Herzl, Theodor (1860-1904) ungarisch-österreichischer Schriftsteller, Publizist und Journalist.

Als begabter Dramendichter, Feuilletonist und Reiseschriftsteller war Theodor Herzl — geboren 1860 in Budapest — längst rühmlichst bekannt; durch seine anmutige Feder hatte er es verstanden, sich eine zahlreiche Gemeinde von Verehrern zu verschaffen, und wenn ein Feuilleton von ihm in der „Wiener Allgem. Zeitung“ „Neuen Freien Presse“, deren feuilletonistischen Teil er redigierte, erschien, so wurde das künstlerisch abgerundete, stimmungs- und temperamentvolle literarische Kunstwerk von der Herzl-Gemeinde mit Andacht gelesen, aber berühmt wurde er erst, als er 1896 das im wahrsten Sinne sensationelle Werk: „Der Judenstaat“ erscheinen lies.

Dieses Buch gehört zu denjenigen Schriften der Weltliteratur, welche kulturgeschichtliche Taten hervorzurufen geeignet sind. Es war der Ausgangspunkt einer Bewegung, die man am Ende des 19. Jahrhunderts, in dem Säkulum des Materialismus, kaum für möglich gehalten hätte, es rief nämlich den sogenannten Zionismus ins Leben, welcher das moderne Judentum in zwei Lager teilt, in das der Zionisten und das der Antizionisten, und die noch immer nicht zum Stillstand gekommen ist. Aber nicht allein die Israeliten nahmen zu dieser von Herzl ausgehenden Strömung für oder gegen Stellung, sondern auch zahlreiche führende Geister unserer Zeit christlichen Bekenntnisses. Als Freunde des Zionismus z. B. erklärten sich u. a. Männer wie Felix Dahn, Ernst Eckstein, Martin Greif, P. K. Rosegger, der tschechische Professor Masaryk, der Baron Maxime Manteuffel und der ungarische katholische Geistliche Csóri, welcher das schöne Wort gesprochen:


„Als einer der bescheidensten Diener der christlichen Menschenliebe sehe ich mit Seelenfreude und Herzensbegeisterung jene erhabene Bewegung, die zur Arbeit der Erlösung meiner verfolgten Menschenbrüder, zur Hilfstätigkeit für ihre Glaubensgenossen begonnen wurde, um ihnen eine Stätte zu sichern, wo sie vom bittern Elend geschieden sind und ausruhen können ... Es kann keinen Stein des Anstoßes bilden, wenn für die Verfolgten des jüdischen Volkes eine öffentliche und rechtliche Stätte im heiligen Lande gesucht wird. Der Zionismus ist nichts anderes als Menschenliebe, Verwirklichung edler Bestrebungen, die mit ganzem Herzen zu unterstützen heilige Pflicht jeder Konfession, jeder Partei, jeder Schicht der Gesellschaft ist, möge sie unter noch so günstigen Verhältnissen leben; und hauptsächlich begeht derjenige Jude, der diese Pflichterfüllung verabsäumt, eine Sünde gegen Gott, gegen seine Mitmenschen, gegen sein eigen Fleisch und Blut. Oder sündigt vielleicht gegen sein Vaterland derjenige eifrige Katholik, der seinen in der Ferne lebenden Glaubensgenossen mit andachtsvoller Pietät von seinem Groschen Hilfe reicht? Nein! Er übt damit eine tugendhafte Tat. Ich glaube, die gesamte gebildete Menschheit muss dieses großartige Unternehmen, welches die Rettung der unschuldig Verfolgten, der verkörperten Unschuld, auf seine Fahne geschrieben hat, mit Sympathie begleiten!“

