Der Cramonsberg bei Rostock
Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von A. C. F. Krohn zu Penzlin, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Rostock, Tessin, Cramonstannen, Cramonsberg, Sage, Volkssage, Not, Trost, Hilfe, Rat, Prediger, Religion, Sünde, Tugend, Versuchung, Nicolaikirche
Wenn man der Chaussee von Rostock nach Tessin nachgeht, so kommt man nicht weit von der Ziegel, der äußeren Umgrenzung Rostocks und seiner Vorstädte, bei einem kleinen Tannenkamp, den Cramonstannen, vorbei. Diese Tannen erstreckten sich früher bis zu dem Cramonsberg, einem allein liegenden, ziemlich hohen und steilen Sand- und Lehmhügel, links von der genannten Chaussee. An diesen Ort knüpft sich folgende Sage:
Vor Zeiten studierte einmal zu Rostock der Sohn eines armen Predigers Theologie. Derselbe hatte, neben guten Anlagen, Lust und Liebe zur Sache und lag deshalb mit großem Fleiße seinen Studien ob. Da er vom elterlichen Hause aus nur wenig unterstützt werden konnte, so suchte er, so gut es gehen wollte, sich mit Stundengeben kümmerlich durchzuhelfen. So hatte er schon längere Zeit in Rostock zugebracht und sah mit froher Hoffnung dem Zeitpunkte entgegen, wo er seine Prüfung bestehen sollte, um dann ein Amt antreten zu können. Da starb aber plötzlich und unerwartet sein Pater und hinterließ ihm in bitterer Not eine kränkliche Mutter und mehrere unversorgte Geschwister.
Waren auch die Zuschüsse aus dem elterlichen Hause nie bedeutend gewesen, so empfand doch der arme Student das Ausbleiben derselben gar sehr. Ja nun sollte er sogar noch von dem Geringen, was er durch Unterrichten erwarb, seine Lieben daheim in ihrer Not unterstützen. Dazu nahte der Termin der Prüfung heran; mit ihm wuchs die Arbeit und die Sorge, und doch war seine durch übergroße Anstrengungen ohnehin schon geschwächte Gesundheit durch den Tod des teuren Vaters vollständig zerrüttet.
Man kann sich wohl denken, wie es dabei dem armen Menschen ums Herz war. Wohl hatte er, der Mahnung des frommen und schon heimgegangenen Vaters folgend, im inbrünstigen Gebete den Herrn um Rat, Trost und Hilfe angefleht; aber wie bange er auch seufzen mochte: „Ach Herr, wie so lange!" vergebens spähte sein Herz nach Hilfe. Er war hingegangen zu entfernteren reichen Verwandten, hatte aber nichts als leere Vertröstungen empfangen; und als er an der Tür eines hartherzigen Reichen anklopfte, da ward ihm Hohn und Spott zu Teil.
Das war fast zu viel für ein armes, durch Gram und Sorgen gebeugtes und zerschlagenes Herz. Es war über ihn eine Stunde, wie die des Hieb und Jeremias gekommen, da sie den Tag ihrer Geburt verfluchten; und gefoltert vom Seelenschmerze eilte der arme Jüngling durch die Straßen. Wohin? ach das wusste er selbst nicht; — und wer will mit ihm rechten, wenn ihn Gedanken durchzuckten, vor denen er bei ruhigem Gemüte und klarem Bewusstsein zurückgebebt wäre.—
Er eilte hinaus ins Freie, denn drinnen war's ihm zu eng und klein für seinen großen Schmerz.
Es war schon Abend, als er die Stadt verließ und planlos zum Mühlentor hinaus seine Schritte lenkte. Die Leute, welche ihm begegneten, wichen ihm scheu aus, und sahen nicht ohne geheimes Grauen dem bleichen Jüngling mit dem unsteten, flüchtigen Blicke nach.
