Aus dem schönen Frankenland. Rothenburg ob der Tauber

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: Michael Absberg, Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Frankenland, Rothenburg, Mittelalter, Baukunst,
Unsere heutigen Großstädte sind ein Beweis für die Wahrheit der Worte: „Der Lebende hat recht!“ Aber je rascher die Städte sich vergrößerten, und je rücksichtsloser im Drang nach Erneuerung die Reste älterer Baukunst in ihnen beseitigt wurden, umso nüchterner und trostloser gestaltete sich ihr Aussehen.

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Inhaltsverzeichnis
Das traurigste aber sind die in vermeintlichem Palaststil eilig errichteten Mietkasernen, die mit ihren protzig aufgedonnerten Fassaden vergeblich den Eindruck architektonischer Kunstwerke zu erwecken suchen. Dagegen wirken die nüchternen Zinshäuser mit ihren gleichsam in die Wand geschlagenen Löchern, die Fenster und Türen darstellen, noch erträglicher, damit ist wenigstens nichts vorgetäuscht und vorgeflunkert; unverhüllt erkennt man an ihnen den nackten Nützlichkeitsstandpunkt, der diese Massenherbergen und Zinsburgen wahllos nebeneinander zu reihen gebot. Das auffälligste in den Straßenreihen der Neuzeit sind große Lüden mit prunkhaften Auslagen, aufdringliche, sich gegenseitig übertrumpfende Firmentafeln, Reklamemalereien und elektrisch beleuchtete Lockmittel, die man am liebsten noch hoch über den Dächern anbringt. In aufdringlichster Buntheit verfolgt dieses Chaos von Formen und Farben die durch die Straßen eilenden Menschen, auf Schritt und Tritt daran gemahnend, dass es in der Welt nichts Anderes gibt und geben kann als Handel und Geschäft.

In den großen Städten mit ihrer aufpeitschenden dauernden Unruhe kommt der Mensch nur selten zu sich selber, denn die verschiedenartigsten Eindrücke wirken zerstreuend und lenken unbewusst die Gedanken ab. Sammlung und Beschaulichkeit sind Worte, die in den Stätten hastenden Lebens ihren Sinn in das Gegenteil verkehren. Die geistige Beweglichkeit des Großstädters, seine Fähigkeit, sich in einem Augenblick mit den verschiedenartigsten Dingen beschäftigen zu können, sind wohl besondere, aber sicher nicht wertvolle Züge in seinem Wesen.

An stillen Feiertagen, wenn die unstete Hast und das Jagen des Betriebes vorübergehend ruhen, und die Menschen ins Freie flüchten oder in vermeintlichen Vergnügungsstätten sitzen, wirken die verkehrsentblößten Straßen befremdend, ja manchmal spukhaft und gespenstig, so dass sich ein einsamer Wanderer zwischen den hohen Steinblöcken beengt und bedrückt fühlt.

In den Millionenstädten trachten die Menschen überall danach, hinauszukommen, denn sie fühlen, dass ihnen dort alles fehlt, was das Dasein erträglich macht. Luft, Licht und Sonne sind ihnen fast genommen, und dem Auge bietet sich in den Straßen nichts, woran es sich erfreuen könnte, und dem Gemüt nichts, das ihm Nahrung gäbe. Wer nur ein bisschen zu sich kommen will, sucht dem Lärm und der stumpfmachenden Buntheit menschenüberfüllter Städte zu entrinnen und darf von Glück sagen, wenn nicht auch die nächste Umgebung auf Meilen hinaus trostlos und traurig ist.

In großen, volkreichen Städten von heute ist es weder richtig Tag noch Nacht; der alte Sinn der Zeiten ist dort verloren gegangen; es gibt keinen Abend, keine Dämmerstunde, die nach Feierabend die Empfindung friedlicher, beschaulicher Stille über die Menschen bringen könnte. Bevor noch die Schatten sinken, flammen im Zwielicht grelle Bogenlichter auf; fast noch in der Tageshelle wird der Mensch auch noch um den Abend und die Nacht betrogen.

Die großen natürlichen Atempausen sind in den Städten verschwunden, die ein ewig reizbares Geschlecht bewohnt, dem auch die Nacht zum Tage geworden ist. Im künstlichen, blendenden Licht erbleicht der Schein des Mondes, und die Sterne am Himmel erblassen. Weit hinaus vor die Stadt muss man wandern, um die Gestirne der Nacht in ihrer Schönheit strahlen zu sehen.

Wer möchte glauben, dass in den großen Städten Kinder aufwachsen, die nicht wissen, wie ein Baum aussieht, denen ein Huhn, eine Taube oder ein bunter Falter ein befremdender Anblick ist; dass es dort Kinder gibt, die nie mit bloßen Füßen über einen grünen Hang liefen? So fremd ist ihnen die zur Einkehr mahnende Stille der freien Natur und so gewohnt der Lärm und das Treiben aus dem Asphalt der Straßen, dass sie auch draußen nur Freude empfinden, wenn etwas „los“ ist. Sie verlangen nach Rummelplätzen.

