Abschnitt 1

siebter Teil


Nach neun Tagen endlich erschien vor ihrem Kerkerloch ein gewaltiger Trupp bewaffneter Mauren. Die Fesseln wurden gelöst. Sie wurden jeder auf einen Esel gesetzt, um eine Reise anzutreten, deren Ziel sie nicht zu erraten vermochten. Sie kamen in die Hauptstadt Markokko. Dort gesellte sich ein deutscher Diener zu ihnen, der sie laut Befehl zu dem Kaiser Muley Ismael führte. Hier wurden sie nach einigen gleichgültigen Fragen aufgefordert, sich als Untertanen des Königs von Preußen auszuweisen. Sie beriefen sich auf ihre Flagge.


„Wohl!“ lautete die durch den Dolmetscher erteilte Antwort des Fürsten. „Von eurem Monarchen, seiner Weisheit und seinen Kriegen sind so viele Wunderdinge zu meinen Ohren gekommen, daß es mich mit Liebe und Bewunderung gegen ihn erfüllt hat. Die Welt hat keinen größeren Mann aufzuweisen als ihn. Als Freund und Bruder habe ich ihn in mein Herz geschlossen.

Ich will darum auch nicht, daß ihr, die ihr ihm angehört, in meinen Staaten als Gefangene angesehen werdet. Vielmehr habe ich beschlossen, euch frank und frei in euer Vaterland heimzuschicken. Ich habe auch meinen Kreuzern anbefohlen, wo immer sie preußische Schiffe antreffen, ihre Flagge zu respektieren und sie selbst nach Möglichkeit zu beschützen.“

Des andern Tages wurden sie auf kaiserlichen Befehl nach maurischer Weise neu gekleidet. Auch wurde ihnen eine anständige Wohnung angewiesen. Den Kapitän aber ließ Muley Ismael fast täglich zu sich kommen, um eine Unzahl von Fragen an ihn zu richten, die sich ausschließlich auf den großen Preußenkönig bezogen. Z.B.: Von welcher Statur er sei? Wie lange er schlafe? Was er esse und trinke? Wieviel Soldaten, auch wieviel Frauen er halte? Und dergleichen mehr. Der gute Klock gestand, er habe lügen müssen, so gut er gekonnt, um der kaiserlichen Neugierde nur einigermaßen zu genügen. Von allen diesen Dingen wußte er natürlich herzlich wenig.

Nach drei Wochen war der Kapitän durch jene Fragen so in die Enge getrieben, daß er um seine Entlassung bat. Er gebrauchte die Ausrede, er müsse eilen, um seinem König Rede und Antwort zu geben, wie gnädig der Kaiser seine schiffbrüchigen Untertanen behandelt habe und was für freundschaftliche Gesinnungen er gegen ihn hege. Muley Ismael entließ sie einige Tage darauf. Unter sicherer Begleitung sandte er sie nach dem Hafen St. Croix. Dort war dem maurischen Befehlshaber bereits aufgegeben, sie auf das erste abgehende europäische Fahrzeug zu verdingen und die Überfahrt für sie zu bezahlen. So gelangten sie nach Lissabon.

Einige Tage vor meiner Abfahrt nahm mich der holländische Konsul von der Börse mit sich nach seiner Wohnung, da er mir etwas Hochwichtiges zu eröffnen habe. Nach beendeter Mahlzeit zeigte er mir ein kleines Päckchen, etwa in der Größe eines Spiels Karten. Er sagte, es sei mit Rohdiamanten gefüllt, die in Amsterdam geschliffen werden sollten. Seine Absicht sei, mir diesen Schatz anzuvertrauen. Es seien dabei, wie üblich, hundertfünfzehn holländische Gulden Fracht für mich zu verdienen. Ich müsse aber das Päckchen unablässig bei mir tragen und niemand von meiner Mannschaft davon sagen.

Die Sache schien mir leicht, und der angebotene Verdienst war wohl mitzunehmen. Ich versprach also, mich vor meiner Abreise bei ihm einzufinden, um jenes kostbare Päckchen in Empfang zu nehmen. Es wurde dann auch in Gegenwart des Konsuls in meine Uhrtasche eingenäht. Leichten Herzens unterzeichnete ich die Quittung über den richtigen Empfang. Allein, sobald ich das Haus verlassen hatte, fing auch meine heimliche Angst und Sorge an, die die ganze Reise über nicht von mir wichen. Ich wähnte, jeder, der mich ansah, wisse um mein Geheimnis und gehe mit dem Gedanken um, mich zu berauben oder gar zu ermorden. Ich kann wohl sagen, daß ich kein Geld mit größerer Unruhe verdient habe.

Im nächsten Frühjahr neigte sich der amerikanische Krieg seinem Ende zu. Dies beeinflußte sofort auch den bisher so lebhaften Handel der Neutralen sehr ungünstig. Auch ich spürte die Folgen; ich mußte beinah den ganzen Sommer auf der Elbe liegen bleiben, ohne irgendeine mir passende Fracht zu finden. Diesen mir aufgezwungenen Müßiggang benutzte ich dazu, meine Papiere in Ordnung zu bringen und mit meinem Patron, Herrn Groß in Stettin, über sämtliche Reisen, die ich bisher für ihn gemacht hatte, abzurechnen. Ich meldete Herrn Groß auch, daß es mir unerträglich sei, mit seinem Schiffe hier noch länger untätig zu liegen und es im Hafen verfaulen zu sehen. Er möge mir gestatten, Ballast einzunehmen und nach Memel zu gehen, wo ich eine Ladung fichtener Balken für eigene Rechnung einzunehmen gedachte. Ich wollte sie nach Lissabon bringen; dort würden sie meiner Erfahrung nach mit Vorteil abzusetzen sein. Als Rückfracht ließe sich im schlimmsten Fall wiederum eine Ladung Seesalz einnehmen und nach Riga führen.

