Die Aufgabe

... Fortsetzung

Daraus, dass in einem Zeitraum von mehr als 60 Jahren die zwei Geschichtsschreiber zu gleich ungünstigem Resultat gelangt sind, lässt sich noch nichts folgern. Der dogmatische Standpunkt beider ist von der Art, dass beiden wenigstens die Versuchung nahe lag, die Dinge so aufzufassen, wie sie getan haben. Und was will es auch besagen, wenn in einem so langen Zeitraum zwei Männer wenigstens in ihren negativen Resultaten übereinkommen? Der Zweifel an der richtigen Auffassung dieser beiden Werke ist denn auch seit geraumer Zeit vielfach ausgesprochen worden, und einzelne Partien dieser Geschichte sind auch bereits so bearbeitet, dass ein anderes Urteil über diese Zeit angebahnt ist.


Aber noch fehlt ein Werk, welches den ganzen breiten Stoff quellenmäßig durchgearbeitet vorlegte. Ein solches liefere auch ich nicht. Wohl habe ich mich mit dem Gedanken an ein solches getragen, aber weniger die Scheu vor der großen und beschwerlichen Arbeit hat ihn nicht zur Reife kommen lassen, als vielmehr die Erwägung, dass der Abendmahlsstreit der alle anderen Streitigkeiten an Bedeutung weitaus überwiegende ist, weil er nichts mehr und nichts weniger als ein Streit um das Recht und den Bestand der lutherischen Kirche gewesen ist; und dass es darum besser getan sein möchte, die Aufmerksamkeit auf ihn allein zu konzentrieren. Aus diesem Grund habe ich diesen Teil der Geschichte der lutherischen Theologie herausgehoben und aufs neue durchgearbeitet, und lege das Resultat meiner Forschungen hiermit vor.

Man wird das gefundene Resultat vielleicht von vornherein verdächtigen, um des konfessionellen Standpunktes willen, den ich einnehme. Aber wäre dann nicht der Verdacht gegen den, der von dem reformierten oder unionistischen Standpunkt aus schreibt, gleich sehr gerechtfertigt? Der konfessionelle Standpunkt kann und darf noch nicht Misstrauen einflössen. Wer dem lutherischen Bekenntnis zugetan ist, der wird allerdings anders urteilen über den Unterschied in der Lehre Zwinglis und Luthers, und Calvins und Luthers, als der, welcher dem reformierten Bekenntnis zugetan ist, aber der konfessionelle Standpunkt hindert von vornherein weder den Einen noch den Anderen, der Geschichte gerecht zu werden.

Ich kann mir das Zeugnis geben, das sich redlich bemüht war, unbefangen zu forschen und treu zu referieren. Es galt, einen sehr breiten Stoff durchzuarbeiten, diese Arbeit war für mich selbst ein Bedürfnis. Ich wollte einmal alle Zeugen verhören und der Sache im Einzelnen nachgehen: denn nur auf diesem Wege gewinnt man ein selbständiges Urteil und kann man mit seinem Urteil auch auf Glauben Anspruch machen. Dieser Arbeit habe ich mich gewissenhaft unterzogen und habe volle Freudigkeit gewonnen, ein Zeugnis für die gute Sache, um die man lutherischerseits kämpfte, abzulegen. Ich möchte nun mit ihr vornämlich denen dienen, welche ein Bedürfnis haben, die Geschichte dieser Zeit kennen zu lernen, obenan der studierenden Jugend: denn ihr vor allem ist es bei den bis jetzt vorliegenden Werken schwer genug gemacht, eine Kenntnis dieser Geschichte so zu gewinnen, dass sie nicht zugleich ein Vorurteil gegen die Sache fasste, um die es sich handelt.

