Einleitung.

Hinaus mit den Juden! — nein, schlagt sie tot! nein, taufet und bekehret sie! nein, Ausnahmsgesetze genügen! so erschallt seit Jahrhunderten der Ruf der Antisemiten in vierfacher Nuance aus allen Königreichen und Ländern, Republiken nicht ausgenommen. Die Motivierung kennen wir: Sie sind Gottesmörder, sie sind verstockt, verblendet, sie verstehen nicht ihre eigene hebräische Bibel, sie sind perfid, sie verstümmeln den Text der heiligen Schrift, sie verdrehen deren klaren Sinn, sie sind Wucherer, sie sind Kuppler, ihr Talmud erlaubt ihnen die Nicht-Juden zu töten, zu betrügen, auszusaugen und auszuwuchern, falsch zu schwören zu Ungunsten eines Christen, wenn es zum Vorteil eines Juden geschieht; nur sie betrachten sich selbst als Menschen, die Christen dagegen als Tiere und Götzendiener. Sie kreuzigen und schlachten kleine Kinder, verwenden deren Blut zur Anfertigung ihrer ungesäuerten Brode und zu anderen Zwecken; in ihren Schriften wird Christus, die Gottesmutter, die Kirche geschmäht, sie schänden und spießen consecrierte Hostien, die dann zu bluten pflegen, sie sind Schuld an der Unmoralität unserer Zeit, verderben durch ihre Zeitungen und sonstigen Pressprodukte die christliche Sitte, sie ruinieren durch Wucher brave Bauern, Offiziere, den Handels- und Gewerbestand und das ehrliche Handwerk, sie drücken die Preise der Produkte und Löhne, sie bestechen Könige, Kaiser, Minister, Parlamentarier und Richter, verführen keusche Mädchen und Ehefrauen, sie haben durch schlaue Finanzoperationen alle Regierungen in ihre Netze verstrickt, sie beeinflussen alle Staatskabinette, sie sind die Führer der Freimaurer und der Sozialdemokratie, sie vergifteten die Brunnen, sie führten verheerende Seuchen durch Zauber herbei, sie beteten einen goldenen Eselskopf an, sie mästeten und schlachteten alljährlich einen Griechen, sie töten und vergiften Propheten, sie sind räuberische Kulturbeduinen, gewissenlos, grausam, sinnlich, blutdürstig, sie hassen die ganze Welt und glauben kein Wort von dem, was die Kirche lehrt, ja sie halten sogar den unerschaffenen heiligen Koran für ein Machwerk, Christus für einen Zauberer und Mohammed für einen Schwindler!

Fürwahr eine lange Registerarie!


Ich gestehe, dass ich selbst in Folge wiederholten Anhörens eines großen Teiles der obigen Anklagen die meisten derselben geglaubt habe und fast so weit gekommen war, mit den Antisemiten zu beten: „Oh Herr, schick’ uns den Moses wieder, auf dass er seine Stammesbrüder heimführe in’s gelobte Land. Lass auch das Meer sich wieder teilen, und lass die beiden Wassersäulen feststehen wie eine Felsenwand. Und wenn in dieser Wasserrinnen das ganze Judenvolk ist drinnen, dann, Herr Gott, mach’ die Klappe zu, dann haben wir arme Christen Ruh!“

Und in der hat müssen Jedem, der die obige Liste liest, die Haare zu Berge stehen.

Wer aber alle diese Anklagen also gruppiert und zusammengestellt sieht, ohne Rücksichtnahme auf ihre Zeit und Ursprung, könnte deren Qualität und Quantität überblickend vielleicht mit mir zu dem Verdachte gelangen, dass die Sache denn doch irgendwo einen kleinen Haken haben könnte. Die arischen Völker sind sesshafter Natur, sie pflegen die Wissenschaft, sie sind mutig, tapfer, der Grundzug ihres Wesens ist Geradheit, Ehrlichkeit, Treue und Hingebung“ las ich einmal im „Antisemitenkatechismus“.

