Die Inguschen im Kaukasus

Von der Spitze des hohen Elbrus im Kaukasus, wo eine tüchtige Kälte, wie auf den Alpen, herrscht, gelangt man bei dem Herabsteigen in ein mildes Tal, an den Kumballifluss, der in den Terek einmündet und an dessen Ufern die Inguschen ihren Sitz haben, insofern sie nicht, was zum großen Teil geschehen ist, sich näher nach der Sundscha hingezogen und unter russischen Schutz begeben haben. Sie gehören zu den wenigen kaukasischen Stämmen, die zum größern Teil das wilde Nomadenleben mit dem Ackerbau vertauschten und jetzt schon Getreide an ihre Nachbarn verkaufen können. Ebenso treiben sie bedeutende Viehzucht, ziehen Schweine, Schafe, Esel, wenn auch weniger Pferde und Rinder auf. Ihre Wohnungen sind nur leichte Hütten und werden oft verlassen, um an einem andern Orte, an einem Bache oder sonstwo neu aufgebaut zu werden.

Am liebsten ist ihnen ein Bach zur Ansiedelung darum, weil jede Familie im Besitz einer kleinen Mühle ist, deren Rad schon in Bewegung kommt, wenn nur das Wasser einer Rinne darauf fällt. Die Leute sind sehr gastfreundlich und verfehlen nie, den Fremden einen Schöpskopf mit dem Bruststücke vorzusetzen, wo nun Jeder nach Belieben zulangen kann. Der Diener bekommt die Ohren, um ihn daran zu erinnern, dass er hören und den gegebenen Befehl vollziehen soll.


Die Inguschen, welche sich aus den Bergen in diese Ebene gezogen und den Russen unterworfen haben, hindern nach Möglichkeit die Streifzüge der wilden Tschetschenzen und tragen so zur Sicherheit der dortigen Gegenden bei. Indessen ist immer noch ein beträchtlicher Teil dieser Völkerschaft der alten Lebensart in den ehemaligen Wohnsitzen treu geblieben und hat mit der Liebe zu seinen Bergen die Lust zur Freiheit, Unabhängigkeit und Räuberei behalten.

Die Frauen der Inguschen sind arbeitsam, treu in Erfüllung ihrer Pflichten, mutig wie Wenige ihres Geschlechtes, übrigens kleiner Gestalt; zu kleiden wissen sie sich sehr vorteilhaft.

Wie alle kaukasischen Völker mit ihrer Religion nicht recht im Klaren sind, so weiß man auch nicht, wozu man die Inguschen rechnen soll. Man möchte sie Deisten nennen, die aber etwas von der christlichen Religion wissen. Am Sonntage nämlich arbeiten sie nicht. Alle Jahre pilgern sie aber auch bald zu dem, bald zu jenem heiligen Orte, der meist noch einige Trümmer von einer Kirche zeigt. Hier wird denn auch wohl ein Tier geopfert. Auf den gefährlichsten Stellen im Gebirge findet man ebenfalls öfters Spuren von dergleichen, und sollten es nur die Hörner von einem Ochsen sein. Eine Gewohnheit ist ihnen besonders eigen. Wenn Jemand von den benachbarten Völkerschaften bei einem Inguschen etwas zu fordern hat und sicher zur Berichtigung seiner Ansprüche gelangen will, so wendet er sich an den Schuldner mit der schrecklichen Drohung: „Ich habe meinen Hund mitgebracht und werde ihn auf dem Grabe deiner Familie töten!“ Selten wird diese Drohung ihren Zweck verfehlen. Jeder Ingusch zittert vor Furcht deshalb. Es scheint, als ob diese mit ihren Vorstellungen von einer Seelenwanderung zusammenhänge. Bei den Kalmücken steht der treue Begleiter des Nomaden in hoher Achtung. Vielleicht glauben auch die Inguschen, dass die Seele des Hundes in den Körper eines Menschen übergehe. In einigen andern Gegenden des Kaukasus ist die Katze so heilig wie einst in Ägypten. Sie wird gleich einem Orakel um Rat gefragt. Wie sie antwortet, wird freilich nicht leicht zu ermitteln sein. Die arme Katze muss hier auch mittelbar das Amt des Büttels übernehmen. Man bindet sie einem Verbrecher auf den Rücken und schlägt nun wacker auf sie zu. Sie unterläßt nicht, dem von ihr umarmten armen Menschen mit Kratzen und Beißen reichlich zu vergelten, was sie selbst dulden muss. — Ist das Alles wahr? — Der Engländer Lyall ließ sich's von einem russischen Offizier erzählen, der ihn über den Kaukasus geleitete.

Die Inguschen führen noch einen Schild und bedienen sich des Wurfspießes. Beim geringsten Hader greifen sie zu den Waffen, zeigen aber bei diesen Kämpfen eine solche Gewandtheit, den Streichen ihres Gegners auszuweichen, dass sie meistens mit ein paar blauen Flecken davonkommen. Ein beleidigendes Wort greift sie am empfindlichsten an und kann gewöhnlich nur mit dem Tode Dessen, der es sprach, gesühnt werden.