Das Wesen des Antisemitismus

Autor: Dr. Heinrich Johann Maria Graf von Coudenhove. 1859-1906, Erscheinungsjahr: 1901
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Antisemitismus, Juden, Graf Coudenhoven, Antisemiten,
Motto:

Justitia praecipit parcere omnibus,
consulere geneti hominum,
suum cuique redderct sacra,
publica, aliena non tangere.
Cicero. De Republ. iii. 12.
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort.
Vorwort.

,,Selig sind, die dürsten nach der Gerechtigkeit“, sagt der Heiland in der Bergpredigt, dem höchsten Gesetze für alle Zeiten, alle Völker, alle Menschen. Diesem Gesetze bin ich in diesem Werke gefolgt, mein Zweck dabei ist ausschließlich, durch die Gerechtigkeit auch gegen Israel zur Friedfertigkeit — einem anderen Gebote der Bergpredigt — nach Maßgabe meiner schwachen Kräfte beizutragen. Ich weiß wohl, welche Schwierigkeiten sich einem derartigen Versuche entgegentürmen. Wer über die Juden nur das Geringste sagt und schreibt, das nicht ungünstig lautet, wird gleich als Jude und Freimaurer verschrieen. Doch bei mir wird dieses Mittel nichts, nützen. In meinem Stammbaum findet sich nicht die geringste Spur jüdischen Blutes. Wäre dies aber der; Fall, so würde ich dies nicht nur nicht verschweigen, sondern es geradezu freudigst bekennen, weil ich stolz wäre auf eine mögliche Stammverwandtschaft mit den heiligsten Männern und Frauen, die je auf diesem Planeten gewandert sind. Auch bin und war ich nie Freimaurer; als Offizier und Diplomat hätte ich es meines Eides wegen nie werden können; auch wäre es mir überhaupt nie eingefallen, mich durch Schwüre an Unbekanntes zu fesseln. Ich bin ein arbeitendes Mitglied der katholischen Kirche, die ich für die beste aller Religionsgesellschaften halte, die existieren und je existiert haben. Dass sie die beste von allen ist, lässt sich auf einem einzigen Wege, aber einem sicheren, weil er sich auf Zahlen gründet, nicht etwa bloß logisch, sondern mathematisch beweisen. Es lässt sich nämlich mathematisch demonstrieren, dass nirgends außerhalb der katholischen Kirche so viele Taten der Nächstenliebe, des Mitleids, des Erbarmens verübt werden und worden sind, wie innerhalb derselben. Was die katholischen Priester, Mönche, die Klosterfrauen, die canonisierten und nichtcanonisierten Heiligen dieser Konfession in der Nächstenliebe leisten und geleistet und zwar ohne Unterbrechung seit Jahrhunderten und überall in der Welt, auch gegen leidende Andersgläubige und Ungetaufte, das steht außer Konkurrenz. Keine andere Religionsgesellschaft kann annähernd Ähnliches aufweisen. Zwar bin ich überzeugt, dass viele Gläubige in anderen Religionen ganz dieselben Mitleidstaten geleistet haben, aber nie und nimmer deren Gesamtheit in dieser Zahl und Masse, in dieser Proportion. Dem kann von keinem besonnenen Menschen widersprochen werden. Gegen Zahlen muss alles verstummen. Aus diesem Grunde ist die römisch-katholische Religionsgesellschaft bei Weitem die beste von allen. Was von liberaler Seite gegen die römische Kirche geschrieben worden ist unter dem Titel: „Inquisition, Religionskriege, Hexenprozesse, Ketzergerichte, Kampf gegen moderne Aufklärung und Wissenschaft, Intoleranz, Fanatismus“, kann den Ocean ihrer Thaten des Mitleids gegen die arme leidende Menschheit nie und nimmer aufwiegen.

Der geehrte Leser möge entschuldigen, wenn ich mich veranlasst gefühlt habe, von meiner Person zu sprechen.

Wer aber das orthodoxe Publikum kennt, der wird begreifen, dass diese Bemerkung für die Sache geradezu notwendig war.

Auch muss ich noch bemerken, dass aus dem Umstande, dass ich hier vielfach Zitate aus aufgeklärten Schriftstellern anführen musste, noch keineswegs folgt, dass meine unmaßgebende Meinung mit der ihrigen identisch ist. Das ist zwar ganz selbstverständlich, aber es kann nie schaden, es noch ausdrücklich hervorzuheben. Sapienti sat.

Schloss Ronsperg in Böhmen, Februar 1901.