Selbstverständlich hat Theodor Herzl zahlreiche Angriffe seitens derjenigen, welche den Zionismus verurteilen, ja ihn sogar als eine Gefahr für die staatsbürgerliche Stellung der Juden im gebildeten Europa erblicken, viele heftige, zuweilen maßlose Anfeindungen zu erdulden gehabt, und ich selbst fühle keine Veranlassung, für oder wider den Zionismus Stellung zu nehmen, aber es muss dem Autor zum Ruhme nachgesagt werden, dass ihn in seinem Eifer für die Idee der Befreiung seiner Brüder im Osten aus ihrer dumpfen und vielfach entehrenden Lage kein anderer Beweggrund geleitet hat, als die Barmherzigkeit, die Nächstenliebe und die seiner Seele innewohnende Begeisterung für die idealen Güter der Menschheit. Dies hat ja schon kein Geringerer wie Se. Kgl. Hoheit der Großherzog Friedrich von Baden anerkannt, der seine Meinung über den Zionismus einer Deputation gegenüber mit den Worten kundgegeben:

„Die Bewegung ist von Bedeutung und bedarf einer kräftigen Unterstützung. Leider haben die Regierungen noch nicht das ganze richtige Verständnis für die Sache, aber es muss mit der Zeit kommen. Für unsere deutschen Juden brauchen wir gottlob solche Zufluchtsstätten nicht, aber für Ihre Glaubensgenossen im Norden und Osten. Dr. Herzl, der Führer der zionistischen Bewegung, ist ein edler Mann, der ohne jede Selbstsucht aus den reinsten Motiven sich an die Spitze gestellt hat.“

Es wird meine Leser gewiss interessieren, den Führer des Zionismus selbst über sein eigenes Leben und Schaffen, besonders über sein großes Unternehmen, zu hören. Er hat seine Autobiographie in dem Londoner Blatt „Jewish Chronicle“ vom 14. Januar 1898 geschildert, und wir lassen dieselbe in deutscher Übersetzung folgen. Sie lautet:

„Ich bin 1860 in Budapest geboren, nahe der Synagoge, in der jüngst der Rabbi mich mit den strengsten Worten anklagte, weil eigentümlicher Weise ich für die Juden mehr Ehre und Freiheit, als sie gegenwärtig genießen, zu erlangen versuche. Aber an der Vordertür des Hauses in der Tabakgasse, wo ich das Licht der Welt erblickte, wird nach 20 Jahren ein Zettel mit der Anzeige: „Zu vermieten“ zu lesen sein. (Herzl meint damit, dass er in Folge der zionistischen Bewegung dann in Palästina sein werde.)

Ich kann nicht leugnen, dass ich in die Schule ging. Zuerst wurde ich in eine jüdische Vorschule geschickt, wo ich ein gewisses Ansehen genoss, weil mein Vater ein wohlhabender Kaufmann war. ]Meine früheste Erinnerung an diese Schule besteht in Prügeln, welche ich erhielt, weil ich die Einzelheiten des Auszugs der Juden aus Ägypten nicht wusste. Gegenwärtig möchten mich viele Schulmeister prügeln, weil ich mich zu viel an jenen Auszug aus Ägypten erinnere. Im Alter von zehn Jahren kam ich auf die Realschule, wo man im Gegensatz zu dem Gymnasium, welches das Schwergewicht auf die alten klassischen Sprachen legt, mehr das moderne Wissen betont. Lesseps war damals der Held des Tages, und ich fasste den Plan, den anderen Isthmus, den von Panama, zu durchstechen. Bald aber verlor ich meine bisherige Vorliebe für Logarithmen und Trigonometrie, weil damals eine ausgesprochene antisemitische Richtung auf der Realschule herrschte. Einer unserer Lehrer erklärte die Bedeutung des Wortes „Heiden“, indem er sagte: „Zu diesen gehören die Götzendiener, Mohammedaner und Juden.“ Nach dieser merkwürdigen Erklärung hatte ich von der Realschule genug und wollte eine klassische Anstalt besuchen. Mein guter Vater zwängte mich für meine Studien nie in eine enge Bahn hinein, und so wurde ich Schüler eines Gymnasiums. Trotzdem war der Panamaplan für mich noch nicht ganz beseitigt. Viele Jahre später hatte ich als Pariser Korrespondent der „Neuen Freien Presse“ (in Wien) die Pflicht, über die berüchtigten Vorkommnisse bei dieser skandalösen Episode der Geschichte Frankreichs zu schreiben.

