Fortsetzung

Am 29. Mai 1747 bittet der Landgraf dann nochmals dringend um die Beurlaubung des Künstlers. Er betont, dass nur noch Weniges zu machen sei, dass aber, wenn dies nicht geschehe, das Werk wieder in Verfall geraten und er schwerlich die nächsten Jahre die Freude haben würde, dessen Vollendung zu sehen. So wurde de la Poterie noch einmal hergesandt, und am 1. September 1747 konnte ihn der Landgraf mit dem Dankschreiben entlassen: „Nachdem Herr La Pottrie sein Werk in Ameliental vollendet hat, kann ich ihn nicht von hier abreisen lassen, ohne E. E. zu bezeugen, wie sehr ich die Freundschaft zu schätzen weiß, die Sie mir erwiesen haben, indem Sie mir zum andernmale diesen geschickten Mann zukommen ließen.

*) S. Drach a. a. O., S. 106. Jetzt, nachdem ich festgestellt habe, dass er in kurkölnischen Diensten stand, wird sich über ihn vielleicht ein Mehreres ermitteln lassen.
**) Briefwechsel L. Wilhelms VIII. im Marburger Staatsarchiv. O. W. S. Gef. 83.
***) Aus diesen Daten ergibt sich, dass die Darstellung O. Gerlands in seinem Buch über die Du Rys Seite 31 f. bez. der Wilhelmstaler Wasserkünste nicht richtig ist. Gerland wirft die Kaskade mit der Grottenanlage durcheinander, wenn er sagt: „ ... so wurden andere Wasserkünste angelegt, deren Mittelpunkt und Kern die große Grotte war."


Von dem Innern der Grotte, ihren mit Schneckenhäusern und Muscheln, bunten Steinen und Kristallen, mit Korallen und sonstigen merkwürdigen Bildungen des Mineralreichs inkrustierten Wänden, von den phantastischen, reizvollen und schreckhaften Drachen und sonstigen Amphibien aus reich vergoldetem Metall, die — wenn die Wasserkünste in Betrieb gesetzt waren, Strahlen des nassen Elementes ausspieen und sich zu bekämpfen schienen, — doppelt schreckhaft anzusehen, wenn die Sonne sich in den vermutlich farbigen Glasscheiben der hohen Fenster brach, — von all dieser Pracht vermögen wir uns keine Vorstellung mehr zu machen.

Fünks Abbildung zeigt die Grotte in dem Augenblick, wo die letzte Figur für die Postamente der Umfassungsmauer aufgestellt werden soll. Diesen figürlichen Schmuck, welcher auf die Pfeiler des Daches und der das Wasserbecken umfassenden Balustrade gesetzt, erst dem Ganzen seine malerische Wirkung gab, ließ Landgraf Wilhelm durch den Bildgießer Willem Rottermond im Haag anfertigen. *) Von 1746 bis 1753 lieferte Rottermond für die Nischen zu beiden Seiten der Grotte eine Venus mit dem Cupido und einen Merkur; auch ein Zimbel schlagender Faun wird genannt. Auf den Pfeilern der Rampe erblickte man die dem Rokoko unentbehrlichen Sinnbilder der Tugenden und Laster; auch die Personifikationen der Elemente: Feuer, Wasser, Luft und Erde, durften hier nicht fehlen und bekrönten die Balustrade des Mittelbaues, unterhalb deren — über den Nischen der Venus und des Merkur — zwei Sphinxe mit auf ihrem Rücken reitenden Putten den Mittelbau flankierten, während zwei andere dieser Wunderwesen, diesmal ohne Putten, beiderseits des Teiches, an den Außenseiten der Treppen, welche vom Park zu ihm hinunterführen, ihren Platz hatten. Im Teiche selbst warfen goldene Schwäne, von Amoretten geritten, Wasserstrahlen aus, deren sich kreuzende Bogen ein dem erlauchten Bauherrn huldigendes W bildeten. **) Es muss fraglos ein feenhafter Anblick gewesen sein, wenn die ganze Anlage im Sonnenglanz oder in bengalischer Beleuchtung erstrahlte, wenn auf dem tiefdunkeln Hintergrunde der schweren Barockformen sich das Licht in den Kristallen und Muscheln, auf dem Gold der Statuen und in den hochaufschießenden Spritzwassern des Teiches tausendfach brach, wenn die zierlich und farbenfroh gekleideten Herren und Frauen der Rokokozeit, gepudert und wohlfrisiert, in dem Strahlenglanz hin- und herwandelten, und wir werden dem Historiker unserer Grotte, Karl Alhard von Drach, Recht geben, wenn er sagt, dass Landgraf Wilhelm VIII. mit ihr eine Anlage geschaffen hatte, die, soviel uns bekannt, unter den fürstlichen Prunk- und Lustbauten des 18. Jahrhunderts in Deutschland einzig erschien.

*) v. Drach S. 106 ff. — Nach dessen Untersuchung bestehen die Rottermondschen Statuen und Statuetten aus einer Legierung von Blei und Antimon, ähnlich der, aus welcher die Typen der Buchdrucker hergestellt werden, und welche vermöge dieser Härte sich nach erfolgter Politur trefflich vergolden lässt. — Bickells Ansicht in den Mitteilungen des Hess. Geschichtsvereins 1900, S. 50: „Die Grotten- und Wasseranlage ist von ... du Ry angelegt, während die sehr reizvollen, in Bleiguss ausgeführten Figuren von dem Bildhauer Nahl herrühren", ist in beiden Punkten irrig.

Will man sich von dem Eindruck, den der Wunderbau auf die Mitwelt hervorbrachte, ein ungefähres Bild machen, so lese man die Ode von Hille und lasse, nach Abzug des im Geschmacke der Zeit liegenden Schwulstes, die übrigbleibende Begeisterung auf sich wirken. Mit diesem Vorbehalt sei die Wiedergabe verstattet. Der Herr Regierungssekretär singt, als er zur Grotte tritt :

          Wohnt Thetis hier mit ihrem Wassergotte,
          Ist dies die Gruft, steht hier der nasse Thron?
          Du bist es doch, bewundernswerte Grotte!
          Dein glänzend Gold entdecket mir es schon.
          Die Neubegier erheidert mir die Blicke,
          O welch ein Schatz, der alles überragt!
          Jetzt seh' ich dich, du seltnes Meisterstücke!
          Wo fast die Kunst selbst die Natur besiegt.