Ich war hocherfreut und äußerst geschmeichelt, solche liebenswürdige Sachen zu lesen über eine Rasse, der anzugehören ich die Ehre habe, und bildete mir nun ein, dass die arische Geradheit und Ehrlichkeit es mir zur Pflicht machen, in Befolgung der Weisung des Apostels: „Prüfet Alles und behaltet das Beste“, die Richtigkeit obiger Beschuldigungen zu prüfen, bevor ich sie als wahr annehme, und die arische Wahrheitsliebe und der arische Mut es von mir erheischen, das klar Erkannte auch offen bekannt zu geben ohne die geringste Rücksicht für Arier und Semiten, oder Christen, Juden und Muslims. Ich studierte mehrere Jahre hindurch die sogenannte Judenfrage und erlaube mir nun die Resultate dieser Arbeit der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich werde Jedem zu besonderem Danke verpflichtet sein, der mir zum Zwecke gütiger Belehrung in dieser Broschüre Irrtümer nachweisen wird.

Der oben zitierte Antisemitenkatechismus erschien im Jahre 1893 in Leipzig im Verlage von Hermann Beyer. Sein Verfasser ist Theodor Fritsch (Thomas Frey). Dieses Werkchen enthält in gedrängter Kürze und systematischer Zusammenstellung alle Vorwürfe, die von Seiten der Antisemiten gegen die Juden erhoben werden, ausgenommen jene, die einen konfessionellen Charakter haben; denn nach der Ansicht des Autors ist es unrichtig, dass der Antisemitismus auf religiösen Motiven beruht; er soll eine Rassenfrage sein, keine religiöse.

Lassen wir dem Autor des Katechismus das Wort:

,,Es fällt Niemanden ein, die Juden ihrer Religion wegen zu Bekämpfen, Ihren Gottesdienst trachtet Niemand zu stören; er erfreut sich der zärtlichsten Schonung bei allen Klassen — auch bei den Antisemiten.

Die Zurückführung des Antisemitismus auf religiöse Gehässigkeit ist eine grobe Entstellung der Sachlage. Gerade unter den Freigeistern finden sich die entschiedensten Antisemiten (Giordano Bruno, Voltaire, Schopenhauer, Feuerbach, Johannes Scherr, Dühring u. s. w.).

Wie schon der Name sagt, richtet sich der Antisemitismus gegen die ,,Semiten“ also gegen eine Rasse, nicht gegen eine Religion. „Wenn die Antisemiten die Religion der Juden bekämpften, so müssten sie sich „Anti-Israeliten“ nennen. Es verrät also ein geringes Sprach Verständnis, wenn Jemand den Antisemitismus mit der „Religion“ in Zusammenhang bringt.

Im Übrigen aber wird diese Begriffsfälschung von gewisser Seite absichtlich gepflegt, um das Volk über das wahre Wesen der Judenfrage zu täuschen.“

Vorerst muss ich bemerken, dass der Katechismus sehr unrecht hat, wenn er sagt: „Wenn die Antisemiten die Religion der Juden bekämpften, so müssten sie sich Anti-Israeliten nennen.“ Das ist falsch. Sie müssten sich „Antimosaisten“ nennen, denn Israel bezeichnet ein Volk, und zwar die Gesamtheit der 12 Stämme, von welchen 10 spurlos verschwunden sind und zwar schon im Jahre 722 v. Chr. nach der Eroberung Samaria’s durch die Assyrier. Von dieser Zeit an gibt es kein Reich Israel mehr. Dagegen würde das Wort Antimosaismus dem Begriffe entsprechen, den der Katechismus ausdrücken will.

Ich werde mir erlauben, ausführlich auf diesen Punkt zurückzukommen. Beginnen wir mit der Definition. Fritsch’s Katechismus definiert den Antisemitismus mit folgenden Worten: ,,Was versteht man unter Antisemitismus? Anti heißt gegen und Semitismus bezeichnet das Wesen der semitischen Rasse. Der Antisemitismus bedeutet also die Bekämpfung des Semitentums. Da die semitische Rasse in Europa fast ausschließlich durch die Juden vertreten ist, so verstehen wir unter den Semiten im engeren Sinne die Juden. Antisemit heißt also in unserem Falle „Judengegner“.

In Frage 13 und 14 des Katechismus wird das nun näher erläutert; sie lauten:

„13) Worin soll der Rassenunterschied bestehen?

Die europäischen Völker gehören fast sämtlich der arischen oder indogermanischen Rasse an, die Juden hingegen der semitischen. Die arischen Völker sind mehr sesshafter Natur; sie pflegen Ackerbau, Gewerbe, Kunst und Wissenschaft; sie sind staatengründend, mutig und tapfer; der Grundzug ihres Wesens ist die Geradheit, Ehrlichkeit, Treue und Hingebung. — Sie sind die eigentlichen Kulturvölker.

