Den 5. Nov. Abends.

Es ist immer eine Resolution, als wie wenn man in's kalte Wasser soll, ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben. Hier hätt' ich nun gerade Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyschen Eisgebirge, die Bourit, ein passionirter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen.

Erfrischt durch einige Gläser guten Weins und den Gedanken, daß diese Blätter eher als die Reisenden und Bourits Buch bei Ihnen ankommen werden, will ich mein Möglichstes thun. Das Thal Chamouni, in dem wir uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebirgen, ist etwa sechs bis sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht. Der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, daß es in seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebirge anschmiegt.


Der Montblanc und die Gebirge die von ihm herabsteigen, die Eismassen, die diese ungeheuren Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus, an der die ganze Länge des Thals hin sieben Gletscher, einer größer als der andere, herunter kommen. Unsere Führer, die wir gedingt hatten, das Eismeer zu sehen, kamen bei Zeiten. Der eine ist ein rüstiger junger Bursche, der andre ein schon älterer und sich klugdünkender, der mit allen gelehrten Fremden Verkehr gehabt hat, von der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr tüchtiger Mann. Er versicherte uns, daß seit acht und zwanzig Jahren – so lange führ' er Fremde auf die Gebirge – er zum erstenmal so spät im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinauf bringe; und doch sollten wir alles eben so gut wie im August sehen. Wir stiegen, mit Speise und Wein gerüstet, den Mont-Anvert hinan, wo uns der Anblick des Eismeers überraschen sollte. Ich würde es, um die Backen nicht so voll zu nehmen, eigentlich das Eisthal oder den Eisstrom nennen: denn die ungeheuren Massen von Eis dringen aus einem tiefen Thal, von oben anzusehen, in ziemlicher Ebne hervor. Gerad hinten endigt ein spitzer Berg, von dessen beiden Seiten Eiswogen in den Hauptstrom hereinstarren. Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zackigen Fläche und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor. Das Wetter fing nach und nach an sich zu überziehen, und ich sah wogige graue Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehn.

In der Gegend wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammen gelegte Hütte für das Bedürfniß der Reisenden, zum Scherz das Schloß von Mont-Anvert genannt. Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu Genf aufhält, hat eine geräumigere an einem schicklichern Ort, etwas weiter hinauf, erbauen lassen, wo man am Feuer sitzend, zu einem Fenster hinaus, das ganze Eisthal übersehen kann. Die Gipfel der Felsen gegenüber und auch in die Tiefe des Thals hin sind sehr spitzig ausgezackt. Es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammen gesetzt sind, deren Wände fast ganz perpendikular in die Erde einschießen. Wittert eine leichter aus, so bleibt die andere spitz in die Luft stehen. Solche Zacken werden Nadeln genennet und die Aiguille du Dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, gerade dem Mont-Anvert gegenüber. Wir wollten nunmehr auch das Eismeer betreten und diese ungeheuren Massen auf ihnen selbst beschauen. Wir stiegen den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen Krystallklippen herum. Es ist ein ganz trefflicher Anblick, wenn man, auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegen sieht. Doch wollt' es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen, wir waren weder mit Fußeisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet; vielmehr hatten sich unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet und geglättet. Wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig. Wir stiegen den Berg hinab und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis bis hinunter in's Thal dringt, und traten in die Höhle in der er sein Wasser ausgießt. Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sicherer im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer große Stücke Eis schmelzend ablösen. Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirthshause zu, bei der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf bis vierzehn Jahren, die sehr weiße Haut, weiße, doch schroffe Haare, rothe und bewegliche Augen wie die Kaninchen haben. Die tiefe Nacht, die im Thale liegt, lädt mich zeitig zu Bette, und ich habe kaum noch so viel Munterkeit Ihnen zu sagen, daß wir einen jungen zahmen Steinbock gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche Sohn eines großen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer bürgerlichen Familie aufgetragen ist.

Von unsern Discursen geht's nicht an, daß ich etwas außer der Reihe mittheile. An Graniten, Gneißen, Lerchen und Zirbelbäumen finden Sie auch keine große Erbauung; doch sollen Sie ehestens merkwürdige Früchte von unserm Botanisiren zu sehen kriegen. Ich bilde mir ein, sehr schlaftrunken zu sein und kann nicht eine Zeile weiter schreiben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus der Schweiz