          Wer sagt es mir, wer sind die goldne Scharen?
          Es blenden mich fast Bildung und Figur.
          Stehn sie nur da, die Grotte zu bewahren?
          O sag' es mir, du flüchtiger Merkur!
          Komm eilend her, dass mich dein Mund belehre,
          Erzähle mir, wer doch die Knaben sind.
          Dort seh' ich schon die reizende Cythere,
          Und neben ihr das schöne Flügelkind.

          Dort steht erhöht das Bild der Elemente,
          Die Glut, die Luft, das Erdreich und das Meer,
          Doch, wenn ich gleich wie Xeuxes schildern könnte,
          So würde mir der Abriss doch zu schwer.
          Es glänzet hier, und zwar von allen Seiten,
          So manches Bild, das seine Deutung hat,
          Allein den Sinn von jedem auszudeuten,
          Erlaubet mir so wenig Raum als Blatt.

          Sieht sich wohl hier bei so verschiednen Dingen
          Aus Neubegier das Auge satt genug?
          Das Wasser rauscht, die kleinen Röhren springen,
          Und schnell entsteht der hohe Namenszug.
          Wenn Perlen dort wie Regenbogen steigen,
          Der klare Strahl sich laut entgegenspritzt,
          Was wird sich doch noch in der Grotte zeigen,
          Da sie bereits so stolz von außen blitzt.

          Ich nahe dir, du prächtiges Gebäude!
          usw.

Und fast wie von einem Atemzug wirklicher Poesie sind die Strophen durchhaucht, in denen unser Dichter von dem Wunderwerke Abschied nimmt:

          Sey, Grotte, denn der Ewigkeit geweihet,
          Und dauerhaft bis auf die letzte Welt,
          Bis einst ein Tag den Erdenball erneuet,
          Der Welten-Bau durch Brand und Glüht zerfällt.
          Und streifet einst im Lenz bey schwüler Hitze
          Ein Wetterstrahl durch die geteil'te Luft,
          So schonet doch, ihr fürchterlichen Blitze,

          Dies Meisterstück der Kunst, die holde Gruft.
          Noch seh ich dich, du Wunderwerk der Erden!
          Und deine Pracht mit starrem Blicke an.
          Ja soll die Welt durch Glüht erneuert werden,
          Ihr Flammen lasst, wenn dies geschehen kann,
          Den Göttersitz, die werte Grotte stehen.
          Wo Freude wohnt und Lust und Anmut lacht,
          Dass Geister einst, verklärte Geister sehen,
          Was Sterbliche, was Menschenwitz gemacht.

Es lässt sich denken, dass die Grotte ein sehr zartes Bauwerk war, welches den Unbilden der Witterung gegenüber besondere Schutzmaßregeln erhiesch, und deshalb das Sorgenkind des Oberpfalzgräfen Waitz sein mochte. Nachdem am 18. November ein starker Schnee gefallen war, hatte sich Waitz doch, da noch die Röhren gelegt werden mussten, in Begleitung des Schlossermeisters Dauber, des Röhrengießers [Steinhöfer] und eines gewissen Rudolph nach Ameliental begeben und berichtet am 21. November 1747 seinem auf der Jagd in Wolkersdorf weilenden fürstlichen Herrn über den Befund folgendergestalt: „Diese stürmische Witterung hat die erste Probe abgelegt, wie weit das Dach auf der Grotte und die Segel vor derselben die Absicht erreichen würden. Beides hat das Gehoffte praestiret, das Dach ist vom Sturmwinde nicht gehoben worden, sondern hat den Regen und die Schneewasser gut abgeführet, anstatt dessen auf den Steinen alles glatt eisete. Die Segel aber haben nicht das Geringste [von] Schnee in die Grotte durch die offenen Fenster gelassen, welche den guten Nutzen schaffen, dass gute, frische, durchstreichende Luft in der Grotte ist. — An der Wasserleitung zu den Schwanen und zu der sogenannten Wurst wird stark gearbeitet und hoffe, diese Woche werden die gesamten Röhren mit hinauskommen und zum Teil gelegt werden. Insofern nur die Witterung noch eine Zeitlang gelinde bleibet, so zweifele nicht, vor Ew. hochfürstl. Durchl. Retoor (so) noch einigermaßen zu avanciren; wenigstens soll es meiner Schuldigkeit gemäß am Treiben und Erinnern nicht fehlen, so lange die Witterung nicht alle Möglichkeit zu arbeiten völlig abschneidet.

