Ein Abenteuer in Kalabrien

Eines Tages — so erzählte mir einer meiner Bekannten — reiste ich in Kalabrien. Mein Gefährte und Freund war ein junger lebhafter Mann. In diesen Bergen gibt es keine Wege als die Schluchten, und unsere Pferde konnten kaum vorwärts. Mein Freund, der vorausritt, wählte einen Pfad, der ihm gangbarer und kürzer schien, und er führte uns irre. Wir suchten, so lange es hell war, unsern Weg im Walde; aber je mehr wir suchten, desto weiter verirrten wir uns, und schon war es schwarze Nacht, als wir endlich an ein Haus kamen. Wir traten ein, nicht ohne einige Besorgnis; allein was war zu tun? Wir fanden hier eine Köhlerfamilie beim Abendbrot, die uns gleich mit dem ersten Worte einlud, an ihrem frugalen Mahle Teil zu nehmen. Mein kecker Freund ließ sich nicht lange bitten. So aßen und tranken wir denn, er wenigstens; denn ich erforschte den Ort und die Gesichter unserer Wirte. Sie sahen zwar wie Köhler aus, aber das Haus hätte man für eine Rüstkammer halten sollen; nichts als allenthalben Flinten, Pistolen, Säbel, Hirschfänger und Messer. Das missfiel mir, und ich sah, dass ich auch missfiel. Mit meinem Freunde war es gerade das Gegenteil; er war bald ganz vertraut mit den Leuten, lachte, trank mit ihnen, erzählte, woher wir kamen, wohin wir gingen, wer wir seien. Und um nichts zu vergessen, was uns verderben konnte, spielte er noch den Reichen, und versprach den Leuten für die Mühe, die wir ihnen verursachten, und für die Führer am folgenden Tage, was sie nur wollten. Zuletzt sprach er von seinem Mantelsack und bat dringend, doch ja für ihn Sorge zu tragen und denselben zu Häupten seines Lagers ihm zu legen, er wolle dann gar kein anderes Kissen. Man hätte glauben sollen, wir führten die Diamanten einer Krone mit, und der Mantelsack war ihm doch nur deshalb so wert, wie er mir nachher gestand, weil er die Briefe seiner Geliebten enthielt.

Als das Abendessen vorüber war, lässt man uns allein. Unsere Wirtsleute schliefen unten, wir in der Stube oben, wo wir gegessen hatten; ein Verschlag, zu dem man auf einer Leiter stieg, sollte unsere Schlafstätte sein, eine Art Nest, zu dem man unter Balken hindurch, welche mit Vorräten für das ganze Jahr belastet waren. Mein Kamerad kletterte allein hinauf und fiel in tiefen Schlaf, das Haupt auf dem teueren Mantelsacke. Ich war entschlossen, wach zu bleiben, legte noch ein tüchtiges Stück Holz ans Feuer und setzte mich dazu. Schon war ein guter Teil der Nacht ruhig verlaufen und ich fing an, Zuversicht zu fassen, als ich unter mir unsern Wirt und seine Frau sprechen hörte. Ich schlich leise nach dem Kamin, der mit dem Kamin unten in Verbindung stand, horchte und vernahm deutlich die Worte: „Was meinst du, soll ich sie denn beide abfangen?“ woraus die Frau erwiderte: Ja — — und ich hörte nichts mehr.


Wie soll ich sagen wie mir war? Der Atem stockte mir; mein ganzer Körper war marmorkalt. Wir waren alle Beide fast ganz ohne Waffen gegen sie, die deren so viele hatten! Und mein Freund in tiefen Schlaf versunken! Ihn zu wecken, zu rufen, Geräusch zu machen wagte ich nicht, allein entfliehen konnte und mochte ich nicht; das Fenster war nicht gerade sehr hoch, unten aber heulten zwei Hunde wie die Wölfe. Nach einer Viertelstunde, die ewig lang war, höre ich Jemanden auf der Treppe; durch die Spalten der Tür sah ich den Mann, die Lampe in der einen, ein großes Messer in der andern Hand. Von weitem blitzt es mir entgegen. Der Alte kommt die Treppe herauf, seine Frau folgt ihm; ich stelle mich hinter die Tür. Bevor er eintritt, gibt er die Lampe an die Frau; dann schleicht er vorsichtig herein und die Frau flüstert außen: „Sachte, sachte!“ An der Leiter angekommen, steigt er, das Messer zwischen den Zähnen, hinan, und als er vor das Lager kommt, wo mein Freund mit offener Brust ausgestreckt liegt, fasst er mit der einen Hand ein Messer, mit der andern einen Schinken, der am Balken hing, schneidet ein Stück herunter und geht — wie er gekommen. Die Tür schließt sich, die Lampe verschwindet und ich bleibe allein mit meinen Betrachtungen.

Unserer Bestellung gemäß weckte man uns, sobald der Tag zu grauen begann; die Familie war auch schon beisammen. Man setzte uns ein sehr gutes Frühstück vor, und dazu gehörten auch zwei gebratene Hähne, von denen wir den einen essen, den andern mit uns nehmen sollten. Als ich dieselben sah, verstand ich die schrecklichen Worte: „Soll ich sie denn beide abfangen?“