich habe versucht, Dich meine Liebe nicht merken zu lassen, und ich darf jetzt sagen: es ist mir schwer genug geworden.“

Katharines Stimme zitterte, aber sie hielt die Tränen, die ihr aus den Augen brechen wollten, zurück und fuhr also fort:

„Ich fühlte es von Anfang an und tausend und tausendmal habe ich mir gesagt und gelobt: ich will seine Magd sein und ihm dienen und seinen Eltern und Geschwistern, und wenn er dereinst eine Gattin heimführt, auch der und seinen Kindern; und so helfen, was ich kann, zu seinem Glück und Aller, die ihm nahe sind. Und als ich nun gestern erfuhr, dass Du keine Eltern mehr hattest, da bin ich geflohen, da habe ich fliehen wollen. Weil mir eine dunkle Stimme, die ich jetzt erst recht verstehe, sagte, dass es kommen würde, wie es nun gekommen ist, und dass es so nicht kommen dürfe. Ich habe der Stimme meines Gewissens nicht gehorcht und die Strafe folgt auf dem Fuße. Dein Bruder grollt Dir— um meinethalben; Deine Base ist im Zorn von Dir geschieden —um meinethalben. Welch' ein schlechtes Mädchen müsste ich sein, könnte ich das ruhig mit ansehen! mit ansehen, wie ich Dich unglücklich mache, die ich mein Blut tropfenweise für Dich hingeben würde! und deshalb muss es geschehen. Du hast mir erlaubt, zu gehen, wohin ich will; so will ich denn gehen, und Gott wird meine Schritte lenken.“

Sie hatte sich bei diesen Worten erhoben, die Hände unter dem Busen gefaltet, bleich, die tränenlosen Augen in die Ferne gerichtet.

Da stand Lambert plötzlich vor ihr und ihre Augen trafen die seinen, die in einem wunderbar klaren, stetigen Licht erglänzten.

„Katharine!“

Mehr sagte er nicht; aber, so oder so, es war das rechte Wort, und es war der rechte Ton; ein inniger Ton voll sanften Vorwurfs und doch so fest, so treu! Und in dem Herzen des Mädchens hallte der Ton wieder: Katharine! und erfüllte ihre Seele mit süßer Wonne. Was sie eben geredet in dem bittern Gefühl ihres verletzten Stolzes, in der schmerzlichen Überzeugung, dass sie das eigene Glück dem Glücke des Geliebten unterordnen müsse — es war ja nur eitel Hauch wie des Windes Wehen oben durch die rauschenden Wipfel der Tannen und unten über die nickenden Grashalme der Wiese. Die Tannen stehen fest und die Gräser richten sich wieder auf und Alles ist, wie es vorher war. Ja, schöner, herrlicher denn vorher! Was war jetzt ihr Stolz, als eine kleine Gabe mehr, die sie dem Geliebten darbrachte, der nicht glücklich sein wollte, ohne sie, nur glücklich sein konnte mit ihr! Das sagte ihr Lambert wieder und wieder, und sie sagte ihm, dass Trennung von dem Geliebten und Tod für sie dasselbe sei, und dass sie nimmer wieder daran denken wolle, sondern nur, wie sie für ihn leben, wie sie mit ihm glücklich sein könne.

So saßen sie lange Zeit am Rande des Urwaldes im Schatten der ehrwürdigen Bäume, vor sich die sonnenbeglänzte Prärie mit den nickenden Blumen und Gräsern; einsam, weltverloren; im Flüsterton sprechend, als dürften es die bunten Schmetterlinge nicht hören, die sich über den Blumen wiegten und haschten, und wenn ein Vogel, der zufällig vorbeigeschwingt kam, einen Warnruf hervorstieß, selbst erschrocken zusammenfahrend, und dann selig lachend, dass sie allein waren und sich wieder in die Arme sinken und sich sagen durften, was sie schon hundertmal gesagt hatten, und doch zu sagen und zu hören nicht müde wurden.

