Der Heckethaler. Nach alten Chroniken.

Aus: Die schönsten Sagen und Märchen der Insel Usedom und Wollin
Autor: Bearbeitet und herausgegeben von William Forster, Erscheinungsjahr: 1895

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Überlieferungen, Chroniken, Dokumente, Usedom, Kaminke, Golmberg, Aussichtspunkt, Naturereignisse, Sturmflut, Swinemünde, Rügen, Usedom
Zu Ende des vorigen Jahrhunderts wohnte auf der Färberstraße zu Swinemünde, nicht weit von der Kirche entfernt der Schiffer Jan Webster. Niemand wusste was für ein Landsmann der lange, breitschulterige Mann mit dem graumelierten Kopf war. Eines Tages war er in Swinemünde erschienen und hatte das Haus auf der Färberstraße, welches gerade feilgeboten ward, ohne zu handeln, ja ohne ein Wort über den Preis zu verlieren, gekauft.

Er selbst wohnte anfänglich in einem Gasthof, nicht weit vom Bollwerk — wo fremde Schiffer gern zu verkehren pflegen. Zum größten Erstaunen der Einwohner ließ er das eben gekaufte Haus bis zum Keller hinab wegreißen. Alle Welt schüttelte, ob dieses eigentümlichen Verfahrens den Kopf — doch was half es — Jan Webster bezahlte seine Arbeiter reichlich, da konnte der Sonderling tun und lassen was ihm beliebte. Aber die guten Einwohner sollten aus dem Staunen nicht herauskommen.

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Inhaltsverzeichnis
Eines Tages erschien ein fremdes Schiff im Hafen. Solch einen Koloss hatte noch Niemand gesehen, dazu war es mit schwarzer Farbe, wie ein Sarg angestrichen, nur am Schnabel, dort wo andere Schiffe einen Namen oder ein Bild führen, von dort leuchteten drei große rote Sterne. Auch die Segel waren aus schwarzem Stoff hergestellt, so dass das Schiff wie ein ungeheurer schwarzer Schwan die Swine herauf segelte.

Jedermann staunte dies Seewunder an. Es ging vor Anker und Jan Webster ließ sich an Bord des Schiffes rudern und stieg dort sogleich die Kajütentreppe hinab.

Als er nach kurzer Zeit wieder auf Deck erschien, befahl er, wie sein im Boote harrender Schiffer hörte: „Morgen beginnt das Ausladen, sputet Euch, Ihr wisst ich habe nicht viel Zeit. In zwei Tagen muss die Ladung gelöscht sein. Ihr wisst weshalb!“

Darauf antwortete eine tiefe Stimme scheinbar aus der Kajüte herauf: „Gewiss Jan Webster, es soll geschehen, wie Ihr befohlen!“

Der Schiffer im Boote hob den Kopf — doch so viel er auch spähte und blickte, er konnte den Besitzer der merkwürdig tiefen Stimme nirgends entdecken.

Ohne ein Wort des Abschiedes stieg nun Jan Webster die schmale Schiffstreppe hinab ins Boot: „Fahre mich nach dem Möwenhaken,“ herrschte er seinem Fährmann zu, dieser gehorchte, nicht ohne einen argwöhnischen Blick auf seinen, nun stumm dort sitzenden Passagier zu werfen.

Dieser schien Selbstgespräche zu halten, denn er bewegte unaufhörlich seine Lippen, ohne dass ein einziger Laut hörbar ward. Todesangst erfasste den Schiffer und er war heilfroh, als er vom Möwenhaken nach Hause geschickt ward. Jan Webster zahlte ihm einen guten Lohn, dann verschwand er im Gebüsch.

Vor Sonnenaufgang, am andern Tag, ward es lebendig auf dem schwarzen Schiff. Es war vortrefflich bemannt. Lauter kräftig gebaute, sonnenverbrannte Leute, und wie griffen sie beim Ausladen zu.

Voller Staunen bemerkten rasch versammelte Neugierige, dass die Schiffsmannschaft große, mächtige Felsblöcke, als seien es Holzstücke, spielend in bereitstehende Boote luden und nach dem Ufer brachten. Hier standen mehrere, mit kohlschwarzen Pferden bespannte Lastwagen, die die Steine im Galopp durch die stille Stadt nach der Färberstraße brachten. Dröhnend schlugen die Pferdehufe das Steinpflaster, weithin sprühten feurige Funken, und Nahestehende glaubten zu sehen, dass den schwarzen Rossen Feuerflammen um die weit aufgeblähten Nüstern spielten.

