Dritte Fortsetzung
Es ist bekannt, welche sorgfältige Bewirtung die französischen Truppen überall verlangten und brüskierten, und wie sie oft selbst von polnischen Bauern Leckerbissen begehrten; unter andern gehörte der entschiedenste Widerwille gegen schwarzes Brot bei ihnen zum guten Ton. Der Rückzug von Moskau, der so Vieles in Europa änderte, gab auch dem Appetit der französischen Soldaten eine andere Richtung, wie aus folgender Geschichte erhellt. Die Frau eines Professors in dem schon bekannten Städtchen Molodeczno stellte soeben Betrachtungen über den Aufzug der französischen Garden an, die vor ihren Fenstern in trübseliger Gestalt vorbei marschierten, als plötzlich mehrere Offiziere in ihr Zimmer stürzen und dem warmen Ofen zueilen. In der Mitte des Zimmers stand ein Kessel mit warmem Talg. Die Offiziere sahen diesen nicht sobald, als sie sogleich von ihrer Richtung nach dem Ofen ablenkten, dem Kessel zueilten, mit beiden Händen hineingriffen und den schon gerinnenden Talg hastig zum Munde führten, verschluckten und von Neuem aus dem Kessel schöpften. Nachdem die Herren den ersten Hunger gestillt hatten, ließ die Frau Professorin ihre Verwunderung über solche Verirrung des Appetits laut werden; sie erhielt zur Antwort, dass nach der Kost, die ihnen seit Moskau geworden, ihr Appetit vor nichts mehr erschrecke, und dass nach halb verwestem Pferdefleisch Talg und dergleichen den Gaumen gewiss angenehm berühre.
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Die französische Armee war durch die Steigerung aller der Übel, die sie getroffen, in einen Zustand geraten, der mit jenem primitiven Zustand der Menschen, den man das goldene Zeitalter nennt, viel Ähnlichkeit hatte; denn einmal waren die Abstufungen der Stände, im Militär sonst vorzugsweise scharf bezeichnet, so völlig aufgehoben, dass in Hinsicht der Kleidung, Nahrung und genießenden Achtung auch nicht der geringste Unterschied mehr zwischen Soldat und Offizier war, und dann so hatte das Geld vollkommen seine Bedeutung verloren; es hatte nämlich nach und nach jeder Geldverkehr aufgehört, für Geld war nichts mehr zu haben, und derjenige, welcher die Taschen voller Napoleonsd'or hatte, war darum nicht reicher zu nennen, als derjenige, welcher keinen Heller besaß. Brot kaufte man mit Tabak, Branntwein, Stückchen Pelz u. s. w., und umgekehrt kaufte man diese Sachen mit Brot. Die Zeit, wo Geld wieder einen Wert erlangen würde, war durch die schreiende Gegenwart in eine so weite Entfernung gerückt, dass nur die ganz besonders Rüstigen und Kräftigen, die noch aufgelegt waren, solche Nebendinge wie Gold und Silber zu tragen, darauf spekulieren konnten, weswegen denn auch die Anzahl der Spekulanten gar keine Erwähnung verdient. Der Geist des Tauschhandels hatte Alle so vollkommen ergriffen, dass, als in den verschiedenen Städten Polens, durch welche der Marsch der großen Armee ging, die Juden herbeiliefen und von beiden Seiten der Kolonnen sich neugierig lächelnd in Spaliere aufstellten, die Garden den Juden ihre Flügelpelzmützen nahmen, ihnen dafür ihre prächtigen aber kalten Tschakos und Mützen stillschweigend aufsetzten und ohne ein Wort zu reden weiter zogen; die Juden gingen dann mit dem kalten Kopfschmuck zurück in ihre warmen Stuben und schreckten Weiber und Kinder durch ihr martialisches Aussehen. — Mit der eingerissenen Gleichheit ging die Gesetzlosigkeit Hand in Hand, nur das Recht des Stärkeren war das einzig gültige; zum Belege unter hundert täglich sich wiederholenden Zügen nur einer. In Smolensk, wo die ersten Distributionen gemacht und blutige Gefechte an allen Magazintüren geliefert wurden, hatte ein Offizier einen großen Schweizerkäse erbeutet und eilte damit über die Straße seiner Wohnung zu; einige Soldaten halten ihn an und wollen ihm den Käse nehmen. Der Offizier wehrt sich, es entsteht Lärm, mehrere Soldaten eilen herbei und werfen den Offizier zu Boden, der Offizier hält seine Beute mit Händen und Zähnen; die Soldaten ziehen die Säbel, der Offizier sieht den Tod vor Augen, hält aber immer noch fest; die Soldaten haben indessen keine Mordgedanken, sondern gebrauchen nur die Säbel, um in aller Eile den Käse auf dem Leibe des Offiziers zu tranchieren; jeder geht mit einem guten Stück davon, und dem Eigentümer bleiben nichts als die Rinden.