Und dann schmiedeten sie Pläne für die Zukunft, weitschauende Pläne; wie sie im Herbst noch mindestens fünf Acker urbar machen, und das Kalb, das Base Ursel noch in Pflege hatte, jedenfalls selbst behalten müssten. Und ob es nicht das Beste wäre, in dem oberen Stock des Hauses, so weit er nicht als Vorratsboden gebraucht würde, eine kleine Wohnung herzurichten, wo dann freilich auch die Treppe neu gemacht werden müsste, die sehr schmal und steil war. Auch fehlte es noch an einem eigentlichen Garten, in welchem man Gemüse ziehen könnte, und Stachelbeeren und Johannisbeeren, auch eine Gaisblatt-Laube dürfe nicht fehlen, wie Katharine sie in dem väterlichen Garten in der Heimat gehabt; nur dass Lambert nicht ganz sicher war, ob er unter Gaisblatt dasselbe verstand wie Katharine.

Die höher steigende Sonne mahnte zur Heimkehr. Lambert mochte sich nicht von dem Walde trennen, in dessen Schatten ihm die ganze Fülle seiner Seligkeit offenbar werden; aber Katharine sagte: „Nein, Lambert, Du darfst um meinethalben nicht eine der Pflichten versäumen, die Dir obliegen; sonst haben ja Deine Freunde recht, wenn sie es für ein Unglück halten, dass Du Dich des armen Mädchens angenommen hast. Und so musst Du noch heute zu Deinen Nachbarn reiten und sie begrüßen. Sie würden es Dir übel deuten, tätest Du es nicht, und sie hätten ein Recht dazu. Du bist ihnen schuldig, von Deiner Reise zu berichten, die Du ja zu ihrem Besten nicht weniger, als in dem eigenen Interesse gemacht. Sie werden sich freuen, Dich wiederzusehen, und zu hören, dass Alles so gut abgelaufen ist.“

„Und wo lasse ich Dich in der Zwischenzeit?“ fragte .Lambert, während sie jetzt langsam am Bache hin dem Hause zuschritten.

„Wo die Frau hingehört: zu Hause;“ erwiderte Katharine.

„Ich ließe Dich nur ungern da;“ sagte Lambert. „Ich glaube nicht, dass ich vor Abend zurück sein könnte, wenn ich mich auch noch so sehr beeilte. Es sind zwei Meilen bis zu Adam Bellinger, der zunächst am Ausflusse des Creek wohnt, und der letzte von uns Sechsen ist, die wir die Petition an den Gouverneur eingereicht haben. Und unterwegs müsste ich noch dreimal anhalten, oder viermal, denn ich würde dem alten Ohm Dittmar doch nicht vorbeireiten dürfen. Und so lange kann ich Dich unmöglich allein lassen, jetzt, wo die Franzosen sich wieder regen, und ich gar nicht einmal weiß, wie weit sie schon gekommen sind.“

„Da ist guter Rat teuer,“ sagte Katharine, schelmisch lächelnd. „Du kannst mich doch auch nicht mitnehmen, heute, nachdem Du gestern einen großen Umweg gemacht hast, nur damit die Nachbarn nicht sehen sollten. Welch' wunderliche Rarität Du von Deiner Reise mit-gebracht.“

„Und doch wird es nicht anders gehen,“ sagte Lambert, der die kleine Neckerei, die ihm einen Kuss eingetragen, leicht verschmerzte; „Wenn auch nicht den ganzen Weg, so doch wenigstens bis zu Dittmars.“

Katharines dunkle Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. „Du bist ganz sicher, dass ich dort wohl aufgenommen würde?“ fragte sie leise.

„Ganz sicher,“ sagte Lambert eifrig; „um so sicherer, als die Base vorhin so unfreundlich gegen Dich gewesen ist. Wie ich sie kenne, hat sie jetzt keinen eifrigeren Wunsch, als das wieder gut zu machen. Glaub' mir, Katharine, ein braveres Herz als Base Ursels kann nicht gefunden werden, wenn sie auch das schwere Schicksal, das sie betroffen, ein wenig seltsam und ungeberdig gemacht hat.“

„Erzähle mir das!“ sagte Katharine.

„Es ist eine entsetzliche Geschichte,“ sagte Lambert, „und ich erzählte sie Dir lieber nicht, aber Du wirst anders über die Base denken, wenn Du sie erfahren hast, und so mag es sein.

