Fortsetzung

Doch endlich zur Sache. Ich traf meinen alten Freund in der besten Stube im „Alkoven", zwar „bettlägerig und krank, aber, wie eine mit ihm angestellte Unterredung ergab, bei gesunden Geisteskräften," wie man einen ordentlichen Menschen, welcher sein Testament machen will, eben treffen muss. Die eisernen Gesichtszüge waren noch die nämlichen, wie früher, zeigten denselben Ausdruck frischen Muts, wie immer.

Henken-Frers trug mir vor: Er müsse in diesen Tagen sterben. Morgen werde es wohl noch „gut gehen", aber übermorgen sei gewiss der letzte Tag. Dagegen lasse sich ja auch weiter nichts sagen; er sei alt genug, seine Frau ihm schon lange vorangegangen, und wenn sein Grunderbe auch noch nicht volljährig wäre, so könne er sich darauf verlassen, dass seine alle treue Schwester nach seinem Tode bis zur Volljährigkeit des Grunderben Alles ganz so gut „verwahren" werde, wie bisher. Nur Eins lasse ihn nicht ruhig sterben, und deshalb habe er mich rufen lassen. Man habe ihm nämlich gesagt, dass das Gericht, wenn er sterbe, da der Grunderbe noch minderjährig und eine Witwe (welche sonst den Nießbrauch und die Verwaltung behält nicht vorhanden sei, Vormünder bestelle und diese zwinge, alle „Mobilien und Moventien" [zahme oder zahmgemachte Tier sind Moventien] öffentlich zu verkaufen und die Stelle im Lezitationswege zu verpachten.


„Den Schimp un de Schanne" — so fuhr er fort — „much ick nu doch um de heele Weld nich hebben, datt see hier in’n Huse in alle Eggen herum schnüften unn dat Good tosämen hält unn usen Kram öpentlich vor Geld verkoopt. Uun datt schull myn Söhn mit ankieken! Unn denn schull hier up use Stäe een Hürmann sitten und dat Land utsugen, um dat Geld ut so maken. Näh, dat kann nich gahn, un schall nich gahn, un davör mött’ See sorgen, datt ett nich geiht, sünst kann ick nich ruhig starven. Ick bin doch Herr up myne Stäe, un wenn de Herr Amtmann seggt, dat geiht nich anners, so segge ick, dat mutt anners gahn." *)

*) „Den Schimpf und die Schande möchte ich doch um die ganze Welt nicht haben, dass man hier im Hause in allen Ecken herumstöberte, unser Gut zusammentrüge und Alles öffentlich für Geld verkaufte. Und das sollte mein Sohn mit ansehen? Und dann sollte hier auf unserer Stelle ein Pächter sitzen und das Land aussaugen, um möglichst viel Geld daraus zu machen? Nein, das kann nicht angehen und das soll nicht angehen, und dafür müssen Sie sorgen, dass es nicht angeht, sonst kann ich nicht ruhig sterben. Ich bin doch Herr auf meiner Stelle, und wenn der Herr Amtmann sagt, das geht nicht anders, so sage ich, das muss anders geben."

So wusste ich also, wo der Schuh drückte. Ich gestehe, ich fühlte ganz so, wie der alte Bauer. Hätte ich an seiner Statt gelegen, auch mir wäre der Gedanke unerträglich gewesen, dass, sobald ich die Augen geschlossen, das ganze Haus ausgeräumt und Alles verschachert werden würde. Der Mann hatte um so mehr Recht, da der Grunderbe schon in einigen Jahren die Stelle selbst antreten konnte.

Doch wie da helfen? Das Gesetz brachte es allerdings so mit sich, dass die zu bestellenden Vormünder Alles verkaufen und die Stelle verpachten mussten, und da dieses im öffentlichen Interesse, zur Vorsorge für die Minderjährigen, angeordnet ist, so konnte es durch die Privatwillkür des Erblassers, durch Testament gültig nicht beseitigt werden, direkt wenigstens nicht. Ich wusste lange nicht, was zu machen, bis mein Bauer selbst mir auf die Sprünge half, indem er meinte, er brauche ja seine Schwester nur zu seiner Witwe zu ernennen, so dass sie dann den Nießbrauch und die Verwaltung habe. Aber wie das Gericht und die Vormünder zwingen, dass sie die Schwester des Erblassers als die rechtmäßige Vertreterin von dessen minderjährigen Kindern anerkannten?

Endlich fand ich einen Weg. Ich frug meinen Bauer, was er meine, ob, wenn er seine eignen Kinder zu Gunsten der Schwester bis auf den Pflichtteil (im vorliegenden Falle ein Drittel des Erbteils) enterbe, die Schwester alsdann von einer solchen Bestimmung wohl je zu eignem Nutzen Gebrauch machen werde, oder ob er überzeugt sei, dass dieselbe doch Alles, was sie von ihm bekomme, nur für die Kinder verwalten und diesen beim Eintritt der Volljährigkeit getreulich abliefern werde. Ohne Besinnen erklärte er:

„Wat myne Süster (Schwester) hätt, datt heft ook myne Kinner. Dat is all eens (einerlei), wer't kriggt, wenn't man nich All verkofft ward."

Damit war weiter zu kommen. Die Eltern können nämlich ihre Kinder willkürlich bis auf den Pflichtteil, also bis auf ein Drittel des ihnen sonst zufallenden Erbteils, enterben. Dürfen sie dies willkürlich, ohne Angabe jeglichen Grundes tun, so können sie es auch für einen bestimmten Fall, unter einer bestimmten Voraussetzung, wenn Dies oder Das eintritt, einerlei, ob das Eintretende von dem Willen der Erben oder dem Willen Dritter abhängt.

