Der Schlangentöter im Glantal

Autor: Ueberlieferung
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Das liebliche Tal der Glan, in dem sich heute fruchtbare Felder und lachende Fluren dehnen, war in altersgrauen Zeiten ein wüstes, menschenleeres Ödland, in dessen sumpfiger Wildnis allerlei Otterngezücht herumzüngelte. Die wenigen Siedler der Gegend hatten sich auf die umliegenden Anhöhen zurückgezogen, wo sie dem mageren Boden im Schweiße ihres Angesichts das tägliche Brot abrangen. Aber bald waren die Menschen vor dem giftigen Gewürm auch auf den Höhen nicht mehr sicher. Die Schlangen, die sich unheimlich rasch vermehrten, krochen bis in die Häuser, schlugen in Betten und Kasten ihr Lager auf, machten sich in den Stuben breit, und kein Nahrungsmittel blieb vor ihrer Gefräßigkeit verschont. Selbst auf die Tische wanden sie sich empor und fraßen ungescheut neben den Bewohnern aus der Schüssel. Kein Mittel half gegen dieses häßliche Gezücht, kein Feuer, kein Gift, auch keine Bittprozessionen.

Schon hatten die Bauern beschlossen, mit Hab und Gut diese unwirtliche Gegend zu verlassen, und alles war zum Abzug vorbereitet, da kam eines Abends ein Handwerksbursche dahergezogen und hörte von der schrecklichen Plage, die die Gegend unsicher machte. Zur Freude aller Bewohner erklärte er sich sofort bereit, alle Schlangen, große und kleine, zu vertilgen, wenn man ihm versichern könne, daß keine weiße darunter sei, denn sonst wäre er verloren. Nun hatte niemand in der Umgebung je eine weiße Schlange gesehen, und der Fremde begann am nächsten Morgen das versprochene Werk. Er übte sich im Werfen eines eisernen Ringes und gebot den Landleuten, auf der Anhöhe, wo jetzt das Dorf Friedlach steht, in weitem Kreis um die breitästige Eiche herum dürres Laubholz und harziges Tannenreisig aufzuhäufen. Dann nahm er Abschied von den Leuten für den Fall, daß doch eine weiße Schlange, die Schlangenkönigin, sich einstellen und er bei seiner Tätigkeit den Tod finden würde. Wenn aber das eintrete, sollten sie ein immerwährendes Sühneopfer für seine arme Seele stiften.

Die Bauern gaben gern dieses Versprechen, und der Bursche stieg in den Kreis, kletterte auf den Eichenbaum und zog eine kleine Flöte aus der Tasche. Hierauf befahl er, das aufgeschichtete Holz anzuzünden, und begann, während das Feuer hell aufloderte, seiner Flöte lustige Weisen zu entlocken. Da rührte und regte es sich überall, es raschelte im Laub und unter dürrem Geäst, und alle Löcher und Steinhaufen wurden lebendig. In unzählbarer Menge krochen Schlangen herbei, große und kleine; aus Häusern, Ställen, Furchen und Schluchten, aus Felsen und Sümpfen wand sich das scheußliche Gewürm der Anhöhe zu und eilte dem Feuer entgegen. Von den Tönen der Flöte wie von zauberischer Gewalt angezogen, wollten sie sich über den glühenden Kreis schwingen. Aber alle fanden in den Flammen den Tod.

Schon begann der Zustrom der Schlangen zu versiegen, schon glaubte der Flötenspieler auf seinem Sitz, den Sieg über die giftige Natternbrut davongetragen zu haben, und blickte triumphierend über den Qualm des brennenden Holzes zu den Zuschauern hin, die auf den nahen Bergen standen und in freudige Rufe ausbrachen, als plötzlich ein vielstimmiger Entsetzenschrei erscholl und dem erbleichenden Burschen das Herannahen der weißen Schlange ankündigte. Es war eine große weiße Natter, die ein Krönlein auf dem Haupt trug, die Schlangenkönigin. In mächtigen Sprüngen und Windungen kam sie vom Berg herab und näherte sich mit unheimlicher Schnelle dem Feuer. Der Spieler hörte nicht auf, seiner Flöte schmeichelnde Töne zu entlocken. Die Schlange aber hob einen Augenblick den zierlichen Kopf, als lausche sie den lieblichen Weisen, und kroch dann unentwegt dem brennenden Ring zu. Ein banges Ahnen beschlich die gespannt zusehenden Leute, doch der Jüngling lockte weiter. Nun war die Schlange am Feuer, nun tat sie einen mächtigen Satz - und plötzlich verstummte das Spiel. Wie von einer Bogensehne geschleudert, hatte die Königin den Glutkreis übersprungen und war dem Flötenspieler an den Hals geschnellt. Fest aneinandergeklammert stürzten beide in die züngelnden Flammen und fanden darin den Tod.

Die gräßliche Plage, welche die Gegend solange beunruhigt hatte, war damit ausgerottet; der tapfere Bursche aber hatte sein Leben für das Wohl der Leute geopfert. Die Gemeinde säumte auch nicht, ihr Versprechen zu erfüllen. Alljährlich am Jahrestag dieses Ereignisses wurde in dem Kirchlein, das man an jener Stelle erbaute, für das Seelenheil des mutigen Burschen die sogenannte »Schlangenmesse« gelesen.