Warnemünde

Warnemünde, das nach kaum einstündiger Fahrt erreicht wird, liegt an dem sogenannten Strom, einem schmalen Wasser, welches die Verbindung zwischen dem Breitling und der See herstellt. Durch den Strom mündet zugleich die Warnow in die Ostsee und hiernach ist der Ort benannt.
Warnemünde zeigt ein wesentlich anderes Gesicht als die meisten anderen Badeorte der Ostsee. Das macht sich schon beim ersten Anblick bemerkbar. Wenn man über den Breitling von Rostock kommend es am Ufer liegend sieht hinter einer langen Reihe von Lindenbäumen, auf der andern Uferfläche Wiesen mit weidendem Vieh darauf, hinter den Wiesen eine Dünenkette und hinter den Dünen aufblinkend ein Streifen See: so macht es einen durchaus eigentümlichen Eindruck. Es ist ein Bild, das etwas vom niederländischen Charakter hat. Warnemünde wurde eben nicht erst für die Badegäste erbaut, sondern ist ein sehr alter Ort, der eine ansehnliche eigene Bevölkerung von Schiffern und Fischer hat. Die Häuser, deren vorderste Reihe man beim Durchfahren zu sehen bekommt, sind zum größten Teil einstöckig und fast sämtlich Giebelhäuser, welche die Giebel nach der Straße kehren. Vor jedem Hause befindet sich ein geschlossener Vorbau, die sogenannte Veranda. Die Veranden sind eingerichtet zum Besten und zur Bequemlichkeit der Badegäste, die in denselben den größten Teil des Tages zuzubringen pflegen. Das Innere der Häuser pflegt mit reichlichem Hausrat ausgestattet zu sein, unter dem altes englisches Porzellan, von Seereisen mitgebracht, keine Seltenheit ist. Während der Saison werden die guten Stuben den Badegästen eingeräumt und die Warnemünder selbst ziehen sich in ein bescheidenes Hinterhäuschen zurück.
Rostock erscheint schon 1252 im vollständigen Besitz des Ortes; Warnemünde nahm seiner ganzen Lage und seines ganzen Verhältnisses wegen an den Schicksalen dieser Stadt immer mehr oder weniger Teil.
Der anziehendste Platz Warnemündes ist unstreitig der Spill. Der Spill ist ein weit in die See hinausgebauter Steindamm, eine Mole, und benannt nach der in der Mitte befindlichen, zum Hineinbugsieren von Schiffen bestimmten Drehwinde, die in der Schiffersprache Spill genannt wird. Erbaut ist dieser Damm aus Granitblöcken, die aus der See gefischt sind, Findlichsteinen, wie sie in unzählbarer Menge überall auf dem Grunde der Ostsee liegen. Vom Ende des westlichen Stromufers erstreckt der Spill sich weit in die See hinein. Wo er anfängt, steht auf einem kleinen Hügel der Leuchtturm, und ein Schiffszeichen, wo er endet. Gegen die See schließt der Spill ab mit einer halbrunden, senkrecht abfallenden Mauer. Innerhalb dieser Mauer sind zum Vergnügen der Badegäste Sitzplätze in Form einer Estrade angebracht, und ein auf starken Pfählen ruhender kurzer Steg, der mit Bänken versehen, befindet sich an der rechten Seite über dem Wasser. Gegenüber dem Spill geht von dem andern Stromufer aus ein ähnlicher aber nicht ganz soweit hinausgebauter Steindamm, die Ostmole, in die See. Beide zusammen schaffen den einkommenden Schiffen ein ruhiges und gesichertes Fahrwasser.
Der Spill nun ist ein Hauptvorzug und ein großer Schatz von Warnemünde. Er gibt Gelegenheit, des immer wechselnden und immer schönen Anblicks der See in einer Weise sich zu erfreuen, wie es vom Strande aus gar nicht möglich ist. Dorthin pilgern denn auch fleißig die Badegäste, und an schönen Abenden sind die oben erwähnte Estrade und der Steg, dicht besetzt von einer bunten Gesellschaft, allerliebst anzusehen für diejenigen, die von der See her in den Hafen kommen. Auf den Spill strömt alles, wenn es heißt, dass die Lotsen hinausgefahren sind, um ein Schiff einzuholen, oder wenn ein Schiff hinausgebracht wird – um sich das prächtige Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Vom Spill aus lässt auch bei bewegter See das Spiel der Wellen am besten sich beobachten und genießen. Bei „fliegendem Sturm“ jedoch hört das Vergnügen auf, denn alsdann ist der Kopf der Mole der über ihren Leib hinrollenden Wellen wegen nicht mehr zu erreichen.