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Die gänzliche, beispiellose Auflösung aller Bande der Disziplin bei der französischen Armee wird dann erst begreiflich, wenn man erwägt, dass Zucht und Ordnung bereits in einem hohen Grade vernachlässigt waren, noch ehe die Armee die russischen Grenzen überschritt. In Lautenburg in Ostpreußen erging der Befehl an sämtliche Regiments- und Bataillonschefs, alles Vieh in ihren Kantonnierungsbezirken und auf ihren Marschlinien wegnehmen zu lassen und mitzuführen; nach einem solchen Befehle durfte man kein Maaß und Ziel mehr von den Soldaten im Nehmen erwarten, und Plünderung und Raub waren von nun an an der Tagesordnung, Ganz besonders überließen sich die Soldaten jeder Art von Zügellosigkeit, sobald die Armee über den Niemen gegangen war; die Wiederherstellung Polens begann mit einer Sündflut von Marodeurs, die überall die größten Ausschweifungen begingen. Die Armee zog weiter und weiter, die Marodeurs aber blieben; von allen Seiten liefen Klagen in Wilna ein, wo das französische Gouvernement seinen Sitz hatte; um dem Unwesen zu steuern, wurden einige von jenen Herumtreibern erschossen, da dies nichts verfing, so wurden mobile Kolonnen errichtet, die die Gegend durchstreiften, um die Marodeurs aufzuheben. Die Exemtionen, welche Anfangs des Beispiels wegen mit einem gewissen Gepränge geschahen, wurden jetzt so häufig, dass man alle Zeremonien bei Seite setzte und die Delinquenten ohne Sang und Klang füsilierte. Aber alles Füsilieren half der Sache nicht ab, und man war zuletzt gezwungen, des Übermaßes der Verhafteten wegen und um nicht jene Erscheinungen der Indisziplin den befreiten Polen zu sehr zur Schau zu geben, sie in großen Transporten auf die Galeeren zu schicken. Jene Auflösung der Disziplin hatte ganz vorzüglich für die Gensdarmen, deren einige Tausend bei der Armee sich befanden, betrübte Folgen; von den Soldaten als ihre Peiniger gehasst, wurden sie von diesen überall verfolgt, und von jedem Obdach ausgeschlossen oder verjagt, so dass sie früher als die übrigen den Mühseligkeiten der nordischen Wanderschaft erlagen.
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Von Molodeczno aus, dem Orte, von wo das tröstende 29. Bulletin datirt war, nahm die Verfolgung völlig den Charakter einer großen Hetzjagd an, deren nähere Erscheinungen folgende waren. Des Morgens, eine Stunde vor Tage, brachen die Franzosen in der Regel auf und zogen dicht gedrängt auf der Straße fort; nach und nach, wenn die erstarrten Gelenke einige Biegsamkeit gewannen, zerstreuten sich die Soldaten rechts und links der Straße und fielen in die nächsten Dörfer ein, gegen 9 Uhr zeigten sich gewöhnlich die Kosaken; auf den Ruf: Kosak! den tausend und tausend Stimmen wiederholten, kam ein wunderbares Leben in die bis dahin langsam schleichenden Kolonnen: von allen Seiten strömten die in den Dörfern Zerstreuten wieder zurück zur großen Straße, und auf der Straße selbst lief Alles mit rückwärts gewendeten Gesichtern und schrie: Halt! Halt! ohne dass Jemand an Stehen und Verteidigung dachte. Jeder lief so lange, wie seine Kräfte es erlaubten, und da die Kräfte den Meisten nur sehr spärlich zugemessen waren, so hatten Laufen und Rettung sehr enge Grenzen; die Kosaken nahmen die Müden in Empfang. Unterdessen waren leichte Truppen seitwärts vorausgeeilt und fielen nach und nach von beiden Seiten in die Kolonnen, den Flüchtigen den Weg versperrend und sie in größeren und kleineren Abteilungen zur Übergabe zwingend. Gegen Abend hörte gewöhnlich