Drinnen in der Brust des Armen aber kämpfte und tobte es gewaltig. Erst als er draußen im Freien war, und ihn die milde Abendluft umfing, wurde es allgemach ruhiger in ihm.
So war er unvermerkt nach dem Cramonsberge gekommen, als mit einem Male ein gar wundersamer Reiter vor ihm hielt. Erschreckt fuhr der Jüngling zusammen, sowohl über das plötzliche Erscheinen des Reiters, als auch über sein sonderbares Aussehen. Reich, sehr reich musste der Mann sein, denn sein ganzer Anzug, sowie das Riemenzeug des Pferdes, funkelte von Diamanten und anderen kostbaren Steinen. Der Kleidung nach zu urteilen war er ein Ritter, und auf dem Barette, das sein Haupt nach damaliger Sitte deckte, schwankte eine lange rote Hahnenfeder. Nicht ohne geheime Angst ging der arme Student, denn ausweichen konnte er nicht mehr, auf den vornehmen Fremden zu, der ihm jetzt auch und zwar mit großer Freundlichkeit entgegen kam.
„Ei, ei”, redete ihn dieser endlich an, „Euch muss wahrlich etwas Schlimmes begegnet sein, oder habt Ihr irgend eine Last auf dem Gewissen, dass Ihr den Kopf hängen lasset und aussehet, als sei es mit Euch Matthäi am Letzten. Ihr rennt ja umher, wie weiland Kam, als hättet Ihr nirgends Ruhe noch Rast!"
„Wenn Ihr meint, dass mich irgend eine große Sündenschuld besonders drückt, so irrt Ihr gar sehr”, entgegnete der Angeredete, „aber wenn Sorge und Not anwachsen, da muss wohl ein armes Menschenherz zuletzt unter der Last erliegen."
„Nichts weiter, als das! Betet doch”, rief höhnisch der Fremde, „das wird helfen!"
„„Wenn ich's nicht schon getan hätte! Aber es ist, als hätte der Herr für mich seine Ohren verschlossen.""
„So bittet Eure Freunde! Vielleicht werden die sich Eurer erbarmen."
„Ach, die Freunde kennen mich nicht, nun da ich in Not bin; und die mich noch kennen, haben nur schöne Worte und Ausflüchte für mich."
„Nun so versucht's doch bei andern Leuten."
„Ja, die haben mir mit Spott und Hohn gedient. Ohne Erbarmen hat man mich dort von sich gestoßen."
„Und das habt Ihr Alles ruhig über Euch ergehen lassen? Oh, mir hätte sie's nicht bieten dürfen, die Brut! So nehmt doch, was Euch Geiz und Hartherzigkeit, schnöde versagen."
„Stehlen soll ich!" rief entrüstet der Jüngling und wich betroffen von dem unheimlichen Fremden zurück.
„Nun, und was ist das Großes”, entgegnete dieser; und fuhr mit zuversichtlichem Tone fort, „Ihr nehmt, was man Euch ungerechter Weise vorenthält und was Euch von Gott und Rechtswegen zukommt. Überdies könnt Ihr's ja später dem Eigentümer wieder zurückgeben, wenn es Eure Umstände erlauben."
„Da sei Gott vor”, erwiderte fest und bestimmt der Versuchte, „sollte ich den ehrlichen Namen meines Vaters mit Schimpf und Schande bedecken? — Lieber will ich arbeiten, so lange ich noch eine Hand rühren kann, und dann, wenn's sein soll, im Elend umkommen."
