Abschnitt 3

sechster Teil


Kaum hatte er sich eine Meile westwärts entfernt, als ich gleichfalls unter Segel ging. Es gab einen starken fliegenden Sturm, der uns zwar mächtig vorwärts brachte, aber auch die Luft mit dickem Schneegestöber erfüllte. Ich verlor den Schweden bald aus dem Gesichte. Dies Wetter hielt bis zum andern Morgen um neun Uhr an. Wir kamen dicht an das Land von Stevens. Zu unsrer nicht geringen Verwunderung sahen wir das Schwedenschiff auf dem Strande liegen. Die Sturzwellen rollten unaufhörlich drüber her, die Mannschaft hing kümmerlich in den Masten.


Ich selbst hatte alle Not und Mühe, einem gleichen Schicksal zu entgehen und über die Landspitze von Stevens hinauszukommen. Endlich gelang es. Ich erreichte die Kiögerbucht, sah mich aber genötigt, vor stehenden Segeln zu ankern. Am nächsten Morgen schlug der Wind nach Süden um. Ich steckte eine Notflagge auf, um Hilfe vom Land zu erhalten. Mit meinen Leuten allein konnte ich nicht fertig werden. Glücklicherweise eilten auf dies Zeichen zwei Boote mit fünfzehn Mann von Dragoe herbei. Mit ihrer Hilfe erreichte ich glücklich die Reede von Kopenhagen. Während ich mein Schiff wieder instand setzte, langte auch die Mannschaft des schwedischen Schiffes an. Das Schiff selbst war gänzlich verloren gegangen.

In Bordeaux glücklich angelangt, bekam ich eine Fracht von Wein und Zucker, die für Hamburg bestimmt war.

Hier in Hamburg fand ich eine neue Ladung für mich nach Lissabon. Von der Reise selbst ist nichts Besonderes zu berichten. In Lissabon besorgte seit langem der Korrespondent John Bulkeley die Geschäfte des Großschen Hauses. Eines Tages war ich von ihm zur Mittagstafel eingeladen. Auf dem Wege zu ihm kam ich über einen großen Platz, wo ich bereits aus der Ferne ein großes Menschengedränge bemerkte. Ich trat näher und sah ein riesiges Zelt, auf dessen Spitze zu meiner Verwunderung die preußische Flagge wehte.

Das mußte ich mir natürlich genauer ansehen. Ich drängte mich mit Mühe durch den Menschenhaufen, bis ich zum Eingang des Zeltes kam. Dort standen ein paar baumhohe preußische Grenadiere mit ihren hohen blanken Spitzmützen. Fast hätte ich die braven Landsleute hier unter fremdem Himmel treuherzig begrüßt, als ich noch zu rechter Zeit bemerkte, daß mich ein paar Wachspuppen getäuscht hatten. Anscheinend stand ich am Eingang eines Wachsfigurenkabinetts, dem diese martialischen Gestalten nur als Aushängeschild dienten. Neugierig beschloß ich einzutreten. Hinter solchen Türhütern mußte wohl noch mehr stecken, und so war es auch wirklich!

So getreu und natürlich, als ob er lebte, stand mitten im Zelt der alte König Friedrich. Ein Richterschwert hielt er in der Hand, und vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kindern auf den Knien, die um Gerechtigkeit zu flehen schienen. Ihm zur Rechten war eine große Waage angebracht. In der einen Schale dieser Waage thronte eine Bildsäule der Gerechtigkeit, welche die andre, die mit Papieren und Akten angefüllt war, in die Höhe gehoben hatte. Zur andern Seite stand eine Gruppe preußischer Generale und Justizpersonen. Im Hintergrunde sah man in großen leuchtenden Buchstaben und in portugiesischer Sprache ein Schild: „Gerechtigkeitspflege des Königs von Preußen“. Darunter aber stand der Name „Arnold“. - Hier war also der berühmte Prozeß des Müllers Arnold dargestellt, der damals in ganz Europa Aufsehen erregt hatte. Wem dennoch das Ganze unverständlich blieb, dem half ein Ausrufer, der die Geschichte laut und pathetisch herzuerzählen wußte.

Alles horchte und schien tief davon ergriffen. Auch mir hämmerte das Herz. Ich wußte mich kaum zu fassen, ich drängte mich dicht an die Gruppe heran, und so gut ich die fremde Sprache radebrechen konnte, rief ich: „Mein König! Ich bin Preuße!“ - Diese wenigen Worte fielen den Menschen, die um mich waren, wie Feuer in ihre Herzen. Die ganze Schar umringte mich, sank auf die Knie und hob die Hände zu mir empor. „Gloria dem König von Preußen!“ rief der eine. - „Heil ihm!“ der andre. - „Heil für die strenge Gerechtigkeit!“ „Leuchtendes Beispiel für alle Regenten der Erde! Heil ihm!“ Mit jedem Augenblicke vermehrte sich das Geschrei und Getümmel.

Die Tränen drängten sich mir aus den Augen. Ich neigte mich rings herum; ich legte die Hand aufs Herz; ich dankte stammelnd und suchte einen Ausweg durch die Menge. Zwar machten sie mir willig Platz, aber sie folgten mir und riefen: „Vivat der gerechte König!“ - Nie in meinem Leben fühlte ich mich geehrter und glücklicher, ein Untertan des großen Friedrichs zu sein! Mein Herz ward mir zu schwer.