„Es sind nun dreizehn Jahre her, im Jahre vierundvierzig, und ich war damals neunzehn, als zwischen den Engländern und Franzosen der Krieg losbrach, den sie den König-Georgs-Krieg nennen. Weder die Engländer, noch die Franzosen konnten viel Männer aufbieten und so mussten sie sich wohl auf die Indianer verlassen, die jede Partei auf alle Weise für sich zu gewinnen und gegen den Gegner zu hetzen suchte. Nun hatten die Engländer zwar ein Bündnis von alters her mit den sechs Nationen, aber jetzt fingen auch die an zu schwanken und sich den Franzosen zuzuneigen, die ihnen besser zu schmeicheln wussten. So fielen manche ab und machten offen oder heimlich gemeinschaftliche Sache mit unseren Feinden; die Unsicherheit nahm täglich zu; keiner war seines Lebens sicher. Wir Deutsche hier am Mohawk und besonders am Creek waren nun allerdings noch immer verschont geblieben, aber die Gefahr kam uns näher und näher, und damals war es, wo wir uns daran gewöhnten, mit der Büchse auf der Schuler an unsere Arbeit zu gehen, und wo der Vater unser Haus, das bis dahin ein offenes Blockhaus gewesen, mit mir und ein paar Schwarzen aus Virginien, die er zu dem Zwecke angeworben, so befestigte, wie es jetzt ist. Nikolaus Herckheimer am Mohawk und einige Andere folgten seinem Beispiel; die Meisten aber nahmen die Sache leichter und sagten: die Franzosen und Indianer sollen nur kommen, sie wollen ihnen schon die Wege weisen und sie mit blutigen Köpfen heimschicken. Darüber gerieten sie in Streit und Unfrieden mit dem alten Ohm Dittmar, der immer voll von Wut und grimmigen Hass gegen die Franzosen war, die er schon drüben kennen gelernt und die seine Eltern schon dort von Haus und Hof gebrannt und getrieben hatten. Es sei eine Schande, dass nur Jeder an sich selbst denke, Alle müssten sich zusammentun, hier und am Mohawk am Schoharie, und wo nur immer Deutsche säßen, und müsste keiner zu Hause bleiben, der eine Büchse abschießen könne, und so sollten wir den Franzosen entgegengehen und ihnen auf ihrem eigenen Gebiet heimzahlen, was sie früher und später an uns verübt. Der alte Mann hatte vielleicht Recht, aber es hörte Keiner auf ihn. So kam das Jahr sechsundvierzig, wo die Franzosen mit ihren Indianern durchs Mohawk-Tal bis nach Albany und Shenectady vordrangen, und zerstörten und raubten, was sie fanden. und töteten und skalpierten, was ihnen in den Weg kam und jeden nur denkbaren Gräuel verübten. Da hielt es den Ohm nicht länger. Er zog aus mit seinen vier Söhnen, meinen Vettern, von denen der älteste sechsundzwanzig und der jüngste neunzehn war, und Base Ursel wollte nicht zu Hause bleiben, und ist, die Büchse auf der Schulter, wie Du sie vorhin gesehen, mitgezogen, und haben auf ihre eigene Faust Krieg geführt, und viele Franzosen und Indianer getötet, bis sie eines Tages, als sie in einem kleinen Gebüsch auf offener Prärie Rast gemacht, unversehens von allen Seiten überlaufen sind. Da hat die Base ihre Söhne, einen nach dem andern, fallen sehen, während sie nur immer die Gewehre lud, und zuletzt ist der alte Dittmar auch von einem Streifschuss getroffen und für tot ihr vor die Füße gesunken. Und Base Ursel hat das Gewehr, das sie eben geladen, noch einmal abgeschossen und einen Franzosen niedergestreckt, und hat's beim Lauf ergriffen und ist mit hochgeschwungenem Kolben aus dem Gebüsch herausgestürzt und hat um sich geschlagen, dass selbst die Indianer vor Verwunderung über so viel Tapferkeit sie nicht haben töten mögen, und sie überwältigt und geknebelt und als Gefangene mit sich geschleppt haben, und ebenso den Ohm, der noch Lebenszeichen von sich gegeben, als ein Indianer ihm die Kopfhaut schon halb abgezogen hatte. Vielleicht hat man sie auch nur zu einem spätem qualvollen Tode aufsparen wollen, aber so weit ist es denn, Gott sei Dank, nicht gekommen, da der Trupp, der sie mit sich geführt, wieder seinerseits von einem andern Stamm, der es mit den Engländern hielt, überfallen und bis auf den letzten Mann niedergemacht ist. So kam denn die Base nach ein paar Monaten wieder, ihrer stattlichen Söhne beraubt, mit ihrem Manne, der seiner Sinne nie wieder ganz mächtig geworden, und Wochen und Monate, ohne ein Wort zu sprechen, so hinlebt, wenn er auch seine Arbeit verrichtet, wie ein Anderer.“

Lambert schwieg; Katharine nahm seine Hand, die sie zärtlich drückte und fest hielt.