„Bravo, bravo!" rief der Fremde mit erheuchelter Freude, und klopfte dem Jüngling auf die Schulter, „das gefällt mir von Euch. Ich wollte Euch nur auf die Probe stellen, und wohl Euch, dass Ihr sie bestanden habt. Eure Not geht mir nahe und es freut mich, dass ich Euch dienen kann. Dort nehmt einstweilen meine Börse. Was sie enthält, gehört Euch, es wird wohl für vier Wochen reichen. Dann, wenn der Mond wieder seinen Lauf um die Erde beginnt, erwartet mich hier an dieser Stelle, und Ihr sollt so viel Geld von mir haben, als Ihr nur eben gebraucht. Dafür verlange ich weiter nichts von Euch, als dass Ihr Euren Namen mit Eurem Blute m dies Buch eintragt." Damit zog er ein Buch aus dem Busen hervor, das gar wunderlich anzusehen war, reichte es samt der Börse dem Studenten, machte dann Kehrt und ohne Antwort abzuwarten, sprengte er im gestreckten Galopp davon.
Der arme Student wusste gar nicht, wie ihm geschah; und ehe er sich noch recht besinnen konnte, war schon der Reitersmann in der Dunkelheit seinen Blicken entschwunden, und nur noch wie aus weiter Ferne her ließ sich der Hufschlag des Pferdes vernehmen. Hätte er nicht Buch und Börse in den Händen gehalten, so hätte er das Ganze für einen Traum halten mögen; so aber durfte er nicht zweifeln. Noch einmal ließ er alle Worte des Fremden und namentlich die zuletzt gesprochenen an seiner Seele vorübergehen und dann eilte er, so schnell ihn seine Füße zu tragen vermochten, nach der Stadt zurück, wo er erst bei völliger Dunkelheit wieder anlangte. Tausend Fragen und Gedanken über das Erlebte durchkreuzten seinen Kopf und drängten die Schwermut bei Seite, und ließen ihn wenigstens für den Augenblick seine traurige und bedrängte Lage vergessen.
Daheim angekommen, war das Erste, dass er das rätselhafte Buch hervorholte und besah. Hatte er sich aber auf dem Heimwege schon eines geheimen Schauers nicht erwehren können, so ward ihm vollends erst unheimlich zu Mute, als er bei Licht das Buch aufmachte, und nun darin eine Menge ihm zum Teil wohlbekannter Namen, sämtlich mit Blut verzeichnet, fand.
„Was ist das?“ fragte er sich entsetzt. ,,Oh Gott" rief er dann aus, „behüte mich und meine arme Seele vor Verderben!"
Hatten ihm vorher Not und Sorge den Schlaf geraubt, so verscheuchte ihm nun eine innerliche, fast qualvolle Unruhe diesen milden Tröster, der alles Erdenleid wenigstens auf kurze Zeit vergessen macht. Als der Morgen graute, war noch kein Schlaf in seine Augen gekommen.
Wohl war die Not des Jünglings groß, aber doch getraute er sich nichts von dem blinkenden Golde zu nehmen, von dem die Börse des Fremden strotzte. Wohl musste er sich selbst sagen, das Gold ist ja ein freies Geschenk, mit dem du machen kannst, was du willst. Einige wenige Stücke reichen vollkommen hin, um deine augenblickliche Not zu kehren, und das übrige kannst du ja nötigenfalls dem Manne wieder zurückgeben. Aber wollte er zugreifen, so war es ihm, als hielte eine unsichtbare Gewalt seine Hand zurück.
So verlebte der arme Mensch wirklich qualvolle Stunden und Tage. Die Not wuchs mit jedem Tage, und mehr als einmal stieg in ihm der Gedanke auf: Was kann es schaden, dass du deinen Namen, wenn auch mit Blut, in dies Buch schreibst und dafür das Geld des Mannes nimmst und so deine Not kehrst. Du hast dich damit ja Niemand verschrieben und kannst hernach eben so fromm und gottesfürchtig leben und wandeln als vorher. Das kann deiner Seelen Seligkeit unmöglich Abbruch tun. Wollte er aber ans Werk gehen, so überfiel ihn eine namenlose Angst, die ihn nicht eher verließ, als bis er Feder und Buch wieder von sich warf.
