Ein Spaziergang durch die Stadt.

*) Aus den moskowitischen Briefen eines Europäers.

Ich wohne hier bei einem Pelzhändler; der Mann ist wohlhabend genug, aber wie ärmlich sieht es in seinem Hause aus. Die Wände in den Zimmern sind nackt und bloß, ihr einziger Zierat besteht in ein paar schlecht gemalten Heiligenbildern. Eben so dürftig ist der übrige Hausrat; einige hölzerne Bänke, Tische, Kisten, drei oder vier irdene Töpfe, ein halbes Dutzend Schüsseln und Schalen — das ist so ziemlich alles. Federbetten gibt es hier nicht; man schläft auf Polstern, Matten oder in seinen Kleidern. Ich hielt diese Mängel anfangs für Zeichen des Geizes; allein ich habe seitdem bemerkt, dass die meisten Haushaltungen in Moskau, selbst der reichen Leute, ebenso kärglich bestellt sind. 58) Wollten die Leute wenigstens reinlich sein! aber es scheint, sie hassen das Scheuern; so selten und oberflächlich tun sie es. Daher ist denn auch alles, was man im Zimmer anfasst, jedes Geschirr, jedes Gerät, von Staub und Schmutz beinahe schwarz.


Wer sich an diese Unreinlichkeit nicht gewöhnen kann, dem mundet dann auch Essen und Trinken nicht. Ohnehin ist die Kost grob und durch den Knoblauch, der in keinem Gerichte fehlt, widerwärtig. Die Speisen, welche gewöhnlich auf den Tisch kommen, sind Gemüse — besonders Rüben, Kohl und Gurken — Grütze, Fische, die nicht selten, weil man das Salz an ihnen gespart hat, sehr stinken, und an den Tagen, an denen die Religion es erlaubt, das heißt drei bis viermal in der Woche, Fleisch; sodann Backwerk, Pasteten von vielerlei Art und Kaviar, den sie hier zu Lande Ikari nennen. Der gemeine Mann trinkt am meisten Quas, das ist ein säuerliches Dünnbier, am liebsten aber starkes Bier, Meth und vor allem Branntwein. Die Vornehmen halten sich außer den letzteren Getränken auch spanische, rheinische und französische Weine, die über Archangel hereinkommen und sehr teuer sind. Sie bewirten mit diesen die ausländischen Gäste, denn sie selbst ziehen bei weitem den Branntwein vor. Ihr Meth ist übrigens von vorzüglichem Wohlgeschmack, zumal der aus Himbeeren gebraute, und ich habe mir das Recept zu diesem lieblichen Getränk mittheilen lassen. Hier ist es: Man thue die reifen Himbeeren in ein Fass, giesse reines Wasser darauf und lasse es einen oder zwei Tage stehen, bis das Wasser die Farbe und den Geschmack der Himbeeren angenommen hat. Dann gieße man das Wasser ab und rühre Honig in dasselbe ein, auf zwei bis drei Kannen Wasser eine Kanne Honig. In dieses Gemisch werfe man ein Schnittlein gerösteter Semmel, welches mit ein wenig Hefen bestrichen ist. Sobald die Gährung beginnt, welche vier oder fünf Tage, nicht länger, dauern muss, nehme man jenes Brot wieder heraus und hänge auf einige Stunden ein mit Gewürznelken, Kardamom und Zimmet gefülltes Leinwandbeutelchen hinein.

Als ich durch Preußen und Liefland kam, wunderte ich mich, wie stark dort die Leute im Trinken seien; hier sehe ich, dass der russische Magen noch weit mehr verträgt. Gar im Essen sind die Russen unüberwindlich. Es gibt aber auch nirgends so viele Dickbäuche wie hier, und die Russen bilden sich auf ihre Wohlbeleibtheit etwas ein; denn je länger der Bart und je dicker der Bauch, desto stattlicher sei der Mann.

In allen Ständen ist es üblich, Mittags nach Tisch zu ruhen und zu schlafen, und da jedermann es liebt sich den Magen zu überladen, so ist jener Brauch wohl auch notwendig.

Anderwärts gilt langes Haar für ein Abzeichen der Freiheit. Hier tragen nur Popen und Weiber das Haupthaar lang, vornehme Männer schneiden es ganz kurz und lassen es nur, wenn sie beim Zaren in Ungnade gefallen sind, lang und wild wachsen.