Im „Evangelischen Gymnasium“ bildeten die Juden die Mehrzahl, und deshalb hatten wir uns nicht über irgend welche Judenhetze zu beklagen. In der Klasse VIIa schrieb ich meinen ersten Zeitungsartikel, natürlich ohne Namen; sonst würde ich vom Lehrer eingesperrt worden sein. Während meines Aufenthalts in der obersten Klasse des Gymnasiums starb meine einzige Schwester, ein Mädchen von 18 Jahren; meine gute Mutter wurde vor Kummer so schwermütig, dass wir 1878 nach Wien verzogen.

Während der Trauerwoche besuchte uns Rabbi Kohn und fragte mich, was meine Pläne für die Zukunft wären. Ich sagte ihm, dass ich ein Schriftsteller werden wollte, worauf der Rabbi seinen Kopf ebenso unzufrieden schüttelte, wie er später den Zionismus missbilligte. Eine Schriftstellerlaufbahn ist kein eigentlicher Beruf, schloss der unzufriedene Rabbi.

In Wien studierte ich die Rechte, nahm an allen Studententorheiten teil und trug die bunte Mütze einer Verbindung, bis diese eines Tages den Beschluss fasste, dass fortan keine Juden mehr als Mitglieder aufgenommen werden sollten. Die es schon waren, erhielten die freundliche Erlaubnis, in der Verbindung zu bleiben. Ich sagte den edlen jungen Leuten Lebewohl und fing nun an, mich ernstlich an die Arbeit zu setzen. 1884 wurde ich Dr. juris und trat als unbesoldeter Beamter unter Leitung eines Richters in die Gerichtspraxis ein. Ich fand Verwendung am Gericht in Wien und in Salzburg. In Salzburg erschien mir die Arbeit anziehender; die Szenerie um die Stadt ist bekanntlich eine besonders schöne. Mein Amtszimmer war in einem alten Festungsturm gerade unter dem Glockenstuhl, und täglich tönte mir dreimal das Geläute recht hübsch in die Ohren.

Natürlich schrieb ich mehr für das Theater als für das Gericht. In Salzburg brachte ich einige der glücklichsten Stunden meines Lebens zu. Ich wäre auch gern in der schönen Stadt geblieben; aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden. Deshalb nahm ich damals von Salzburg und der Rechtsgelehrsamkeit Abschied.

Wieder bereitete ich dem Rabbi von Budapest großen Ärger; denn anstatt einen wirklichen Beruf oder eine Kunst zu ergreifen, fing ich an zu reisen und für das Theater und Zeitungen zu schreiben. Viele meiner Stücke wurden auf verschiedenen Theatern aufgeführt: einige; mit vielem Beifall, andere fielen durch. Bis zu diesem Augenblick kann ich nicht verstehen, warum einige meiner Stücke Beifall fanden, andere von der Bühne verschwanden. Diese Verschiedenheit der Aufnahme meiner Stücke lehrte mich jedoch, es nicht zu beachten, ob das Publikum mein Werk beklatschte oder auspfiff. Man muss es sich selbst recht machen; alles andere ist gleichgültig. Ich verwerfe gegenwärtig alle meine Stücke, selbst die, welche noch am Kaiserlichen Burgtheater in Wien Beifall finden, und kümmere mich nicht länger um sie.

im Jahre 1889 heiratete ich und habe drei Kinder, einen Knaben und zwei Mädchen. Nach meiner Meinung sind meine Kinder weder hässlich noch dumm. Aber natürlich kann ich mich täuschen.

Während meiner Kreise in Spanien, 1891, machte das Wiener Blatt „Neue Freie Presse“ mir das Anerbieten, ihr Korrespondent in Paris zu werden. Ich nahm diese Stellung an, obgleich ich bis zu der Zeit die Politik verachtet und verabscheut hatte. In Paris hatte ich Gelegenheit zu erfahren, was die Welt unter Politik versteht, und ich sprach meine Ansichten in einem kleinen Buch „Das Palais Bourbon“ aus. 1895 hatte ich genug an Paris und kehrte nach Wien zurück.