Stille Sammlung im Sichhingeben an den tiefen Frieden der Natur ist ihnen fremd, und die Ruhe macht sie verwirrt. Wer könnte in der Großstadt auch nur daran denken, an linden Abenden behaglich vor der Türe auf der Straße zu sitzen, zu ruhen oder zu plaudern? Und welchen Sinn hätte eine Bank an einem Brunnen in einer Großstadt? Wozu überhaupt einen Brunnen? Im besten Falle ist er als Werk eines Bildhauers möglich, mit monumental fallendem Wasser, das aus Sparsamkeit während der Nacht nicht fließt. Die Zeit ist vorbei, da in den Straßen aus Röhrenbrunnen Tag und Nacht Wasser in steinerne Tröge rieselte, in bronzene Becken plätscherte, silbern im Mondlicht glänzend.

Unzählige kleine Lebensbeziehungen sind in der Großstadt gelöst, ihr einstiger Sinn ist verloren und vernichtet. Und doch fühlt man sich angeheimelt, wenn man in Dichtungen liest oder auf Bildern findet, dass einst das Leben weniger zweckerfüllt hastig, unstet und nüchtern gewesen ist. Mag sich auch der Romantik vergangener Zeiten gegenüber beim Millionengroßstädter ein Gefühl der Überlegenheit einstellen, er empfindet dann und wann doch, dass die Welt auch noch ein anderes Gesicht hat, dass es halbvergessene Winkel gibt, in denen die für ihn verkümmerten oder erloschenen Formen des Lebens noch nicht ganz verloren sind. Und die Sehnsucht erwacht, einmal eine Stätte aufzusuchen, über der noch ein Schimmer der Vergangenheit ruht, wo der Kreislauf des Jahres, des Tages, der Abende und der sternenhellen Nächte noch fühlbar und sichtbar ist.

Viele solcher Stätten gibt es in unserem Vaterlande, und mehr noch als bisher sollten wir sie aufsuchen, um die Liebe zu ihm zu finden, die uns so nottut, denn noch verbringen nicht alle Menschen unseres Millionenvolkes ihr Dasein auf asphaltiertem Boden und in der trüben, scheinbaren Lebensfülle der Großstädte, in denen Leib und Seele verkümmern. Der Naturgenuss des Stadtmenschen, der ihm gerne gegönnt sein soll, ist genau betrachtet doch recht materiell.

Mit Recht hat man gesagt, dass es in Deutschland wenige Städte gibt, auch Nürnberg nicht ausgenommen, wo auf allen Plätzen, Straßen und Gassen, vor allen Kirchen und Häusern, Toren und Türmen die entschwundenen Jahrhunderte so lebendig vor uns stehen wie in dem freundlichen fränkischen Städtchen Rothenburg ob der Tauber, das sich auf einer Hochebene über dem lieblichen Gelände erhebt, das westwärts, gegen den Taubergrund zu, jäh abfällt.

Auf dem Hügel stand schon in früher Zeit eine „Burg“; die erste urkundliche Erwähnung der Grafen von Rothenburg stammt aus dem Jahre 804, die eigentliche Geschichte beginnt dreihundertvierzig Jahre später, und seitdem hat Rothenburg wechselnde Schicksale erlitten. Auf einem Hügel gelegen, folgte die Stadt dem natürlichen Gelände, wo durch ihre besondere Schönheit bedingt ward; sie erhielt vor mehr als einem halben Jahrtausend ihren Mauergürtel, der sie jetzt noch umschließt. Unmittelbar blieb die weitere Ausdehnung begrenzt, weil nur das Gelände im tiefer gelegenen, anmutigen Taubergrund, das unterhalb den Hügel umgibt, Raum zum Bauen bot. Solange die Befestigung einer Stadt zu ihrem Schutze nötig war, konnte die Entwicklung nicht über den Mauerring hinausgreifen, und da Rothenburgs Lage auf dem Hügel dies auch aus andern Gründen nicht erlaubte, blieb uns das Kleinod einer alten Stadt erhalten. Dazu kam allerdings noch, dass es durch das rasche Aufblühen Nürnbergs und politische Umstände nach seiner höchsten Blütezeit einen Rückschlag erlebte, wodurch die weitere Entfaltung ins Stocken geriet. Mag dies Schicksal, das nicht unverschuldet ist, die Bürger schwer betroffen haben, uns ist aus allem der Gewinn entstanden, in Rothenburg die Schönheit einer alten Stadt, ihren verblichenen Glanz, vom Duft der Vergangenheit umwittert, unentweiht zu genießen.

Rothenburg, Unter der Femlinde in Rothenburg ob der Tauber

Rothenburg, Unter der Femlinde in Rothenburg ob der Tauber

Rothenburg, Vor der Stadtmauer

Rothenburg, Vor der Stadtmauer

Rothenburg, Altes Fachwerkhaus

Rothenburg, Altes Fachwerkhaus

Rothenburg, Am Plönlein

Rothenburg, Am Plönlein

Rothenburg, Am St. Georgsbrunnen

Rothenburg, Am St. Georgsbrunnen