Christine, Herzogin zu Mecklenburg-Güstrow (1663-1749). Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 4 (1876)
Autor: Jacobs, Eduard (1833-1919) deutscher Archivar und Bibliothekar, Erscheinungsjahr: 1876
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Christine, geb. Herzogin zu Mecklenburg-Güstrow, vermählte Gräfin zu Stolberg, geb. 14. Aug. (a. St.) 1663 zu Güstrow, † 3. Aug. 1749 zu Gedern in der Wetterau. Sie war die fünfte Tochter des Herzogs Gustav Adolf zu Mecklenburg-Güstrow und der Magdalene Sibylle, des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorp Tochter. In dem elterlichen Hause erhielt sie trotz der äußern Pracht des Hofes in Theater, Tanz und Schäferspielen von frühauf eine sorgfältige kirchliche Erziehung. Unter dem Eindrucke glänzender Festlichkeiten in Holstein erfuhr die Herzogstochter in ihrem 16. Lebensjahre eine gewaltige innere Umwandlung, die sie selbst als ihre geistliche Erweckung bezeichnet, während ihr geistlicher Rath und Freund Spener darin nur eine Auffrischung und nachhaltige Aufmunterung des in ihr schon gegründeten christlichen Lebens erkennen wollte. Nach einer hierauf folgenden dreijährigen Krankheit völlig genesen erfaßte sie mit ganzer Hingebung die Spenerischen Bestrebungen zu einer Erneuerung des christlichen und kirchlichen Lebens und trat mit dem berühmten Gottesgelehrten in einen durch mehr als 20 Jahre gepflogenen brieflichen Verkehr. In ihrem 20. Jahre vermählte sich die Fürstin am 14. Mai 1683 mit dem Grafen Ludwig Christian zu Stolberg. Dieser, am 8. September 1652 zu Ilsenburg geboren, gehörte zu der älteren Wernigerodischen Linie des Hauses, von der er sich erst seit dem Jahre 1677 durch Teilung mit seinem älteren Bruder Ernst als Begründer einer besonderen Linie Stolberg-Gedern abgezweigt hatte. In erster Ehe 1680 mit einer geborenen Herzogin von Würtemberg-Neustadt vermählt, war er seit 1681 Wittwer. Christine schenkte ihrem Gemahl binnen 23 Jahren 24 Kinder und binnen 65 Jahren bei Lebzeiten eine direkte Nachkommenschaft von 132 und mit den Schwiegersöhnen, -Töchtern und -Enkeln eine solche von 151 Seelen, – ein Segen, der in Verbindung mit der persönlich-sittlichen Tüchtigkeit dieses Nachwuchses die Verehrung gegen die Stammmutter mehr und mehr steigerte und überdies mit Nachdruck für die alttestamentliche Exegese zur Erklärung der vielfach angezweifelten Vermehrung der Kinder Israel verwendet wurde. Die Fürstin übernahm und leitete persönlich die Pflege und erste Erziehung aller Kinder und wir hören, wie sie den Erbgrafen schon im vierten Jahre eingehend über den Inhalt der heiligen Schriften mit Nutzanwendung auf sich selbst prüfte. Bei aller Innerlichkeit war Christinens Christentum nüchtern und praktisch; sie hörte in dieser Richtung sehr gern den Rath des gleichgesinnten Spener, der sie auch einmal beruhigte und in Schutz nahm; als ihr Hofprediger ihr wegen ihrer, ihrer Kinder und Hoffräulein zu weltlichprunkender Kleidung Vorstellungen machte. Auch ihre Gaben als Regentin sollte sie durch das im Jahr 1710 bald nach einander folgende Ableben ihres Gemahls und ihres Schwagers in der Grafschaft Wernigerode zu entfalten Gelegenheit bekommen. In der letzteren vertrat sie – Kaiser Josephs Bestätigung hierzu erfolgte am 16. März 1711 – ihren ältesten Sohn Christian Ernst bis zum 10. April 1714. Sie fand genug zu tun, denn die Verwilderung in Folge des dreißigjährigen Kriegs trat hier in langjährigen Streithändeln zwischen Magistrat und Bürgerschaft, in Unbotmäßigkeit gegen die Herrschaft und in Trunksucht, Völlerei und Schlägereien sehr stark zu Tage. Dagegen erließ sie, besonders zur Unterdrückung der „Bacchanalien“, unterm 16. November 1711 eine Verordnung zur bessern Feier der Sonn- und Feiertage, durch welche die Wirtshäuser an diesen