Ich machte also folgendes Testament: Henken-Frers setzt als seine Erben ein: seine beiden Kinder, welche seinen Nachlass nach Gesetz und Herkommen unter sich teilen sollen. Die Schwester soll aber bis zur Volljährigkeit der Erben den Nießbrauch und die Verwaltung des gesamten Nachlasses haben, ganz in dem Umfange, in welchem Solches einer Witwe, deren Stelle die Schwester vertreten soll, gebühren würde, und soll deshalb namentlich ohne Einwilligung der Schwester kein Stück von den Mobilen und Moventien verkauft oder gar die Stelle verheuert (verpachtet) werden. Für den Fall aber, dass die Vormünder der Kinder die der Schwester vermachten Rechte nicht anerkennen wollten, oder vom Gerichte gezwungen würden, diese Rechte nicht anzuerkennen, enterbt Henken-Frers seine Kinder bis auf den Pflichtteil und ernennt als Erbin seines ganzen übrigen Nachlasses (also auf 2/3) seine Schwester, die für diesen Fall — einerlei, durch welche Veranlassung derselbe eintritt — seinen ganzen Nachlass in Natur zu sich nehmen und den Kindern nur den Pflichtteil in Gelde herauskehren soll.

Gegen eine solche Bestimmung ließ sich rechtlich Nichts einwenden. Ich durfte auch sicher annehmen, dass das Gericht die Rechte der Schwester nicht anfechten und damit veranlassen werde, dass die Kinder nur den Pflichtteil erhielten. Tat das Gericht dies aber dennoch, nun, dann kam freilich Alles auf die Ehrlichkeit und Treue der Schwester an. Der alte Bauer, dem ich dies und den ganzen Sinn der getroffenen Bestimmungen auseinandersetzte, begriff mich sofort vollständig, hatte nicht die geringsten Bedenken und meinte schließlich, fast triumphierend: „Na, seht Seh nu woll, wenn man mann (nur) will, so geiht en doch."

Das Geschäft war beendet. Die sieben gesetzlichen Zeugen aus der Nachbarschaft, „eigens zu diesem Geschäfte geladen und freiwillig erschienen", hatten gesehen, dass der Testator das Testament eigenhändig unterschrieben, und hierauf das Testament ihrerseits sämtlich als Zeugen (mitunter nicht ohne Mühe) mit unterzeichnet, sie hatten vorschriftsmäßig ihr Siegel (oder vielmehr, da sie Alle kein Siegel führten, das meinige) neben ihre Namen gedruckt und damit den durch nichts Fremdartiges unterbrochenen Akt geschlossen. Bereits hatten sie sich entfernt, und auch ich rüstete mich zum Aufbruch. Doch daran war noch nicht zu denken. Der alte Bauer stellte mir ruhig und treuherzig vor, es sei nun das letzte Mal, dass er mich sehe, ich hätte ihm schon oft zur Seite gestanden und ihm heute dazu verholfen, dass er ruhig sterben könne, drum bitte er mich, doch zu guter Letzt noch ein Stündchen bei ihm zu sitzen und mit ihm zu verplaudern. Ich tat es gern, obgleich diese stoische Ruhe mir nachgerade fast unheimlich zu werden begann. Der Tisch vor dem Alkoven wurde gedeckt; ich ließ mir den geräucherten Schinken, das Schwarzbrot und die frische Butter schmecken und fand selbst in dem vorgesetzten Rotwein ein ganz erträgliches Glas St. Julien. Wir schwatzten über alles Mögliche, über die Chaussee, welche durch das Dorf geführt werden sollte, über den Landtag (dessen Verhandlungen der Bauer sogar aus den stenographischen Berichten kannte), von der Synode und Ähnlichem weiter. Vom Sterben war keine Rede mehr, und mein Bauer sprach über alle Dinge mit derselben Teilnahme, als wenn er noch lange zu leben gedächte. Ich wusste nicht, was ich aus dem Ganzen machen sollte. An Einbildungen und unbegründeter Todesfurcht konnte doch der Mann nicht leiden! Aber den Tod so vollständig als etwas für den Hauptinteressenten ganz Gleichgültiges anzusehen, wenn die Angelegenheiten auf Erden nur zur Zufriedenheit geordnet sind —an eine solche Auffassung konnte ich mich doch auch schwer gewöhnen. Über dem erwähnte mein Bauer das ihn nach seinem Hintritte Erwartende mit keiner Silbe, sondern schien den Tod eben als sein wirkliches Ende anzusehen.

Indes meine Zeit war um. Ich musste meinem alten Freunde nochmals feierlich geloben, dafür zu sorgen, dass nach seinem Tode Alles so bleibe, wie es jetzt war, und auf seinen Wunsch das Testament mit und in meine Verwahrung nehmen. In den nächsten Tagen — so sagte er — wenn er gestorben, werde der Bruder kommen und das Testament abholen.

Und am dritten Tage erschien richtig der Bruder und nahm das Testament in Empfang. Er erzählte mir, dass der Alte sanft eingeschlafen sei, nachdem er vorher von allen Angehörigen mit der größten Ruhe Abschied genommen habe. Zwar wurden die Bestimmungen des Dokumentes etwas sonderbar befunden, blieben jedoch, nach einigem Bedenken, von Seiten der Vormünder unangefochten. Dem Alten wird also die Ruhe im Grabe nicht gefehlt haben.
                        Rechtsanwalt A. Niebour in Varel.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Testament eines oldenburgischen Bauern.