Solange des Fürsten Auge über seiner Lieblingsschöpfung wachte, mochte alles intakt bleiben. Als aber der Siebenjährige Krieg kam, und als jenes Auge sich für immer geschlossen hatte, da trat der Zerfall der Herrlichkeiten ein. Ein Bericht der Kriegs- und Domänenkammer aus dem Jahre 1780 meldet dem Geheimen Ratskolleg, dass die inwendigen Verzierungen der Grotte von Jahr zu Jahr mehr abfallen und das, was noch fest scheine, nach und nach mehr herunterfallen werde, weil der eiserne Draht, so die Grottenarbeit zusammenhalte, vom Rost ganz verzehrt sei und daher eine Reparation nur vergebliche Kosten nach sich ziehen dürfte. Es würde, wenn die Grotte inwendig wieder in Stand zu setzen gnädigst für gut befunden werden sollte, erforderlich sein, sämtliche vor ungefähr 30 Jahren verfertigten Zieraten herunterzunehmen und mit neuem Draht nach dem alten Modell oder nach einer neuen Zeichnung wieder zu befestigen. Die Genehmigung wurde von L. Friedrich III. nicht versagt, auch nicht, als die in 1780 vom Rat und Professor du Ry auf 802 Thaler veranschlagten Kosten zwei Jahre später, wenn die Grotte so gemacht werde, wie sie gewesen sei, sich bereits auf 1.456 Thaler beliefen. Die Herstellung erfolgte im Jahre 1783. Gleichwohl waren die Tage des Wunderbaues gezählt, wenn auch der Untergang nicht in der katastrophalen Weise, die ihr Sänger befürchtet, — durch Blitzstrahl oder Weltenbrand — erfolgte. Der Verfall scheint, wie bei so vielen Bauwerken aus althessischer Zeit mit der Herrschaft des Königs Jerôme eingetreten zu sein, der ja auch für seine Hofhaltung das Geld anderweit notwendiger brauchte. Das Buch des Oberkammerrats v. Apell: Kassel und die umliegende Gegend, eine Skizze für Reisende, gibt in der Ausgabe von 1792 noch folgende Beschreibung der Sehenswürdigkeit: „Zu rechter Hand findet man eine Grotte, die in ihrer Art sehenswert ist. An der rechten Seite derselben stehet die Statue der Venus mit dem Amor, und an der linken Seite ein Merkur, beide von vergoldeter Bronze. Die Eingänge der Grotte sind mit Glastüren versehen und der Fußboden ist von Marmor. An den Wänden sind eine Menge wasserspeiender Drachen und Insekten. Das Wasser sammlet sich in verschiedenen großen Muscheln, von denen es in Nappen herunterfließt. Vor der Grotte liegt ein Bassin, das mit einem vergoldeten Geländer und einer Menge kleiner Springwasser umgeben ist und sich unterwärts zu einem Kanal ausdehnt. In der Mitte des Bassins sind zwo größere Fontänen, die ins Kreuz springen. Der obere Teil der Grotte und die ganze Rückwand, die in einem halben Zirkel das Bassin umgibt, sind mit einer eisernen vergoldeten Balustrade versehen, die mit vielen Kinderfiguren und einigen Sphinxen von vergoldeter Bronze geziert ist. Oberhalb der Grotte ist ein anderes Bassin mit einem Champignon."

Genau dieselbe Beschreibung findet sich auch in den Ausgaben von 1797 und 1801; es fehlt hier nur die Angabe, dass das Bassin sich unterwärts zu einem Kanal ausdehnt, und in der Tat wurde dieser Kanal im Jahre 1794 bis auf einen Abzugsgraben zugeworfen. Dies sei hier ausdrücklich festgestellt, um die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit des Appelschen Buches zu erhärten.

Der Figurenschmuck von der Einfassung der Grotte ist noch vorhanden. Aus einzelnen der Statuen hatten im Revolutionsjahre 1848 die Bauern aus der Umgegend von Wilhelmstal Stücke mit Beilen herausgehauen, um sich Kugeln zu gießen. Die sämtlichen Bildwerke ließ ein Kreisbauinspektor aus Hofgeismar, man weiß nicht, aus welchem Grunde, im Jahre 1868 herunternehmen und in dem Kellergeschoß des Schlosses unterbringen, gesamt dem, was noch an Muscheln und Stalaktiten aus dem Innern der Grotte vorhanden war. Neuerdings hat man die beiden Schwäne wieder in das Bassin gesetzt und die Wasserkunst hergestellt und es bestand auch die Absicht, die Statuen wieder auf ihre Postamente zu stellen, doch die alte Pracht ist unwiederbringlich verloren.

Nachdem wir die Geschichte der Grotte im Zusammenhang erzählt haben wenden wir uns zum übrigen Park. Derselbe war entsprechend der Vorliebe Landgraf Wilhelms als alten holländischen Generals und Gouverneurs von Maestricht im wesentlichen nach der Gartenkunst dieses Landes angelegt. Kein Volk hatte die Obstzucht besser kultiviert als die Niederländer, und so finden wir außer einem Gemüse- oder Küchengarten mit einem Wasserbecken darin und dem an diesen anstoßenden Kirschgarten den alten und den neuen holländischen, deren Namen noch heute an den betreffenden Teilen des Parkes haften geblieben sind; jener lag zur Seite des s. g. Kirchenflügels auf dessen Nordseite und wurde von einem Wassergraben mit verschiedenen steinernen Brücken durchflössen. Die ihn nach dem freien Felde zu abschließende Mauer war mit Nischen versehen, in denen Obstbäume, gegen die Nordwinde geschützt, trefflich gediehen. Der neue holländische Garten lag dagegen weiter in dem oberen Teil des Parkes „gegen den sogenannten Weinberg zu." Er war der Garten für die feinsten südländischen Obstsorten und enthielt alles, was die Gärtnerkunst Vortreffliches hervorbringen konnte. In ihm befand sich auch die s. g. Kolonnade, ein Bau von acht steinernen Säulen in ovaler Form. Der weiter rückwärts liegende Hügel war ein alter Weinberg — der Name ist jetzt nicht mehr bekannt, — und scheint in Jahre 1756 umgerodet worden zu sein, wahrscheinlich als man dem Ententeich parallel eine lange Mauer (nach Art einer in den Berg hineingebauten Futtermauer) aufführte, an der man Pfirsich- und Aprikosenbäume und allerhand Südfrüchte zog und die zu dem Ende geheizt werden konnte. Auf der Spitze des mit englischem Bosquet umkleideten Weinbergs erbaute Friedrich II. im Jahre 1766 einen runden Tempel mit einer auf acht toskanischen Säulen ruhenden Kuppel. Als die Aussicht in die umliegende Gegend, die man von der Höhe des Weinbergs genoss, durch die höher wachsenden Bäume beschränkt wurde, ließ Friedrichs II. Sohn und Nachfolger L. Wilhelm IX. dann an Stelle des Säulentempels den jetzt noch stehenden Wartturm in den Jahren zwischen 1797 und 1801 aufführen, der eine weite Rundsicht gestattet. Mit dem im 18. Jahrhundert beliebten englischen Kugelspiel vergnügte sich die Hofgesellschaft auf dem Bowling-green, dem weiten Rasenplatz, welcher, zwischen dem Schloss und dem Haupteingangstor gelegen, durch den Weg von diesem zu jenem in zwei (ungleiche) Hälften, den großen und den kleinen Bowling-green, geteilt wird.

