Der Langesloot fordert sein Opfer

Autor: Ueberlieferung
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Ein Schlittschuhläufer lief eines Abends bei hellem Mondschein auf dem Langesloot von Ernewolde nach Wartena. Da sah er plötzlich ein schwarzes Gespenst hinter sich. Er beeilte sich, aber der Spuk folgte ihm ebenso schnell nach. Der Schlittschuhläufer nahm alle Kräfte zusammen, aber das schwarze Gespenst blieb fortwährend einige Schritte hinter ihm. In Todesangst flog er nur so über das Eis hinweg, aber konnte es doch nicht lassen, ab und zu sich umzusehen. So merkte er nicht, daß vor ihm eine Wake, eine große Öffnung im Eise, war, und lief hinein. Ein Hohngelächter klang ihm in die Ohren, und der Spuk war verschwunden.

Der Schlittschuhläufer sauste quer durch das Wasser mit dem Kopf gegen den scharfen Rand der Eiskruste an der gegenüberliegenden Seite der Wake. Er war in solcher Fahrt, daß das Haupt glatt vom Rumpfe geschnitten wurde, und der Rumpf schoß unter dem Eise weiter, während der Kopf darüber hinglitt. Bei der nächsten Wake kamen die beiden Teile so gut wieder aufeinander zurecht, daß der Mann von dem ganzen Sturz nichts bemerkt hatte, und sogleich fror das Haupt wieder auf dem Rumpfe fest. Bei dem Dorfe Wartena stieg er aus dem Wasser und stand alsbald durchnäßt und frierend auf dem Deich. Er begab sich nach einer Bäckerei, um sich am Ofen etwas zu erwärmen; der Bäcker war eine alte Bekanntschaft und erlaubte es ihm gerne. Aber als der Schlittschuhläufer am Ofen saß, taute, ohne daß er es merkte, sein Kopf los. Er wollte sich schneuzen, aber durch den Ruck an der Nase fiel das Haupt vornüber in das Becken mit glühenden Kohlen. Darin fand er seinen Tod und wurde so ein Opfer des Wassergeistes vom Langesloot.

Einst fuhr ein Schiffer auf dem Langesloot nach Ernewolde. Er hatte einen schweren Tag gehabt, und es war schon ziemlich spät am Abend geworden. Ungefähr auf der Hälfte der Kanalstrecke steuerte er das Fahrzeug nach dem Ostdeich. Dort wollte er in der schönen Sommernacht vor Anker gehen, aber der Knecht dachte an nichts Gutes und riet es ihm entschieden ab. Der Schiffer glaubte nicht an Spuk und legte das Fahrzeug unmittelbar am Deich fest. Danach nahmen die beiden Männer ihr Abendessen zu sich und begaben sich zur Ruhe, der Knecht vorn und der Schiffer hinten im Kahn.

Der Knecht konnte nicht gleich einschlafen, so müde er auch war, er hatte eine Vorahnung von einem Unglück. Am anderen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, lag ein dichter Nebel über der Landschaft, da stand der Schiffer auf und sprang an der linken Seite seines Schiffes über Bord, an den Ostdeich, meint ihr? Nein, er taumelte Hals über Kopf ins Wasser und ertrank. Was war geschehen? Der Spuk hatte in der Nacht das Fahrzeug nach der anderen Seite hinübergeschoben und am Westdeich festgelegt, während der Vordersteven noch nach Süden gerichtet war. So wurde der Schiffer für seinen Unglauben mit dem Tode bestraft. Seit der Zeit aber blieb kein Schiff mehr des Nachts im Langesloot vor Anker liegen.