Das Testament eines oldenburgischen Bauern.

Aus: Die Gartenlaube, Illustriertes Familienblatt. Nr. 1. 1864. – Herausgeber Erst Keil.
Autor: Rechtsanwalt A. Niebour in Varel., Erscheinungsjahr: 1864

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Oldenburger Land, Münster Land, Bauern, Bauernhof, Testament, Bauernstelle, Vormund, Mündel,
Inhaltsverzeichnis
Es ist ein ganz eignes Geschöpf, so ein echter Bauer vom alten Schlag. Was ist eigentlich ein Bauer? Der moderne Geschäftsmann wird sagen: Ein Mensch, welcher sich durch Betreibung der Landwirtschaft im Kleinen Geld zu verdienen und seinen Unterhalt zu verschaffen sucht. Aber ein solcher Mensch mag ein Ökonom, ein Landmann, ein Pächter oder Ackerbürger sein; das, was man eigentlich Bauer nennt, ist er gewiss nicht. Ein echter Bauer sitzt auf seiner von seinen Vätern ererbten „Stelle", welche ihm nicht Mittel zum Zweck, nicht das Mittel ist, um Geld zu verdienen. Vielmehr ist die Stelle gerade selbst sein einziger Zweck.

Er selbst, seine ganze Familie, sein ganzes Leben sind eigentlich nur Mittel zu diesem Zwecke, sie sind da, um die Stelle zu erhalten, zu mehren und stattlich erscheinen zu lassen. In dieser Unterordnung der persönlichen Interessen, ja der ganzen Person unter die Stelle und deren Interessen liegt das Eigentümliche des Standes der Bauern vom alten Schlag. Aus dieser Eigentümlichkeit erklären sich fast alle althergebrachten Rechte und Gewohnheiten des Bauernstandes. Dieselbe tritt in einem Teile des Oldenburger Landes, dem sogenannten Münsterlande, auch äußerlich dadurch in interessanter Weise hervor, dass es bei den Bauern einen Familiennamen nicht gibt, sondern nur einen Stellenamen, welchen Jeder annimmt, der die Stelle erwirbt. Der Familienname des Käufers einer Bauernstelle, welche etwa „Kleine Steverdings" Stelle heißt, wird höchstens mit einem „Geborener" hinzugesetzt, so dass also, wenn etwa der Käufer der Stelle „Johann Ricking" hieße, derselbe künftig den Namen „Johann Kleine Sieverding geb. Ricking" führen würde.

Vererbt demnächst die Stelle auf den Sohn, so führt dieser nur noch den Namen „Kl. Steverding", hat also seinen Familiennamen gänzlich verloren. Auf diese Weise kann es vorkommen, dass die Söhne eines Bauern, wenn sie nämlich selbst Bauernstellen, etwa durch Heirat mit einer Erbin, erwerben — ganz andere Namen führen, als der Vater. Der Vater heißt vielleicht nach seiner Stelle „Große Pining", der älteste Sohn nach der von ihm erheirateten „Feldhus", und der zweite Sohn nach seiner Stelle „Steverding." Fasst man die gedachte Eigentümlichkeit des Bauernstandes ins Auge, so kann es nicht Wunder nehmen, dass die Bauernstelle nur auf eines der Kinder vererbt und dass die sämtlichen übrigen Kinder (wie dies noch jetzt in dem größten Teil des Oldenburger Landes Rechtens ist) zusammen nur eine „Abfindung" von zwanzig Prozent vom schuldenfreien Wert der Stelle bekommen. Es kommt ja nicht darauf an, das Interesse der Kinder zu wahren, vielmehr muss sich dieses dem Interesse der Stelle unbedingt unterordnen, und für diese ist ja bestens gesorgt, wenn der Erbe derselben (der Grunderbe) nur zwanzig Prozent abgibt.

Durch die bemerkte Eigentümlichkeit erklärt sich auch das an vielen Orten noch bestehende Herkommen, nach welchem, wenn Geschwister auf der Stelle ohne Kinder versterben, dieselben nicht von allen Geschwistern , sondern nur von dem Stellbesitzer beerbt werden. Die Stelle beerbt eben diese Geschwister, welche in ihrem Schoße gelebt haben. Es kann uns wenig wundern, dass das in eine Bauernstelle eingebrachte Vermögen der Frau, sobald es zum Besten der Stelle verwendet ist, jede selbstständige Existenz verliert und niemals ersetzt verlangt werden kann, dass ferner der Hausmann (Vollbauer) nur eine Hausmannstochter heiratet, dass überhaupt die Heirat als ein Rechtsgeschäft im Interesse der Stelle erscheint, wenn wir festhalten, dass die Stelle die Gottheit ist, welcher Alles von allen Seiten geopfert wird.

So wird es uns denn auch nicht sehr unerklärlich scheinen, wenn wir sehen, dass der Bauer vom alten Schlage seine schönen alten Eichen Jahrhunderte lang stehen und zuletzt sogar auf dem Stamme verfaulen lässt. Die Stelle ist ihm ja nicht das Mittel, um Geld zu verdienen. Sie ist sein Zweck, sein Alles; wie kann er sie also ihres schönsten und stattlichsten Schmuckes berauben, um Geld daraus zu machen!