Man glaubt gewöhnlich, die Haut der Russen sei gegen Kälte äußerst unempfindlich; ich bin nicht dieser Meinung. Wenigstens habe ich in Polen die gemeinen Leute bei starkem Frost sehr häufig mit entblößter Brust gehen sehn; in Russland hatte ich einen solchen Anblick weit seltener. Die russische Kleidung ist dick und vielfach. Über das Hemde, welches im Rücken gefüttert ist, und über die Hosen wird der Kaftan gezogen, das ist ein enger Rock, der einen breiten Stehkragen hat und bis auf die Kniee reicht, und über den Kaftan ziehen viele Russen noch einen mit Baumwolle gefütterten und bis unter die Waden reichenden Rock, den Peres. Dazu kommt, wenn sie ausgehen wollen, ein dritter und noch längerer Rock. Kaftan und Feres sind je nach dem Vermögen von Kattun, Seide, Damast oder Atlas, der Überzieher von veilchenblauem, braunem oder dunkelgrünem Tuche, auch wohl von buntem Damast, Atlas oder Goldbrokat. Von letzteren Stoffen sind alle Röcke, welche im großfürstlichen Schatze liegen und an die Minister und Räthe zu den öffentlichen Audienzen leihweise vergeben werden. Die Kopfbedeckung besteht bei den Vornehmen in einer Mütze von feinem Pelzwerk, welche wohl eine Elle hoch ist. Die gemeinen Bürger tragen niedrigere Mützen. Die Stiefel sind bei jenen von Safian, bei diesen von Juchten.

Die Weiber unterscheiden sich in ihrer Tracht sehr wenig von den Männern. Nur tragen sie keine Kaftane, und die Schuhe der reichen haben sechs Zoll hohe Hacken; viel laufen können sie damit nicht.

Gestern machte ich zum Abschiede noch einmal einen langen Spaziergang in der Stadt. Sie hat sich doch wenig verändert, seit ich zum letzten Male, Anno 1643, hier war. Einige neue steinerne Häuser und Paläste sind noch hinzugekommen; aber sie verschwinden in dem Meere von hölzernen Baraken, welches man Moskau nennt. Es hört sich prächtig an, wenn gesagt wird, es gebe hier zweitausend Kirchen; allein dabei sind die Kapellen mitgerechnet, und jeder große Herr hat eine solche neben seinem Hause. Einen wirklich bedeutenden Eindruck macht auf den Beschauer nur der Kjeml; doch gleicht diese Residenz des Zaren mehr einer befestigten Stadt als einer Kaiserburg.

Ich ging über den freien Platz, welcher hinter dem Kreml liegt, und auf dem die gerichtlichen Strafen vollstreckt werden. Was wurde da wieder geprügelt! Da standen zunächst die bösen Schuldner, welche ein Jahr lang täglich hierher kommen müssen, um ihre Hiebe zu empfangen. Der Büttel schlägt sie mit einem dünnen Rohrstock auf die Schienbeine; doch lässt er sich gern durch ein Trinkgeld bewegen, dass er gelinde schlägt oder die Holzschienen nicht merkt, welche in den Stiefeln und unter den Hosen stecken.

Weiterhin sieht man eine Gruppe mit dem Batogi beschäftigt. Diese Strafe kann ein jeder Herr über seinen Knecht verhängen. Der Missetäter muss sich dann entkleiden und mit dem Bauch auf die Erde legen; zwei andere Knechte setzen sich auf ihn, der eine auf seinen Kopf, der zweite auf die Beine, und hauen mit biegsamen Stöcken abwechselnd auf ihn los, ungefähr so wie die Kürschner die Felle ausklopfen.

In einiger Entfernung bot sich ein fürchterlicheres Schauspiel. Neun Menschen, darunter eine Frau, erhielten die Knute. Das ist eine barbarische Strafe. Der Verbrecher muss sich, bis zu den Hüften entkleidet, über den Rücken eines Scharfrichterknechts legen und um dessen Hals die Arme schlagen, während ein anderer Knecht ihm die Beine zusammenbindet und an einem Stricke über der Erde hält. Drei Schritte ab steht der Scharfrichter und schwingt auf ihn die lange dicke Knutpeitsche; jeder Schlag reisst drei Schnitte in das Fleisch.

Denn vorn an der Peitsche sitzen drei einen Finger lange Riemen von harter ungegerbter Elenns-Haut. Neben dem Scharfrichter steht der Gerichtsdiener, in der Hand einen Zettel, von dem er die Zahl der zu erteilenden Hiebe abliest. Ist sie erreicht, so ruft er: Polno! es ist genug! Diesmal war die Zahl für die Männer zwanzig bis sechs und zwanzig, für das Weib, welches in Ohnmacht fiel, sechzehn. Ihre Rücken behielten nicht eines Fingers breit ganze Haut. Ihr Verbrechen war gewesen, dass sie Tabak und Branntwein verkauft hatten. Denn der Gebrauch des Tabaks ist den Russen überhaupt untersagt, und wer beim Schnupfen oder Rauchen desselben ertappt wird, dem schlitzt man von Rechts wegen die Nase auf. Branntwein aber darf niemand verkaufen, als die Pächter der Regierung; er ist zarisches Monopol. 59)

