Fortsetzung

Eine notwendige Begleiterscheinung war es, dass in dem Augenblick — am Ende des achtzehnten Jahrhunderts — , wo die Gedankenmalerei mit selbstherrlichem Anspruch auftrat, der Eklektizismus geboren wurde. Als deutsche Maler es unternahmen, den Mythos neu zu denken und der im Barockzeit alter zu einem Dekorationshandwerk entwerteten Malerei geistige Bedeutung zurückzugeben, da luden sie auf ihre zarten Schultern eine Arbeit, der sie nur mit Hilfe des Eklektizismus notdürftig gerecht werden konnten. Unter dem kategorischen Imperativ der Ideen stehend, hatten sie nicht mehr Kraft, sich die Wunder der Erscheinung und die technischen Kunstmittel, sie darzustellen, neu zu erobern. Da es nun aber ohne künstlerische Anschauungswerte keine Malerei geben kann, da zum Bilde nun doch einmal nicht nur Ideen und Tendenzen, sondern auch die in allen Teilen lebendige Form gehört, so kam es ganz von selbst dazu, dass sich die malenden Religionsschwärmer, Poeten und Geschichtsdenker mit Bettlergebärden der alten großen, einst aus lebendigster Anschauung geborenen Malerei zuwandten. Der Eklektizismus musste zugleich mit der Herrschaft des Gedankens in die Kunst kommen, und er muss stets wieder kommen, wo immer diese Herrschaft sich erneuert.

Es liegt der deutschen Gedankenmalerei des neunzehnten Jahrhunderts ein tiefer Sinn zugrunde. Eine edle Sehnsucht, ein sehr reines Streben, ja sogar ein sehr richtiger Instinkt liegt ihr zugrunde. Denn zusammenfassend kann man alle die verschiedenartigen Bestrebungen der neueren Gedankenmalerei dahin charakterisieren, dass sie auf den leidenschaftlichen Wunsch nach dem neuen, volksumfassenden Mythos zurückgehen, nach jenen Quellen der Volksphantasie also, aus der der Malerei die bedeutenden Stoffe von selbst immer zufließen. Das Tragische dieser Sehnsucht ist nur, dass die machtvollste Anstrengung ihr nicht Erfüllung erzwingen kann, weil niemals der einzelne zu tun vermag, wozu es der jahrhundertelangen Zusammenarbeit des ganzen Volkes bedarf, und weil den heraufdämmernden neuen Jahrhunderten Grundlagen gemeinsamer geistiger Weltanschauung selbst bis heute noch nicht bereitet werden konnten. Und weil der einzelne ohnmächtig ist dem gegenüber, was nur im Unbewussten der Nation werden und wachsen kann, so hat auch in diesem Fall das reinste Streben zu Resultaten gelangen müssen, die nur zum kleinen Teil wahr, lebendig und allgemeingültig sind. Nicht genug also, dass die wichtigere Hälfte der Malerei von den Gedankenkünstlern vernachlässigt werden musste, auch die andere Hälfte konnte nur künstlich getan werden; nicht genug, dass die Idee die lebendige Anschauung verdrängte, diese Idee musste notwendig auch künstlich bleiben und in der Folge darum zum Tendenzvollen geraten. Der Drang zum Mythos trieb die einen zum Christentum, die andern zur Geschichtsphilosophie und noch andere zu einer pantheistischen Naturmystik. Da der Drang in keinem Fall aber das lebendig Legendarische gestalten konnte, traten wie von selbst an die Stelle des Mythos Allegorien und Symbole. Allegorien, die sich einmal altdeutscher Kunstmittel bedienten, ein andermal griechischer Stilformen, oder die sich in Renaissancegewänder kleideten. Es musste Hand in Hand mit der Vermischung von Religion, Philosophie, Philologie, Poesie und Malerei notwendig eine Vermischung historischer Kunstformen gehen. Und dieses Epigonentum musste das Kunstgefühl im tiefsten erschüttern. Um so mehr, als es herrschsüchtig war. In ihm lagen alle Eigenschaften des Akademismus, darum eroberte es bald die Akademien; es trug das Ideal, allem Volke sichtbar, vor sich her und wurde so zum Repräsentanten des nationalen Idealismus, weil die Nation das Wollen für ein Können nahm und weil diese Kunst ihrem Wollen nach wirklich groß und edel war. Sie musste Herrschaft gewinnen, weil sie die Sensation in die Massen trug, weil ihre Stoffgedanken tendenzvoll, räsonierend auftraten und zum Allegorienraten anreizten, weil im Gefolge der Idee der Gedankenrausch und die Romantik einhergingen, weil sie wie eine Maxime vor die jungen Künstler hingestellt und wie ein Moralkodex gelehrt werden konnte.
032 Bildnis der Stiefmutter des Künstlers. Anselm Feuerbach (1829-1880)

032 Bildnis der Stiefmutter des Künstlers. Anselm Feuerbach (1829-1880)

034 Virginia (Nanna). Anselm Feuerbach (1829-1880)

034 Virginia (Nanna). Anselm Feuerbach (1829-1880)

043 Mädchenbildnis. Franz Krüger (1797-1857)

043 Mädchenbildnis. Franz Krüger (1797-1857)

020 Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod. Arnold Böcklin (1827-1901)

020 Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod. Arnold Böcklin (1827-1901)

028 Rheinfall bei Schaffhausen. Hans Thoma (1839-1924)

028 Rheinfall bei Schaffhausen. Hans Thoma (1839-1924)

047 Die Netzflickerinnen. Max Liebermann (1847-1935)

047 Die Netzflickerinnen. Max Liebermann (1847-1935)

045 Das Balkonzimmer. Adolph von Menzel (1815-1905)

045 Das Balkonzimmer. Adolph von Menzel (1815-1905)

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