Es gibt eine alte Anekdote von einem oldenburgischen Bauer.

Derselbe hatte ein Stück Landes mit Unrecht in seinen Besitz gebracht und, von dem rechtmäßigen Eigentümer desselben auf Herausgabe des Grundstücks belangt, durch einen Meineid ein günstiges Urteil herbeigeführt und das Land behalten. Doch als er zum Sterben kam, da schlug ihm das Gewissen. Auf dem Sterbelager ruft er seinen Sohn, den künftigen Stellenbesitzer, zu sich, bekennt den Meineid und bittet, sofort nach seinem Tode das Stück Land an den rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben, da er sonst nicht ruhig sterben könne.

Der Sohn: „Aberst Vader, dat is jo use beste Wische by de Stäe, de köhn wy jo van de Stäe ganz nich missen."

Der Vater sterbend: „Dat is ook so, myn Söhn, Du bist'n braven Jung, denn laat my man rösten in de Hölle." *)

*) Der Sohn: „Aber Vater, das ist ja die beste Wiese bei unserer Stelle, die können wir ja gar nicht entbehren." Der Vater: „Das ist auch wahr, mein Sohn, Du bist ein braver Junge, dann lass mich nur braten in der Hölle."

Diese Anekdote ist nicht schlecht erfunden. Sie zeigt uns die bäuerliche Auffassung, die unbedingte Unterordnung der persönlichen Interessen unter die Interessen der Stelle, in der höchsten Konsequenz. Es ist eben die verfluchte Schuldigkeit des echten Bauern vom alten Schlage, „in der Hölle zu rösten", wenn es zum Besten der Stelle nötig ist. Im Ganzen aber ist dies ein überwundener Standpunkt; der Bauer vom alten Schlage wird in der modernen Welt nur noch selten gefunden. Die neue Gottheit der gierig nach Gewinn jagenden Welt, das „Geldmachen", das goldene Kalb, welches Alle anbeten, ist auch bei dem Bauer eingezogen, und als Diener dieser neuen modernen Gottheit nennt er sich auch nicht einmal gern mehr „Bauer", sondern wird zum „Landmann" oder „Landwirt" oder gar zum „Ökonomen" oder „Gutsbesitzer". Im Oldenburger Lande, namentlich in denjenigen Bezirken, wohin die moderne Geldkultur noch weniger gedrungen ist, findet man jedoch vereinzelt noch Landleute, welche als würdige Repräsentanten des echten Bauernstandes gelten können.

Ein solcher Bauer vom alten Schlage war der reiche Hausmann Henken-Frers zu H. Ich hatte ihn kennen gelernt und sein Vertrauen erworben durch einen Riesenprozess, welchen ihm ein ehemaliger Mündel an den Hals geworfen und ich mit großer Mühe zu einem für ihn guten Ende geführt hatte. Seitdem hielt er unverbrüchlich zu mir; ich war sein Mann, mochte es sich um Prozesse oder um Landtagswahlen, um Gemeindeangelegenheiten oder Wahlen zur Synode oder was sonst handeln, selbstredend, soweit das Interesse seiner Stelle nicht entgegenstand. Henken-Frers war früher verheiratet gewesen, die Frau aber schon vor langen Jahren gestorben. Seitdem lebte er, reich, durchaus nicht ungebildet, aber schlicht wie ein Bauer, auf seiner stattlichen Hufe mit seinen beiden einzigen Kindern und einer Schwester, welche die Stelle der Hausfrau vertrat und zu der Henken-Frers das unbedingteste Vertrauen hatte.

Eines Tages sandte mir Henken-Frers seinen Wagen und einen Brief, in welchem er meldete, er müsse in den nächsten Tagen sterben, wünsche aber vorher noch sein Testament zu machen. Der Amtmann habe ihm nun gesagt, dass dasselbe so, wie er Henken-Frers, es wünsche, nicht gemacht werden könne. Er bäte mich deshalb, zu ihm zu kommen, da ich ja wohl Rat schaffen werde. Ich machte mich auf den Weg und gelangte bald über die dürre braune Heide, welche mir an den Rändern von den Vorposten der Zivilisation, den sogenannten Anbauern, nach und nach in Angriff genommen und mit langjähriger Arbeit in Kultur gebracht wird, zu den grünen „Büschen" (Holzungen) des Ammerlandes und in das Dorf H-, den Wohnort des Henken - Frers. Die stattliche Stelle desselben befand sich in der Mitte des friedlichen Dorfes. Eine prächtige Eichenallee führte durch ein großes Heck (Tor) über grünes Weideland zu dem mit alten Bäumen bestandenen Hofe. Von diesen Bäumen und einem Gemüse- und Blumengarten umgeben, lag das lange niedrige Bauernhaus, in welchem vorn das Vieh und hinten die Menschen ihr Quartier haben, mit seinem hohen grauen Reitdache, zwar nicht elegant, aber behäbig und wohnlich da. Misthaufen und Schweine bildeten freilich die nächste Aussicht; aber weiterhin schweifte der Blick über frische Wiesen und wohlangebaute Ackerfelder zu den stattlichen Büschen der Stelle, welche seit Jahrhunderten unberührt waren. Gesättigte Ruhe ist der Charakter einer solchen niederdeutschen ländlichen Ansicht.