Tagen ganz geschlossen wurden. Zwar erhob König Friedrich Wilhelm I. von Preußen 1713 Einspruch wider diesen Erlass, indem „sonderlich Unser hohes Interesse wegen der Accise per indirectum“ dabei beteiligt sei; aber die Fürstin redete dem Könige so feierlich und nachdrücklich ins Gewissen, daß der sonst so fest auf seinem Willen bestehende Monarch das Edict unangefochten ließ. Aber mehr noch als durch einzelne Verordnungen und Einrichtungen, z. B. die Einführung eines ersten Wernigerodischen Gesangbuchs, hatte Christine schon vor dem Tode ihres Schwagers eine große Bedeutung für die Grafschaft, indem durch ihre Korrespondenz mit Spener der bekannte Theologe und Liederdichter Heinrich Georg Neuß 1696 als Superintendent und Oberprediger nach Wernigerode berufen und dadurch der Spener’sche Pietismus daselbst ein- und durchgeführt wurde. Auch nach ihrer Vormundschaft war ihr geistiger Einfluss hier groß und unter ihren Augen vollzog sich als eine Frucht ihres Einflusses im Sommer 1728 in der Harzgrafschaft eine jener merkwürdigen „Erweckungen“, deren jedem Separatismus abgeneigte Natur sich besonders im Verhältnisse zu Zinzendorf zeigte. Denn während dieser im Jahr 1731 mit offenen Armen war begrüßt worden, sagte Christinens völlig gleichgesinnter Sohn Christian Ernst sich ganz von ihm los, als sich Auswüchse und Überschwänglichkeiten zeigten. Die christliche Duldung wurde besonders an dem Hofe ihres Schwiegersohns Graf Ernst Casimir zu Ysenburg in Büdingen in einer Weise und mit solcher Uneigennützigkeit geübt, wie sie damals gradezu unerhört war. Christinens Bedeutung für den Sieg und die Ausbreitung des Spenerischen Pietismus in seiner besten Gestalt wird man gewiss sehr hoch anschlagen müssen. Ihr bedeutsamer Einfluss als Mutter und Stammmutter zahlreicher regierender Fürsten und Grafen wurde noch vermehrt durch die nahen vormundschaftlichen Beziehungen zu Dänemark-Norwegen, Brandenburg und mehreren sächsischen Linien. Trotz ihrer überaus reichen praktischen Tätigkeit, wozu seit dem Tode ihres Gemahls häufige Reisen kamen, fand die Fürstin doch nicht nur Zeit zu den von ihr persönlich gehaltenen Andachten mit ihrem Hofgesinde, sondern auch zu stiller Einkehr und wissenschaftlicher Beschäftigung. Die gräfliche Bibliothek in Wernigerode bewahrt 6 Bände und Bändchen von ihrer Hand geschrieben, welche teilweise Predigten und Schriften ausziehen, teilweise aber auch eigene „meditationes“ und Betrachtungen, Erklärungen von Stellen der heiligen Schrift mit Nutzanwendung auf ihre Zeit und besonders auf sich selbst enthalten, die sich oft durch Tiefe und stets durch echte demütige Selbstkritik auszeichnen. Mit einer Reihe angesehener Männer aus dem Spener’schen Kreise, Geistlichen wie Nichtgeistlichen, pflog die Fürstin einen lebhaften Briefwechsel über theologische, asketische, kirchenrechtliche und andere Fragen, mit den bekannten Theologen und Chiliasten Petersen, Heinrich Georg Neuß, dem Juristen Johann Arnold, den Darmstädter Theologen Eberh. Phil. Zühl, Dr. Joh. Wilh. Walther u. a. Hervorzuheben ist noch eine von ihrem Hofmedicus Joh. Sam. Carl – dem Großvater des dänischen Ministers Struensee – an sie gesandte Anweisung über die nothwendige Selbstprüfung, worin dieser eigentümliche Medicus der Fürstin als Seelencur Titel für Titel und für sehr konkrete Fragen Gewissensbedenken für ihr Verhalten gegen Verwandte, Diener, Gläubige, in Krankheit, bei Verwaltung der irdischen Güter etc. vorlegt. Dieses Schriftstück wurde in allen Ehren gehalten. In ihrem letzten Willen hatte die Fürstin sich allen Pomp bei ihrer Bestattung und besonders das Halten einer Leichenpredigt mit dem damals üblichen Lebensabriss verbeten aus Besorgnis, man möchte nur das Gute an ihr erheben, ihre menschliche Schwachheit und Fehler aber verschweigen.