Natürlich durfte auch eine Einsiedelei — Eremitage genannt — nicht fehlen. Weitab lag sie im Hintergrund des Parkes am Waldesrand gegenüber dem Brandteich. Im Parke selbst zu beiden Seiten dieses Teiches aufwärts von der Grotte und einander gegenüber gelegen luden zwei chinesische Häuser, überaus fein und kostbar gebaut, zu behaglicher Ruhe ein. Die Wände dieser Häuser werden beschrieben, als aus einer, dem Marmor ähnlichen, künstlich zusammengesetzten Materie bestehend. Über den vier Glastüren bezw. Fenstern erblickte man außen allerhand chinesische Figuren, von Menschen und Tieren. Auf den aus Blei und Blech hergestellten Dächern stand je eine vergoldete Vase, und wo es ging hatte man den chinesischen Drachen und andere Ungeheuer angebracht. Inwendig war der Fußboden von Marmor, die Decke aber mit lauter chinesischen Figuren ausgeziert. In den Vertiefungen derselben waren allerlei, den Gottesdienst und die Spielübungen der Chinesen vorstellende Bilder in Stuckkaturarbeit in starker Vergoldung zu sehen. Auch die Sessel und Öfen sollten den chinesischen Geschmack getreu wiedergeben; die letzteren besonders bestanden aus lauter vergoldetem Kupfer mit messingenen Figuren. Noch jetzt dürften die federgepolsterten, mit blau- und weißgestreiftem Stoff überzogenen Möbel sich in den Gemächern des Aussichtsturmes erhalten haben, während die Häuser selbst zwischen 1797 und 1801 beseitigt wurden. Warum? werden wir später sehen.

Auch eine Menagerie befand sich in der Nähe des Brandteiches, doch nur für Geflügel. Große Volieren aus gelbem Messingdraht herbergten zahlreiche bunte Gäste aus fernen Weltteilen; in besonderen Häusern waren dem größeren, indischen, grönländischen, russischen und sonstigem Federvieh Brutstätten bereitet.

Fügen wir noch hinzu, dass Landgraf Friedrich II. alsbald nach dem Ende des siebenjährigen Krieges im Wilhelmstaler Park, und zwar zwischen dem Schloss und dem Küchengarten, ein Naturtheater aus steif verschnittenen Taxuswänden anlegen ließ, so sehen wir alles vereinigt, was das Rokoko an Pracht, Anmut und Seltsamkeit aufzubieten hatte.

Eine letzte großgedachte Anlage Landgraf Wilhelms, eine Kaskade der Parkseite des Schlosses gegenüber, ist nicht zur Vollendung gediehen. Was wir davon wissen, darüber wird im nächsten Abschnitt berichtet werden.


WILHELMSTAL UND DIE ALLGEMEINEN WELTBEGEBENHEITEN.

Der Grundstein zum Wilhelmstaler Schloss war in einer Zeit politischer Hochspannung gelegt worden; es bedurfte nur eines geringen Anlasses, um einen Weltkrieg zu entflammen. Wir dürfen uns an diesem Hinweis auf die allgemeine Lage Europas genügen lassen. Für Landgraf Wilhelm VIII. ergab sich der Zwang, in dem bevorstehenden Kampf der Großmächte Stellung zu nehmen, aus einem Familienereignis, dessen Wichtigkeit und Bedeutung für das Land in der absoluten Fürstengewalt des 18. Jahrhunderts begründet war. Der einzige Sohn des Landgrafen, Erbprinz Friedrich, war zur katholischen Kirche übergetreten. Diesen Schritt des Thronerben für den Bekenntnisstand des Landes so unschädlich wie möglich zu machen, hatte der Vater den Sohn genötigt, eine Urkunde zu unterzeichnen, kraft deren der letztere sich jeglicher Einmischung in die religiösen Angelegenheiten der Untertanen zu enthalten versprach. Die als Assekurationsakte bekannte Urkunde hatte Wilhelm VIII. unter den Schutz und die Garantie der protestantischen Mächte, insbesondere Preußens und Großbritanniens, gestellt und hatte, um den zukünftigen Inhaber des Thrones fürs erste wenigstens ein Abschwenken in das katholische Lager unmöglich zu machen, am 17. Juni 1755 mit der Krone Englands einen sog. Subsidienvertrag abgeschlossen, durch welchen Hessen-Kassel sich zur Stellung eines Truppenkorps von 8.000, bezw. im Kriegsfall von 12.000 Mann verpflichtete. Da man in England für den Sommer 1756 eine Landung der Franzosen befürchtete, so wurden einige hessische Regimenter hinüber beordert, und bei diesen befand sich der Generalmajor von Fürstenberg, mit welchem Landgraf Wilhelm eine angelegentliche Korrespondenz unterhielt. Fürstenberg war ein Mann von feiner Bildung und geläutertem Geschmack, welcher den Neigungen seines Herrn volles Verständnis entgegenbrachte. Er wurde bald auf verschiedenen Schlössern und Landsitzen der englischen Aristokratie eingeführt und berichtete nun über die hier empfangenen Eindrücke, sodass seine Mitteilungen auf die Ausgestaltung des Wilhelmstaler Parks und seine teilweise Umgestaltung nach englischem Geschmack nicht ohne Einfluss gewesen sind; andererseits erfahren wir aus den Briefen des Landgrafen gar mancherlei über den Stand der Arbeiten in dessen Lieblingsschöpfung.

Der Landgraf weilte im Sommer 1756 lange auf seinem neuen Sommersitz. Er war bereits leidend und hatte sich sehr auf die sonnigen Tage draußen in der Natur gefreut. Damals beschäftigte ihn vorzugsweise die Anlage eines Wasserfalles an der Hinterseite des Schlosses, d. h. der nach dem Park zu liegenden Seite gegenüber. Diese Kaskade sollte sich in den großen Teich zu Füßen des Schlosses ergießen, der damals die noch jetzt erkennbare regelmäßige Grundform des für Barock und Rokoko charakteristischen Kleeblattes hatte. Ein Modell dazu mit zwei Nischen und kleinen Konsolen hatte im Jahre 1755 der Bildhauer Lukas Meyer angefertigt. Eine geeignete Vorstellung der Anlage, wie überhaupt des damaligen Zustandes von Wilhelmstal gewährt ein in einem Mansardenraum des Schlosses aufgestellter Reliefplan, aus Holz geschnitzt. Man erkennt, wie sich das nötige Wasser in einem länglich-rechteckigen oberen und einem unteren kleinen Teich — letzterer da wo das Echo ist — sammeln sollte. 1792 waren von dieser Wasserkunst nur noch zwei Fontänen übrig, welche in dem Teich zu Füßen des Schlosses ihr Wasser 50 Fuß hoch in die Luft warfen.

