Sammlung ukrainischer Volkslieder. Von M. Maksimowitsch (1849)

Es ist dieses nicht das erste Mal, dass Herr Maksimowitsch ukrainische Volkslieder herausgibt, die er im Laufe von zwanzig Jahren gesammelt hat. Den Anfang machte er im Jahr 1827 zu Moskau mit den „Kleinrussischen Liedern" (130 Gesänge für Männer und Frauen); dann folgten im Jahr 1834 „Ukrainische Volkslieder" (113 Gesänge für Männer), und in demselben Jahre erschienen in Moskau die „Stimmen ukrainischer Lieder" (25 Gesänge mit Musik von A. A. Aljabiew). Jetzt ist er mit einer neuen Sammlung hervorgetreten, die er, um sie von den früheren zu unterscheiden, „Collectaneum ukrainischer Volkslieder" nennt, und die in sechs Teilen etwa zweitausend nationale Dichtungen enthalten wird. Die Hälfte derselben ist von Herrn Maksimowitsch persönlich, vorzugsweise im Gouvernement Poltawa, gesammelt worden; die andere Hälfte nebst vielen Varianten hat er von verschiedenen Personen in allen Teilen Südrusslands erhalten. Hierher gehört auch eine Sammlung russischer und namentlich wolynischer Lieder, die von dem verstorbenen Chodakowskji hinterlassen wurde und die der Herausgeber der Witwe desselben abkaufte. Jede Abteilung ist mit einigen erklärenden Anmerkungen versehen. Dem letzten Teile verspricht der Verfasser seine Beobachtungen und Gedanken über russische Volkspoesie überhaupt und über die Volkslieder der Ukraine insbesondere hinzuzufügen.

Der jetzt erschienene erste Band hat zwei Abteilungen: die eine enthält ukrainische „Dumy“, die andre Wiegen- und Wartelieder (kolybelnyja i materinskija pjesni).


In der Literatur wurden die ukrainischen Dumen von dem Jahre 1819 an bekannt, wo der Fürst Zertelew neun Dumen und ein Lied unter dem Titel: Versuch einer Sammlung alter kleinrussischer Gesänge, herausgab. Nach ihm veröffentlichten Sresnewskji in seinem „Saporogischen Altertum" (1833 — 1834) und andere Kleinrussen noch etwa zehn Dumen. Herrn Maksimowitsch sind gegen dreißig bekannt, von denen zwanzig sich im ersten Bande seines Werkes befinden. Unter diesen waren vier, der Kampf des Kosaken mit dem Tataren, die drei Brüder, auf den Sieg von Komm (1648) und die Ukrainer nach dem Frieden von Bjelaja Zerkow (1652), bisher noch nirgends im Druck erschienen. Die „Dumen" unterscheiden sich von den anderen kleinrussischen Gesängen durch das mannigfaltige, freie Metrum ihrer Verse, die einen ungleichen Tonfall haben und aus einer unbestimmten Anzahl Silben (von 4 bis 20 und mehr) bestehen. Durch eben dieses Versmaß unterscheiden sich auch die ukrainischen Dumen von den großrussischen erzählenden Gesängen und von den serbischen Nationalliedern, welche sich streng an ihr zehnsilbiges Metrum halten. Von Beiden weichen noch die Dumen durch den Reim ab, der in der südrussischen Volkspoesie sehr gebräuchlich ist. Man findet selten in einer Duma einen Vers ohne einen anderen mit gleichtönender Endung; öfter enden deren mehrere auf einen Reim. Die Dumen rühren ausschließlich von den ukrainischen Banduristen her, welche noch jetzt mitunter am linken Ufer des Dnjepr angetroffen werden (am rechten gibt es statt der Banduristen Lirniki, Leierschläger). Die südrussischen Sänger, gewöhnlich blinde Greise, sangen und singen noch immer dem Volke ihre Dumen und Lieder vor, indem sie sich mit beiden Händen auf der vielsaitigen Bandura begleiteten. Das 16. und 17. Jahrhundert war die Blütezeit der ukrainischen Duma. Im vorigen Säculo riefen nur Paléi und Masepa, nach der Schlacht von Poltawa, und Jelesnjak nach dem Bauernkriege (kolejewtschina) von 1768 einige schwache Anklänge in den Dumen hervor, obgleich das ukrainische Volkslied noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fortlebte. Nachher wurde nur das Frühere wiederholt, zuweilen mit Variationen nach einer neuen Weise. Übrigens bildeten historische Personen und kriegerische Taten zwar den hauptsächlichsten, aber nicht den einzigen Gegenstand der ukrainischen Duma; nicht selten besang sie auch häusliche Beziehungen und Gefühle, oder suchte dem jüngeren Geschlecht eine einfache und treuherzige Moral einzuprägen.
(Otetsch. Sapiaki.)