die Verfolgung auf, und die Geängstigten bezogen die Bivouaks, die sie mit Leichen besäeten und den andern Morgen wieder zu neuer Angst und Qual verließen. Die Furcht vor den Kosaken war eine Art Elementarkraft geworden, die vom Kaiser bis zum Soldaten Alles dahinriss; diese Furcht ward einst von französischen Soldaten sehr geschickt benutzt, um eine gute Mahlzeit zu gewinnen. Zwischen Smorgoni und Molodeczno war der Armee ein Transport mit Lebensmitteln entgegengekommen, dessen Eskorte aus einer Abteilung der Division Loison bestand, der Transport marschierte mit den letzten Haufen; plötzlich hört man den Ruf: Kosak! und Angstgeschrei und Flucht; die Eskorte wirft sogleich die Waffen weg und flieht dem hergebrachten Gebrauch gemäß, und die Fuhrknechte verfehlen nicht, in der größten Geschwindigkeit die Stränge abzuschneiden und davon zu reiten. Der Transport bleibt verlassen zurück; indessen war das ganze Geschrei nur ein absichtlich blinder Lärm gewesen, und der Transport ward nun mit gehöriger Ruhe von den Franzosen selbst geplündert.
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In demjenigen Teile von Litauen, der zum Herzogtum Warschau gehört, liegt ein Dorf mit Namen Kasatschki; ein Haufen Flüchtlinge zog die Straße, die nach diesem Dorfe führt, und fragte einen Bauer in gebrochenem Polnisch nach dem Namen des nächsten Dorfes: der Bauer hat indes kaum den Namen Kasatschki artikuliert, als die ganze Schaar sogleich vom Wege ausbiegt und in einer andern Richtung forteilt. Der Bauer begriff die seltsame Abneigung der Leute gegen das Dorf Kasatschki nicht, wir begreifen sie desto besser. So furchtbar und mächtig war der bloße Name jener Kosaken, die Napoleon in seinem 29. Bulletin eine verächtliche Kavallerie nennt; er selbst hat der Furchtbarkeit und Macht jenes Namens mehr als einmal, wenn auch nicht mit Worten, doch durch die Tat, gehuldigt; seine ängstlichen Erkundigungen nach den Kosaken, überall, wo er auf seiner schnellen Flucht die Pferde wechselte, deuteten auf eine innere Bewegung, die unparteiische Leute nicht Verachtung nennen werden.
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Es gibt Fälle, wo man das Wort Rache mit Vergeltungslust vertauschen sollte; der Grimm der gemisshandelten Bauern des Moskau'schen und Kaluga'schen Gouvernements ging so weit, dass sie nicht allein alle Franzosen erschlugen, die in ihre Hände fielen, sondern dass sie sogar den Kosaken ihre Gefangenen abkauften, um an ihnen ihre entweihten Heiligtümer zu rächen. Die Kosaken waren eben nicht teuer; man hat 5 Gefangene zu 5 Rubeln Papier verkaufen sehen.
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Um sich einen Begriff von dem Zustand der französischen Kavallerie noch vor dem Schlusse der ersten Rückzugsperiode zu machen, möge Folgendes dienen. In der Gegend von Smolensk stieß eine russische Patrouille auf eine französische Vedette, die Patrouille ritt vorwärts, die Vedette bewegte sich nicht; die Contenance der Vedette war auffallend und deutete auf irgend einen Hinterhalt; die Patrouille ritt indessen näher und bemerkte jetzt heftige Gestikulationen des Reiters, sie ritt noch näher und fand nun, dass die Contenance der Vedette nicht die Schuld des Reiters war; das Pferd stand nämlich wie eingerammt und hatte eine Portion Stroh im Maule, alle Bemühungen des Reiters waren vergebens gewesen, das kraftlose Pferd auch nur dahin zu bringen, einen einzigen Fuß zu heben. Die Wirkung der Sporen hatte sich darauf beschränkt, dem Kauen des Strohs Einhalt zu tun.
