Das charakteristische Merkmal der Auswanderung der Neuzeit...
Aus: Die deutsche überseeische Auswanderung seit 1871 . . .
Autor: Josephy, Fritz Dr. (?-?), Erscheinungsjahr: 1912
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderung, Auswanderer, Deutschland, Amerika, USA, Vereinigte Staaten, Auswanderungsschiffe, Auswanderungshäfen, Auswanderungsländer, Auswanderungsgründe, Auswanderungsagenten
Das charakteristische Merkmal der Auswanderung der Neuzeit ist die ununterbrochene Zunahme der Zahl der Auswanderer aus den sogenannten freien Berufen und dem öffentlichen Dienst. Sie betrug 1899 noch 288, 1910 bereits 972 Personen.
Die Zunahme des allgemeinen Volkswohlstandes infolge der modernen wirtschaftlichen Entwicklung führte zu einer kulturellen Hebung aller Schichten der Bevölkerung. Die Folge war eine Verallgemeinerung der Bildung, die sich auch in einem starken Zudrang aus allen Bevölkerungsklassen zum Mittel- und Hochschulstudium kundgab. Derselbe war so groß, dass schon in den 80er Jahren Nationalökonomen darauf hinwiesen, dass es zu einer Krise in den gebildeten Berufen kommen müsse 53). Diese ist inzwischen auch eingetreten. In allen höheren Berufen herrscht nämlich ein weit über die Nachfrage hinausgehendes Angebot von gebildeten Kräften. Dies hat in verschiedenen Staaten in der letzten Zeit für die meisten höheren Berufe zu repressiven Verwaltungsmaßnahmen geführt. Wenn nun die Überzahl gebildeter Elemente auch eine günstige Rückwirkung auf das Bildungsniveau des Gesamtvolkes hat, so schließt sie doch auch die Gefahr eines gebildeten Proletariats in sich, das mit den bestehenden Grundlagen des heutigen Staatswesens unzufrieden ist, diese Unzufriedenheit in weite Kreise des unteren Volkes trägt und eine Umgestaltung der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung verlangt. Eine weitere üble Folge ist die, dass junge Leute mit akademischer Bildung sich in Berufe hineindrängen, welche ehedem für die Personen mit bloßer Mittelschulbildung bestimmt waren. Dadurch muss auch in diesen Kreisen die Unzufriedenheit wachsen.
53) Vgl. z. B. Conrad, Das Universitätsstudium in Deutschland während der letzten 50 Jahre, 18S4. — Derselbe, Die Gefahren eines (gebildeten Proletariats in der Gegenwart. München, Allgemeine Zeitung vom 4. I. 1887.
Infolgedessen muss eine steigende Auswanderung gebildeter Elemente als eine normale (ganz gesunde) Erscheinung angesehen werden. Sie kann zugleich auch zu einer Stärkung des Ansehens der Deutschen im Auslande beitragen und auch einen vorteilhaften politischen Rückhalt für das Reich schaffen.
Wie sehr die gebildeten Elemente aller Berufsklassen heute an der Auswanderung interessiert sind, zeigen die zahlreichen Anfragen bei der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin. Die Anfragenden sind vor allem Gelehrte, Literaten, Redakteure, Beamte, Theologen, Bildhauer, Ingenieure, Architekten, Apotheker, Chemiker, Schauspieler, Künstler, Lehrer, Professoren, Juristen, Studenten usw.
Von den Anfragenden waren nach der Statistik 54) der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin im Geschäftsjahre
Berufsklassen 1907/08 1908/09 1909/10 1910/11
Juristen: 14/ 32/ 36/ 44
Lehrer: 64/ 103/ 182/ 187
Schriftsteller/Redakteure: 20/ 30/ 36/ 28
Ärzte: 31/ 55/ 76/ 99
Apotheker: 12/ 30/ 30/ 26
Architekten/Techniker: 242/ 308/ 364/ 451
Künstler: 8/ -/ 11/ 14
Ingenieure: 148/ 251/ 249/ 294
Theologen: 10/ 10/ 8/ 14
Offiziere: 123/ 114/ 125/ 133
54) Die Statistik bezieht sich auf das Geschäftsjahr vom 1. April bis 31. März.
Die Zunahme des allgemeinen Volkswohlstandes infolge der modernen wirtschaftlichen Entwicklung führte zu einer kulturellen Hebung aller Schichten der Bevölkerung. Die Folge war eine Verallgemeinerung der Bildung, die sich auch in einem starken Zudrang aus allen Bevölkerungsklassen zum Mittel- und Hochschulstudium kundgab. Derselbe war so groß, dass schon in den 80er Jahren Nationalökonomen darauf hinwiesen, dass es zu einer Krise in den gebildeten Berufen kommen müsse 53). Diese ist inzwischen auch eingetreten. In allen höheren Berufen herrscht nämlich ein weit über die Nachfrage hinausgehendes Angebot von gebildeten Kräften. Dies hat in verschiedenen Staaten in der letzten Zeit für die meisten höheren Berufe zu repressiven Verwaltungsmaßnahmen geführt. Wenn nun die Überzahl gebildeter Elemente auch eine günstige Rückwirkung auf das Bildungsniveau des Gesamtvolkes hat, so schließt sie doch auch die Gefahr eines gebildeten Proletariats in sich, das mit den bestehenden Grundlagen des heutigen Staatswesens unzufrieden ist, diese Unzufriedenheit in weite Kreise des unteren Volkes trägt und eine Umgestaltung der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung verlangt. Eine weitere üble Folge ist die, dass junge Leute mit akademischer Bildung sich in Berufe hineindrängen, welche ehedem für die Personen mit bloßer Mittelschulbildung bestimmt waren. Dadurch muss auch in diesen Kreisen die Unzufriedenheit wachsen.
53) Vgl. z. B. Conrad, Das Universitätsstudium in Deutschland während der letzten 50 Jahre, 18S4. — Derselbe, Die Gefahren eines (gebildeten Proletariats in der Gegenwart. München, Allgemeine Zeitung vom 4. I. 1887.
Infolgedessen muss eine steigende Auswanderung gebildeter Elemente als eine normale (ganz gesunde) Erscheinung angesehen werden. Sie kann zugleich auch zu einer Stärkung des Ansehens der Deutschen im Auslande beitragen und auch einen vorteilhaften politischen Rückhalt für das Reich schaffen.
Wie sehr die gebildeten Elemente aller Berufsklassen heute an der Auswanderung interessiert sind, zeigen die zahlreichen Anfragen bei der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin. Die Anfragenden sind vor allem Gelehrte, Literaten, Redakteure, Beamte, Theologen, Bildhauer, Ingenieure, Architekten, Apotheker, Chemiker, Schauspieler, Künstler, Lehrer, Professoren, Juristen, Studenten usw.
Von den Anfragenden waren nach der Statistik 54) der Zentralauskunftsstelle für Auswanderer in Berlin im Geschäftsjahre
Berufsklassen 1907/08 1908/09 1909/10 1910/11
Juristen: 14/ 32/ 36/ 44
Lehrer: 64/ 103/ 182/ 187
Schriftsteller/Redakteure: 20/ 30/ 36/ 28
Ärzte: 31/ 55/ 76/ 99
Apotheker: 12/ 30/ 30/ 26
Architekten/Techniker: 242/ 308/ 364/ 451
Künstler: 8/ -/ 11/ 14
Ingenieure: 148/ 251/ 249/ 294
Theologen: 10/ 10/ 8/ 14
Offiziere: 123/ 114/ 125/ 133
54) Die Statistik bezieht sich auf das Geschäftsjahr vom 1. April bis 31. März.