So gingen sie Hand in Hand am Bache hin, hier und da ein Sommerentenpaar aufscheuchend, das aus dem Röhricht hervorbrach und pfeilschnell waldwärts strich. In dem kristallklaren Wasser sprangen die Fische, die Binsen flüsterten, die Blumen und Gräser aus der Prärie nickten in dem lauen Wind, die Sonne schien goldig herab, aber den Beiden war, als wäre ein Schleier über den hellen Frühlingsmorgen gefallen.

„Ich wollte, ich hätte Dir das nicht erzählt, gerade heute nicht,“ sagte Lambert.

„Und ich danke Dir, dass Du es getan,“ sagte Katharine; „es würde zuviel der Seligkeit sein, wäre unser Glück ohne allen Schatten. Und hast Du mich nicht gefunden, hilflos, verlassen, bettelarm, von Sorge und Gram zu Boden gedrückt, und Dich keinen Augenblick besonnen, und Deine Hand ausgestreckt, mich aus dem Staube aufzulesen? so will ich sie festhalten Deine liebe Hand, und Dir die Sorgen und die Last des Lebens tragen helfen, und mit Dir in den Kampf gehen, wenn es sein muss. Wie es die gute Base Dittmar getan hat, die Gott für ihre Bravheit segnen möge, und der ich das Unrecht, das ich ihr im Herzen getan, von Herzen abbitte. Jetzt kann ich mir denken, weshalb sie, die so Ungeheures erfahren, nicht, wie sonst wohl gute Menschen, sich über ein Glück, das vor ihren Augen sich entfaltet, von Herzen freuen kann. Die Arme! sie glaubt nicht mehr an Glück!“

„Vielleicht ist es noch etwas Anderes“, sagte Lambert nachdenklich, und fuhr nach einer kleinen Pause fort: „sieh, Katharine, ich liebe Dich so sehr und habe so lange geschwiegen, dass ich Dir nun Alles und Alles sagen möchte, was durch meine Seele geht. So will ich Dir auch das noch sagen, ich weiß es nicht, aber ich glaube, die Base sähe es lieber, wenn Konrad an meiner Stelle wäre. Sie hat es nie vergessen, dass sie den jungen als kleines hilfloses Geschöpf auf ihren Armen getragen und sie hat ihn immer geliebt, als wäre sie seine Mutter gewesen. So hat auch Konrad an ihr gehangen und um der Dittmars Willen ist der Streit ausgebrochen zwischen Konrad und unserem Vater, da Konrad durchaus mit den Dittmars ziehen wollte, und der Vater es dem elfjährigen Jungen verbot. und hat doch der selbe Indianerstamm, zu welchem Konrad geflohen war, die Dittmars errettet; ja, ich glaube, er ist selbst dabei gewesen. Doch ich weiß es nicht; denn er hat nie ein Sterbenswort darüber gesprochen, und auch die Base nicht, der er es wohl verboten haben mag. Das Alles hat ihm die Base nicht vergessen.“

„Und soll es auch nicht,“ erwiderte Katharine lebhaft. „Sieh, Lambert, jetzt, da wir uns ehrlich gesagt haben, dass wir uns lieben, ist mir gar nicht mehr so bänglich ums Herz. Wir müssen nun auch gegen die Andern ebenso ehrlich sein. Die Base weiß es, sagst Du, und sie wird sich darein finden: so muss es auch Konrad wissen, und er wird Dir nicht länger zürnen. Es klingt vielleicht ein wenig keck, aber wenn ich ihm wirklich gefalle — lass mich nur machen, Lambert; ich will Dir den jungen Bären schon zähmen.“

Lambert schüttelte den Kopf, und musste doch auch wieder lächeln, wie er jetzt in das Antlitz der Geliebten schaute, das wieder wie vorhin von Heiterkeit erglänzte. Ja, ja. Wer könnte ihr widerstehen! wer sollte nicht gern und wütig tun, was sie wollte!