Lange hielt er's so nicht aus. Hatten ihn vorher schon übermäßige Anstrengung, Qual und Leiden geschwächt, so drohte diese fortwährende Unruhe und Aufregung ihn vollends aufzureiben. Da gab es ihm der Herr ins Herz, dass er einen Mann aufsuchte, der ihm nicht nur Trost und Mut zusprach, sondern ihm auch mit Rat und Tat zur Seite stand, und so seine Seele vom zeitlichen und ewigen Verderben errettete, auch seiner bedrängten Lage ein Ende machte.
Es lebte nämlich zu der Zeit in Rostock ein Prediger an der St. Nikolaikirche, ein sehr frommer und gelehrter Mann, der in dem Rufe eines treuen Seelenhirten stand. Zu diesem begab sich der Student und teilte sich ihm rückhaltlos mit.
Der würdige Mann hörte ihm schweigend zu. Als er geendet, rief er: „Oh, mein Sohn, Satanas hat Deiner begehrt. Doch danke dem Herrn, dass Er Dir noch zeitig genug die Augen öffnete und bitte Ihn, dass Er Dir beistehe in dieser großen Gefahr und Dich an Leib und Seel errette. Mein Rat aber ist der: nimm von Deinem Blute, aber statt Deines Namens zeichne drei Kreuze in das Buch. Ist es dann Satanas, der Dir das Buch gegeben, wie ich nicht zweifle, so wird er vor diesem Zeichen nicht bestehen können, und vielleicht ist dann noch diese oder jene arme, darin verzeichnete Seele zu retten."
Der Student tat, wie ihm geraten war; und von Stund war es, als ob wieder Ruhe und Frieden in sein geängstetes Herz zurückkehrte.
Als aber der festgesetzte Termin herankam, begab er sich, der Weisung des Geistlichen folgend, wieder nach dem Cramonsberg, jedoch nicht ohne Zittern und Zagen und in banger Erwartung dessen, das da kommen sollte.
Als er in die Nähe des Hügels kam, hielt der Reiter schon droben und harrte seiner mit Ungeduld. Fast noch herrlicher und prächtiger, als das erste Mal, saß er heute zu Pferde. Rund um ihn her standen mehrere Säcklein, denen man es wohl ansehen konnte, dass sie ungezählte Mengen vom verführerischen Mammon enthielten. Aber auch der verräterische Pferdefuß blieb den ängstlich forschenden Blicken des Jünglings nicht verborgen.
„Das nenne ich Wort halten”, rief ihm mit heiserer Stimme und höllischem Grinsen Urian entgegen; denn dass wirklich er und kein Anderer der fremde Reiter war, wird der geneigte Leser schon längst gemerkt haben. „Das ist brav von Dir, mein Bürschchen”, fuhr er dann mit schlecht verhaltener hämischer Freude fort, „gib her die Verschreibung und hier nimm das Geld und lebe alle Tage herrlich und in Freuden. Je toller, je besser. Ist der Vorrat zu Ende, dann soll schon weiter Rat werden!"
Mit diesen Worten riss er dem Bebenden das Buch aus der Hand. Aber kaum hatte er es aufgeschlagen und die drei Kreuze darin bemerkt, als er es mit einem grässlichen Fluche weit von sich schleuderte und mit entsetzlichem Getöse von der Erde auf und dann in die Tannen hinabfuhr und so den Augen des Jünglings entschwand. Dieser zitterte wie Espenlaub und es währte geraume Zeit, bis er sich von dem gewaltigen Schrecken erholte. Er vermochte nur ein: „Herr Gott, ich danke Dir!" zu stammeln; dann eilte er schnell von dem unheimlichen Orte weg und in die Stadt zurück, zu dem Pastor und teilte ihm, so weit es die große innere Aufregung zuließ, das Vorgefallene mit.
Durch den Prediger wurde die Geschichte bald in der ganzen Stadt ruchbar und zwar zum Besten des armen Studenten. Denn es taten sich jetzt allenthalben milde Herzen und Hände auf, ihn und die Seinigen zu unterstützen.