Ich trat durch die große Einfahrtstür in das Haus und passierte, auf der Diele von gestampftem Lehm, zunächst die zwei Reihen wohlgenährten Viehs, für welches das Winterfutter bereits auf den „Hillen" (dem Raume über dem Viehstande) und auf dem Heuboden über der Diele in Masse aufgespeichert lag. Die Kühe kauten, behaglich hingestreckt, ihr Futter; eine Gesellschaft Hühner suchte eifrig nach ausgefallenen Körnern, unter Anführung des Haushahns, der in stolzer Positur die Arbeit überwachte. Von da gelangte ich in den offenen Küchenraum, in dessen Mitte noch das althergebrachte freundliche Herdfeuer — der Sammelplatz der sämtlichen Hausgenossen — brannte. Geschirre aller Art, Teller und Schüsseln, Pfannen und Töpfe, Tassen und Kannen, Löffel und Gabeln und die vielen andern Dinge, welche in einem großen Bauernhause gebraucht werden, waren hier an den Wänden, in großen Schränken, oder wo sonst geeigneter Platz, blank geputzt, in bunter Reihe aufgestellt. Die „Butterkaren" und das gelegentliche Brüllen einer Kuh lieferten die Musik, und der Haushund erhob sich langsam von seinem warmen Platz am Herd, um den fremden Eindringling mit gebührendem Gebell zu empfangen.

Auf meine Frage nach dem „Bauern" wurde ich in eines der hinter dem Küchenraume befindlichen Zimmer geführt. Dasselbe war zwar etwas niedrig, aber sonst — wie es bei dergleichen großen Bauernhäusern schon lange der Fall — ziemlich komfortabel, mit Sofa, eleganten Stühlen und Mahagonitischen, mit hübschen Gardinen und Blumen vor den Fenstern versehen, ziemlich so, wie man derlei „beste Stuben" auch bei dem Mittelstände in den Städten findet. Ausgezeichnet ist solche „beste Stube" bei den Bauern in der Regel dadurch, dass in einem großen Glasschranke die wertvollsten Geschirre, Tassen, Silbergeräte etc. zur Ansicht aufgestellt sind, dass sämtliche Stühle in der akkuratesten Linie neben einander an den Wänden stehen und dass der Fußboden auf das Sorgsamste mit frischem weißem Sand bestreut ist; doch darf sich bei Leibe kein Sandkorn unter die Stühle selbst verirren. *) Alles in Allem genommen, macht ein solches großes niederdeutsches Bauernhaus mit dem Reichtum seiner offen daliegenden Vorräte, vollgepfropft mit Vieh, Futter für dieses, Lebensmitteln, Kisten und Kasten, Geräten und Geschirren jeder Art, einen recht angenehmen heimischen Eindruck, namentlich von dem freundlichen Herdfeuer aus, welches indes leider mehr und mehr aus unseren Bauernhäusern verschwindet. —

*) Man ermöglicht dies letztere dadurch, dass man beim Sandstreuen ein Brett vor die in gerader Linie aufmarschierten Stühle stellt und so verhindert, dass beim Sandstreuen irgend ein Sandkorn unter die Stühle gerät, was durchaus unzulässig ist.

Oldenburger Land, Münsterland

Oldenburger Land, Münsterland

Federvieh

Federvieh

Getreideernte, ein Fuder Getreidegarben

Getreideernte, ein Fuder Getreidegarben

Getreideernte

Getreideernte

Kühe auf der Wiese

Kühe auf der Wiese

Kühe im Stall

Kühe im Stall

Mittagspause bei der Feldarbeit

Mittagspause bei der Feldarbeit

Mittagstisch auf dem Bauernhof

Mittagstisch auf dem Bauernhof

Pferdeknecht beim Pferdefüttern

Pferdeknecht beim Pferdefüttern

Pferdestall auf dem Gut

Pferdestall auf dem Gut

Viehmarkt

Viehmarkt

Pferd und Schwein

Pferd und Schwein

Mittagspause im Pferdestall

Mittagspause im Pferdestall

Pferdetränke

Pferdetränke

Pflügen - vier-spännig

Pflügen - vier-spännig

Pflügen, vierspännig Pferde

Pflügen, vierspännig Pferde

Ochsen vor dem Pflug

Ochsen vor dem Pflug

Reiter, Landjugend

Reiter, Landjugend

Rinder (3)

Rinder (3)

Pferd zum Beschlag in der Dorfschmiede

Pferd zum Beschlag in der Dorfschmiede

Winter auf dem Land

Winter auf dem Land

Ziegen

Ziegen