Am 9. August 1756 übersendet der Fürst seinem General, „um sich den englischen Freunden desselben erkenntlich zu zeigen", wie er sagt, „die Pläne einer neuen Einrichtung, die er am Rande des Wasserbeckens anbringen lasse, aus welchem der Wasserfall gespeist werden solle." Was unter der „neuen Einrichtung" zu verstehen ist, ist nicht klar, es sind aber wohl Gartenanlagen gemeint, denn die Ränder werden hundert Fuß breit und sollen mit ringsherum führenden Wegen versehen und mit Sträuchern bepflanzt werden. So schreibt auch der Landgraf weiter am 16. September: „Ich bin eifrig mit dem Plan der Anlagen beschäftigt, mit denen der große Teich umgeben werden soll, der den Wasserfall hinter dem Schloss speisen wird. Sobald ich darüber im klaren bin, werde ich Ihnen den Plan schicken. Ich will noch länger hier draußen bleiben, um die Arbeiten zu Ende zu führen, mit denen ich tüchtig vorwärts gekommen bin. Das Wetter war bisher prachtvoll."

Im Monat November war die große Kaskade beinahe bis zum Gesims fertig gestellt. Für den nächsten Sommer rechnet der Landgraf auf ihren völligen Ausbau. Ein Entwurf zu dieser Anlage, eine Zeichnung oder dergl., hat sich bis jetzt nicht vorgefunden. Wir erfahren nur aus diesbezüglichen Ausgabeposten der fürstlichen Kabinettskasse, dass die Kaskade mit zwei Gruppen aus Sandstein vom Bildhauer Nahl geschmückt werden sollte, davon die erste Gruppe 1757 fertiggestellt war, die Vollendung der andern zog sich noch hin bis nach dem Kriege und wurde erst 1768 in Rechnung gestellt. Wo sie beide hingekommen sind, ist ein Rätsel. Die Kaskade ist unvollendet geblieben und ihre Anfänge sind später zwischen 1792 und 1797 beseitigt worden. Während nämlich Apell 1792 noch sagt: „Jenseits dieses Bassins ist gegen die dahinter liegende Anhöhe eine Rückwand von Quadersteinen aufgeführet, die mit Nischen und massiven Gruppen geziert ist", so hat er in der Ausgabe seiner Skizze für Reisende von 1797 diese Angabe gestrichen. Zwei Gruppen von weißem Marmor auf schwarz marmornen Fußgestellen, welche bei der in dem gedachten Zeitraum vor sich gegangenen Umgestaltung des Parkes verschont geblieben waren und sich auch in das neue Jahrhundert hinüberretteten, sind indessen spurlos, wie es scheint, verschwunden. Was sie darstellten, wird leider nicht überliefert.

Als man vor etlichen Jahren das Wasserbecken vor dem Schloss ausräumte, fand man, dass der Rand nach dem Berge zu steil abgemauert war; am Fuße der Mauer liegende Marmorplatten, wohl für den Umgang bestimmt, lassen auf eine gewisse Pracht in der Anlage schließen. Die beiden Sammelteiche für die Kaskade wurden nach dem Kriege zugeworfen und in dem oberen desselben ein „Bowling-green" angelegt.

Für die übliche Belebung der Parkanlagen mit Statuen im Geschmack der Zeit hatte Fürstenberg auch von England aus Vorschläge gemacht. „Zuweilen" schreibt er „sieht man in den hiesigen Parks und auf deren freien Plätzen Statuen von Blei, die mit weißer Farbe gestrichen sind und vollständig wie Steinfiguren aussehen. Sie werden in London hergestellt und sollen von großer Haltbarkeit sein. Ich sah Gruppen von 3 und 4 Figuren usw. nach florentinischen Mustern: Gärtnerinnen, Landleute, die Jahreszeiten u. dgl. m., alles in vorzüglicher Ausführung." Der Kunsthandwerker, welcher solche in London verfertigte, hieß Cheer. Von ihm ließ sich der Landgraf daraufhin zwei Figuren, den „Frühling" und den „Sommer", durch Vermittlung seines Geschäftsträgers, des Geh. Legationsrats Alt in London, übersenden; das Stück, nur in halber Größe hergestellt, um die Sendung nicht zu schwer zu machen, kostete 9 Pfund St. — Kinderfiguren waren zur Zeit nicht vorrätig.

Am 30. Juni 1756 hatte Fürstenberg auch die Skizzen von ein paar Vasen oder steinernen Urnen übersandt, wie er sie da und dort in dem Park des Lord Feversham aufgestellt gesehen hatte, wir kennen die Zeichnungen nicht, doch möchte man wohl vermuten, dass sie zu der großen und edel geformten Vase in unserem Park die Anregung gaben, deren kunstvollen Reliefschmuck August Wilhelm Nahl erst zum vierten Teile ausgeführt hatte, als der unheilvolle Krieg losbrach und der weiteren Ausarbeitung des Werkes ein Ziel setzte.

Denn die Zeitereignisse hatten inzwischen mit rauer Hand eingegriffen und die Hoffnung des greisen Fürsten, seine Lieblingsschöpfung noch in harmonischer Vollendung zu schauen, vereitelt. Der Krieg, der sieben Jahre hindurch die nord-und mitteldeutschen Gebiete heimsuchte, zwang Wilhelm VIII., am 5. Juli 1757 sein Land zu verlassen. Am 13. dieses Monats langte ein französisches Korps von 12.000 Mann bei Niedervelmar an; die Hauptstadt Kassel, obwohl sie eine modern ausgebaute Festung war, wurde am 15. von den Feinden ohne Schwertstreich besetzt. Vom 14. Juli ab erhielt Wilhelmstal eine französische Schutzwache, sog. Salvegarde, in einer wechselnden Stärke von 10 — 14 Mann, die gut bezahlt werden musste, indem der Mann außer der Beköstigung täglich eine Löhnung von 2 Livres, später noch einen Albus Zulage erhielt.