So konnte er denn fortan ungestört seine Studien fortsetzen, was er auch mit großer Gewissenhaftigkeit und Treue tat; bis der Herr ihn zum Arbeiter in Seinen Weinberg berief.
Da hat er denn als frommer und getreuer Knecht wacker für seines Herrn Sache gearbeitet und gestritten, bis er eingehen durfte zu seines Herrn Freude.
Vor Zeiten studierte einmal zu Rostock der Sohn eines armen Predigers Theologie. Derselbe hatte, neben guten Anlagen, Lust und Liebe zur Sache und lag deshalb mit großem Fleiße seinen Studien ob. Da er vom elterlichen Hause aus nur wenig unterstützt werden konnte, so suchte er, so gut es gehen wollte, sich mit Stundengeben kümmerlich durchzuhelfen. So hatte er schon längere Zeit in Rostock zugebracht und sah mit froher Hoffnung dem Zeitpunkte entgegen, wo er seine Prüfung bestehen sollte, um dann ein Amt antreten zu können. Da starb aber plötzlich und unerwartet sein Pater und hinterließ ihm in bitterer Not eine kränkliche Mutter und mehrere unversorgte Geschwister.
Waren auch die Zuschüsse aus dem elterlichen Hause nie bedeutend gewesen, so empfand doch der arme Student das Ausbleiben derselben gar sehr. Ja nun sollte er sogar noch von dem Geringen, was er durch Unterrichten erwarb, seine Lieben daheim in ihrer Not unterstützen. Dazu nahte der Termin der Prüfung heran; mit ihm wuchs die Arbeit und die Sorge, und doch war seine durch übergroße Anstrengungen ohnehin schon geschwächte Gesundheit durch den Tod des teuren Vaters vollständig zerrüttet.
Man kann sich wohl denken, wie es dabei dem armen Menschen ums Herz war. Wohl hatte er, der Mahnung des frommen und schon heimgegangenen Vaters folgend, im inbrünstigen Gebete den Herrn um Rat, Trost und Hilfe angefleht; aber wie bange er auch seufzen mochte: „Ach Herr, wie so lange!" vergebens spähte sein Herz nach Hilfe. Er war hingegangen zu entfernteren reichen Verwandten, hatte aber nichts als leere Vertröstungen empfangen; und als er an der Tür eines hartherzigen Reichen anklopfte, da ward ihm Hohn und Spott zu Teil.
Das war fast zu viel für ein armes, durch Gram und Sorgen gebeugtes und zerschlagenes Herz. Es war über ihn eine Stunde, wie die des Hieb und Jeremias gekommen, da sie den Tag ihrer Geburt verfluchten; und gefoltert vom Seelenschmerze eilte der arme Jüngling durch die Straßen. Wohin? ach das wusste er selbst nicht; — und wer will mit ihm rechten, wenn ihn Gedanken durchzuckten, vor denen er bei ruhigem Gemüte und klarem Bewusstsein zurückgebebt wäre.—
Er eilte hinaus ins Freie, denn drinnen war's ihm zu eng und klein für seinen großen Schmerz.
Es war schon Abend, als er die Stadt verließ und planlos zum Mühlentor hinaus seine Schritte lenkte. Die Leute, welche ihm begegneten, wichen ihm scheu aus, und sahen nicht ohne geheimes Grauen dem bleichen Jüngling mit dem unsteten, flüchtigen Blicke nach.
Drinnen in der Brust des Armen aber kämpfte und tobte es gewaltig. Erst als er draußen im Freien war, und ihn die milde Abendluft umfing, wurde es allgemach ruhiger in ihm.
