Fortsetzung

Der Sinn dieser alten Städte, der Geist, der sie geschaffen hat, war so geartet, dass er auch uns noch viel zu sagen hat; sie sind grandiose, ernst mahnende Sinnbilder der Selbstentäußerung des einzelnen und des Gemeinsamkeitsinnes einer Bürgerschaft. Das ist einmal kurz so zusammengefasst worden: „Die mittelalterliche Stadt ist nichts anderes als die erhabene Verkörperung eines Schutzgedankens . . . Als Bruderschaften und Gilden schlossen sich die Menschen zusammen mit einer Einheit des Denkens, vor der unsere heutigen Großtaten verblassen. Wenn einem Bruder das Haus abbrannte, baute es ihm die ganze Gilde wieder auf; erkrankte er, so pflegte ihn ein Bruder nach dem andern. Wenn er starb, nahm sich die Bruderschaft der verlassenen Familie an. Der einzelne gewann durch die geschlossenen Kräfte, die hinter ihm standen. Alles drängte nach Vereinigung. Man erbaute gemeinschaftlich die Schutzmauer, in Eintracht wurden Einrichtungen geschaffen, die allen zugutekamen: die Stadtmühle, die Walkerei, Vorratshäuser für Hungersnöte, die Schule, das Rathaus, das Münster. Zusammen erwarb man Neuland und Gemeindebesitz, und alles wurde groß geartet, und den Kräften wuchsen Flügel. Die Menschen dachten und empfanden gemeinsam, und daraus blühte dann die Schönheit, weil jeder, sicher des ihm Zugemessenen, ohne Hast sich ganz in den Sinn seiner Beschäftigung versenken konnte. Und zum Schluss erschien als leuchtende Glorie des Ganzen eine von den Nöten des Tages und seinen Bedürfnissen abgelöste Erfindungs- und Denkkraft. Das ist die Wissenschaft und die reine Kunst, in der sich diese ganze Steigerung der Fähigkeiten durch Vereinigung gewissermaßen bewusst wird und sich so noch einmal über sich selbst erhöht. . . . Die allein sicheren und tragfähigen Grundlagen menschlicher Kultur bestehen in einem Erträglicherwerden und einer Sicherung des Daseins durch die Erfindung von Schutzmitteln, deren höchstes und folgenreichstes die freie Vereinigung zum Zweck gegenseitiger Förderung ist.“

Das ist der große, bedeutsame Sinn unserer alten Städte und ihrer Einrichtungen, in denen die Grundlagen unserer Kultur geschaffen worden sind. Den offenbaren sie uns, wenn wir die Vergangenheit richtig befragen. Das Edelste und Beste sehen wir vor Jahrhunderten in ihnen vorgebildet und nicht weniges darunter in Formen, um die wir heute ringen. Bei solcher Betrachtung finden wir unsere geistige Erkenntnis ebenso befruchtet und vermehrt wie unser Bedürfnis nach Schönheit befriedigt. Und es bestätigt sich, dass auch diese Schönheit zwar keine bewusste Schöpfung und doch auch kein nebensächliches Ergebnis, sondern die Folge einer aus dem Innersten quellenden Notwendigkeit ist.


Und in diesem Sinne ist es also zu verstehen, wenn gesagt wird, unsere alten Städte seien gleichsam organische Gebilde, ihre Schönheit sei mit Notwendigkeit „gewachsen“. Was uns an alten befestigten Städten lediglich malerisch erscheint und unserer sinnlichen Wahrnehmung Freude bereitet, ist einst zu Verteidigungszwecken geschaffen worden. „Jeder Torturm beherrscht eine der Hauptstraßen, jeder Nebenturm eine Gasse. Wo eine Stelle von der natürlichen Lage weniger geschützt ist, beschirmt ihn eine dichtere Folge der Wehrtürme, und auf der schwächsten Stelle sind auch die Häuser einbezogen in die Verteidigung, und im Zickzack rückt jedes Haus gegen das benachbarte vor, so dass der beim Tor eindringende Gegner tausend blitzende Schießscharten vor sich sah, die alle die ganze Straße beherrschen. Das ganze Städtchen ist aufgelöst in Zweckmäßigkeitsabsichten der Verteidigung, die harmonisch zusammenklingen in einen großen Schutzgedanken und so eine betrübliche Notwendigkeit zum Kunstwerk adeln.“

Wer sich beim Anblick alter wohlerhaltener Städte und beim Durchwandern ihrer Straßen nur dem Eindruck ihrer Schönheit hingeben kann und will, wem alle andern Betrachtungen fremd sind, der empfindet doch den Reiz der architektonischen Bilder und den malerischen Zauber der von Schritt zu Schritt wechselnden Eindrücke. Der verstockteste Asphalttreter wird einmal wenigstens aufatmen, wenn er die alten Straßen am Tage durchstreift und in einer stillen Mondnacht im silbernen Licht die Gassen solch eines altertümlichen Städtchens durchwandert.

Wer für kurze Zeit das Aufleben eines vergangenen Jahrhunderts in unvergesslicher Leibhaftigkeit erleben will, der besuche Rothenburg ob der Tauber, wenn man das historische Festspiel aufführt. Aber in ruhigen Zeiten ist es noch weit schöner dort, sei es im Lenz, wenn die altersgrauen Mauern sich mit irischem Grün umkleiden, an blauen Sommertagen oder im frühen Herbst, wenn die Natur in farbiger Schönheit prangt, im Werden und Vergehen alles an den Wechsel irdischer Dinge gemahnt. Wer in solchen Stunden sich von der Vergangenheit Rechenschaft zu geben vermag, dem offenbart sich die tröstliche Gewissheit, dass es im Leben der Stämme und Völker wie in dem des einzelnen wohl schwere und trübe Stunden gibt, dass aber die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht grundlos ist; solange ein Volk sich nicht selbst aufgibt, kann es nicht zugrunde gehen. Die Erniedrigung währt nicht ewig, denn das einzig Dauernde in der Welt ist der Wechsel.

Am St. Georgsbrunnen.
Am Plönlein.
Vor der Stadtmauer.
Altes Fachwerkhaus.
An der Stadtmauer.
Unter der Femlinde in Rothenburg ob der Tauber.
Blick auf Rothenburg ob der Tauber.
Der Weiße Turin.
Rothenburg, Der Weiße Turm

Rothenburg, Der Weiße Turm

Rothenburg, Blick auf Rothenburg ob der Tauber

Rothenburg, Blick auf Rothenburg ob der Tauber

Rothenburg, An der Stadtmauer

Rothenburg, An der Stadtmauer

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