Sie waren bei dem Blockhause angelangt und traten, Hand in Hand, durch die offene Tür. Lambert schaute so verwundert in dem Raum umher, als sähe er denselben zum ersten Male. Und in der Tat hatte er ihn nie so gesehen. Da hingen und standen auf den Regalen um den Herd schmuck und blank die Kessel und Töpfe und Krüge, die sonst immer wirr durcheinander fuhren: auf dem Herd selbst glimmten unter der Asche die Kohlen, die nur entfacht zu werden brauchten; sorgsam geschichtet lag das Brennholz daneben. Der Tisch war tadellos gescheuert, die Stühle ordentlich herangerückt, die Dielen mit weißem Sand bestreut. Die Jagd- und Fischgeräte hingen wie zum Schmuck an der Wand; der kleine Spiegel, der sonst verstaubt und verblindet in einer dunklen Ecke lehnte, hatte eine schickliche Stelle gefunden zwischen den Silhouetten der Eltern, die mit einfachen Kränzen umwunden waren.

„Du Beste!“ sagte Lambert, indem er die Geliebte voll Rührung in die Arme schloss; „Du wirst unser Aller guter Engel sein.“

„Dazu helfe mir Gott!“ erwiderte Katharine, „und nun, Lambert, müssen wir an unsere Obliegenheiten denken. Während Du gehst und den Hans fütterst, mache ich unser Mittag zurecht und nach Tische brechen wir auf; denn ich nehme an, dass Du mich mitnimmst. Und nun, nicht länger geplaudert; wir haben schon zu viel Zeit vertändelt.“

Sie trieb den Geliebten unter Küssen und Schelten hinaus und wandte sich dann zu ihrer Arbeit, die sie munter förderte, ob sie gleich manchmal die Hände aufs Herz drücken musste, das für Glück und Seligkeit schier zerspringen wollte. Wohin sie blickte — überall schwebte vor ihrem inneren Blick das Bild des Geliebten; die treuen, guten, schwermütigen Augen, das braune Gesicht mit den schönen, reinen Zügen, die kräftige Gestalt, die sich so ruhig sicher bewegte! Und durch das Knistern des Feuers, durch das ernsthafte, gleichmäßige Ticktack der alten Schwarzwälder Uhr — immer glaubte sie seine tiefe, freundliche Stimme zu hören; und sie wiederholte im Geiste die Worte, die er zu ihr gesprochen, und schauderte vor Wonne, wie ihr Name von seinen Lippen klang: Katharine! So hatte man sie ja immer gerufen: der Vater, die Freunde, die Nachbarn, alle Welt, und doch war ihr, als hatte sie nie ihren Namen gehört, als habe sie heute erst den Namen empfangen: Katharine!

Ach! es war ja Altes so ganz anders, und so viel schöner gekommen, als sie je gehofft! Wie verzweifelt hatte sie mit starren Augen, die schon zu weinen verlernt hatten, vom Bord des Marterschiffes auf das Land geschaut, das ihr nun nichts mehr bringen konnte, nur entsetzliches, unausdenkbares Elend! Wie unglücklich hatte sie sich noch gestern bei der Ankunft, noch heute Morgen gefühlt! und jetzt! durfte sie denn wirklich glücklich sein! so glücklich, dass ihr der liebe, tote Vater selbst, wenn er noch lebte, nichts Besseres, nichts Schöneres hatte wünschen können!

Katharine beugte ihr Haupt und faltete betend die Hände, und schaute mit verklärtem Blicke auf: „Ja“,. sagte sie leise vor sich hin: „er würde unsern Bund gesegnet haben mit seinem väterlichen und priesterlichen Segen. Ich darf mich die Seine nennen vor den Menschen, wie ich es bin vor Gott und in meinem Herzen. Und wenn kein Freund da ist, sich mit uns zu freuen, und keine Freundin, mir Glück zu wünschen — ich bin darum nicht weniger die Seine, er ist darum nicht weniger mein. Aber ich will mir alle Welt zu Freunden machen: die wunderliche Alte und den wilden Konrad. Ich fürchte mich jetzt vor Niemand mehr und vor Nichts.“

So sprach Katharine bei sich, während sie den Tisch deckte und schrak doch zusammen, als sich ganz plötzlich Pferdegetrappel vor dem Hause vernehmen ließ und eine fremde Männerstimme laut: „He holla, Lambert Sternberg!“ rief.

Zitternd legte sie die Teller nieder und trat in die Tür, nach dem Rufer zu sehen, der abermals sein: „He, holla, Lambert!“ erschallen ließ.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Pioniere