So war er unvermerkt nach dem Cramonsberge gekommen, als mit einem Male ein gar wundersamer Reiter vor ihm hielt. Erschreckt fuhr der Jüngling zusammen, sowohl über das plötzliche Erscheinen des Reiters, als auch über sein sonderbares Aussehen. Reich, sehr reich musste der Mann sein, denn sein ganzer Anzug, sowie das Riemenzeug des Pferdes, funkelte von Diamanten und anderen kostbaren Steinen. Der Kleidung nach zu urteilen war er ein Ritter, und auf dem Barette, das sein Haupt nach damaliger Sitte deckte, schwankte eine lange rote Hahnenfeder. Nicht ohne geheime Angst ging der arme Student, denn ausweichen konnte er nicht mehr, auf den vornehmen Fremden zu, der ihm jetzt auch und zwar mit großer Freundlichkeit entgegen kam.
„Ei, ei”, redete ihn dieser endlich an, „Euch muss wahrlich etwas Schlimmes begegnet sein, oder habt Ihr irgend eine Last auf dem Gewissen, dass Ihr den Kopf hängen lasset und aussehet, als sei es mit Euch Matthäi am Letzten. Ihr rennt ja umher, wie weiland Kam, als hättet Ihr nirgends Ruhe noch Rast!"
„Wenn Ihr meint, dass mich irgend eine große Sündenschuld besonders drückt, so irrt Ihr gar sehr”, entgegnete der Angeredete, „aber wenn Sorge und Not anwachsen, da muss wohl ein armes Menschenherz zuletzt unter der Last erliegen."
„Nichts weiter, als das! Betet doch”, rief höhnisch der Fremde, „das wird helfen!"
„„Wenn ich's nicht schon getan hätte! Aber es ist, als hätte der Herr für mich seine Ohren verschlossen.""
„So bittet Eure Freunde! Vielleicht werden die sich Eurer erbarmen."
„Ach, die Freunde kennen mich nicht, nun da ich in Not bin; und die mich noch kennen, haben nur schöne Worte und Ausflüchte für mich."
„Nun so versucht's doch bei andern Leuten."
„Ja, die haben mir mit Spott und Hohn gedient. Ohne Erbarmen hat man mich dort von sich gestoßen."
„Und das habt Ihr Alles ruhig über Euch ergehen lassen? Oh, mir hätte sie's nicht bieten dürfen, die Brut! So nehmt doch, was Euch Geiz und Hartherzigkeit, schnöde versagen."
„Stehlen soll ich!" rief entrüstet der Jüngling und wich betroffen von dem unheimlichen Fremden zurück.
„Nun, und was ist das Großes”, entgegnete dieser; und fuhr mit zuversichtlichem Tone fort, „Ihr nehmt, was man Euch ungerechter Weise vorenthält und was Euch von Gott und Rechtswegen zukommt. Überdies könnt Ihr's ja später dem Eigentümer wieder zurückgeben, wenn es Eure Umstände erlauben."
„Da sei Gott vor”, erwiderte fest und bestimmt der Versuchte, „sollte ich den ehrlichen Namen meines Vaters mit Schimpf und Schande bedecken? — Lieber will ich arbeiten, so lange ich noch eine Hand rühren kann, und dann, wenn's sein soll, im Elend umkommen."
„Bravo, bravo!" rief der Fremde mit erheuchelter Freude, und klopfte dem Jüngling auf die Schulter, „das gefällt mir von Euch. Ich wollte Euch nur auf die Probe stellen, und wohl Euch, dass Ihr sie bestanden habt. Eure Not geht mir nahe und es freut mich, dass ich Euch dienen kann. Dort nehmt einstweilen meine Börse. Was sie enthält, gehört Euch, es wird wohl für vier Wochen reichen. Dann, wenn der Mond wieder seinen Lauf um die Erde beginnt, erwartet mich hier an dieser Stelle, und Ihr sollt so viel Geld von mir haben, als Ihr nur eben gebraucht. Dafür verlange ich weiter nichts von Euch, als dass Ihr Euren Namen mit Eurem Blute m dies Buch eintragt." Damit zog er ein Buch aus dem Busen hervor, das gar wunderlich anzusehen war, reichte es samt der Börse dem Studenten, machte dann Kehrt und ohne Antwort abzuwarten, sprengte er im gestreckten Galopp davon.
