Fortsetzung

Mit der Tätigkeit der Familie Taxis seit 1489 begann die Entwicklung des modernen Postwesens. Die Mitglieder dieses später gefürsteten Hauses waren unter Leibes- und Lebensgefahr zwei Jahrhunderte hindurch im Kurier- und Postdienst von unten herauf groß geworden. Dieses weitverbreitete Geschlecht besaß Verkehrsbeziehungen von Deutschland bis nach Rom und Madrid, die es zu einer immer größer werdenden Macht auszunützen verstand. Was zuvor getrennt und verzettelt gewesen war, sollte nun zusammengefasst werden: „Der Strom des politischen, kirchlichen, volkswirtschaftlichen, wissenschaftlichen und privaten Lebens, der in hochgradig erregten Zeiten zwischen den zivilisierten Staaten Europas hin und her flutete, bewegte sich durch die von den Taxis geschaffenen und lebendig erhaltenen internationalen Verkehrsadern.“

Das ganze sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert war von endlosen Streitigkeiten um die Postgerechtsame zwischen dem Kaiser, einzelnen Landesfürsten, den Taxis und den Städten erfüllt gewesen. Seit dem 1806 erfolgten Zusammenbruch des alten Reiches war auch das Schicksal der Reichsbelehnbarkeit der Taxis besiegelt; aber die Kämpfe einer neuen Zeit um das Postwesen und seine Gestaltung für den Dienst der Allgemeinheit währten noch Jahrzehnte, bis eine Organisation zur regelmäßigen, jedermann gegen feste Gebühren zustehenden Beförderung von Nachrichten, Paketen, Geld und Personen geschaffen wurde. Das dem Hause Taxis erblich gehörige Postwesen wurde 1867 von Preußen vertraglich abgelöst. Zuvor bestanden im Lande noch neunzehn Thurn-und-Taxissche Postgebiete.


Die staatliche Zerrissenheit Deutschlands spiegelt sich auch in den Postverhältnissen von den Anfängen bis in die neueste Zeit deutlich wieder. Die Portosätze waren ungeordnet und hoch, denn für Sendungen nach außerhalb gelegenen Orten wurden so viele Gebühren erhoben, wie einzelne Postgebiete berührt wurden. Dazu kam die Verschiedenheit der Entfernungseinheiten, Meilenmaße, Münzen und Gewichte. In vielen Fällen war es kaum möglich, das Porto bei Aufgabe auch nur annähernd richtig, zu bestimmen.