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Vom 26. bis 28. November defilierte die französische Armee durch Wilna; sagen, dass es mit Unordnung geschah, ist ein so milder Ausdruck, dass er auf den damaligen Zustand der französischen Armee schlechterdings nicht passt, denn unter Unordnung denkt man sich eine Verwirrung, in welche auf irgend eine Art wieder Ordnung zu bringen ist, doch hier fand eine Unordnung statt, an die sich auf keine Weise die Idee einer Wiederherstellung der Ordnung knüpfen konnte, eine Unordnung, wo jeder Einzelne das Gepräge naher Vernichtung an sich trug. Der Durchzug der französischen Armee ward überall, wie durch Abrede, Maskerade genannt, und wirklich konnte kein passenderer Name erfunden werden; in Wilna ließ sich in jenen Tagen ein Frauenzimmer in einem gewissen Hause anmelden, die Frau vom Hause kam ihr im Vorzimmer entgegen, und glaubte dem Anscheine nach, eine Marketenderin vor sich zu sehen, als sie nach ihren: Begehren fragte, fand es sich, dass die Fremde ein französischer Obrist war, der früher in diesem Hause im Quartier gestanden hatte und höflichst Aufnahme begehrte.
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Einen Belag zur väterlichen Vorsorge des französischen Kaisers für seine Armee gibt, nächst der Magazin-Einrichtung in Russland und Polen, die Verwaltung der Hospitäler in Wilna, wo Alles vortrefflich eingerichtet war, bis auf den Umstand, dass die Kranken, gleich von Anfang an, ohne Betten waren und auf den Dielen oder Steinplatten liegen mussten; man hatte dabei ein so gutes Vertrauen auf die Selbsthilfe der Natur, dass man die Kranken beinahe ohne alle ärztliche Hilfe ließ und es hat Fälle gegeben, wo bei Medizin-Distributionen auf ein Lazarett von 400 Mann drei kleine Flaschen Medizin für zwei Tage verabreicht worden sind. Das Vertrauen auf die Selbsthilfe der Natur ist in der Art gerechtfertigt worden, dass in den Lazaretten der Stadt Wilna bis zum Einzuge der Russen über 20.000 französische Soldaten gestorben sind, deren noch 7.000 in der Stadt in Hügeln aufgeschichtet waren, in Hügeln, die sich selbst gebildet hatten, dadurch, dass man die Leichname aus den Fenstern der Krankenstuben warf und auf dem Hofe liegen ließ. Sämtliche Lazarette waren so durchaus verpestet, dass der Tod in allen Winkeln wohnte; in den Stuben lagen Sterbende und Lebende unter schon verwesten Körpern; ohne Holz, um sich zu Wärmen, ohne Stroh, um sich zu betten, alle Gänge und Treppen waren voll zertretener und verwitterter Leichen und auf den Höfen standen die Totenhügel, unter denen einige Jammergestalten hilflos herum wankten. Aus jenen Lazaretten kamen schlimme Krankheiten über die Stadt, denen nur der harte Frost und die späteren polizeilichen Anstalten Einhalt tun konnten.
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Die französische Armee war durch die Steigerung aller der Übel, die sie getroffen, in einen Zustand geraten, der mit jenem primitiven Zustand der Menschen, den man das goldene Zeitalter nennt, viel Ähnlichkeit hatte; denn einmal waren die Abstufungen der Stände, im Militär sonst vorzugsweise scharf bezeichnet, so völlig aufgehoben, dass in Hinsicht der Kleidung, Nahrung und genießenden Achtung auch nicht der geringste Unterschied mehr zwischen Soldat und Offizier war, und dann so hatte das Geld vollkommen seine Bedeutung verloren; es hatte nämlich nach und nach jeder Geldverkehr aufgehört, für Geld war nichts mehr zu haben, und derjenige, welcher die Taschen voller Napoleonsd'or hatte, war darum nicht reicher zu nennen, als derjenige, welcher keinen Heller besaß. Brot kaufte man mit Tabak, Branntwein, Stückchen Pelz u. s. w., und umgekehrt kaufte man diese Sachen mit Brot. Die Zeit, wo Geld wieder einen Wert erlangen würde, war durch die schreiende Gegenwart in eine so weite Entfernung gerückt, dass nur die ganz besonders Rüstigen