Während der letzten zwei Monate meines Aufenthalts in Paris schrieb ich das Buch „Der Judenstaat“, das mir die Ehre verschafft hat, von Ihrem Blatt um einige biographische Angaben über meine geringe Person ersucht worden zu sein. Ich erinnere mich nicht, je etwas in so erhabener Gemütsstimmung wie dieses Buch geschrieben zu haben. Heine sagt, dass er die Schwingen eines Adlers über seinem Haupte rauschen hörte, als er gewisse Verse niederschrieb. Ich glaubte auch an so etwas wie ein Rauschen über meinem Haupte, als ich dieses Buch schrieb. Ich arbeitete an ihm täglich, bis ich ganz erschöpft war; meine einzige Erholung am Abend bestand darin, dass ich Wagner'scher Musik zuhörte, besonders dem Tannhäuser, welche Oper ich so oft hörte, als sie gegeben wurde. Nur an den Abenden, wo keine Oper aufgeführt wurde, fühlte ich Zweifel an der Richtigkeit meiner Gedanken.

Zuerst hatte ich den Gedanken gehabt, diese meine kleine Schrift über die Lösung der Judenfrage nur privatim unter meinen Freunden umlaufen zu lassen. Die Veröffentlichung dieser Ansichten habe ich erst später ins Auge gefasst; ich hatte nicht die Absicht, eine persönliche Agitation für die jüdische Sache zu beginnen. Die meisten Leser werden erstaunt sein, wenn sie von diesem früheren Widerstreben hören. Ich betrachtete die ganze Sache nur als eine solche, in der man handeln, nicht aber disputieren müsse. Öffentliche Agitation sollte nur mein letztes Auskunftsmittel werden, wenn man meinen privat gegebenen Rat nicht anhörte oder nicht befolgte.

Als ich mein Buch beendigt hatte, bat ich einen meiner ältesten und besten Freunde, das Manuskript zu lesen. Während er es las, fing er plötzlich an aufzuschreien. Ich fand diese Erregung ganz natürlich, da er ein Jude war; ich hatte ja auch manchmal beim Schreiben laut aufgeschrieen. Aber zu meiner Enttäuschung gab er einen ganz anderen Grund an. Er dachte, ich wäre irrsinnig geworden, und da er mein Freund war, machte ihn mein Unglück sehr traurig. Er lief weg, ohne ein anderes Wort zu sagen. Nach einer schlaflosen Nacht kam er zurück und drang in mich, die Sache zu lassen, da mich jeder für irre halten würde. Er war so erregt, dass ich ihm alles versprach, um ihn zu beruhigen. Dann riet er mir, Max Nordau um Rat zu fragen, ob mein Plan die Eingebung einer vernünftigen Person sei. „Ich werde niemand fragen“, war meine Antwort; „wenn meine Gedanken einen solchen Eindruck auf einen gebildeten und treuen Freund machen, werde ich den Plan aufgeben.“

Ich hatte dann eine sehr ernste Krisis durchzumachen; ich kann sie nur damit vergleichen, wenn man einen rotglühenden Körper in kaltes Wasser wirft. Freilich, wenn dieser Körper zufällig Eisen ist, wird er Stahl.

Mein Freund, von dem ich oben gesprochen habe, hatte meine Rechnungen für Telegramm -Ausgaben zusammenzuzählen. Als er mir die Rechnung gab, die aus einer sehr großen Reihe von Posten bestand, sah ich auf den ersten Blick, dass er ungenau zusammengezählt hatte. Ich richtete seine Aufmerksamkeit darauf, und er zählte noch einmal zusammen; aber erst beim dritten oder vierten Male stimmte seine Summe mit der meinigen. Dieser kleine Vorfall gab mir mein Selbstvertrauen zurück. Ich war doch im Stande, genauer zusammenzuzählen als er; meine Vernunft musste mich also nicht gänzlich verlassen haben.

An jenem Tage begannen meine Beunruhigungen betreffs des Judenstaates. Während der zwei und mehr folgenden Jahre habe ich viele, viele traurige Tage erlebt, und ich fürchte, dass noch mehr traurige Tage folgen werden. 1895 begann ich ein Tagebuch zu führen; jetzt sind schon vier starke Bände angefüllt. Sollte ich sie je veröffentlichen, so würde die Welt erstaunt sein, zu erfahren, was ich einzustecken gehabt habe, wer die Feinde meines Planes waren und andererseits, wer mir beistand.