Der arme Student wusste gar nicht, wie ihm geschah; und ehe er sich noch recht besinnen konnte, war schon der Reitersmann in der Dunkelheit seinen Blicken entschwunden, und nur noch wie aus weiter Ferne her ließ sich der Hufschlag des Pferdes vernehmen. Hätte er nicht Buch und Börse in den Händen gehalten, so hätte er das Ganze für einen Traum halten mögen; so aber durfte er nicht zweifeln. Noch einmal ließ er alle Worte des Fremden und namentlich die zuletzt gesprochenen an seiner Seele vorübergehen und dann eilte er, so schnell ihn seine Füße zu tragen vermochten, nach der Stadt zurück, wo er erst bei völliger Dunkelheit wieder anlangte. Tausend Fragen und Gedanken über das Erlebte durchkreuzten seinen Kopf und drängten die Schwermut bei Seite, und ließen ihn wenigstens für den Augenblick seine traurige und bedrängte Lage vergessen.
Daheim angekommen, war das Erste, dass er das rätselhafte Buch hervorholte und besah. Hatte er sich aber auf dem Heimwege schon eines geheimen Schauers nicht erwehren können, so ward ihm vollends erst unheimlich zu Mute, als er bei Licht das Buch aufmachte, und nun darin eine Menge ihm zum Teil wohlbekannter Namen, sämtlich mit Blut verzeichnet, fand.
„Was ist das?“ fragte er sich entsetzt. ,,Oh Gott" rief er dann aus, „behüte mich und meine arme Seele vor Verderben!"
Hatten ihm vorher Not und Sorge den Schlaf geraubt, so verscheuchte ihm nun eine innerliche, fast qualvolle Unruhe diesen milden Tröster, der alles Erdenleid wenigstens auf kurze Zeit vergessen macht. Als der Morgen graute, war noch kein Schlaf in seine Augen gekommen.
Wohl war die Not des Jünglings groß, aber doch getraute er sich nichts von dem blinkenden Golde zu nehmen, von dem die Börse des Fremden strotzte. Wohl musste er sich selbst sagen, das Gold ist ja ein freies Geschenk, mit dem du machen kannst, was du willst. Einige wenige Stücke reichen vollkommen hin, um deine augenblickliche Not zu kehren, und das übrige kannst du ja nötigenfalls dem Manne wieder zurückgeben. Aber wollte er zugreifen, so war es ihm, als hielte eine unsichtbare Gewalt seine Hand zurück.
So verlebte der arme Mensch wirklich qualvolle Stunden und Tage. Die Not wuchs mit jedem Tage, und mehr als einmal stieg in ihm der Gedanke auf: Was kann es schaden, dass du deinen Namen, wenn auch mit Blut, in dies Buch schreibst und dafür das Geld des Mannes nimmst und so deine Not kehrst. Du hast dich damit ja Niemand verschrieben und kannst hernach eben so fromm und gottesfürchtig leben und wandeln als vorher. Das kann deiner Seelen Seligkeit unmöglich Abbruch tun. Wollte er aber ans Werk gehen, so überfiel ihn eine namenlose Angst, die ihn nicht eher verließ, als bis er Feder und Buch wieder von sich warf.
Lange hielt er's so nicht aus. Hatten ihn vorher schon übermäßige Anstrengung, Qual und Leiden geschwächt, so drohte diese fortwährende Unruhe und Aufregung ihn vollends aufzureiben. Da gab es ihm der Herr ins Herz, dass er einen Mann aufsuchte, der ihm nicht nur Trost und Mut zusprach, sondern ihm auch mit Rat und Tat zur Seite stand, und so seine Seele vom zeitlichen und ewigen Verderben errettete, auch seiner bedrängten Lage ein Ende machte.