Diese Zustände herrschten jedoch nicht nur bei uns. Im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts wählte man auch in England die weitesten Wege, um durch höhere Taxen mehr zu verdienen! In der Schweiz hat man bis 1848 mit Postsachen eine Art Handel zwischen einzelnen Kantonen getrieben. In den dreißiger Jahren kostete ein einfacher Brief von Frankfurt a. M. nach Danzig eine Mark fünfzig Pfennig, also fünfzehn Silbergroschen. Um diese Zeit bezahlte man für einen Brief von Berlin nach Kopenhagen eine Mark fünfundvierzig Pfennig, von Kopenhagen nach Toulon zweieinviertel und von Kopenhagen nach Odessa dreieinhalb Mark; dabei wurden alle Briefsendungen namentlich eingetragen, wodurch sich die Beförderung stark verzögerte. Ähnliche Verhältnisse hatten in England zu einem weitausgedehnten Briefschmuggel geführt. In Großbritannien bestand nächst Polen der höchste Portotarif in Europa. Ein einfacher Brief, der nur ein Blatt füllen und nur ein halbes Lot schwer sein durfte, kostete von London nach Edinburg über einen Taler Porto. Damals schrieb man kaufmännische Mitteilungen an verschiedene Stellen einer Gegend auf ein Blatt Papier, das vom Empfänger zerschnitten und dann entsprechend verteilt wurde. In industriereichen Gegenden beförderten schmuggelnde Fuhrleute als Haupterwerb Briefe. Im Jahre 1838 konnte festgestellt werden, dass fünf Sechstel aller Briefe von Manchester nach London nicht durch die Hände der Postbeamten gegangen waren. In Glasgow, wo täglich mehr als zweihundert Fuhrleute eintrafen, beförderten zwei dieser Leute viermal so viel Briefe wie die Post. Ein Kaufmann hatte 1836, also in einem Jahre, durch die Post 2068 Briefe erhalten; 6861 waren ihm durch Schmuggel zugeleitet worden. Unter zwanzigtausend Fällen, in denen ein Geschäftsmann die Postgesetze übertreten hatte, war er nur einmal ertappt worden. Viele Handlungsreisende nahmen täglich etwa fünfzig Briefe fremder Korrespondenten mit und brachten sie gegen eine geringe Vergütung in die richtigen Hände. Zwischen Manchester und Liverpool beförderte man die Hälfte aller Briefe auf Schleichwegen. Auch mit den Eisenbahnen wurden Briefe, meist in Paketen, verschickt. Den Parlamentsmitgliedern war Portofreiheit gewährt, und die Volksvertreter benützten dieses Vorrecht zu „geschäftlichen“ Zwecken. Da kam es zur Portoreform des Jahres 1840. Von da an kostete der eine halbe Unze schwere Brief durch ganz England einen Penny. Dieser Schritt brachte der Staatskasse einen Gesamtverlust von zwanzig Millionen Pfund, denn erst 1874 erlangten die Posterträgnisse wieder die gleiche Höhe wie 1839. Man hatte 1840 geglaubt, nach der Herabsetzung der Taxe würde eine Korrespondenzvermehrung um das Fünf- bis Dreißigfache eintreten; dabei war das theoretisch angenommene Bedürfnis bedeutend überschätzt worden. Als man in Deutschland 1868 einen einheitlichen Tarif für den einfachen Brief zum Satze von einem Silbergroschen festgesetzt hatte, erfolgte ein Ausgleich der zuerst gesunkenen Staatseinnahmen schon nach zwei Jahren. Die allmählich im Laufe der Zeit bis zum Jahre 1868 vorgenommene Ermäßigung des Portos war mit der Hebung von Handel und Verkehr gleichmäßig erfolgt.

Die durch Kriege erschütterten Finanzen einzelner Länder zogen zu ihrer Hebung auch in vergangenen Zeiten Porto- und Verkehrserhöhungen nach sich, wenn auch nicht in so hohem Maße, wie dies seit 1918 bei uns und anderwärts der Fall gewesen ist. Nach 1814 kostete ein Brief auf der kurzen Strecke von Stuttgart nach Lindau zehn Kreuzer; ähnlich lagen die Verhältnisse auch im übrigen Vaterlande.

Der Verkehr mit den: Ausland war zeitweilig gänzlich unmöglich oder doch so verteuert, dass er deswegen unterblieb. So schrieb am 4. Januar 1812 ein Gelehrter aus Kopenhagen an Professor Gräter in Württemberg: „Es ist nun über ein halbes Jahr her, dass keine deutschen Bücher bei uns angekommen sind, und wenn dies geschieht, ist der Kurs so hoch, dass wir sie nicht bezahlen können. Das Porto der Fahrpost kann niemand erschwingen, und was mit Meßgelegenheit über Leipzig geschickt wird, bleibt meist ein halbes Jahr unterwegs. Ihr letztes Schreiben, das ich erst vor vierzehn Tagen erhielt, kostete mich elf Reichstaler und drei Mark.“ Das ist das höchste mir bekannte Briefporto der neueren Zeit.

Die schwersten Schwankungen erlitt im vorigen Jahrhundert Frankreich durch politische Erschütterungen. Vor 1848 galt ein allgemeiner Portosatz von fünfzehn Centimes. Seit 1849 wurde das Porto für jeden Brief im Gewicht bis zu siebeneinhalb Gramm durch ganz Frankreich auf zwanzig Centimes erhöht und steigerte sich bei fünfzehn Gramm auf den doppelten Betrag, von da an bis hundert Gramm auf einen Franken. Jede weiteren hundert Gramm kosteten einen Franken mehr; der Einheitssatz blieb jedoch trotzdem bestehen. 1850 kam es zu einer Erhöhung von zwanzig auf fünfundzwanzig Centimes. Dies waren Folgen der achtundvierziger Revolution. Erst 1854 kam man zur Taxe von zwanzig Centimes für den frankierten Brief zurück; dies blieb bis zum Ende des Kaiserreiches. Nach 1871 erhöhte sich die Taxe wieder auf fünfundzwanzig Centimes; Stadtpostbriefe kosteten fünfzehn Centimes.

