Abich, Wilhelm Hermann von (1806-1886) deutscher Mineraloge, Geologe und Forschungsreisender. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 45 (1900)
Autor: Zitte, Karl Alfred von (1839-1904) deutscher Geologe und Paläontologe, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wilhelm Hermann von Abich, russischer Staatsrat, 1806-1886, Geologe, Forschungsreisender
Abich: Wilhelm Hermann A., k. russischer Staatsrat, Akademiker, berühmter Geologe, ist geboren am 11. Dezember 1806 zu Berlin. Er erhielt seine Vorbildung in seiner Vaterstadt und widmete sich auch an der dortigen Universität dem Studium der Naturwissenschaften. Sein Interesse für Geologie wurde durch Alex. v. Humboldt, Leopold v. Buch und Carl Ritter angeregt und um in dem damals entbrannten Streit um die Erhebungskrater ein eigenes Urtheil zu gewinnen, machte Abich nach Beendigung seiner Universitätsstudien eine zweijährige Reise nach Italien, wo er in den Jahren 1833 und 1834 Gelegenheit hatte die Campagna von Rom, den Vesuv nebst der Umgebung von Neapel, die liparischen Inseln und den Ätna zu studieren. Als Frucht dieser Reise erschienen zwei Werke, wovon das erste „Vues illustratives sur le Vesuve et l'Aetna“ Paris 1836 in französischer Sprache, das andere „Geologische Betrachtungen über die vulkanischen Erscheinungen und Bildungen in Unter- und Mittel-Italien“ in Braunschweig 1841 veröffentlicht wurde. Beide Werke sind von einem Atlas in Folio begleitet und enthalten eine Menge wertvoller, für die damalige Zeit neuer Beobachtungen über die italienischen Vulkane. Zu einem selbständigen Urtheil über die strittige Frage war der junge Geologe allerdings nicht gelangt. Abich schloss sich in fast allen theoretischen Fragen, namentlich in jener der Erhebungskratere an Leop. v. Buch an, während sein Zeitgenosse, der geniale Fr. Hoffmann schon im Begriffe stand, zur Gegenpartei überzugehen. Auf Empfehlung von Humboldt und v. Buch wurde Abich 1842 als Professor der Mineralogie und Geologie nach Dorpat berufen, aber schon 1844 von der russischen Regierung nach dem Ararat geschickt, um die geologischen Verhältnisse des armenischen Hochlands zu erforschen. Diese Reise, bei welcher Abich den Kaukasus auf der damals noch unvollendeten grusinischen Heerstraße überschritt, wurde für seine ganze Zukunft entscheidend. Aus den hinterlassenen Briefen an seine Eltern und Schwester geht hervor, welch tiefen Eindruck der Kaukasus, der Ararat und Armenien auf den jugendlichen Forscher machten und mit welchem Feuereifer er sich seiner Aufgabe widmete. Nach einer orientierenden Reise in den persisch-türkischen Grenzgebieten gelang es Abich, eine geologische Spezialkarte vom Ararat anzufertigen und die Gipfelbesteigung dieses gewaltigen Vulkans nach dreimaligen vergeblichen Versuchen glücklich durchzuführen. Seine nach Petersburg geschickten Berichte erregten so großes Interesse, daß ihm der Urlaub von Jahr zu Jahr verlängert wurde und Abich seine Studien auch auf Daghestan, die Gegend von Baku und schließlich auf den ganzen Kaukasus ausdehnen konnte. Im Jahre 1853 wurde er zum ordentlichen Mitglied der k. Akademie in St. Petersburg und bald darauf zum Staatsrat ernannt. Während seines Aufenthaltes in der russischen Hauptstadt verheiratete er sich, folgte aber schon 1858 einer Aufforderung des Statthalters von Kaukasien (Fürst Barjätinsky), seine Forschungsreisen in den kaukasischen und armenischen Ländern wieder aufzunehmen. Dieser zweite Aufenthalt dauerte wider Erwarten bis zum Jahr 1876, so daß Abich nicht weniger als 28 Jahre der Erforschung des Kaukasus und der angrenzenden Gebiete von Transkaukasien, Armenien, Persien und der Krim widmete. Ihm verdankt man die erste streng wissenschaftliche geologische, geographische und meteorologische Untersuchung jener Gebiete und bei der ungewöhnlich genauen und gewissenhaften Methode, welche alle