Rastlos arbeiteten die Schiffsleute, sodass wirklich am zweiten Tag zur bestimmten Zeit, Abends Glocke sechs, die Ladung des Schiffes gelöscht war.

Ohne längeren Aufenthalt zu nehmen, drehte das Schiff bei und segelte stolz und majestätisch, wie es gekommen, trotz konträren Windes, der Swinemündung zu. Seinen Kurs nahm es nach Rügen, bald verschwand es am Horizont — und nie mehr hat ein Sterblicher das schwarze Schiff mit den roten Sternen angetroffen. Swinemünder Seeleute befahren alle Gewässer, doch Keiner erinnert sich, je einem ähnlichen Schiff begegnet zu sein.

Aus den Steinen, es war schwedischer Granit, ließ Jan Webster sein neues Haus aufbauen. Fest, als werde es für eine Ewigkeit gegründet, ward Stein auf Stein gefügt. In erstaunlich kurzer Zeit stand das Haus fix und fertig. Die Arbeiter munkelten zwar, dass zur Nachtzeit die größten Steine von unsichtbaren Händen eingefügt worden seien, doch Niemand wusste etwas Genaues zu berichten.

Später erschienen Maler, Tapezierer, Tischler um den inneren Ausbau zu vollenden. Sie erzählten Wunderdinge von der Pracht, die im Innern herrschte.

Als die Einrichtung vollendet, verreiste Jan Webster auf ungefähr vier Wochen, Niemand ahnte, wohin er gegangen.

An einem kalten, regnerischen Herbstabend, der Wind pfiff heulend durch die schnurgeraden Straßen des Städtchens, da hielt ein hochbepackter Reisewagen vor der Tür des neuen Hauses. Es war schon ziemlich düster, und da damals noch keine Licht spendende elektrische Beleuchtung vorhanden, so konnte Niemand sehen, wer dem Wagen entstieg. Neugierige Nachbarn zwar versuchten die Dunkelheit mit scharfen Augen zu durchdringen, doch umsonst. Einige wollten ein altes Weib, andere eine weißgekleidete, jugendlich schlanke Gestalt ins Haus haben eintreten sehen, dritte behaupteten, es sei ein Neger mit weißem Turban und Mantel gewesen — Niemand wusste etwas Genaues — nur eins stand fest — die Bewohner des Hauses waren an jenem regnerischen Herbstabend eingezogen. Voller Neugierde betrachteten Vorübergehende die dicht mit Gardinen verhangenen Fenster, die nie und nimmer geöffnet wurden.

Im Hause blieb alles still, kein Ton, kein Laut einer Menschenstimme drang heraus. Jan Webster allein sah man täglich, Punkt 11 Uhr vormittags, aus der Haustür treten, die rasch hinter ihm verschlossen ward und sich nicht öffnete, bis er gegen 2 Uhr wieder heimkehrte. Die Einkäufe für den Haushalt besorgte ein alter, mürrischer Matrose, aber aus diesem „Stockfisch“, wie ihm der Volkswitz getauft hatte, war kein Sterbenswörtchen herauszulocken. So ging die Zeit hin — der Winter kam, dann schmolz der Schnee und herrlicher Sonnenschein lud zum Spazierengehen ein, doch das Haus auf der Färberstraße blieb, wie bisher, dicht verhängt und verschlossen. Allmählich gewöhnte man sich an das geheimnisvolle Haus und forschte nicht mehr nach seinen mutmaßlichen Bewohnern.

Gegenüber dem berühmten oder berüchtigten Haus stand ein nettes Häuschen. Hell gestrichen, mit grünen Fensterläden, sah es einladend und schmuck aus. Hier wohnte eine Witwe. Frau Rasmussen, deren Gatte vor Jahren draußen auf See verunglückt war. Sie besaß einen einzigen Sohn, Heinrich mit Namen; ein fleißiger, braver Mensch, der in seinen Freistunden, anstatt mit seinen Kameraden eine Schenke zu besuchen, lieber nach Hause ging und sich die Zeit mit Holzschnitzen vertrieb. Reizende Engel, zierliche Kästen, Holzteller mit geschnitzten Bibelsprüchen, dies alles fertigte der geschickte, junge Mann. Am letzten Fenster in der Unterstube, gerade der Haustür des stillen Hauses gegenüber, war sein gewohnter Platz.

********************* Fortsetzung *****************

Das Rendez-vous

Das Rendez-vous