Endlich wankte ich wieder die Gasse hinauf, aber mit einem Schweife von Menschen hinter mir, der sich mit jedem Augenblick vergrößerte und den König von Preußen laut hochleben ließ. Mit Mühe flüchtete ich mich in das Haus meines Korrespondenten.

Hierauf erzählte ich meinen Tischgenossen das wunderbare Erlebnis. Ich berichtete auch die Arnoldsche Prozeßgeschichte, so gut sie mir bekannt war. Einer von den Kontoristen versicherte jedoch, über diesen Gegenstand noch genauere Auskunft geben zu können. Er holte eine kleine portugiesische Flugschrift, die in geschichtstreuer Darstellung dem Gerechtesten der Könige bei diesem Volke ein verdientes Ehrenmal setzte.

Einige Tage später sprach mich auf der Börse ein portugiesischer Kaufmann an und bat mich höflich, zu Mittag sein Gast zu sein. Nach der Börsenzeit könne ich dann mit ihm gehen. Ich sagte zu und hatte den Mann kaum aus den Augen verloren, als mehrere Schiffskapitäne mich mit Fragen bestürmten, ob dieser Mann mir etwa bekannter sei als ihnen. Auch sie habe er zu Tische geladen. Ich mußte das verneinen und war gleich ihnen über seinen Einfall sehr verwundert.

Als wir nach der Börsenstunde zusammengerufen wurden, waren wir neun Schiffskapitäne - Dänen, Hamburger, Lübecker, Schwedisch-Pommern und Danziger. Im Hause des Gastgebers fanden wir bereits mehrere Kaufleute versammelt und ein schmackhaftes Mahl bereitet. Es wurde wacker zugelangt und zugleich tapfer getrunken. Unser Wirt verstand die Kunst des Nötigens. Nach aufgehobener Tafel artete es bald in ein Bacchanal aus, wo weder Maß noch Anstand beobachtet wurde. Ich kannte jedoch das Maß, welches ich nicht überschreiten durfte, um bei Verstand und Ehren zu bleiben. Weniger gut kamen die übrigen Herren Kollegen weg. Sie übernahmen sich dergestalt, daß sie zuletzt samt und sonders unter den Tisch sanken.

Etwas verdutzt rieb ich mir am andern Morgen die Augen, als ich unsern Wirt in Begleitung jener Kaufleute bei mir eintreten sah, welche an dem gestrigen Gelage teilgenommen hatten. Sie schüttelten mir die Hand und eröffneten mir lachend: Das gestrige Trinkfest sei von ihnen veranstaltet worden, um unter uns Neunen den rechten Mann zu finden, dem sie als dem solidesten und besonnensten eine Ladung von Wert anvertrauen könnten. Einstimmig wäre die Wahl auf mich gefallen. Und so fragten sie denn, ob ich eine volle Ladung Tee nach Amsterdam übernehmen wolle.

Man kann sich denken, daß ich nicht nein sagte. Es war damals vielleicht eine der reichsten Frachten. Sie konnte nur einer neutralen Flagge anvertraut werden, da nämlich nach und nach auch Holland in den amerikanischen Freiheitskrieg verwickelt worden war und die Engländer alles kaperten, was für einen holländischen Hafen bestimmt und keinen solchen Freipaß hatte. Wir wurden um ein Frachtgeld von sage und schreibe: Fünfunddreißigtausend preußischen Talern einig. Dazu kamen noch fünf Prozent Havarie und zehn Prozent Kapplakengelder. Diese Kapplakengelder sind eine Art Gratifikation, welche der Schiffer von dem Empfänger der Ladung erhält und die gewöhnlich fünf Prozent der Frachtkosten beträgt.

Sowie nun mein Schiff leer war, fing ich an, den Tee einzuladen. Während dieser Zeit suchte mich ein holländischer Kapitän namens Klock auf. Er ersuchte mich, ihn samt seiner Mannschaft als Passagiere mit nach Holland zu nehmen. Da ich sein gutes und rechtliches Wesen erkannte, so stimmte ich von Herzen gerne zu. Ich erbot mich auch, ihm und seinen Leuten bis zu unsrer Ankunft in Amsterdam freie Kost zu geben. Da er mir unterwegs von mannigfachem Nutzen sein konnte, war das Menschen- und Christenpflicht. Dann aber wollte ich auch nicht schlechter an den armen Leuten handeln als der Kaiser von Marokko. Das war nämlich folgendermaßen gewesen:

Kapitän Klock, der in Amsterdam zu Hause war und dessen Schiff Order nach den kanarischen Inseln hatte, fand es der damaligen politischen Lage wegen ratsam, lieber unter der preußischen als unter seiner vaterländischen Flagge zu fahren. Er ging also zuvor nach Emden, gewann dort um eine Kleinigkeit das Bürgerrecht und genoß von dem Augenblick an die Rechte und den Schutz eines preußischen Untertans. So gesichert stach er in See, hatte aber das Unglück, sein Schiff an der marokkanischen Küste durch einen Sturm zu verlieren. Nur kümmerlich rettete er sich mit seinen Gefährten ans Land. Sie wurden zunächst nach Mogador geschleppt und in Ketten gelegt. Ihr Gefängnis war ein schreckliches Loch, wo sie bei Mais und Wasser in schrecklicher Angst über ihr weiteres Schicksal schmachteten. Man hatte sie verständigt: Man wisse nicht, was man mit ihnen und ihrer ans Land getriebenen Flagge beginnen solle. Die Flagge sei daher an das Hoflager des Kaisers gesandt worden; von dort erwarte man ihretwegen eine höhere Verfügung.