Berlin , den 14. Februar 1826.

Ich danke Ihnen recht herzlich, liebe Charlotte, für Ihren langen und ausführlichen Brief vom 25. und 29. Januar. Er hat mir eine ganz besondere Freude gemacht, und mein Dank ist daher wirklich ein recht lebhaft empfundener. Ihre Blätter sprechen nicht allein wieder in gleicher Wärme die liebevollen Gesinnungen aus, auf die ich einen so großen Wert lege, sondern sie sind auch in der ruhigen Stimmung und Heiterkeit geschrieben, die ich besonders gern habe. Es ist dies auch nicht bloß eine Eigenheit meiner Gesinnung oder meiner Jahre, diese heitere Ruhe allem andern vorzuziehen, sondern es ist doch wirklich wahr, daß, wo sie gestört ist, die Harmonie des Lebens nicht mehr rein und voll erklingt. Ich meine nämlich die innere Harmonie, die die notwendige Bedingung des glücklichen Lebens, ja die wahre Grundlage desselben ist. Wo diese Störung durch Kummer, durch Unruhe, durch irgend ein inneres Leiden, welcher Art es sein möge, entsteht, begreift sich das von selbst. Aber ich möchte sagen, auch wo diese Ruhe durch Kummer und betrübende Ursache, durch Sehnsucht, durch Stärke eines Gefühls ins Schwanken gerät, ist der Seelenzustand, wenn er auch augenblicklich süß sein mag, doch nicht so schön, so erhebend, so der innersten und höheren Bestimmung, nach und nach, und so viel es dem Menschen hier gegeben ist, sich in die Ruhe und Unveränderlichkeit des Himmels einzuwiegen, angemessen. Alles Heftigere und Leidenschaftliche trägt mehr Irdisches an sich. Doch bin ich weit entfernt, darum selbst wahre Leidenschaft, wenn sie wirklich aus der Tiefe des Gemüts flammt und auf einen guten Zweck gerichtet ist, gewissermaßen zu verurteilen. Was ich ausspreche, mag auch mehr eine Abendansicht des Lebens sein, und überhaupt war ich nie leidenschaftlich und habe früh die Maxime gehabt, was davon die Natur in mich gelegt hatte, durch die Herrschaft des Willens zu besiegen, was mir auch, wenn auch mit Anstrengung, nicht mißlungen ist. Wie dem aber sei, so halte ich die Ruhe und die sie hervorbringende und aus ihr fließende Stimmung immer für wohltätiger und beglückender als eine bewegtere, welcher Art sie sei, und da ich den innigsten Anteil an Ihnen und Ihrem Glück nehme, so reicht mir das hin, am liebsten diese Stimmung in Ihren Briefen ausgedrückt zu finden. –

Sie bemerken, daß es mit dem Berufen doch nicht ohne allen Grund ist. Obwohl ich indes diesen Aberglauben nicht habe, ist er sehr alt und wohl unter den meisten Völkern verbreitet. Mich können Sie immer glücklich nennen, ohne daß ich daraus eine üble Ahnung ziehe. Ich erwähnte nur, daß mir der mir wohlbekannte Aberglaube dabei eingefallen wäre. Diesem Aberglauben liegt indes doch wohl eine tiefere Idee zugrunde. Das Preisen des Glücks, freilich noch mehr, wenn es der Beglückte selbst tut, ist wohl überall als ein Überheben über den unsteten Gang der menschlichen Dinge oder als etwas Anmaßendes, der Demut und Scheu Entgegenlaufendes, angesehen worden. Daran hat sich der Begriff geknüpft, daß diesem Überheben die Strafe nachfolgt, an die sich die häufige Erfahrung eines solchen Wechsels der Dinge gesellt hat. In furchtsamen, oder von solcher Scheu sich zu überheben durchdrungenen Gemütern hat das also ein Streben hervorgebracht, sein Glück lieber zu verbergen, wenigstens nicht laut werden zu lassen, das Schicksal nicht daran zu erinnern, daß es wohl Zeit sei, nun auch einen Wechsel eintreten zu lassen. In Beziehung auf andere hat sich der Begriff des Neides, der Schadenfreude hineingemischt, man hat befürchtet, es sei dies Anpreisen wohl nicht redlich gemeint, habe wohl gar die heimliche Absicht, eine Umwandlung herbeizuführen. Dadurch ist das Anpreisen auch als ein Zaubermittel angesehen worden, und daher muß man wohl das allerdings alberne Verwahrungsmittel des »Unberufen« herleiten. Vor geläuterten, auch religiösen Ideen fällt das alles über den Haufen. Wer sein oder anderer Glück aus reiner Freude daran, mit Dankbarkeit gegen den Ursprung desselben, rühmt, ist gewiß Gott wohlgefällig und setzt sich dadurch, wenn dies nicht sonst in unerforschlichen Plänen liegt, keiner Umwandlung als Strafe aus. Vielmehr ist es eine schöne Empfindung, fremdes Glück ohne Neid zu preisen, und sich des eigenen als einer unverdienten Gabe zu freuen.


Nun leben Sie wohl, liebe Charlotte. Mit den Gesinnungen unveränderlicher Anhänglichkeit der Ihrige. H.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe an eine Freundin