und Kräftigen, die noch aufgelegt waren, solche Nebendinge wie Gold und Silber zu tragen, darauf spekulieren konnten, weswegen denn auch die Anzahl der Spekulanten gar keine Erwähnung verdient. Der Geist des Tauschhandels hatte Alle so vollkommen ergriffen, dass, als in den verschiedenen Städten Polens, durch welche der Marsch der großen Armee ging, die Juden herbeiliefen und von beiden Seiten der Kolonnen sich neugierig lächelnd in Spaliere aufstellten, die Garden den Juden ihre Flügelpelzmützen nahmen, ihnen dafür ihre prächtigen aber kalten Tschakos und Mützen stillschweigend aufsetzten und ohne ein Wort zu reden weiter zogen; die Juden gingen dann mit dem kalten Kopfschmuck zurück in ihre warmen Stuben und schreckten Weiber und Kinder durch ihr martialisches Aussehen. — Mit der eingerissenen Gleichheit ging die Gesetzlosigkeit Hand in Hand, nur das Recht des Stärkeren war das einzig gültige; zum Belege unter hundert täglich sich wiederholenden Zügen nur einer. In Smolensk, wo die ersten Distributionen gemacht und blutige Gefechte an allen Magazintüren geliefert wurden, hatte ein Offizier einen großen Schweizerkäse erbeutet und eilte damit über die Straße seiner Wohnung zu; einige Soldaten halten ihn an und wollen ihm den Käse nehmen. Der Offizier wehrt sich, es entsteht Lärm, mehrere Soldaten eilen herbei und werfen den Offizier zu Boden, der Offizier hält seine Beute mit Händen und Zähnen; die Soldaten ziehen die Säbel, der Offizier sieht den Tod vor Augen, hält aber immer noch fest; die Soldaten haben indessen keine Mordgedanken, sondern gebrauchen nur die Säbel, um in aller Eile den Käse auf dem Leibe des Offiziers zu tranchieren; jeder geht mit einem guten Stück davon, und dem Eigentümer bleiben nichts als die Rinden.
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Die gänzliche, beispiellose Auflösung aller Bande der Disziplin bei der französischen Armee wird dann erst begreiflich, wenn man erwägt, dass Zucht und Ordnung bereits in einem hohen Grade vernachlässigt waren, noch ehe die Armee die russischen Grenzen überschritt. In Lautenburg in Ostpreußen erging der Befehl an sämtliche Regiments- und Bataillonschefs, alles Vieh in ihren Kantonnierungsbezirken und auf ihren Marschlinien wegnehmen zu lassen und mitzuführen; nach einem solchen Befehle durfte man kein Maaß und Ziel mehr von den Soldaten im Nehmen erwarten, und Plünderung und Raub waren von nun an an der Tagesordnung, Ganz besonders überließen sich die Soldaten jeder Art von Zügellosigkeit, sobald die Armee über den Niemen gegangen war; die Wiederherstellung Polens begann mit einer Sündflut von Marodeurs, die überall die größten Ausschweifungen begingen. Die Armee zog weiter und weiter, die Marodeurs aber blieben; von allen Seiten liefen Klagen in Wilna ein, wo das französische Gouvernement seinen Sitz hatte; um dem Unwesen zu steuern, wurden einige von jenen Herumtreibern erschossen, da dies nichts verfing, so wurden mobile Kolonnen errichtet, die die Gegend durchstreiften, um die Marodeurs aufzuheben. Die Exemtionen, welche Anfangs des Beispiels wegen mit einem gewissen Gepränge geschahen, wurden jetzt so häufig, dass man alle Zeremonien bei Seite setzte und die Delinquenten ohne Sang und Klang füsilierte. Aber alles Füsilieren half der Sache nicht ab, und man war zuletzt gezwungen, des Übermaßes der Verhafteten wegen und um nicht jene Erscheinungen der Indisziplin den befreiten Polen zu sehr zur Schau zu geben, sie in großen Transporten auf die Galeeren zu schicken. Jene Auflösung der Disziplin hatte ganz vorzüglich für die Gensdarmen, deren einige Tausend bei der Armee sich befanden, betrübte Folgen; von den Soldaten als ihre Peiniger gehasst, wurden sie von diesen überall verfolgt, und von jedem Obdach ausgeschlossen oder verjagt, so dass sie früher als die übrigen den Mühseligkeiten der nordischen Wanderschaft erlagen.
