Der Nusskaspar von Nürnberg

Autor: Ueberlieferung
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Wenn man von Nürnberg aus nach Norden schaut, so stellt sich dem Auge das berühmte Knoblauchland dar. Dort liegen mehrere anmutige Dörfchen, die von den Nürnbergern eifrig besucht werden.

In einer dieser Ortschaften lebte vor vielen Jahren ein Bäuerlein, 'Nusskaspar' genannt, weil auf seinen Bäumen die schönsten Nüsse wuchsen. Er trieb wie seine Nachbarn Gärtnerei und verlegte sich vorzüglich auf den Anbau von Knoblauch. Allein dem guten Mann missglückte fast alles, was er unternahm. Bald wurde er durch bedeutende Verluste in Schulden gebracht, bald von den Nachbarn bestohlen, dann wieder vernichteten Wind und Wetter seine Garten und Feldfrüchte, oder böse Buben holten ihm die Nüsse von den Bäumen.

Dieses andauernde Missgeschick verdross den Bauern endlich und nahm ihm die Lust, sich ferner zu plagen, zumal da er bemerkte, wie bei den Nachbarn alles aufs beste gedieh und ihr Wohlstand täglich zunahm. Daher wurde er nach und nach in der Ausübung seines Gewerbes lässiger, fluchte mehr als er betete, und ergab sich zuletzt dem Trunke, so dass er meistens, wenn er mit Knoblauch und anderen Gemüsen zur Stadt gefahren war, leicht an Geld, dafür aber mit schwerem Kopf nach Hause zurückkehrte. Durch diesen Lebenswandel wurde nicht nur sein Körper, sondern auch sein Vermögen so zerrüttet, dass er mehrfach Geld aufnehmen musste, schließlich von seinen Gläubigern hart bedrängt wurde und zu ihrer Befriedigung zuletzt bald ein Grundstück, bald irgend etwas aus seinem Hausrat zu veräußern genötigt war.

Wieder einmal war der Nusskaspar am letzten Tag des Jahres wie so oft bis zum späten Abend in der Stadt geblieben, hatte sich einen tüchtigen Rausch angetrunken und taumelte nun den Burgweg hinauf. Unweit der Stelle, wo Christus am Ölberg abgebildet ist, setzte er sich auf einen beschneiten Steinblock, um auszuruhen, und schlief ein. Die Zerrbilder getäuschter Hoffnungen umgaukelten ihn in wüsten Träumen, so dass er öfters auffuhr und grässliche Flüche ausstieß. Eben zeigte die Glocke vom nahen Sebaldusturm den Eintritt der Geisterstunde, als er abermals in die Höhe fuhr und in einem Zustande zwischen Schlaf und Wachen zähneklappernd vor sich hinmurmelte: "Will mich Gott nicht retten, so muss mir der Teufel helfen!"

Mit diesen Worten erwachte er, rieb sich die Augen und wollte aufstehen, allein ein gewaltiger Schrecken warf ihn auf seinen kalten Sitz zurück; vor ihm stand ein Mann in Jägertracht, der ihn anredete: "Ei, Alterchen, was treibst du hier in der frostigen Winternacht?"

Kaspar fragte gähnend: "Wo bin ich, Herr, und was wollt Ihr von mir?"

Darauf erwiderte der Jäger: "Ich hörte im Vorübergehen, dass du Hilfe brauchst, und ich will sie leisten, wenn es in meinen Kräften steht, aber - ich will von dir darum gebeten sein."

Kaspar schilderte nun unter beständigen Verwünschungen seine traurige Lage, fiel auf die Knie und rief in unbegreiflicher Herzensangst: "Ich flehe Euch fußfällig an, helft mir, helft mir, und wäret Ihr der Böse selbst; mir gleich, wenn mir nur geholfen wird; denn Gott hat mich ohnedies verlassen."