Das für die Badegäste erbaute Warnemünde hat sich naturgemäß an der Seeseite ausgedehnt. Einen schönen Spazierweg mit Aussicht auf das Meer bietet hier die hohe und breite Bismarckpromenade, die sich vom Leuchtturm aus längs der See erstreckt. Westlich von der Bismarckpromenade liegen die Bäder und landwärts gelangt man in einen hübschen kleinen Park, die „Anlagen“. Kaum wird heute noch darauf geachtet, unter welchen Schwierigkeiten und mit welcher Mühe die geschmackvollen Anpflanzungen dem sterilen Flugsande der Dünen abgerungen werden mussten.
Unser Bild zeigt vom Seestrand aus an der Bismarckpromenade gelegene Hotels.
Seit Jahrhunderten fuhren in Warnemünde die männlichen Mitglieder der Familie zur See, wenn nicht gerade körperliche Gebrechen sie an der Ergreifung dieses Berufes hinderten. Noch ganz kleine Kinder, krabbeln sie schon in den Booten auf dem Strom oder in den Masten der Schiffe mit einer Sicherheit und Keckheit umher, die den Zuschauer oft mit Entsetzen erfüllt. Da das junge kräftige Volk im Sommer größtenteils abwesend ist, so erscheint der Ort um diese Zeit, von den Badegästen abgesehen, nur sparsam bevölkert. Von den Männern sieht man nur die in gereiften Jahren stehenden, die bereits von der Seefahrt abgestanden sind, mit ihren Erfahrungen aber dennoch als Lotsen oder Fischer in Verbindung mit dem Meer bleiben. Im Herbst dagegen gewinnt das Leben in Warnemünde einen ganz anderen Charakter. Um diese Zeit führen die Nordwinde die Schiffe dem heimatlichen Hafen zu und mit ihnen kehrt der größte Teil der seefahrenden Männer zu Weib und Kind zurück. Ein Schiff nach dem anderen taucht alsdann am Horizont auf und die Lotsen haben vollauf zu tun, die bereits sehnsüchtig Erwarteten glücklich in den Hafen zu bringen. An Stelle eleganter Badegäste begegnet man wieder vorzugsweise den prächtigen, originellen Gestalten der Schiffer, Lotsen und der Fischer. Das Bewusstsein physischer Kraft verleiht diesen Leutenneine eminente Ruhe, die sie selbst bei den drohendsten Gefahren ihres Berufes nicht verlässt.
Die Frauen sind äußerst betriebsame, rührige Gehilfinnen, ja Stellvertreterinnen der Männer auf dem Meere sowohl wie auf dem Fluss. Sie helfen fischen und Sand oder Seegras holen. Sie besorgen fast ausschließlich den täglichen Verkauf des dem Meere Abgerungenen in Warnemünde und Rostock. Beständig ist die Warnow mit leichten Booten bedeckt, die die flinken Warnemünderinnen geschickt und sicher durch die Fluten zu lenken verstehen. Während die Männer sich in ihrer Kleidung bereits der an den nordischen Küsten allgemein üblichen Seemannstracht angeschlossen haben, sind die Frauen mehr konservativ geblieben. Selten fehlt ihnen jener breite mit schwarzen Bändern geschmückte Strohhut, an dem man sie sofort erkennt und der in seiner Form ganz verschieden ist von der Kopfbedeckung der Dorfbewohner aus der Umgegend Rostocks.
Außerdem tragen die Warnemünderinnen, besonders im Hause, ein schwarzes Häubchen, das der Volksmund mit „Dutt“ bezeichnet. Dieser Dutt wird durch schwarz-seidene breite Bänder, wie es das Bild unserer Alten zeigt, unter dem Kinne befestigt.
Die Warnemünder erfreuen sich eines hohen und rüstigen Alters von durchschnittlich 75-85 Jahren, in welchem sie selbst zu schweren Arbeiten noch tauglich sind, vielleicht auch ein Beweis für die Wohltätigkeit der Seeluft.
Abweichend von dem sonst in Mecklenburg gebräuchlichen Plattdeutsch ist auch der Warnemünder Dialekt. Er erinnert in seiner scharfen und spitzen Aussprache sehr an das Dänische, so dass man beinahe geneigt ist, den Ort für eine ursprüngliche dänische Kolonie zu halten. Der Einfluss der Dänen war allerdings im zwölften Jahrhundert an der Ostseeküste bedeutend; etwas Sicheres über die Gründung von Warnemünde ist aber nicht vorhanden. Bekanntlich verwandeln die Warnemünder beständig ü in i und ö in e z. B. kimmt statt kümmt, kepen statt köpen. „Hirri min Jell!“ hört man sie erschreckt ausrufen, wenn lange Seedampfer oder Segelschiffe beim Anlegen an die überall am Bollwerk befestigten Boote, sogenannte Jollen stoßen.