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Von Molodeczno aus, dem Orte, von wo das tröstende 29. Bulletin datirt war, nahm die Verfolgung völlig den Charakter einer großen Hetzjagd an, deren nähere Erscheinungen folgende waren. Des Morgens, eine Stunde vor Tage, brachen die Franzosen in der Regel auf und zogen dicht gedrängt auf der Straße fort; nach und nach, wenn die erstarrten Gelenke einige Biegsamkeit gewannen, zerstreuten sich die Soldaten rechts und links der Straße und fielen in die nächsten Dörfer ein, gegen 9 Uhr zeigten sich gewöhnlich die Kosaken; auf den Ruf: Kosak! den tausend und tausend Stimmen wiederholten, kam ein wunderbares Leben in die bis dahin langsam schleichenden Kolonnen: von allen Seiten strömten die in den Dörfern Zerstreuten wieder zurück zur großen Straße, und auf der Straße selbst lief Alles mit rückwärts gewendeten Gesichtern und schrie: Halt! Halt! ohne dass Jemand an Stehen und Verteidigung dachte. Jeder lief so lange, wie seine Kräfte es erlaubten, und da die Kräfte den Meisten nur sehr spärlich zugemessen waren, so hatten Laufen und Rettung sehr enge Grenzen; die Kosaken nahmen die Müden in Empfang. Unterdessen waren leichte Truppen seitwärts vorausgeeilt und fielen nach und nach von beiden Seiten in die Kolonnen, den Flüchtigen den Weg versperrend und sie in größeren und kleineren Abteilungen zur Übergabe zwingend. Gegen Abend hörte gewöhnlich die Verfolgung auf, und die Geängstigten bezogen die Bivouaks, die sie mit Leichen besäeten und den andern Morgen wieder zu neuer Angst und Qual verließen. Die Furcht vor den Kosaken war eine Art Elementarkraft geworden, die vom Kaiser bis zum Soldaten Alles dahinriss; diese Furcht ward einst von französischen Soldaten sehr geschickt benutzt, um eine gute Mahlzeit zu gewinnen. Zwischen Smorgoni und Molodeczno war der Armee ein Transport mit Lebensmitteln entgegengekommen, dessen Eskorte aus einer Abteilung der Division Loison bestand, der Transport marschierte mit den letzten Haufen; plötzlich hört man den Ruf: Kosak! und Angstgeschrei und Flucht; die Eskorte wirft sogleich die Waffen weg und flieht dem hergebrachten Gebrauch gemäß, und die Fuhrknechte verfehlen nicht, in der größten Geschwindigkeit die Stränge abzuschneiden und davon zu reiten. Der Transport bleibt verlassen zurück; indessen war das ganze Geschrei nur ein absichtlich blinder Lärm gewesen, und der Transport ward nun mit gehöriger Ruhe von den Franzosen selbst geplündert.
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In demjenigen Teile von Litauen, der zum Herzogtum Warschau gehört, liegt ein Dorf mit Namen Kasatschki; ein Haufen Flüchtlinge zog die Straße, die nach diesem Dorfe führt, und fragte einen Bauer in gebrochenem Polnisch nach dem Namen des nächsten Dorfes: der Bauer hat indes kaum den Namen Kasatschki artikuliert, als die ganze Schaar sogleich vom Wege ausbiegt und in einer andern Richtung forteilt. Der Bauer begriff die seltsame Abneigung der Leute gegen das Dorf Kasatschki nicht, wir begreifen sie desto besser. So furchtbar und mächtig war der bloße Name jener Kosaken, die Napoleon in seinem 29. Bulletin eine verächtliche Kavallerie nennt; er selbst hat der Furchtbarkeit und Macht jenes Namens mehr als einmal, wenn auch nicht mit Worten, doch durch die Tat, gehuldigt; seine ängstlichen Erkundigungen nach den Kosaken, überall, wo er auf seiner schnellen Flucht die Pferde wechselte, deuteten auf eine innere Bewegung, die unparteiische Leute nicht Verachtung nennen werden.
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Es gibt Fälle, wo man das Wort Rache mit Vergeltungslust vertauschen sollte; der Grimm der gemisshandelten Bauern des Moskau'schen und Kaluga'schen Gouvernements ging so weit, dass sie nicht allein alle Franzosen erschlugen, die in ihre Hände fielen, sondern dass sie sogar den Kosaken ihre Gefangenen abkauften, um an ihnen ihre entweihten Heiligtümer zu rächen. Die Kosaken waren eben nicht teuer; man hat 5 Gefangene zu 5 Rubeln Papier verkaufen sehen.
