Der Schäfer im alten Niederdeutschland

Vor Ausbruch des Krieges waren die Schäfer, die ihr Gewerbe aus dem Grunde kennen, namentlich auch mit den verschiedenen Krankheiten des Schafes vertraut sein mussten, sehr knapp geworden. Der Beruf des Schäfers erfordert eine gewisse Entsagung, Ausdauer, Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zuneigung zu den Tieren. Einst bildete der Schäfer in Niederdeutschland an der Landstraße, auf dem Felde, auf der Dorfweihe eine lebensvolle, charakteristische Figur, halb sitzend, halb stehend, mit der Kehrseite auf seinen Stock gestützt, im langen blauen Rock, in Kniehosen, Strümpfen und Schuhen, das Haupt mit einem kleinen, breitkrämpigen Hut bedeckt, in den Händen ein Strickzeug bewegend. Das war dieses Hirten Erscheinung. Zu den Füßen des seine wollhaarigen Zöglinge beaufsichtigenden Mannes aber saß sein treuer, vierfüßiger Begleiter, ein langhaariger Hund, Waffer, Spitz oder Fix genannt. Wenn der Schäfer seinen Hut lüftete, so zeigte sich ein Messingkamm, der das nach hinten gekämmte Haar festhielt. Gewöhnlich waren die Schäfer ältere Männer von hagerem und kleinem Wuchs die zum Schäferberuf taugten, so behaupteten die Schafhirten lange ihren Posten. Das unter freiem Himmel, auf dem Felde stehende Haus des Schäfers war ein länglicher Wohnkarren, der ein Strohdach trug. Bei dieser fahrenden Hütte hielt der Hund die Wache. Von der Poesie des Hirtenlebens entwirft einmal der Dichter Johann Heinrich Voß das nachstehende Bild:

„Wenn Tau im Grase noch blitzet,
Treib’ ich, wenn ,Hurtig' bellt . . .
Des Vaters Herd’ ins Feld . . .
Die Schäfchen blöken und grasen,
Wo Klee und Quendel blüht —
Ich strick auf schattigem Rasen —
Am Mittag deck’ ich zum Mahle
Den Rasen weich und fein
Mit Spillbaumlöffel und Schale —
Und schmause ganz allein.“


Die Lebensweise des Schäfers in der freien Natur brachte es mit sich, dass er als Wetterprophet sich eines besonderen Ansehens erfreute, fragte man ihn nach dem Stand des Wetters, so erteilte er möglichst genaue Auskunft. Gewöhnlich traf der Schäfer das Richtige, da seine Lebensweise ihm genügend Gelegenheit zu Wetterbeobachtungen darbot. — Einen hervorragenden Ruf genossen manche Schäfer wegen ihrer sympathischen Wunderkuren, die jedoch nicht nur an den Schafen, sondern auch an Menschen erprobt wurden. Das Vertrauen der Landbevölkerung zu den geheimnisvollen Kräften dieses oder jenes Schäfers war ein unbegrenztes. Nicht selten legten die Landbewohner meilenweite Wege zurück, wenn sie sich bei einem heilkundigen Schäfer Rat einholen wollten. Ohne Zögern gab der Bauer sein Geld für ein heilkräftiges Pulver oder für eine Sympathie aus. Im mecklenburgischen „Archive für Landeskunde“ wird einmal ein solches Pulverchen, wie es vor etwa 60 Jahren in Brauch stand, nach seiner Zusammensetzung beschrieben. Der volkstümliche Doktor hatte für diese Mischung nachstehende Bestandteile verwandt:

Ein Teil feingestoßenes Glas von Kirchenfenstern, einen Zipfel eines blau lakenschen Rocks, verbrannt, endlich ein Bisschen Geschabtes vom linken Knie! Dieses Pulver sollte mit Branntwein dreimal täglich eingenommen werben, es sollte ein Heilmittel gegen alle möglichen Suchten bilden, von denen es 30 geben sollte. Wenn der kranke die Suchten los werden wollte, so mussten sie gemessen werden. Von der Wirksamkeit seiner Heilmittel war der Schäfer fest überzeugt, sorgfältig bewahrte er sein Geheimnis. Erst bei seinem herannahenden Tode gab er davon einer nahestehenden weiblichen Person Kenntnis. Die Eingeweihte übermittelte das anvertraute Geheimnis einem Manne, den ihr der Sterbende vorher zu bezeichnen pflegte. Wollte ohne Vermittlung ein Mann einen anderen in diese Heilgeheimnisse einweihen, so sollte die Kur an Wirksamkeit verlieren, denn so hieß es:

Alles in de Welt het so siene Satzung.

Kein anderer Stand hat so sehr die humorvollen Neigungen des mecklenburgischen Volks erregt, wie derjenige des Schäfers. Die Zahl der Lieder und Reime, die sich auf den Schäfer beziehen, ist eine große. Das Volk nennt diesen Hirten auch wohl — Buckfläuter (Bockflöter), Hamelmajur, Hammeldanzke, Lämmerswanzke, Blaasterbengel usw.

Von einem übersprudelnden Humor sind die Anekdoten erfüllt, die dem Schäfer in seinem Verhalten gegenüber dem zarten Geschlecht zeigen. Ein Schäfer, so heißt es in einer Volks-Überlieferung, is bi’n Preester kamen und hett fuurts (sofort) twee Frugens sick antrugen laten wullt. Oever de Preester hatt seggt, he süll bat man irst mit een bewennen laten; he wull nahst eens wedder anfragen. De Schäper frigt jo nu ok. Na’n half Johr will de Preester jo hüren (hören), wo dat steiht. De Schäper höddt all ümmer an’t Water,’ dat he den’n Preester nich in de Mööt kümmt. Oever de Preester finnt em doch un fröggt em, wo em dat denn gefallen ded? „O, Herr Paster,“ hett de Schäper dor meent, „dat is blot üm dat Flicken un Waschen un dat bäten Aetenkaken (Essen-kochen), süß hadd bat ganze Dörp an een Fru nooch.“

Ein anderer Schäfer erscheint bei dem Pastor der Gemeinde und teilt ihm mit, dass er sein Dienstmädchen freien wolle. „Doh dat nich,“ antwortet ihm der Geistliche, „de Diern döcht nich.“ „Ja,“ seggt de Schäper, „dat is ‘ne glarre Diern, un dat Og will jo ok wat hebben.“ Tietlang naher dröpt de Preester den’n Schäfer, de hett sienen Kopp ganz bebünnelt hatt. „Na,“ seggt de Preester, „hett dat Og nu ok wat krägen?“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alte mecklenburgische Volkssagen
Schäfer mit seiner Herde auf dem Heimweg

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Schaf- und Ziegenhirtin

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