Die Jolle ist der Stolz des Warnemünders und sein Augapfel. Mit Vorliebe wird an ihr herum gebessert, wenn sie einen Schaden erlittet hat. Durch häufigen Anstrich sucht er sie in möglichst repräsentationsfähigem Zustand zu erhalten und so ist er gerne bereit, in ihr die Badegäste aufs Meer hinaus zu fahren. Bei Nordoststürmen und Hochwasser wird die Jolle sorgfältig auf das Land geborgen. Die Jolle ist ein offenes Fahrzeug, das sich aber dennoch wesentlich von anderes Booten unterscheidet. Sie ist vorn und hinten spitz, leicht, aber dennoch kräftig gebaut. Zwei bis drei Bänke oder Duchten sind fest in ihr, die übrigen können je nach dem Zweck, dem das Boot gerade dient, herausgenommen werden. Die festen Bänke wirken vor Allem dem Seitendruck des Wassers entgegen und dienen zugleich den umlegbaren beiden Masten als Stützpunkte. Jeder Mast trägt ein viereckiges Segel, die „Schmack“. Die vordere Schmack ist die größere. Die Schmack wird durch das „Spreet“, eine dünne Stange, ausgespannt oder zusammengerollt. Außerdem ragt an kurzem Baum der dreieckige „Klüver“ über das Vorderteil des Bootes hinaus. Dieser Klüver ist ein sehr nützliches kleines Segel, das beim Kreuzen und Wenden der Jolle als ein vom Winde gehandhabter Hebel unentbehrlich ist.
Gefischt wird von den Warnemündern auf mehrfache Weise. Entweder werden die von einem Boot ausgelegten Netze gegen das Land gezogen, wie z. B. die Heringe gefangen werden. Oder man stellt Reusen auf der hohen See aus, lange Netze, deren Lage durch kleine auf Holzstücke befestigte Fähnchen bezeichnet wird. Noch anders ist der Fang mit sogenannten Zeisen. Hierbei müssen zwei Boote sich gegenseitig unterstützen. Schollen und Dorsche sind das Ergebnis dieser Art zu fischen.
Zum Schluss unseres Albums geben wir das Bild einer vor der Ostmole von Warnemünde gestrandeten Bark. Nichts dürfte vielleicht mehr geeignet sein, uns an den Wechsel des Schicksals zu erinnern, als das Wrack eines gestrandeten Schiffes. Vor kurzem noch ein stolzer Bau, der mit seinen Masten, Stangen und Raaen, mit seinen blähenden Segeln und bunten Wimpeln hoch in die Lüfte ragte. Auf Sand geraten, stürzen die Wogen über ihr her und brechen ihn in Trümmer. -


Rostocks alte Herrlichkeit und Größe schwanden mit dem Untergang der Hansa dahin. - Aber überwunden sind die Folgen langjähriger Fehden und Streitigkeiten, von Neuem beginnt Rostock emporzublühen, neue Stadtteile sind an seinem Süd- und Westende entstanden. Die Universität und das Postgebäude sind Bauten, in denen man versucht hat, sich dem Besten aus der Architektur-Epoche des Mittelalters würdig an die Seite zu stellen. So bildet Rostock die Perle in dem Juwel der Krone Mecklenburgs. Warnemünde sieht als Hafen und Badeort einer hoffnungsvollen Zukunft entgegen.
Rostock, im Juni 1884
Theodor Rogge
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Album von Rostock und Warnemünde.
Rostock 13 Warnemünde

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Rostock 14 Warnemünde Der Spill

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Rostock 15 Warnemünde Strand

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Rostock 16 Warnemünde Lotse

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Rostock 17 Warnemünde Junge Warnemünderin

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Rostock 18 Warnemünde Alte Warnemünderin

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Rostock 19 Warnemünde Fischerboote auf der See

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Rostock 20 Warnemünde Gestrandete Bark

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