Arbeiten Abich’s auszeichnet, werden seine Untersuchungen für alle Zeiten die Grundlage für spätere Forschungen bilden. Abich begnügte sich in seltenen Fällen mit einer einmaligen Bereisung, er kehrte immer wieder in kürzeren oder längeren Zeitintervallen in die bereits erforschten Gebiete zurück, um die verbessernde und ergänzende Hand an seine früheren Beobachtungen anzulegen. Eine beträchtliche Anzahl Abhandlungen hat Abich während seines Aufenthalts in Kaukasien teils in den Schriften der Petersburger Akademie, teils in der Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft und in Poggendorff’s Annalen veröffentlicht; darunter verdienen jene über die Orographie von Daghestan (1847) und die meteorologischen Beobachtungen in Transkaukasien (1848 und 1850) besondere Erwähnung. An selbständigen Werken und Schriften veröffentlichte Abich zwischen 1848 und 1876: „Über die geologische Natur des armenischen Hochlandes“ (1843); „Vergleichende chemische Untersuchungen des Wassers des Kaspischen Meeres, des Urmia- und Wansees“ (1856); „Beiträge zur Paläontologie des asiatischen Rußlands“ (1858); „Vergleichende geologische Grundzüge der kaukasisch-armenischen und nordpersischen Gebirge; Prodomus einer Geologie der kaukasischen Länder“ (1858)“; „Über das Steinsalz und seine geologische Stellung in Russisch-Armenien“ (1859); „Sur la Structure et la Géologie de Daghestan“ (1862); „Über eine im Kaspischen Meere erschienene Insel, nebst Beiträgen zur Kenntnis der Schlammvulkane der Kaspischen Region“ (1868); „Geologische Beobachtungen auf Reisen zwischen Kur und Araxes“ (1867); „Compte rendu über die physikalisch-geologischen Verhältnisse der Tifliser Thermalquellen“. Erst im siebenzigsten Lebensjahr entschloss sich Abich zur Aufgabe seines Wanderlebens. Er siedelte nach Wien über, um dort die Ergebnisse seiner 28jährigen Forschungen zu bearbeiten. Mit bewunderungswürdiger Ausdauer vertiefte sich der greise Gelehrte in das Studium der Paläontologie und Petrographie, deren gewaltige Fortschritte Abich während seines Aufenthaltes in Transkaukasien nicht hatte verfolgen können. Es war geradezu rührend, mit welcher Bescheidenheit der berühmte Forscher bei jüngeren Fachgenossen sich Rat und Belehrung holte und mit welcher Dankbarkeit er jede Beihilfe während der Ausarbeitung seines großen Werkes „Geologische Forschungen in den Kaukasischen Ländern“ entgegennahm. Der erste Teil seines klassischen Werkes enthält die Beschreibung einer höchst interessanten Bergkalkfauna aus der Araxeskette bei Djoulfa und erschien 1878 (Wien); im zweiten Teil folgt die geologische Beschreibung der Westhälfte des armenischen Hochlandes, begleitet von einem Atlas mit 19 Tafeln (1882). Die fundamentale Bedeutung dieses zweiten Teiles wurde rückhaltlos anerkannt und rief den lebhaftesten Wunsch nach Vollendung des Gesamtwerkes hervor. Leider war es aber Abich nicht mehr beschieden, sein Lebenswerk zu vollenden. Mitten im Schaffen raffte ihn der Tod am 1. Juli 1886 in Wien hinweg. Zwei Abhandlungen über Höhenmessungen auf dem armenischen Hochland (1880) und über die Produktivität und die geotektonischen Verhältnisse der Kaspischen Naphtaregion (1879) erschienen während seines Wiener Aufenthaltes.

Abich war eine echt deutsche tiefgründige Gelehrtennatur von seltener Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue. Als Lebensaufgabe hatte er sich die Erforschung der transkaukasischen Länder und des Kaukasus gestellt und davon ließ er sich durch keine, noch so verlockenden Anerbietungen abwendig machen. Sein frommer, gemütvoller Sinn, seine Begeisterung für die Natur und für die Ideale der Wissenschaft finden in den nachgelassenen, durch seine Wittwe veröffentlichten Briefen (Wien 1896), einen zuweilen geradezu ergreifenden Ausdruck. In der Geschichte der Geologie wird der Name Abich stets einen hervorragenden Platz einnehmen.