Die Arbeiten erlitten damit eine jähe Unterbrechung. Nicht nur, dass der Tag der Fertigstellung in weite Ferne gerückt wurde, auch die Einheitlichkeit der Ausführung wurde ungünstig beeinflusst; das bereits Geschaffene verfiel zum Teil, und das noch nicht Verwirklichte lief Gefahr, später einer anderen Auffassung zu unterliegen.

Landgraf Wilhelm VIII. sollte seinen geliebten Landsitz nicht wiedersehen. Er starb in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 1760 in Rinteln, seine sterblichen Überreste wurden am 17. April, zu einer Zeit, wo das nördliche Hessen wieder einmal von den Franzosen frei war, in der Fürstengruft der St. Martinskirche zu Kassel beigesetzt. Der neue Landgraf Friedrich II., der bis dahin als Gouverneur von Magdeburg in preußischen Diensten gestanden hatte, traf am 4. März in Kassel ein. Er hatte zuvor in Wilhelmstal Rast gemacht.

Aber im Laufe des Jahres 1760 ging das Land mit seiner Hauptstadt wieder für die Alliierten verloren. Die regelmäßige Arbeit an unserm Schloss, welche 1759 noch etwa bis zur zwölften Woche gedauert hatte, wird zwar nicht völlig eingestellt, doch die Baurechnungen hören ganz auf. Was in den nächsten Jahren aufgewandt wird, wird wie ehedem aus der fürstlichen Kabinettskasse bestritten. Erst von April 1761 ab findet wieder eine regere Bautätigkeit statt.

Diese Wiederaufnahme der Arbeiten wird wohl im Zusammenhang stehen mit der am 29. März 1761 erfolgten Aufhebung der Belagerung von Kassel durch die Truppen der Alliierten, denen die Franzosen in der Stadt und Festung vom 19. Februar ab erfolgreichen Widerstand geleistet hatten. Jene mussten sich auf ihre Operationsbasis in Hannover und Westfalen zurückziehen und das Hessenland blieb über ein Jahr lang in der Gewalt der Feinde. Da, im Sommer 1762, ging Herzog Ferdinand von Braunschweig unvermutet zum Angriff auf die französischen Stellungen um Kassel über. Die beiden französischen Marschälle Soubise und d'Estrees, welche gemeinschaftlich befehligten, hatten zu Beginn des Monats Juni ihre Hauptmacht in der Gegend um Kassel zusammengezogen, wodurch sich die Gegenseite veranlasst sah, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Absicht der Franzosen war dabei eine rein defensive. Um so mehr sollten sie durch die Offensivbewegungen ihres tatkräftigen Gegners überrascht werden. Nachdem Herzog Ferdinand durch den auf das rechte Diemelufer übergegangenen General v. Freytag sich über die feindlichen Stellungen orientiert hatte, zog er am 20. Juni sein gesamtes Heer den genannten Fluss entlang, auf dessen linkem Ufer zusammen, schob sodann einzelne Korps auf das rechte Ufer und ließ am 21. Juni das damals noch feste Schloss Sababurg wegnehmen, das den Reinhardswald beherrschte. Hierdurch beunruhigt, setzten am 22. die Marschälle ihre gesamte Streitmacht, bestehend aus 111 Bataillonen Infanterie, 124 Schwadronen Reiterei und 6000 Mann leichter Truppen, insgesamt etwa 100.000 Mann, von Kassel aus in nördlicher Richtung in Bewegung und nahmen gegen Abend dieses Tages eine Stellung mit der Hauptmacht von Grebenstein bis Meinbressen, indes die rechte Flanke durch ein Korps vom Reinhardswald bis zur Esse, die linke durch ein Korps auf dem Warteberg zwischen Schachten und Westuffeln gedeckt wurde. Das französische Hauptquartier befand sich in Grebenstein.

In dieser Stellung wurden die Franzosen am 24. Juni von den um die Hälfte schwächeren Truppen Herzog Ferdinands angegriffen, der in 67 Bataillonen Infanterie, 92 Schwadronen Reiterei und 3 Jägerbrigaden über etwa 5.000 verfügte, aber mit 72 Feldgeschützen und 16 Haubitzen (abgesehen von den jedem Bataillon beigegebenen 2 leichten Geschützen) in der Artillerie stark überlegen war. Am Nachmittag waren die Franzosen vollständig geschlagen und auf das rechte Fuldaufer zurückgeworfen. Nur die Festung Kassel auf dem linken Ufer und das verschanzte Lager auf dem Kratzenberg, deckten den weiteren Rückzug.

Schloss Wilhelmstal lag in der Mitte der französischen Aufstellung; deshalb hat man die Schlacht, die letzte große Waffentat auf dem westlichen Schauplatz des siebenjährigen Krieges, nach ihm benannt. Sie war eine der ruhmvollsten Waffentaten des Herzogs von Braunschweig. Am Abend des Tages nahm derselbe im Schloss sein Quartier. Der Park und der Hof desselben lagen voll gefangener und verwundeter Franzosen. Als der Herzog durch sie hindurchritt, war er der Gegenstand bewundernder Zurufe von Seiten der überwundenen Feinde. Diese kletterten sogar, nachdem er in einem Zimmer des Erdgeschosses abgestiegen war, von außen an den Fenstern in die Höhe, um den siegreichen Feldherrn zu sehen, und einzelne kecke Burschen riefen: „Tapferer General! Wären wir so angeführt worden, wir hätten auch gesiegt. Wir sind schlecht geführt worden, unsere unfähigen Generale haben uns verraten! Sie hatten nicht unrecht, soweit sie ihren Heerführern die Fähigkeit absprachen: auf der einen Seite zielbewusstes Handeln, auf der andern Zaudern und Unschlüssigkeit. Sonst immer das nämliche Lied, das Lied der verletzten Eitelkeit, das der Franzose immer anstimmt, um die Schuld auf andere zu wälzen.