"Nun wohl," entgegnete der Fremde, "wenn du mir versprichst, weder deinem Weib noch einem anderen Menschen auch nur eine Silbe davon zu verraten, so will ich dein Beschützer sein und dir helfen. Kehre getrost heim, pflücke von dem großen Nussbaum. der in der linken Ecke deines Gartens steht, so viel Nüsse, als dir beliebt; diese werden sich in Gold verwandeln und dich instand setzen, nicht nur deine Schulden zu bezahlen, sondern auch ohne Mühe und Arbeit gut leben zu können. Doch wisse, geht nur ein Wort von meinem Angebot über deine Lippen, so sinkst du in deine frühere Armut zurück, wirst ein Raub der Verzweiflung und sollst auch im Grab keine Ruhe finden. Du musst dann in jeder Silvesternacht deinem Grabe entsteigen und hier an dieser Stelle goldene Nüsse feil halten; ja, du wirst auch andere noch mit ins Verderben hinabziehen, und deine Seele ist mir verfallen."

Mit diesen Worten verschwand die geheimnisvolle Erscheinung.

Dass der freundliche Helfer der leibhaftige Gottseibeiuns war, ist leicht zu erraten.

Kaspar war demnach in sehr schlimme Hände gefallen. Er taumelte noch halb trunken mit schlotternden Knien nach Hause. Sein Weib, das ohnehin zur Sorte jener Menschen gehörte, denen Zanken und Murren zur zweiten Natur geworden ist, empfing ihn vom Bett aus mit heftigen Scheltworten. Er aber blieb ruhig und dachte: "Schrei nur, du Zankteufel, soviel du willst; habe ich einmal die goldenen Nüsse, dann wirst du schon anders singen!" Damit nahm er eine Laterne, zündete das Licht an und schlich in den Garten hinaus. Hier stellte er sich vor den bezeichneten Baum und schielte hinauf, um zu sehen, ob die Nüsse wirklich von Gold seien. Endlich bestieg er zagend den Baum, griff zitternd nach einer der Früchte, füllte dann so schnell als möglich alle Taschen damit, und siehe, die Nüsse waren reines, funkelndes Gold. Darauf versteckte er seinen Schatz in der Scheune und ging zu Bett.

Bei Tagesanbruch stahl sich der steinreiche Ehemann, dessen Gewissen nun schon eingeschläfert war, still weg zum Geschenke des höllischen Jägers, um es teilweise in der nahen Stadt in Geld umzusetzen. Sodann zahlte er seine Schulden und lebte herrlich und in Freuden.

Aber dieses Glück sollte nicht lange dauern; denn der gute Nusskaspar vergaß im Taumel der Ausschweifungen nur zu bald, was er dem Teufel versprochen hatte. In einem traulichen Stündchen beichtete er seiner Frau, die sich durch den unvermuteten Wohlstand vollständig mit ihm ausgesöhnt hatte, den ganzen Hergang der Sache. Als er aber am nächsten Morgen sein Geld herbeiholen wollte, da war der Beutel federleicht und enthielt statt harter Taler nur Kohlenstaub, und anstatt der goldenen fanden sich nur natürliche und größtenteils wurmstichige Nüsse im Schrank. So von der Höhe des Glückes in das bitterste Elend hinabgeschleudert, wurde dem Kaspar das Leben eine unerträgliche Last.

Der Teufel hielt besser Wort als Kaspar; denn es ging alles in Erfüllung, was er für den Fall des Wortbruches vorausgesagt hatte. Als der Silvesterabend wieder anbrach, stand wirklich zur Mitternachtszeit ein kleines Bäuerlein in der Tracht der Knoblauchhändler mit einem Korb am Ölberg und ächzte unter verzweifeltem Händeringen: "Kauft Nüsse, kauft Nüsse!"

Viele Jahre nach diesem Ereignis saßen am Silvesterabend mehrere Bürger nicht weit vom Ölberg im Gasthaus zum Burggrafen bei einem Krug Weizenbier. Unter diesen war auch ein redseliger Zinngießermeister, der wegen seiner Klugheit in großem Ansehen stand. Die Unterhaltung drehte sich um die alte Sage vom Nusskaspar am Ölberg. "Aberglaube, heidnische Finsternis!" eiferte Meister Zinngießer, der Wortführer. "Wer wird so albern sein, an Teufel und Geister zu glauben?"

