Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter

Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit
Autor: Schmid, Heinrich Friedrich Ferdinand Dr. (1811-1885) Kirchenhistoriker, Prof. der Theologie in Erlangen, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Luther, Luthertum, Reformation, Abendmahl, Melanchthon, Zwingli, Religionslehre, Reformation, Reformationszeit, Kirche
                                Die Aufgabe

Es hat mich seit lange der Gedanke bewegt, welch schweren Stand doch der, welcher dem lutherischen Bekenntnis zugetan ist, der Geschichte gegenüber hat, welche vom Jahr 1530 bis zur Kondordienformel hin verlaufen ist. Da steht im Anfang Luther mit seiner herben Absageschrift an die Schweizer. Es folgt das Interim, das in seinem Gefolge das Auseinandergehen der lutherischen Theologen in zwei Parteien hat, und aus dessen Saat Lehrstreitigkeiten über Lehrstreitigkeiten aufsprossen.

Und wer trägt die Schuld davon? Luther, der den Hass gegen Zwingli nicht überwinden konnte; die lutherische Partei mit Flacius an der Spitze, die dem Melanchthon seine im Interim bezeigte Schwäche nicht vergeben konnte; die da meinte, gut lutherisch zu sein, wenn sie den Ungestüm und die Unduldsamkeit Luthers sich zum Vorbild nehme; die darum die Wandelung, welche in der Abendmahlslehre mittlerweile in der Schweiz vorgegangen war, ignorierend, den Streit über diese Lehre wiederaufnahm und nicht ruhte, bis der Bruch zwischen der lutherischen und reformierten Kirche besiegelt war; die, angeblich im Eifer für die reine Lehre, aus jedem ungenauen oder unvorsichtigen Ausdruck eine glimmende Kohle machte, in die sie so lange blies, bis ein helles Feuer aufging: ein Beginnen, das schließlich den Auslauf nahm, dass sie ihren eigenen Führer in die Reihe der Ketzer stellen musste.