Zu seiner Abendtafel ließ Herzog Ferdinand die gefangenen französischen Offiziere laden. Nun erzählt man, dass, ehe die Tafel aufgehoben wurde, eine große verdeckte Schüssel erschien und in die Mitte gesetzt wurde. Der fürstliche Gastgeber forderte die feindlichen Offiziere auf, hineinzulangen. Doch diese zögerten, da sie (gewiss sehr unberechtigterweise) befürchteten, irgend etwas wie ihr Todeslos herauszuholen. Endlich auf Zureden fasste einer Mut und griff zu, und nun folgten auch die andern. Zu ihrer großen Überraschung bestand das verdeckte Gericht aus allerhand Kostbarkeiten, Ringen, goldenen Uhren und dgl. Auf diese Weise gedachte der edle Herzog die Besiegten für ihre in der Schlacht verlorene Habe einigermaßen zu entschädigen.

*) Diese Anekdote erzählt der nachmalige landgräfliche Bibliothekar, Geh. Hofrat Strieder, welcher die Schlacht als junger Offizier mitgemacht hatte. Vgl. H. Brunner, Kassel im siebenjährigen Kriege, S. 146 Anm.
**) Schwerlich alle, sondern wohl nur die in höheren Stellungen, denn von einem Korps wurden allein 170 Offiziere gefangen genommen.
***) Schon hieraus ergibt sich, dass es sich nur um eine beschränkte Anzahl höherer Offiziere gehandelt haben kann.
****) So sagt Schmincke und meint offenbar das Erd- und das Dach- oder Mansardengeschoss.


Nach geschlossenem Frieden fand in den ersten Jahren eine sehr beschränkte Bautätigkeit statt. Landgraf Wilhelm VIII. hatte außer den beiden Flügeln nur die „untersten und obersten Zimmer" zustande gebracht. Es galt noch, das ganze erste Stockwerk im Innern herzurichten, und diese Ausstattung wurde nach Fr. Christoph Schminckes Bericht im Jahre 1767 auf das prächtige bewirkt. „Die Souterrains, sagt er, sind ungemein helle, und an ihren Decken und Wänden mit Gipsmarmor ausgeziert, auch in einem derselben ein Bad von schwarzem Marmor angebracht. Die untersten Zimmer hat man mehrenteils mit Holz von vergoldeter Bildhauerarbeit bekleidet, ausgenommen einige, so mit Tapeten behangen, und den Saal, welcher mit Gips auf Holzart überzogen ist. Die Decken sind mit vergoldeter Stuckatur gezieret. Außer den über einer jeden Türe vorhandenen Malereien finden sich noch 2 Zimmer mit Portraits von hohen und anderen Standespersonen, welche von dem Professor Tischbein verfertigt worden, angefüllt. Der Gang vor der Treppe ist mit Gips auf Marmorart bekleidet, und die sehr bequemen Haupttreppen sind mit eisernen Geländern versehen. In dem ersten Stockwerk erblickt man über den Türen verschiedene Malereien, welche die Geschichte Telemachs vorstellen; inwendig aber in dem Saal auf 5 Gemälden den Apollo mit den neun Musen. Wie uns Apell mitteilt, waren auch diese letztbesagten Malereien Werke Tischbeins. Merkwürdigerweise berichtet der erstgenannte Gewährsmann nichts von dem „Cabinet des beautes", das — wie Apell sagt — von Landgraf Wilhelm VIII. angelegt wurde und die Portraits der schönsten Frauenzimmer enthält, die unter seiner Regierung gelebt haben. Die Idee rührte von Tischbein her, der bereits vor seiner Bestallung zum Hofmaler im Jahre 1753 sich erboten hatte, für den ihm ausgesetzten Gehalt jährlich etliche Portraits von schönen Gesichtern zu malen, um nach und nach ein Kabinett daraus zu formieren. So ist die merkwürdige Galerie entstanden, in der nur ein Bild, das der Gräfin Marie Sophie Wilhelmine von Solms-Laubach, Gemahlin des Herzogs Christian Erdmann von Württemberg-Oels, von J. G. Ziesenis gemalt ist; alle andern sind Werke Joh. Heinrich Tischbeins.

Die jüngsten Bauten dürften die beiden Wachthäuser sein. Solange Landgraf Friedrich regierte, wurden beide Teile der Anlage, Schloss und Park, in ihrem ursprünglichen Stile weitergeführt, und auch unter der Regierung seines Sohnes und Nachfolgers, Landgraf Wilhelms IX., traten zunächst keine Änderungen ein. Erst mit dem Jahre 1796 verschwand der alte steife Rokokogarten, und die Umwandlung in einen englischen Park wurde konsequent durchgeführt, wie solches bereits in Weißenstein geschehen war. Alles, was aus der Zopfzeit herrührte, wurde beseitigt: so das Naturtheater und die chinesischen und indischen Lusthäuser, zusamt der Eremitage. An Stelle des Säulentempels baute du Ry auf der Höhe des Weinberges die Warte, wie bereits früher erzählt wurde. Es ist wahrscheinlich, dass sie aus den Steinen der abgebrochenen Kaskade wenigstens zum Teil erdichtet wurde.

Der Park erhielt damals dasjenige Aussehen, das er bis auf den heutigen Tag beibehalten hat. Aber bereits waren die Unwetter am politischen Horizont aufgezogen, die auch unser Schlösschen noch einmal in den Wandel der Zeiten hineinziehen sollten. Napoleon, der Sohn der Revolution, hatte sich zum Kaiser der Franzosen aufgeschwungen und im Frieden von Tilsit (1807) dem Kurfürstentum Hessen ein Ende bereitet; es war ein Teil des Königreichs Westfalen geworden, zu dem es die Hauptstadt hergab, und des Kaisers jüngster Bruder Jerôme erhielt mit der Königskrone auch die Mittel bewilligt, sechs fröhliche Jahre in der Residenzstadt Kassel und deren anmutiger Umgebung verleben zu dürfen. Ein bevorzugter Schauplatz seiner Feste war auch Wilhelmstal, dessen Namen er zu Ehren seiner Frau in Katharinental umänderte. Ein Teil der Zimmereinrichtungen des Schlosses wurde vermutlich in der Zeit von 1807 bis 1813 durch Möbel im Stil des Kaiserreichs ersetzt. Hierüber am Schluss ein Mehreres. Nur das Bett Jerômes, mit dem westfälischen Wappen bekrönt, ist mit Sicherheit von ihm eingebracht worden.