Die Geknuteten wurden nun zur Erde gesetzt und aus der zuschauenden Menge traten ihre Freunde hervor, jeder mit dem noch warmen Felle eines eben geschlachteten Schafes in der Hand. Diese Felle warfen sie ihnen um den blutigen Rücken, er soll davon rascher heilen. Die Scharfrichterknechte aber hängten ihnen die Zeichen ihrer Missetat, den Tabakshändlern eine Düte mit Tabak, den Branntweinhändlern eine Flasche um den Hals, banden sie zu je zweien mit den Armen an einander und führten sie unter Peitschenhieben durch den Hof des Kreml.

Ich will die Leibesstrafen und Martern, die für größere Verbrechen zugefügt werden, nicht beschreiben; sie sind dieselben, die man auch in Europa in den Folterkammern und am Hochgericht zu sehen pflegt. Aber was man dort nicht sieht, ist die Abprügelung eines Priesters durch den Büttel. Hier fand auch dies statt. Doch hatte der Büttel dem armen Sünder zuvor die Skufia oder das heilige Mützchen abgenommen. Denn wer einen Popen schlägt und trifft ihn auf das Mützchen oder macht, dass es ihm zur Erde fällt, der muss ihm die Biszestia, das ist die Strafe für Beschimpfung, bezahlen. Doch bekommen die Popen darum nicht weniger Prügel und mit Recht, denn sie sind insgemein versoffener und unnützer als andere Leute. Nachdem er seine Hiebe erhalten, wird dem Popen die Skufia von dem Büttel säuberlich und mit Ehrerbietung wieder aufgesetzt, und niemand macht von der Sache viel Aufhebens.

Man trennt eben die Person von dem Amte, und wenn, was oft geschieht, ein betrunkener Pope auf der Straße in den Koth fällt und mit schmutzigen Fingern die Vorübergehenden segnet, so empfangen sie seinen Segen gleichwohl mit Glauben und Ehrfurcht.

Die Gottesverehrung besteht hier fast noch mehr als zu Rom in Äußerlichkeiten. Am beliebtesten ist die Ceremonie des Kreuzschlagens. Die Russen verrichten sie in der Art, dass sie mit den drei ersten Fingern der rechten Hand sich die Stirn, die Brust, und die rechte und linke Seite berühren und dabei sprechen: „Gospodi pomilui! Herr erbarme dich mein!“ Diese Weise sich zu segnen wurde mir so ausgelegt: die drei Finger bedeuten die heilige Dreifaltigkeit, das Erheben der Hand zur Stirn die Himmelfahrt Christi; durch die Berührung der Brust werde auf das Herz und dass man Gottes Wort darein fassen solle, gewiesen; endlich durch die Berührung zur Rechten und Linken gebe man die Beschaffenheit des jüngsten Gerichts zu verstehen, wie die Frommen zur Rechten, für den Himmel, die Bösen zur Linken, für die Hölle, würden gestellt werden. Indessen nur die wenigsten Leute scheinen sich bei dem Kreuzschlagen etwas zu denken; sie tun es offenbar bloß gewohnheitsmäßig. Wie dem auch sei, nirgends in der Welt gibt es Christen, die so oft das Zeichen des Kreuzes machen als hier zu Lande. Keine Hantirung, kein Beginnen, welcherlei Art auch immer, im Hause oder außer dem Hause, geschieht, ohne dass die Finger vorher ein Kreuz geschlagen und die Lippen geflüstert haben: Gospodi pomilui! Auch vor jedem Kreuz, vor jedem Heiligenbilde, welches man zu Gesichte bekommt, muss man sich bekreuzigen und zwar dreimal, und keine Gasse, kein Haus ist ohne Kreuz oder Bild. Es gibt in Moskau einen eigenen Markt für diese Heligtümer, er heißt der Göttermarkt, und man verkauft hier täglich, doch nennt man es Anstands halber Tauschen.

Einen Andersgläubigen lassen die Russen nicht gern in ihre Kirche hinein, und wenn er darin gewesen, so muss der Boden, den er durch seinen Fußtritt entheiligt, durch Scheuern und Segnen wieder geweiht werden. Ich beschränkte mich daher, die Kirchen von außen zu betrachten. Sie sind weder prächtig noch schön, aber eigentümlich durch ihre gebauschten Türme. An jeder Tür ist ein großes Kreuz und auf jeder Turmspitze ein dreifaches Kreuz angebracht. Eine Feierlichkeit, nämlich die Teufelaustreibung, wird außerhalb der Kirche, doch dicht neben der Tür, vorgenommen; denn der ausfahrende Teufel, meinen sie, würde den geheiligten Raum entweihen. Daher finden denn auch die Taufen hier außen statt, und die Gevattern müssen gleich wie der Pope beim Exorcismus eifrig auf die Erde speien.

