Der Totenschädel. Sage

Autor: Ueberlieferung
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Auf einem Grabstein, nicht weit von der Johanniskirche nach Osten zu gelegen, ist, wie auf vielen andern, ein Bild aus Erz befestigt. Man sieht da einen Totenkopf auf zwei über Kreuz gelegten Knochen. Der Unterkiefer kann hin- und herbewegt werden, und in der Schädeldecke sieht man die Platte von einem eingeschlagenen Nagel.

Vor vielen Jahren wohnte einmal in Nürnberg ein reicher alter Mann, der eine junge Frau geheiratet hatte. Viele fröhliche Menschen kamen in sein Haus. Darunter auch ein feiner junger Herr. Plötzlich starb der alte Mann in einer Nacht ganz rasch und unvermutet, ohne dass er zuvor krank gewesen war. Seine junge Frau war am Grab ganz aufgelöst vor Schmerz und Kummer und wollte sich gar nicht trösten lassen. Bald darauf aber heiratete sie den jungen feinen Herren, der so oft in dem Haus ihres verstorbenen Mannes verkehrt hatte.

Jahre und Jahrzehnte waren vergangen. Niemand dachte mehr an den plötzlichen Tod des alten Herrn. Da war wieder einmal ein Glied der Familie gestorben. Die Familiengruft mußte geöffnet werden. Da sahen die Totengräber in der Gruft einen noch ganz wohlerhaltenen Totenschädel liegen; aber er lag nicht ruhig da, sondern sein Unterkiefer bewegte sich immer hin und her. Sie schauten nach und fanden, dass Ungeziefer und Würmer dort in Mengen sassen; aber wie sie den Schädel schon wieder hinlegen wollten, bemerkte einer den langen Nagel, der in dem Schädeldach steckte. Da konnte man sehen, warum der alte Herr so plötzlich gestorben war. Das Gericht erfuhr davon. Eine Untersuchung wurde geführt; aber man konnte nichts herausbringen, denn die Frau des ermordeten alten Mannes, gegen die man gleich Verdacht hatte, war mit ihrem zweiten Mann weggezogen, und niemand wußte, wohin.