*) Derselbe Gärtner Henze an den Hofbaudirektor du Ry am 6. Mai 1799: da bis zum 30. Mai alles im Parke blank sein müsse, so bittet er um Abfuhr der bei den chinesischen Häusern noch liegenden vielen ausgebrochenen Steine, zu welchem Behuf der Hofbaudirektor im Jahre zuvor etwas „von der Warte" zu verwilligen versprochen habe. (Ebenda.)

Als nach der Schlacht bei Leipzig König Jérôme mit seinem Tross von Schauspielerinnen, Tänzerinnen und andern französischen Abenteurern beiderlei Geschlechts fluchtartig das Weite suchen musste, erhielt auch unser Schloss seinen alten Namen wieder. Doch trat es immer mehr hinter Wilhelmshöhe zurück und glanzvolle Tage hat es nicht mehr gesehen. Es in seiner Eigenart zu erkennen und zu lieben, war erst der neuesten Zeit vorbehalten. Es hat fast den Anschein, als sei unter Kurfürst Wilhelm I. seit dessen Rückkehr in das wiederhergestellte Hessenland wenig mehr für Wilhelmstal geschehen. Erst unter dessen Sohn und Nachfolger, dem Kurfürsten Wilhelm II., erfolgten wiederum größere Veränderungen in unserem Schloss. Der genaue Zeitpunkt steht nicht fest; wir erfahren die Tatsache nur durch ein (nicht mit Datum versehenes) Aktenstück, betitelt: Die Instandsetzung des kurfürstlichen Schlosses Wilhelmstal betreffend. Dass es jedoch in die Regierungszeit Wilhelms II. (1821—1831) gehört, ergibt sich mit Sicherheit daraus, dass an einer Stelle dessen Nebenfrau, die Gräfin Reichenbach, genannt wird. Das Aktenstück ist für die Kenntnis der gegenwärtigen inneren Ausstattung Wilhelmstals von Belang, weil es beweist, dass eine ganze Anzahl von Zimmern mit Möbeln aus dem Wilhelmshöher Schlosse neu ausgestattet wurde. So heißt es u. a. : Zweites Apartement, links dem Saal (in der Bel-Etage), Wohnzimmer Nr. 6: die blaue Tapete nebst den dazu gehörigen Möbeln aus dem Wohnzimmer der Frau Gräfin von Reichenbach im 1. Flügel zu Wilhelmsh?he — Kabinett am Schlafzimmer, links nach dem Garten, Nro. 8: Möbel aus dem abgeblassten gelben Kabinett zu Wilhelmshöhe — Vorsaal vor dem Saal Nr. 10: Ein Möbel von Wilhelmshohe aus dem Vorrat, blau mit Herkulesdessin; Tischbeinsche Gemälde aus dem 1. Kabinett im 1. Flügel am Landgrafen-Saal zu Wilhelmshöhe. In ein Schlafzimmer wird das „blaue Bett u , in ein anderes, das ehemalige Billardzimmer (Nr. 7), ein „graues Bett' 4 nebst den dazu gehörigen Möbeln von Wilhelmshöhe hergebracht. Den Grund des Wechsels darf man wohl darin sehen, dass Wilhelm II. einzelne Wilhelmshöher Räumlichkeiten für sich und seine Geliebte anders herrichten lassen wollte. Es sei bemerkt, dass auch alte Pendulen von dort hierher gebracht wurden, ingleichen nicht näher bezeichnete Dessus-de-Porten von Tischbein. — Vier Kamine, welche durch Öfen ersetzt worden waren, wurden wieder hergestellt, nämlich im Schlafzimmer rechts nach dem Garten Nro. 3, im Wohnzimmer links dem Saal Nr. 6, in dem Schlafzimmer Nr. 3 des Rez-de-Chaussee und im Porträtzimmer Nr. 6, links vom Saal ebenda. Die Öfen gingen dem Vorrat zu. Auch sonst wurde mancherlei umgestellt und verändert, sicher nicht zum Glück der Einheitlichkeit im Stilcharakter des Schlosses, denn Kurfürst Wilhelm II. war ein Fürst, der sich in Fragen des Geschmacks nicht über seine Zeit erhob und daher manche Bauten aufgeführt bzw. angeordnet hat, die besser anders ausgefallen wären. So hätte seine Regierung bei der Baulust, die den Kurfürsten beherrschte, vielleicht unserm Schlosse nachteilig werden können, wenn sie von längerer Dauer gewesen wäre.

Heute liegt Wilhelmstal da als ein Bild der Einsamkeit und Ruhe. Über seine Parkanlagen, über die im Dämmerschatten versteckte Grotte ist der Friede ausgegossen und flüstert in den Wipfeln seiner hohen Bäume ein Lied, das wie eine Kunde entschwundener schöner Zeit uns an das Herz greift. Friede reden auch die Räume des Schlosses, die fürstlich heiteren Säle, die vornehm behaglichen Wohngemächer, die lauschigen Boudoirs und Kabinette. Von Frieden, Freude und Lebenskunst spricht die erlesene Ausstattung, welche die stillen Räume noch heute mit der liebenswürdigen Grazie füllt, die in der Seele von Schöpfer und Besteller lebte. Ein Denkmal fruchtbaren Herrscherwillens, begnadeten Künstlertums und beneidenswert fröhlicher Zeitstimmung liegt Wilhelmstal inmitten der prächtigen Wälder, dem Suchenden den Weg mit reicher Gabe lohnend.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Alt Hessen – Wilhelmstal