Aber eines betrachte ich gewiss und über allem Zweifel erhaben: Die Bewegung wird anhalten. Ich weiß nicht, wann ich sterben werde; aber der Zionismus wird nie sterben. Seit den Tagen von Basel hat das jüdische Volk wieder eine Volksvertretung; später wird der „Judenstaat“ in seinem eigenen Lande erstehen. Ich bin jetzt am Werke, die Bank ins Leben zu rufen, und ich erwarte, dass sie sich als ein ebenso großer Erfolg wie der Kongress erweisen wird.“

Tatsache ist es, dass keine einzige religiöse oder kulturelle Frage während der letzten Jahrzehnte das moderne Judentum in seinen Höhen wie Niederungen so sehr erregt hat, wie der Herzl'sche Zionismus. Beweis dafür sind auch die vier Kongresse, welche seit dem Erscheinen des Judenstaates abgehalten wurden. Der letzte Kongress fand im August 1900 in London statt. Überall war Theodor Herzl, eine äußerst sympathische Erscheinung, der englisch ebenso gut wie deutsch spricht, der Gegenstand rauschender Huldigungen seiner zahlreichen Verehrer. Wir heben aus seiner am 13. August gehaltenen Rede die nachstehenden bemerkenswerten Stellen hervor:

„Der Zionismus will für das jüdische Volk eine öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte in Palästina! Dieses Programm haben wir vor drei Jahren aufgerichtet für immer. Es muss einem sehr tiefen Bedürfnis, einer sehr alten Sehnsucht unseres Volkes entsprochen haben, sonst wäre es nicht erklärlich, dass es solche Wirkungen gehabt hat. Ich brauche diese Wirkungen heute nicht mehr aufzuzählen. Jeder kennt sie. Vor vier Jahren konnte Jemand fürchten, sich lächerlich zu machen, wenn er vom jüdischen Volke sprach, heute macht sich derjenige lächerlich, der die Existenz des jüdischen Volkes leugnet. Ein Blick in diesen Saal, wo unser Volk durch Delegierte aus der ganzen Welt vertreten ist, genügt für den Beweis.

Diese Tatsache hat aber nicht nur für uns etwas zu bedeuten, sondern auch für Andere. Verspricht sie den einzelnen Ländern eine menschenwürdige, anständige Lösung der schweren jüdischen Frage, so erhält sie gleichzeitig auch große Perspektiven für den Orient. Unser Wiedererscheinen im Lande unserer Väter, von der heiligen Schrift vorhergesagt, von Dichtern besungen, von dem armen Volk unter Tränen ersehnt und von jämmerlichen Spöttern verlacht — unsere Rückkehr ist auch eine Sache von aktuellstem politischem Interesse für die Mächte, die in Asien etwas zu suchen haben.

Gestatten Sie mir, einige Worte aus der Eröffnungsrede des zweiten Kongresses zu zitieren. Im Jahre 1897 wurde in Basel gesagt: „Das Land Palästina ist nicht nur die Heimat der höchsten Ideen und des unglücklichsten Volkes, es ist auch durch seine geographische Lage von bedeutender Wichtigkeit für ganz Europa. Da wird in einer Zeit, die nicht ferne sein kann, eine Kultur- und Handelsstraße nach Asien führen. Asien ist das diplomatische Problem des nächsten Jahrzehntes.“

Diese Worte machen heute geradezu den Eindruck der Banalität, so sehr sind sie durch die Ereignisse der letzten Monate bestätigt worden. Das asiatische Problem wird von Tag zu Tag ernster und ich fürchte, eine Zeit lang auch recht blutig werden. Damit wächst aber auch das Interesse der Kulturvölker daran, dass auf dem Wege nach Asien, auf dem kürzesten Wege nach Asien, eine Kulturstation geschaffen werde, die allen zivilisierten Menschen zu Statten kommen wird. Diese Station ist Palästina, und die Kulturträger, die Gut und Blut daran setzen wollen, sie zu errichten, sind wir. Alle politischen Köpfe müssen blitzschnell begreifen, dass hierin eine wertvolle Gelegenheit geboten ist, Asien näher zu kommen. Auf diese Kulturstation, die das machtlose Volk der Juden, unter der Oberhoheit Sr. Majestät des Sultans, rasch errichten würde, brauchte keine Macht mit Besorgnissen zu blicken. Den Juden wäre geholfen, aber den Anderen auch, und den größten Gewinn hätte davon die Türkei.