Die Segnungen des Weltpostvereins sind durch die Kriegsfolgen überall mehr oder weniger zerrüttet. Und nun bestätigt sich die Wahrheit der Worte eines Geschichtsschreibers des Postwesens: „Die Post ist eines der notwendigsten Organe unserer Existenz geworden; wir können sie gar nicht mehr entbehren, vom kleinsten Teil des persönlichen Lebens bis zu den großen Interessen der Völker und der Menschheit. Wenn einmal ein Zufall das Spiel einer einzigen Feder dieser gewaltigen Einrichtung zerstörte: Tausende von Interessen, die der Privaten sowohl wie die der Staatsverwaltungen, würden mit einem Schlage in Mitleidenschaft gezogen werden.“

Seitdem die letzten Erhöhungen im Postverkehr festgesetzt worden sind, hörte man klagen, dass der briefliche Verkehr von einzelnen nicht mehr im früheren Umfang gepflogen werden kann. Und doch ist die schreibseligste Zeit das achtzehnte Jahrhundert gewesen, als der Postverkehr teuer genug und nichts weniger als einfach war. Die Post ging damals immer nur an gewissen Tagen nach bestimmten Orten ab. Zudem brauchten Briefe von Frankfurt a. M. bis Berlin neun, von München nach Augsburg nicht selten drei Tage. Und oft blieben sie an der Endstelle gar noch einige Zeit liegen. Man musste einen Postkalender besitzen und sich an die darin angegebenen Tage halten. Noch heute hört man da und dort: „Er ist um einen Posttag zu spät daran.“ Man schrieb deshalb fast überall an solchen Tagen und beförderte die Briefe rechtzeitig zur Post, denn sonst blieben sie liegen bis zur nächsten Gelegenheit. Wer Nachrichten bekommen wollte, ohne den weniger Begüterten Ausgaben zu machen, nahm keine frankierten Briefe an. „Denken Sie ja nicht an die kleine Höflichkeit,“ schrieb Mendelssohn an den armen Lessing, „mir die Briefe wieder zu frankieren. So wahr ich Ihr Freund bin, ich nehme keinen postfreien Brief von Ihnen an.“ — „Warum frankieren Sie Ihre Briefe an mich?“, schrieb Gellert der Lucius. „Das ist nicht recht.“ Boie will nicht haben, dass Bürger seine Briefe frankiert, und „wenigstens die Hälfte bezahlen“. Der Dichtervater Gleim gab jährlich große Beträge für unfrankierte Schriftstücke seiner zahllosen Freunde aus, die alle „kein Portogeld verschwenden sollten“. Man legte auch anderen Briefen eingeschlossene Nachrichten bei, die dann weitergegeben wurden, und bezeichnete dies als „durch Güte“ oder „durch Gefälligkeit“ besorgt. Wer auf Reisen ging, nahm gewöhnlich ein gut Teil Briefe mit, und manche Bekanntschaften und dauernden Freundschaften bahnten sich auf diese Weise an. In unseren Tagen würde sich ein einfacher Weg finden, um weniger Begüterten das Schreiben zu erleichtern. Was früher nicht möglich war, geht heute leicht genug durch Einlage von Marken in Briefe, soweit, man Karten mit Rückantwort nicht benützen will. Doch ist es ein eigen Ding: man kann erloschene Sitten nicht so leicht wiederbeleben. Und die Zeit des beschaulichen Briefeschreibens ist längst dahin. Ob die Not unseres Daseins darin Änderung schafft?

Ein Mönch als Briefbote aus dem Jahr 1466.
Nürnberger „Neuer Allamodischer Postbote“ um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts.
Deutsche Postuniformen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Ältestes Posthaus der Thurn-und-Taxisschen Post in Augsburg.
Nürnberger Postbote aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Aus der Vergangenheit des Postwesens.