Ob ich in anderen Kreisen, bei denen, welche sich ihr Urteil schon gebildet haben, etwas erreiche, muss ich dahingestellt sein lassen. Ich bekenne, dass meine Hoffnung darauf nicht groß ist. Und doch ist dieselbe nur auf ein niedriges Ziel gerichtet. Sie geht nur dahin, davon zu überzeugen, dass die lutherischen Theologen, nachdem sie einmal die Unterschiede in der Abendmahlslehre Luthers, Zwinglis und Calvins so fassten, wie sie taten, Recht und Pflicht hatten, für die Lehre Luthers einzutreten. Man sollte meinen, das müsste auch der anerkennen, der die Unterschiede anders fasst. Er könnte immerhin der Meinung verbleiben, dass die Lutheraner im Irrtum gewesen und im Irrtum seien, wenn sie die Unterschiede so hoch anschlügen, aber ist er denn so gewiss, dass der Irrtum nicht auf seiner Seite liegt, und wäre es nicht richtiger und billiger, dass man beiderseits das Abkommen träfe, an dem Anderen die Überzeugung, die er nun einmal hat, zu ehren und es billig und recht zu finden, dass man ihr gemäss urteilt und handelt?

Blicke ich auf die Geschichte der Zeit, welche ich dargestellt habe, so kann ich mich auch dieser Hoffnung nicht hingeben: denn in ihr sind alle Wirren eben daraus entstanden, dass man die Abweichung von der Lehre Luthers nicht zugestehen und der Lehre Luthers ihr Recht nicht lassen wollte.

Blicke ich aber auf unsere Zeit, so bin ich auch nicht zu größerer Hoffnung berechtigt: denn was liegt der unionistischen Tendenz, die in weiten Kreisen vorhanden ist, anders zu Grunde als die gleiche Nichtachtung der Überzeugung, der man in den lutherischen Kreisen zugetan ist?

So bin ich freilich nur zu geringer Hoffnung berechtigt. Das hält mich nicht ab, meine Arbeit zu veröffentlichen.

An Geringem müssen wir Lutheraner uns ja überhaupt genügen lassen, das ist das natürliche Loos derer, die wider den Strom der Zeit schwimmen, ganz aber wird es doch auch unter denen, die auf anderem dogmatischem Standpunkt stehen, nicht an Solchen fehlen, welche das gute Recht auch einer Sache, die nicht die ihrige ist, anzuerkennen willig sind. Wie es sich damit aber auch verhalte, mich dünkt, wie befremdlich das auch lauten mag, gerade der jetzige Zeitpunkt ist der geeignete zur Veröffentlichung dieser Arbeit. Die Geschichte der Zeit, die ich beschrieben habe, ist ein laut redendes Zeugnis dafür, dass man nur Zwietracht und Wirren sät, wo man das gute Recht der Kirche und ihres Bekenntnisses nicht achtet. Möchte das von dem Lande und der Regierung beachtet werden, die jetzt von drei Landeskirchen darum angegangen wird, dass sie ihnen ihr volles Recht angedeihen lasse. Der Macht, welche Österreich darnieder geworfen hat, könnten sie freilich nicht widerstehen, wenn ihnen ihr gutes Recht vorenthalten würde, aber auf ihr lastete dann die Verantwortung für die böse Saat, die über kurz oder lang aufgehen würde, und die wäre nicht mit den Mitteln zu bewältigen, mit denen man Königreiche besiegt. Und auf denen lastete die Verantwortung, die glauben, dass jetzt der günstigste Moment vorliege, in welchem sie ihre Anschauung von dem Verhältnis der Konfessionen zu einander zum zwingenden Gesetz erheben könnten, und die, mit verwerflicher Anwendung von Schlagwörtern, die in der Politik ihre Geltung haben mögen, aber nicht in der Kirche, je nach ihrer Stellung, es billigten oder ihrer Regierung rieten, dass diese dem Partikularismus ein Ende mache, und mit Nichtachtung des alten Rechtes die Einheit der evangelischen Kirche, je nach den Umständen mit linderen oder herberen Mitteln, schaffe.

Auf diesem Weg sind bereits aus zwei Kirchen drei geworden, und wer will sagen, was weiter daraus entstehen mag? Und dabei übersehe man auch nicht, dass die Verantwortung für das Feuer, das man anzündete, um so größer wäre, als die Vergewaltigung in einer Zeit vollzogen würde, in der die Konfessionen ungleich williger und geschickter sind als in der Zeit der Reformation, sich friedlich und freundlich neben einander einzurichten, man also auch nicht mehr aus dem Hader der Konfessionen untereinander den Vorwand zur Vergewaltigung einer derselben hernehmen könnte. —