"Was, Nachbar?" fiel ihm ein belesener Zirkelschmied in die Rede, "habt Ihr denn nicht gelesen, daß Doktor Martin Luther dem Teufel das Tintenfaß nachgeworfen hat? Ist Euch nicht bekannt, dass der Satan Jesum in Versuchung führte?"

"Das ist etwas anderes," unterbrach ihn der Zinngießer, und gerade als er weiterreden wollte, erscholl von der Wanduhr die zwölfte Stunde. Da schlug der Meister unwillig auf den Tisch und schrie: "Damit ihr aber seht, dass an der ganzen Sache nichts ist und jeder ein Narr, der so unsinnige Dinge glaubt, so wollen wir auf den Ölberg gehen, um uns zu überzeugen, ob der Nusskaspar wirklich seine Nüsse feilhält. Mein Hab und Gut setz, ich daran, dass ich euch auslachen werde."

Hierauf nahm er seine Pelzmütze und eilte der Türe zu; doch von den übrigen Gästen hatte keiner Lust, ihn zu begleiten. Stockfinster war's, und nur der schimmernde Schnee erleuchtete die Umgebung. Da kam es dem Zinngießer wirklich so vor, als ob er in der Nähe des Ölberges die Gestalt eines Menschen wahrnehme, und er blieb stehen. Es fröstelte ihn, aber die Vorstellung, von den Freunden verspottet zu werden, wenn er unverrichteter Dinge zurückkäme, flößte ihm Mut ein; er wollte der Sache auf den Grund gehen.

Also schritt der Zinngießer langsam näher und rief mit lauter Stimme: "Wer da?" - Keine Antwort! - Plötzlich stand ein kleines unheimliches Wesen ganz nahe vor ihm, stierte ihn mit Grabesaugen an und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand in den vor ihm stehenden Korb. Unser Zinngießer stand wie an den Boden gewurzelt und kreischte mit kaum verständlichen Lauten : "Alle guten Geister loben Gott den Herrn!" Fast besinnungslos griff er sodann in den Korb, nahm daraus, was er mit seinen zehn Fingern fassen konnte, und stürzte ohnmächtig zusammen.

Als er wieder zur Besinnung gekommen war, blickte er um sich.

Aber er sah kein Wesen mehr, weder vor noch hinter sich. Jetzt faßte er wieder Mut und schämte sich seines Schreckens. Doch welches Erstaunen trat an die Stelle der Furcht, als er auf den schneebedeckten Boden blickte und ihm glänzendes Gold entgegenfunkelte! Schnell raffte er die goldenen Dinger zusammen und eilte dem Burggrafen zu. Die Gesellschaft begrüßte ihn, als wäre er von den Toten auferstanden, und war sehr gespannt zu hören, was er erlebt habe. Und der Meister erzählte sein Abenteuer, indem er zum Beweis einige goldene Nüsse aus der Tasche nahm und auf den Tisch hinrollte.

Da war auf einmal alle Großsprecherei verstummt; denn nicht ohne heimliches Grauen sah man die glänzenden Beweise vor Augen. Der Zinngießer aber entfernte sich bald und suchte freudetrunken sein Nachtlager auf. Allein der Schlaf floh ihn diese und noch manch andere Nacht; denn ihn quälten Zukunftspläne und die Sorge um die Vermehrung des unheilvollen Geldes. Mit seinem Glück war zugleich das Unglück in seine vier Wände eingezogen. Aus dem zufriedenen Meister war ein griesgrämiger Sauertopf geworden. Durch unkluge Unternehmungen verlor er manches schöne Kapital, und nach wenigen Jahren bewahrheitete sich an ihm das Sprichwort: Wie gewonnen, so zerronnen. Doch als er immer ärmer wurde, machte die Not seinem jammervollen Leben ein Ende.

Und es erfüllte sich des Teufels Vorhersage, der Nußkaspar werde auch noch andere mit ins Verderben ziehen.