Noch zahlreicher als die Kirchen sind die Kabaken oder Schankhäuser. Die gemeinen Leute tragen hiehin alles, was sie nur erwerben können, um es zu vertrinken, und wenn der Beutel geleert ist, so gibt mancher seine Kleider, ja das Hemde dem Wirt hin. Fast aus jedem Kabak, an welchem ich vorbeikam, sah ich einen mehr oder weniger Entkleideten heraustaumeln; diesem fehlte die Mütze, jenem die Fußbekleidung, dem dritten der Rock. Meiner Wohnung gegenüber ist ein Kabak, den ich aus meinem Fenster zuweilen beobachtete. Einmal kam ein Halbberauschter ohne Rock heraus; wenige Schritte von der Schenke begegnete ihm ein Freund, er kehrte um und ging mit diesem in den Kabak zurück. Zwei Stunden darauf erscheint er wieder, diesmal ohne Hemde, er hat nur noch ein paar Unterhosen an. Ich rufe ihm zu: „Wo hast du dein Hemd gelassen?“ „Beim Wirt!“ antwortet er und schimpft gräulich. Dann sich besinnend ruft er: „Ei, wo Rock und Hemde geblieben, da mögen die Hosen auch bleiben!“ Sprachs und kehrte in den Kabak zurück. Eine Weile nachher kam er zum dritten Male heraus, jetzt splitternackt. Neben der Schenke wuchsen Hundsblumen; er raufte eine Handvoll aus, hielt sich die Blumen vor den Unterleib und ging also, lustig und singend, nach Hause.

Die Weiber sind dem Trunke fast ebenso ergeben wie die Männer, und der Kabak hat auch für sie eine große Anziehungskraft. Sie sitzen da oft neben ihren Männern und trinken mit ihnen um die Wette. Wollen jene nach Hause gehen, so haben sie dazu noch keine Lust; sie bekommen von ihren Eheherren Ohrfeigen, aber sie bleiben. Endlich fallen die Männer vom Branntwein bezwungen auf die Erde. Dann setzt sich jede Frau auf ihren Mann und säuft so lange, bis sie auch umfällt.

Nach den Kirchen und Kabaken erfreuen sich die Badstuben des größten Zuspruchs. Der Russe genießt hier das Schwitzbad, welches er so sehr liebt. Neben der Badstube befindet sich ein Ofen, in welchem Steine geglüht werden, die man dann mit Wasser begießt. Die so erzeugten heißen Dämpfe werden durch ein verschließbares Rohr in die Badstube geleitet. Dieselbe ist durch einen Verschlag in zwei Abteilungen, für die Männer und für die Weiber, geschieden. Doch das Aus- und Ankleiden erfolgt sehr oft in einem gemeinschaftlichen Räume. Schurztücher sind nicht üblich; manche Personen halten sich beim Hinein- und Hinausgehen einen von Birkenlaub gemachten Busch vor, manche unterlassen auch dies. Ich sah sogar, wie nackte Weiber ohne Scheu ins Männerbad traten, um mit ihren Angehörigen zu reden.

Sobald sich der Gast auf die Schwitzbank gelegt hat, so kommt der Badediener oder die Dienerin mit einem Busch von Birkenlaub und haut und reibt ihn so lange, bis er am ganzen Körper so rot ist wie ein gesottener Krebs. Die Hitze und die Mattigkeit, welche dabei erfolgen, waren mir unerträglich, den Russen aber, wie es schien, sehr angenehm. Sie laufen in solchem Zustande aus dem Bade hinaus, begießen sich draußen mit kaltem Wasser oder reiben sich zur Winterszeit mit Schnee ab und kehren dann zurück, um von neuem zu schwitzen. Auch hiebei schämt sich niemand vor dem andern; Badende beiderlei Geschlechts spazieren ohne alle Bekleidung um sich abzukühlen vor dem Badehause umher, —

Doch man erlebt hier noch weit abscheulichere Dinge. Wie oft wird man von Ehemännern angesprochen, die — für Geld ihre Frauen anbieten! Selbst mancher Adlige greift, wenn er verarmt, zu diesem schändlichen Gewerbe, holt von der Straße den ersten Besten herein, der ihm ein paar Rubel zahlen mag, und steht in eigener Person Wache, damit sein Kunde nicht gestört werde!60)

— Ohe, jam satis est!