Zur Einführung

Richard Wagner ist heute scheinbar weit und breit anerkannt. Und doch herrscht noch immer viel Un- und Missverstand über Bedeutung- und Ziel der Meisterkunst. Kampflosung gilt nach wie vor. Früher bestritt man die Werke und ihren Kunstwert, heute streitet man über ihre Aufführung und über die Ehren, die dem Meister erwiesen werden sollen. Unsere Aufgabe kann nur sein, klares Wissen zu gewinnen dafür, was Richard Wagner war und wollte, und abzuweisen, was diese Erkenntnis stört und fälscht. Unter mancherlei Schlagwörtern und Formeln sucht man Wagners Bedeutung zu fassen. Für die meisten Menschen ist der „Fall Wagner“ immer noch nichts als „ein Musikantenproblem“. Wagner erscheint allenfalls noch als Reformator der Oper etwa wie Gluck, indem er sinnvolle Handlung schuf und seine Texte mit guter, sinngemäßer Deklamation durchkomponierte, statt wie früher eine äußerliche und sinnlose Handlung zum Vorwand einzelner unterhaltender oder kunstvoller Musikstücke zu nehmen. Das ist eine ganz flache, äußerliche, rein formale Erklärung, die nur eine Begleiterscheinung herausgreift, aber nicht zum Wesen dringt. Im Weltwirrwesen spiegelt sich die Meisterkunst noch immer nur trübe und falsch. Von denen, die den Musiker verwerfen und den Dichter leugnen, bis zu denen, die Denkmäler setzen, für „Wagneropern“ schwärmen und den Parsifal freigegeben wissen wollen, reichen alle möglichen und denkbaren Stufen des Missverständnisses. Vor alledem retten wir uns nur dadurch, dass wir auf Bayreuth zurückblicken, wo einzig und allein Wagners Geist in künstlerischen Taten immer von neuem auflebt. „Richard Wagner in Bayreuth“, der Meister und sein Lebenswerk, das ist die einzig richtige und erschöpfende Formel, um anzudeuten, was hier sich offenbarte, ein leuchtender Gipfel deutscher Kunst und Kultur, eine Erscheinung, die daraus so wenig wegzudenken ist, wie Beethoven, Goethe und Schiller. Ich nenne die größten: ihnen steht Richard Wagner völlig gleich, uns aber näher. Denn er wurzelt tiefer im deutschen Wesen und modernen Empfinden und hängt weniger von fremden Vorbildern ab, ist freier, eigenartiger. Richard Wagner ist der Schöpfer des deutschen Dramas aus dem Geiste der Musik, er führt das Sehnen und Suchen unsrer größten Meister zum Ziel. Seiner unvergleichlichen Tatkraft gelang es endlich, diesem Kunstwerk auch die Werdestätte zu schaffen, wo es rein und unverfälscht in die Erscheinung treten konnte.

Das Drama Richard Wagners ist ein Festspiel der Künste, aus deren schön vereintem Streben sich wirkend erst das wahre Leben erhebt. Seine Größe bleibt jeder einseitig nur literarischen oder musikalischen Betrachtung verborgen, offenbart sich aber unmittelbar und mit zwingender Gewalt dem natürlichen künstlerischen Empfinden. Das Missverständnis, das Wagner begegnet, rührt vielfach auch daher, dass wir durch Erziehung und Lehre künstlerisch verbildet und unfrei sind und alles, was nicht nach angelernten Regeln geht, nur schief und verzerrt sehen. Wagner der „Opernkomponist“ ist ein solcher ungeheuerlicher Irrtum, der das Große, Erhabene, Eigenartige und Ungewöhnliche zum Kleinlichen und Gewöhnlichen erniedrigt.


Wir haben im folgenden uns klar zu werden über Richard Wagner in Bayreuth, das deutsche Drama, seine Werdestätte, seine mitschöpferische und innig teilnehmende Gemeinde. Alles das liegt im Namen Bayreuth, wie er uns „von dieser Bedeutung getragen zu einem teuren Angedenken, zu einem ermutigenden Begriffe, zu einem sinnvollen Wahlspruche“ ward. Damit ist auch alles Parteiliche und Persönliche, das dem hässlichen Worte „Wagnerianer“ anklebt, von vornherein abgetan.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Bayreuth