Die Zahl der ausländischen Juden

Für 1900 liegen die Zahlen für das ganze Deutsche Reich vor, wonach es insgesamt nur 41.000 ausländische Juden gab. Rechnen wir die Einwanderung nach Sachsen (s. oben), nach Bayern, Hessen etc. ab, so bleiben nach einer Schätzung praeter propter für Preußen noch 20.000 fremde Israeliten. Noch näher kommen wir aber dieser Bestimmung vermöge folgender Berechnung.

Es gibt eine Statistik, die die Juden nach ihrer Muttersprache anführt.


Israeliten, die Deutsch nicht als Muttersprache angaben, wurden betroffen in Preußen:

1900 = 8.060
1905 = 14.418

Wir können diese getrost als Ausländer ansprechen; die Juden in Preußen sprechen mit verschwindenden Ausnahmen deutsch. Vielleicht, dass es einige Familien in Deutsch-Polen gibt, die die polnische Sprache als Muttersprache haben. Das sind aber, wie allgemein bekannt ist, Ausnahmen.

Nach den Statistiken gab es aber 1905 unter den Ausländern von 100 immer 63, die Deutsch als Muttersprache angaben. Das ist auch leicht erklärlich. Ganz abgesehen von den österreichischen Juden gibt es nach der Goldbergschen Statistik *) in Russland 97,6V% aller Juden, die Jargon als Muttersprache sprachen.

*) Über die sprachlichen Verhältnisse der Juden in Russland von B. Goldberg (Wilna), Zeitschrift für Stat. u. Demogr. d. Juden, Bd. I, Nr. VI u. VII.

Die deutsche Statistik erkennt diese Sprache nicht an, der fremde Jude muss — ob er will oder nicht, und hier tut er es gar nicht so ungern — als seine Muttersprache „Deutsch“ angeben, da das Jiddisch noch am meisten Ähnlichkeit und Verwandtschaft mit dieser Sprache besitzt. Übrigens gibt es in der Reichs-Statistik auch keine Rubrik für Hebräisch. Für die galizischen und rumänischen Juden liegen die Verhältnisse etwa gleich gelagert. Die hohe Zahl der jüdischen Reichsausländer, die Deutsch als Muttersprache angaben, ist somit nicht etwa gezwungen erklärt; sie erscheint vielmehr als ganz selbstverständlich.

Für das Jahr 1900 mag der sprachliche Prozentsatz unter den ausländischen Juden etwa der gleiche gewesen sein — *) es liegt kein offensichtlicher Grund vor, daran zu zweifeln — dann gab es anno 1900 etwa 8.060: X = 37: 100 Juden. Also etwa 21.800 Juden, somit 10.000 fremde Juden mehr als 1890.

Aber in den folgenden 5 Jahren wäre demnach die Einwanderung um weitere 17.000 gestiegen. Das erscheint zuerst nicht ganz glaubwürdig, wenn auch soziale Prozesse beim Wachstum allmählich immer stärkeren und größeren Umfang annehmen können. Die Lebewesen in der Natur wachsen in arithmetischer Reihe, die Vorgänge im sozialen Leben sind nicht daran gebunden, im Gegenteil, sie zeigen oft die Tendenz, sich in geometrischer Verhältnisstärke zu vergrößern oder zu vermindern. Ein Ort, wo zuerst wenige fremde Juden leben, zieht nur wenige wieder an. Dann aber nimmt die Ansiedelung immer rascher, immer vehementer zu. Man wird das bemerken, wo nicht äußere Einflüsse (Regierung etc.) hemmend einwirken oder ein gewisser Punkt der Sättigung erreicht ist, worauf dann die Minderung wieder in geometrischer Weise vor sich geht.

*) Für Berlin liegen sogar für 1900 die Zahlen vor (siehe Jahrbuch); darnach gab es 11.651 jüdische Ausländer, wovon 4.197, also 36%, eine nicht deutsche Muttersprache angaben — eine weitere Stütze unserer Behauptung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Untergang der deutschen Juden.