Es lebte nämlich zu der Zeit in Rostock ein Prediger an der St. Nikolaikirche, ein sehr frommer und gelehrter Mann, der in dem Rufe eines treuen Seelenhirten stand. Zu diesem begab sich der Student und teilte sich ihm rückhaltlos mit.
Der würdige Mann hörte ihm schweigend zu. Als er geendet, rief er: „Oh, mein Sohn, Satanas hat Deiner begehrt. Doch danke dem Herrn, dass Er Dir noch zeitig genug die Augen öffnete und bitte Ihn, dass Er Dir beistehe in dieser großen Gefahr und Dich an Leib und Seel errette. Mein Rat aber ist der: nimm von Deinem Blute, aber statt Deines Namens zeichne drei Kreuze in das Buch. Ist es dann Satanas, der Dir das Buch gegeben, wie ich nicht zweifle, so wird er vor diesem Zeichen nicht bestehen können, und vielleicht ist dann noch diese oder jene arme, darin verzeichnete Seele zu retten."
Der Student tat, wie ihm geraten war; und von Stund war es, als ob wieder Ruhe und Frieden in sein geängstetes Herz zurückkehrte.
Als aber der festgesetzte Termin herankam, begab er sich, der Weisung des Geistlichen folgend, wieder nach dem Cramonsberg, jedoch nicht ohne Zittern und Zagen und in banger Erwartung dessen, das da kommen sollte.
Als er in die Nähe des Hügels kam, hielt der Reiter schon droben und harrte seiner mit Ungeduld. Fast noch herrlicher und prächtiger, als das erste Mal, saß er heute zu Pferde. Rund um ihn her standen mehrere Säcklein, denen man es wohl ansehen konnte, dass sie ungezählte Mengen vom verführerischen Mammon enthielten. Aber auch der verräterische Pferdefuß blieb den ängstlich forschenden Blicken des Jünglings nicht verborgen.
„Das nenne ich Wort halten”, rief ihm mit heiserer Stimme und höllischem Grinsen Urian entgegen; denn dass wirklich er und kein Anderer der fremde Reiter war, wird der geneigte Leser schon längst gemerkt haben. „Das ist brav von Dir, mein Bürschchen”, fuhr er dann mit schlecht verhaltener hämischer Freude fort, „gib her die Verschreibung und hier nimm das Geld und lebe alle Tage herrlich und in Freuden. Je toller, je besser. Ist der Vorrat zu Ende, dann soll schon weiter Rat werden!"
Mit diesen Worten riss er dem Bebenden das Buch aus der Hand. Aber kaum hatte er es aufgeschlagen und die drei Kreuze darin bemerkt, als er es mit einem grässlichen Fluche weit von sich schleuderte und mit entsetzlichem Getöse von der Erde auf und dann in die Tannen hinabfuhr und so den Augen des Jünglings entschwand. Dieser zitterte wie Espenlaub und es währte geraume Zeit, bis er sich von dem gewaltigen Schrecken erholte. Er vermochte nur ein: „Herr Gott, ich danke Dir!" zu stammeln; dann eilte er schnell von dem unheimlichen Orte weg und in die Stadt zurück, zu dem Pastor und teilte ihm, so weit es die große innere Aufregung zuließ, das Vorgefallene mit.
Durch den Prediger wurde die Geschichte bald in der ganzen Stadt ruchbar und zwar zum Besten des armen Studenten. Denn es taten sich jetzt allenthalben milde Herzen und Hände auf, ihn und die Seinigen zu unterstützen.
So konnte er denn fortan ungestört seine Studien fortsetzen, was er auch mit großer Gewissenhaftigkeit und Treue tat; bis der Herr ihn zum Arbeiter in Seinen Weinberg berief.
Da hat er denn als frommer und getreuer Knecht wacker für seines Herrn Sache gearbeitet und gestritten, bis er eingehen durfte zu seines Herrn Freude.