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Um sich einen Begriff von dem Zustand der französischen Kavallerie noch vor dem Schlusse der ersten Rückzugsperiode zu machen, möge Folgendes dienen. In der Gegend von Smolensk stieß eine russische Patrouille auf eine französische Vedette, die Patrouille ritt vorwärts, die Vedette bewegte sich nicht; die Contenance der Vedette war auffallend und deutete auf irgend einen Hinterhalt; die Patrouille ritt indessen näher und bemerkte jetzt heftige Gestikulationen des Reiters, sie ritt noch näher und fand nun, dass die Contenance der Vedette nicht die Schuld des Reiters war; das Pferd stand nämlich wie eingerammt und hatte eine Portion Stroh im Maule, alle Bemühungen des Reiters waren vergebens gewesen, das kraftlose Pferd auch nur dahin zu bringen, einen einzigen Fuß zu heben. Die Wirkung der Sporen hatte sich darauf beschränkt, dem Kauen des Strohs Einhalt zu tun.
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Vom 26. bis 28. November defilierte die französische Armee durch Wilna; sagen, dass es mit Unordnung geschah, ist ein so milder Ausdruck, dass er auf den damaligen Zustand der französischen Armee schlechterdings nicht passt, denn unter Unordnung denkt man sich eine Verwirrung, in welche auf irgend eine Art wieder Ordnung zu bringen ist, doch hier fand eine Unordnung statt, an die sich auf keine Weise die Idee einer Wiederherstellung der Ordnung knüpfen konnte, eine Unordnung, wo jeder Einzelne das Gepräge naher Vernichtung an sich trug. Der Durchzug der französischen Armee ward überall, wie durch Abrede, Maskerade genannt, und wirklich konnte kein passenderer Name erfunden werden; in Wilna ließ sich in jenen Tagen ein Frauenzimmer in einem gewissen Hause anmelden, die Frau vom Hause kam ihr im Vorzimmer entgegen, und glaubte dem Anscheine nach, eine Marketenderin vor sich zu sehen, als sie nach ihren: Begehren fragte, fand es sich, dass die Fremde ein französischer Obrist war, der früher in diesem Hause im Quartier gestanden hatte und höflichst Aufnahme begehrte.
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Einen Belag zur väterlichen Vorsorge des französischen Kaisers für seine Armee gibt, nächst der Magazin-Einrichtung in Russland und Polen, die Verwaltung der Hospitäler in Wilna, wo Alles vortrefflich eingerichtet war, bis auf den Umstand, dass die Kranken, gleich von Anfang an, ohne Betten waren und auf den Dielen oder Steinplatten liegen mussten; man hatte dabei ein so gutes Vertrauen auf die Selbsthilfe der Natur, dass man die Kranken beinahe ohne alle ärztliche Hilfe ließ und es hat Fälle gegeben, wo bei Medizin-Distributionen auf ein Lazarett von 400 Mann drei kleine Flaschen Medizin für zwei Tage verabreicht worden sind. Das Vertrauen auf die Selbsthilfe der Natur ist in der Art gerechtfertigt worden, dass in den Lazaretten der Stadt Wilna bis zum Einzuge der Russen über 20.000 französische Soldaten gestorben sind, deren noch 7.000 in der Stadt in Hügeln aufgeschichtet waren, in Hügeln, die sich selbst gebildet hatten, dadurch, dass man die Leichname aus den Fenstern der Krankenstuben warf und auf dem Hofe liegen ließ. Sämtliche Lazarette waren so durchaus verpestet, dass der Tod in allen Winkeln wohnte; in den Stuben lagen Sterbende und Lebende unter schon verwesten Körpern; ohne Holz, um sich zu Wärmen, ohne Stroh, um sich zu betten, alle Gänge und Treppen waren voll zertretener und verwitterter Leichen und auf den Höfen standen die Totenhügel, unter denen einige Jammergestalten hilflos herum wankten. Aus jenen Lazaretten kamen schlimme Krankheiten über die Stadt, denen nur der harte Frost und die späteren polizeilichen Anstalten Einhalt tun konnten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Rückzug der Franzosen aus Russland.