Die echten Semiten hingegen sind von Natur Nomaden; sie haben keine eigentlich dauernden Wohnsitze, kein rechtes Vaterland. Sie ziehen dahin, wo die beste Beute winkt. Sie bauen und bebauen nichts selbst; sie suchen die durch fremden Fleiß geschaffenen Kulturstätten auf, beuten die vorhandenen günstigen Verhältnisse aus, grasen, sozusagen, die Weideplätze ab und lassen sie geplündert und verödet zurück. Ackerbau, Technik und Kunst ist ihnen fremd, wie jede ehrlich schaffende Arbeit. Sie geben sich den Anschein, als verachteten sie die Arbeit, in Wahrheit aber fehlen ihnen die Fähigkeiten dazu.

Die semitischen Nomaden der „Wüste (Beduinen) betreiben noch heute Raub und Plünderung in der offensten und urwüchsigsten Weise. Der Jude aber ist gleichsam der ,,Kulturbeduine“; er betreibt dasselbe Geschäft in gewissermaßen zivilisierter Form. Seine Domäne ist der „Handel“ der bei ihm freilich einen sehr weiten Begriff deckt, denn in der jüdischen Sprache bedeutet das Wort „Massematten“ ebensowohl ein Handelsgeschäft als einen Diebstahl.

Die Plünderungszüge der Kulturbeduinen treten auf in der Gestalt von Hausierhandel, Wanderlagern, Pfandleihe, Abzahlungsgeschäften, 50-Pfennig-Bazaren, Wucher, betrügerischem Bankrott, Börsenspekulation u. s. w. Einzelne dieser „Branchen“ sind ausschließlich von Juden vertreten. Aber auch als „Arzt“ für Geschlechtskrankheiten, Rechtsverdreher, sozialdemokratischer Agitator u. s. w. weiß der Kulturbeduine sehr einträgliche Beutezüge in die Taschen seiner „Mitbürger“ zu unternehmen.

14) Sind die Juden aber nicht zu unehrlichem Erwerb dadurch gezwungen worden, dass man ihnen die rechtschaffenen Berufszweige verschloss?

Diese Ausflucht war früher zeitweise berechtigt, heute schon lange nicht mehr. Außerdem bleibt immer noch die Frage offen: Warum verschloss man ihnen früher das ehrliche Handwerk? Offenbar nur deswegen, weil sie allerlei Missbräuche in demselben einführten, es ausbeuteten und die soliden Grundlagen desselben zerrütteten.

Überdies haben sich die Juden niemals nach ehrlicher Handwerkstätigkeit gesehnt; der Schacher und Wucher war für sie nicht etwa nur ein Notbehelf, sondern, wie wir oben gesehen haben, er bildet von jeher den Grundzug ihrer Semitennatur. Seit Jahrzehnten stehen den Juden alle Berufszweige offen, aber wir sehen nicht, dass sie Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Tischler, Schmiede, Schlosser, Maschinenbauer, Uhrmacher, Schriftsetzer u. s. w. werden. Und wenn man heute alle Judenjünglinge bei freier Lehre und freier Kost in die Werkstätten stecken wollte, — sie würden doch bei der ersten Gelegenheit davon laufen, um zu schachern. Der Semite will und kann nicht arbeiten und schaffen, sondern nur mühelos erbeuten und plündern.

Dabei bilden List, Verschlagenheit, Heuchelei und Lüge die Haupt-Grundzüge des Semitencharakters, zu denen noch Zudringlichkeit, freche Anmaßung, schrankenlose Selbstsucht, unerbittliche Grausamkeit und maßlose Geschlechtsbegier kommen. Unsere deutschen Begriffe von Treue, Bescheidenheit, Hingebung, Aufopferung für eine Sache sind dem Juden unverständlich und fordern seinen Spott heraus. Ihm erscheint nur das als Tugend, was persönlichen Vorteil oder Genuss verspricht.“

Wir wollen diese Darstellung prüfen. Untersuchen wir also den Begriff „semitisch“, „semitische Rasse“ und die Beziehung der Juden zu derselben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Wesen des Antisemitismus