Herr Groß genehmigte diesen Plan. Da ich meine Leute schon im Winter entlassen hatte, nahm ich neues Hamburger Schiffsvolk an und begann meine Reise nach Memel Mitte August. Als wir zur Elbe hinaus und gegen Helgoland kamen, ward das Wetter regnerisch und stürmisch.

Ich änderte meinen Kurs wieder nach Osten gegen das Kattegat. In der Nacht vom 2. zum 3. September überfiel uns ein dermaßen schrecklicher Sturm aus Nordost, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe. Und in dieser Meerenge bedeutete er doppelte Gefahr. Am Abend vorher zählte ich im Umkreise von etwa zwei Meilen nicht weniger als zweiundvierzig Segler, die gleich mir nach dem Sunde steuerten. Der Sturm verstärkte sich von Stunde zu Stunde. Ich konnte schließlich keinen einzigen Lappen Segel führen und mußte mit jeder Woge fürchten, auf eine Klippe zu stoßen, welche es hier meilenweit vom Lande Hunderte gibt. Am nächsten Morgen aber waren von jenen zweiundvierzig Schiffen nah und fern nicht mehr als vierzehn zu erblicken. Gewiß war der größte Teil der fehlenden in dieser entsetzlichen Nacht gescheitert.

Alsbald stieg wieder ein freundliches Wetter auf, das uns glücklich nach dem Sund führte. Und schon am Abend des nächsten Tages gelangte ich mit gutem steifen Wind in Memel an.

Übrigens machte ich in Memel für meinen Patron ein noch besseres Geschäft, als ich gehofft hatte. Anstatt eine Ladung für eigne Rechnung einzunehmen, fand ich Gelegenheit, mit Herrn Kaufmann Wachsen eine leidlich gute Fracht auf Lissabon über eine Partie Schiffsmasten, fichtene Balken und Stangeneisen abzuschließen. Mitte Januar 1783 langten wir diesmal in Lissabon an.

Jetzt mitten im Winter war dort eine vorteilhafte Fracht nicht wieder zu finden. Nach Süden, ins Mittelländische Meer, durfte ich mich nicht wagen, da ich keine Türkenpässe hatte; und in der Nord- und Ostsee hatte der Frost die Schiffahrt unmöglich gemacht. Ich mußte also bis in den Monat März die Hände in den Schoß legen. Da mir auch dann keine Fracht nach meinem Sinne angeboten wurde, entschloß ich mich, eine Ladung Salz für eigne Rechnung zu kaufen und nach der Ostsee zu bringen.

Ich war noch mit dem Einladen beschäftigt, als ein Weststurm mehrere Schiffe von den Ankern trieb. Unter diesen war auch ein unbeladenes portugiesisches Schiff, welches einige hundert Klafter weit vor uns lag. Es rückte meinem Fahrzeug gerade auf den Hals. Da sich dort nur zwei Jungen an Bord befanden, hatten wir Mühe, es nur soweit abzulenken, daß es endlich uns zur Seite zu liegen kam. Trotzdem war bei dem anhaltenden Unwetter nicht zu verhindern, daß es unaufhörlich gegen unsern Bug stieß und drängte. Ich war sehr besorgt, daß beide Schiffe dadurch beschädigt werden könnten. Wir mußten das fremde Fahrzeug von unserm abbringen.

Ich sagte das meiner Mannschaft, und wir machten uns auch sogleich ans Werk. Als wir dazu nun auf das portugiesische Schiff hinübersprangen, bekamen jene beiden Jungen einen Todesschrecken. Sie schrien aus voller Kehle und lockten damit im Nu ihre Landsleute von fünf, sechs der nächstgelegenen Fahrzeuge herbei. Dies Gesindel nahm sich nicht die Zeit, uns anzuhören oder sich mit uns zu verständigen. Augenblicklich gab es ein wildes Zuschlagen auf uns mit Knütteln, Handspaten und Bootshaken, so daß wir auf unser Schiff flüchten mußten.

Doch auch hiermit nicht zufrieden, verfolgten uns unsere Gegner, die die Übermacht hatten, auf unser eignes Verdeck und trieben uns immer mehr in die Enge. Mein Steuermann erhielt einen Schlag, daß er zu Boden stürzte. Ich selbst flüchtete in die Kajüte, während sich meine Leute in ihrem Raum einschlossen, um den Gewalttätigkeiten der Portugiesen nicht mehr ausgesetzt zu sein. Endlich ging die wilde Rotte wieder auf ihre Schiffe zurück. Das portugiesische Schiff aber blieb an meiner Seite liegen. Die ganze Nacht hindurch arbeitete es gegen mein Schiff an und rieb an der Bordwand.

Die Folgen zeigten sich bald. Ganze Planken trieben in Stücken von seiner Seite hinweg; der Fockmast war über Bord gefallen, und der Rumpf neigte sich wie ein zerschelltes Wrack seitwärts. Allein, auch bei mir hatte es Beschädigungen gegeben, die mir die Galle ins Blut trieben. Wie leicht wäre das alles zu vermeiden gewesen, wenn das Recht und die Vernunft nicht der verstandlosen Gewalt hätten weichen müssen.

Als wir zum Tajo herausgekommen waren, stellte sich heraus, daß unser Schiff ein Leck hatte. Das Wasser im Schiff nahm bald so überhand, daß wir unser Fahrzeug mit beiden Pumpen kaum über Wasser halten konnten. Zudem stand der Wind vom Lande, es war also unmöglich, wieder in den Hafen zurückzusteuern.