England das große, England das freie, England, das über alle Meere blickt, wird uns und unsere Bestrebungen verstehen. Von hier aus wird die zionistische Idee ihren Flug noch weiter und noch höher nehmen, dessen dürfen wir sicher sein.

Nun werden freilich die praktischen Leute, die Neunmalweisen, kommen und fragen, was denn damit gewonnen sei? Wir kennen diese Leute schon. Wir erinnern uns aller der Steine, die sie uns in den Weg gewälzt haben, aller Unannehmlichkeiten, die sie uns bereiten wollten und bereitet haben. Diese selben Leute sind es, die nicht genug fragen können, was wir eigentlich geleistet haben, wo wir denn schon halten, wann wir denn endlich ans Ziel kommen werden. Wenn sie uns mit all ihren Kräften geholfen hätten, statt uns mit all ihren Kräften zu behindern, könnten sie nicht gieriger fragen. Die am Bau mittätig sind, von den Ersten bis zu den Letzten, von den Bauleitern und Gehilfen bis zu den bescheidenen Ziegelträgern, fragt keiner so viel. Wir wissen das Eine, dass wir arbeiten müssen, und wir tun es unverdrossen, hoffnungsstark und begeistert. Wir bauen, wir bauen, und unser Bau wächst. Das Halbfertige zu verstehen ist nicht Jedermanns Sache. Ich bin aber darüber beruhigt, dass auch diejenigen Juden in unserm schönen Hause werden wohnen wollen, die heute mit einem bösen Lächeln und mit den Händen in den Hosentaschen abseits stehen.

Eine positive Frage gibt es, der wir durchaus nicht ausweichen wollen. Haben wir den Charter zur Besiedelung von Palästina bereits erhalten? Darauf antworten wir laut und vernehmlich „Nein“, Ein andere Frage ist es, ob wir dennoch weiter hoffen, weiter streben, weiter arbeiten dürfen, um ihn zu erlangen? Darauf antworten wir ebenso laut und vernehmlich: „Ja!“ Unsere Ansprüche und Anträge haben um so mehr Aussicht in Wirklichkeit überzugehen, je mehr wir sind und je gewaltiger unsere Kräfte werden. Wir dürfen schon heute recht zufrieden sein mit der Aufnahme, die unsere Aspirationen in den Kreisen der Mächtigsten dieser Erde gefunden haben. Verlangen Sie nicht mehr als diese Andeutung von Ihrem Aktions-Comité, zu dem Sie in dieser Beziehung absolutes Vertrauen haben müssen. In allem Übrigen wird es Ihnen Rede stehen. In einem Wort ist unsere Tätigkeit und ihr Fortgang zusammenzufassen. Wir organisieren die Judenheit für ihre kommenden Geschicke.“

Theodor Herzl hat seine Ideen über Israel und seine Mission u. a. auch in einem sehr beifällig am Wiener Burgtheater und anderen Bühnen, wie z. B. am Berliner Thalia-Theater, aufgenommenen Drama: „Das neue Ghetto“, zum Ausdruck zu bringen versucht. Meisterhaft schildert er darin die jüdische Gesellschaft und das jüdische Haus; sein Dialog ist reich an geistvollen und zutreffenden Aussprüchen und seine Figuren sind durchaus aus dem Leben gegriffen. Die Berliner Presse freilich, mit wenigen Ausnahmen, hat das Stück aufs Schärfste zurückgewiesen und dem Verfasser den Vorwurf gemacht, dass er zu tendenziös und zu wenig objektiv sei. Aber die Auslassungen mancher Kritiker verraten zu sehr den Pharisäismus, als dass man dabei nicht die Absicht merkte und verstimmt würde.