Kapitel 01 - Szene zwischen Friedrich dem Großen und Ziethen. - nach Vehse.

Nach dem glücklich beendeten Siebenjährigen Krieg sah Friedrich unter seinen Tischgenossen vorzüglich gern den alten General Ziethen. Wenn gerade keine fürstlichen Personen zugegen waren, mußte Ziethen immer an der Seite des Königs sitzen. Einstmals hatte er ihn auch zum Mittagessen am Karfreitag eingeladen, aber Ziethen entschuldigte sich; er könne nicht erscheinen, weil er an diesem hohen Festtag immer zum heiligen Abendmahl gehe und dann lieber in seiner andächtigen Stimmung bleibe; er dürfe sich darin nicht unterbrechen und stören lassen. Als er das nächste Mal zur königlichen Tafel in Sanssouci erschien und die Unterredung wie stets einen heiteren, fröhlichen und geistreichen Gang genommen hatte, wandte sich der König mit scherzender Miene an seinen Nachbar. „Nun, Ziethen,“ sagte er, „wie ist Ihm das Abendmahl am Karfreitag bekommen? Hat Er den wahren Leib und das wahre Blut Christi auch ordentlich verdaut?“ Ein lautes spöttisches Gelächter schallte durch den Saal der fröhlichen Gäste. Der alte Ziethen aber schüttelte sein graues Haupt, stand auf, und nachdem er sich vor seinem König tief gebeugt, antwortete er mit fester Stimme: „Eure Majestät wissen, daß ich im Kriege keine Gefahren fürchte und überall, wo es darauf ankam, für Sie und das Vaterland mein Leben gewagt habe. Diese Gesinnung beseelt mich auch heute noch, und wenn es nützt und Sie es befehlen, lege ich meinen Kopf gehorsam zu Ihren Füßen. Aber es gibt einen über uns, der ist mehr als Sie und ich und mehr als alle Menschen, das ist der Heiland und Erlöser der Welt, der für Sie gestorben und uns alle mit seinem Blut teuer erkauft hat. Diesen Heiligen lasse ich nicht antasten und verhöhnen, denn auf ihm beruht mein Glaube. Mit der Kraft dieses Glaubens hat Ihre brave Armee mutig gekämpft und gesiegt. Unterminieren Eure Majestät diesen Glauben, so unterminieren Sie die Staatswohlfahrt. Das ist gewisslich wahr. Halten zu Gnaden.“

Die Tafelgesellschaft war totenstill geworden. Der König war sichtbar ergriffen. Er erhob sich, reichte dem General die rechte Hand, legte die linke auf seine Schulter und sagte: „Glücklicher Ziethen! Möchte ich es auch glauben können! Ich habe allen Respekt vor Seinem Glauben. Bewahre Er ihn. Es soll nicht wieder geschehen.“


Kein Mensch hatte den Mut, ein Wort weiter zu reden. Auch der König fand zu einem andern Gespräch keinen schicklichen Übergang, er hob die Tafel auf und gab das Zeichen zur Entlassung. Dem General Ziethen befahl er:

„Komme Er mit in mein Kabinett.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Charaktere und Begebenheiten