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Inhaltsverzeichnis
    Erster Abschnitt
  1. Die Wittenberger Konkordie
    1. Luther und Bucer
      1. Luthers Urteil über die Tetrapolitana
      2. Bucer, der Abendmahlstreit ein Wortstreit
      3. Melanchthon dagegen
      4. Kanzler Brück bezeichnet die Differenzpunkte
      5. Luthers Urteil über Bucers Auffassung
      6. Luthers Bedingungen einer Vereinbarung
      7. Luthers Erklärung über die Vorschläge Bucers
      8. Melanchthons Instruktion nach Kassel
      9. Melanchthon und Bucer in Kassel
      10. Bucers Bekenntnis in Kassel
      11. Die Zusammenkunft in Wittenberg
      12. Der Bericht des Myconius
      13. Inhalt der Konkordie in Betreff des Abendmahls
      14. Die noch bleibende Meinungsverschiedenheit über den Genuss der Ungläubigen
      15. Der Bericht Bernards
      16. Luther willigt in die Einigung, weil die Oberländer sich jetzt vollständig zu seiner Lehre bekannten, und hat nicht vor der noch möglichen Differenz die Augen verschlossen
    2. Luther und die Schweizer
      1. Die Erklärung der Schweizer an Luther über die Wittenberger Konkordie und ihre declaratio
      2. Luthers Äußerungen über die declaratio
      3. Luthers Antwort an die Schweizer, 1. Dezember. 1537
      4. Wie lässt sich das Verhalten Luthers zu den Schweizern erklären?
      5. Er will nicht die Hand des Friedens bieten, während sie noch abwichen
      6. Er will nur Bucern sein Werk, die Schweizer zur Annahme seiner Lehre zu bewegen, erleichtern
      7. Ein Blick auf die Verhandlungen Bucers mit den Schweizern
      8. Diese gehen von der Voraussetzung aus, Bucer sei in der Lehre ganz mit ihnen konform, und sind entschlossen, eine Konkordie nie mit Preisgebung ihrer Lehre einzugehen
      9. Die Helvetica prior an Luther nach Eisenach
      10. Bucer weder gegen Luthern noch gegen die Schweizer wahr
      11. Bucer hat Schuld an dem Missverständnis zwischen Luthern und den
        Schweizern
      12. Lutheranisierende Partei in Bern und Basel u. a.
      13. Warum es zuletzt zum Bruch kam zwischen Luthern und den Schweizern
      14. Luthers missliebige Äußerungen über Zwingli in einem Brief an die Venetianer
      15. Luthers Unmut bricht los. Sein kurzes Bekenntnis von 1544
      16. Der Schweizer Aufnahme der Äußerungen Luthers und ihre Antwort darauf
      17. Der Bruch zwischen beiden Teilen besiegelt
      18. Der Verlauf der Sache. Luther brach mit den Schweizern, sobald er inne geworden, dass keine Einheit erzielt sei. Luthers günstige Äußerungen über Calvin und dessen Abendmahlslehre kein Beweis dagegen
      19. Ist Luther in der letzten Zeit wieder zu milderer Gesinnung zurück gekehrt? Der Bericht des Alesius
      20. Der Bericht Hardenbergs. Die reformierte Kirchenzeitung
  2. Hat die Lehre Luthers vom Abendmahl ihren Ausdruck in den Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche gefunden?
    1. Die Katechismen Luthers
    2. Die Augsburgische Konfession und Apologie
    3. Die Schwabacher Artikel mit denen in der Augustana verglichen
    4. Die Apologie. In ihr keine Lehre zu Gunsten der Zwinglischen
    5. Die Schmalkalder Artikel
    6. Der Konvent bekennt sich nur zur Augustana, Apologie und dem trac-
      tatus de potestate et primatu papae
    7. Die in den Schmalkalder Artikeln enthaltene Lehre keine andere als die in den voranstehenden Bekenntnissen
  3. Ist durch die Änderungen, welche Melanchthon In der Augustana vornahm, der Bekenntnisstand der lutherischen Kirche geändert worden?
    1. Das angebliche System Melanchthons. Melanchthon kein spekulativer Geist
    2. Melanchthons Schwankungen in der Abendmahlslehre
    3. Melanchthon hat keine feste Ansicht von der ersten Zeit an gehabt und vertreten
    4. Melanchthons Wandlung in der Abendmahlslehre fällt in die Zeit nach 1530, und Melanchthon hat sein Abgewichensein von der Lehre Luthers nie offen ausgesprochen
    5. Hat Melanchthon in die späteren Ausgaben der Augustana seine von Luthern abweichende Lehren hineinlegen wollen?
    6. Der Grund der Veränderung des Art. X der Augustana
    7. Der Stand der Dinge zur Zeit als Luther starb
    8. Nach Luthers Tod nicht notwendig ein Bruch zwischen den Anhängern Luthers und Melanchthons voraus zu sehen
Das ist der Eindruck, den die Geschichte dieser Zeit, so wie sie gemeiniglich erzählt und dargestellt wird, macht. Es bildet da keinen großen Unterschied, ob man Plancks Werk: „Geschichte der protestantischen Theologie von Luthers Tod bis zu der Einführung der Konkordienformel“ liest, oder Heppes: „Geschichte des deutschen Protestantismus,“ die zwei einzigen Schriften, welche den ganzen Verlauf dieser Geschichte ausführlich zur Darstellung bringen. Nicht, dass wir den großen Unterschied, welcher zwischen diesen beiden Werken an sich ist, verkenneten. Plancks Werk, wenn es gleich vor nunmehr 67 Jahren geschrieben ist, hat jetzt noch seinen großen Wert. Mit solchem Fleiß hat Keiner vor ihm und nach ihm alles zusammengetragen, was in dieser Zeit geschehen und geschrieben worden ist. Es ist ein Quellenwerk ersten Rangs. Und man muss Planck auch zugestehen, dass er es mit dem guten Willen geschrieben hat, die Geschichte unparteiisch darzustellen, ja er hat die Tatsachen selbst so viel zum Wort kommen lassen, dass der Urteilsfähige und sorgsam Lesende selbst in den Hauptpunkten sich ein richtiges Urteil bilden kann, ein Urteil sehr abweichend von dem des Verfassers selbst. Aber Wenige pflegen so zu lesen, und Wenige können es auch, die Mehrzahl lässt sich von dem Urteil des Verfassers leiten. Wie sollte Planck aber ein richtiges Urteil haben abgeben können, der den Lehren, um welche sich der Streit bewegte, innerlich zu fern stand, als dass er die Bedeutung und den Ernst des Streits um sie hätte würdigen können, und von dem Baur in seiner trefflichen Schrift: „Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung,“ so richtig sagt, (p. 180.) „dass ihm die Theologie der Reformationszeit zur Antiquität geworden sei, an der er nicht nur kein persönliches sondern auch kein sachliches Interesse gehabt habe“, und dass er „bei allen theologischen Streitigkeiten und Verhandlungen, die er mit aller Gründlichkeit und Ausführlichkeit erzähle, es nicht verberge, dass er in ihnen doch eigentlich nur eine Geschichte der menschlichen Torheiten, Leidenschaften und Verkehrtheiten sehen könne, bei welchen man vergeblich frage, welchen Nutzen sie gehabt hätten.“

Wohl also dem, dem das gute Bekenntnis der lutherischen Kirche aus anderen Gründen feststeht: das Studium des Planckischen Werks, wenn er aus diesem die Geschichte dieser Zeit kennen lernen will, wird ihm nur den traurigen Eindruck hinterlassen, wie man doch an dieser guten Sache sich versündigt habe.

Soll er sich zu Heppe wenden? Wir brauchen bloß daran zu erinnern, dass Heppe in seinen vier Bänden den geschichtlichen Beweis liefern will, dass der Melanchthonismus der echte und wahre evangelische Protestantismus ist. Wer also das Bekenntnis der lutherischen Kirche lieb hat, der darf froh sein, wenn ihm durch die Geschichte, welche ihm da erzählt wird, das Vertrauen zu demselben nicht erschüttert wird.

Aber verhält es sich denn mit dieser Geschichte so, dass der Forscher, wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, zu keinem andern Resultat gelangen kann, und dass er die Geschichte in den Dienst einer verwerflichen Apologetik stellen müsste, wenn er ihr ein besseres Zeugnis für die Sache des lutherischen Bekenntnisses abgewinnen wollte?

Das ist die Frage, um die es sich handelt. ...[weiter lesen unter: Die Aufgabe]

Martin Luther als Mönch. Holzschnitt von Lukas Cranach

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Melanchthon, Philipp (1497-1560) Philologe, Philosoph, Humanist, Theologe

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