Zunahme der Cholera-Epidemie in Rostock und Warnemünde 1859

Aus: Die Choleraepidemie des Jahres 1859 im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin
Autor: Ackermann, Hans Konrad Karl Theodor (1825-1896) deutscher Pathologe, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Rostock, Warnemünde, epidemische Ausbreitung, Cholera
Aus: Die Choleraepidemie des Jahres 1859 im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin. Nach offiziellen Mitteilungen und nach Berichten der Prediger, Ärzte und Physiker des Landes im Auftrag des hohen Großherzoglichen Ministeriums, Abteilung für Medizinalangelegenheiten beschrieben von Dr. Theodor Ackermann a. o. Professor in Rostock. Rostock. G. B. Leopolds Universitäts-Buchhandlung. 1860

Inzwischen war es bei dauernder Zunahme der Epidemie in Rostock von hier aus zu einer weiteren Verbreitung nach anderen Richtungen des Landes hin gekommen. In Warnemünde, mit welchem Rostock während der Sommermonate unausgesetzt einen regen Verkehr unterhält, trat unmittelbar nach einem im Allgemeinen besonders guten Gesundheitszustande und namentlich ohne vorher verbreitete Cholerine die erste Erkrankung am 17/18. Juli auf. Sie betraf die Frau eines Matrosen (Quartier 2, Nr. 62) vier Tage nach einem mehrstündigen Aufenthalt in Rostock, während dessen sie jedoch nur am Strande, nicht in der Stadt verkehrt haben soll. Sieben Tage später erkrankte in demselben Hause eine zweite und gleichzeitig, fünf Häuser von diesen Fällen entfernt, eine dritte Person, in deren Wohnung zwei Tage darauf ebenfalls eine neue Erkrankung folgte. Zwischen diesen Fällen waren indes einzelne Verschleppungen von Rostock vorgekommen, so namentlich durch einen Matrosen, welcher zur Besatzung eines der Petersburger Dampfschiffe gehörte und durch einen Warnemünder Badegast. Ersterer war bei seiner Abfahrt aus Rostock, am 21. Juli, schon krank, wurde in Warnemünde ans Land gesetzt und starb am rechten Warnowufer in der Nähe der See, ohne mit einer größeren Zahl von Warnemünder Einwohnern in Berührung gekommen zu sein; der letztere hatte sich nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Warnemünde nach Rostock begeben, dort in einer besonders stark infizierten Gegend längere Zeit verkehrt und war am Tage nach seiner Rückkehr erkrankt. — Die Epidemie dauerte etwa zwei Monate und erschien besonders heftig in den tiefer und der Warnow besonders nahe gelegenen Teilen des Ortes, am sog. Rostocker Ende, am Alexandrinen-Platz und in der sog. Mückenallee. Hier beträgt die Entfernung der Häuser vom Fluss durchschnittlich nicht viel mehr, als zehn bis zwanzig Schritt, häufig noch weniger, die Ausdünstungen des Stromes sind namentlich Abends sehr merklich, die Wohn- und Hofräume eng, erstere, während der Sommermonate durch die große Zahl der Gäste oft überaus beschränkt, letztere mit relativ vielen Dungstellen versehen, welche das lockere Erdreich mit ihren flüssigen Bestandteilen weithin durchfeuchten können; und auf der West- und Ostseite dieser Gegend zeigen sich auf den dort gelegenen Wiesen hier und da stagnierende Gewässer, welche sich als die Herde fauliger Zersetzungsprodukte durch einen üblen Geruch zu erkennen geben.*) In dem größeren Teil von Warnemünde besteht überdies die üble Gewohnheit, alle möglichen Ausleerungen und Abfälle in das Wasser des Flusses zu schütten und dies Wasser nicht bloß zu Reinigungszwecken, sondern auch zum Kochen zu verwenden. Wo solche Dejectionen aufbewahrt werden, da geschieht dies in der Regel in Dunggruben, welche nur ausnahmsweise mit Holzwandungen, niemals mit einer für Flüssigkeiten undurchgängigen Substanz ausgekleidet sind; und diese Dunggruben liegen sehr häufig in bedrohlicher Nähe der Privat- und öffentlichen Brunnen, deren Wasser hin und wieder schon durch seinen Geschmack auf seine üble Nachbarschaft hindeutet. Trotz dieser anscheinend so ungünstigen Bedingungen, trotz der porösen Beschaffenheit des größtenteils aus lockerem Dünensande bestehenden Bodens blieb Warnemünde während der beiden Rostocker Epidemien von 1832 und 1850 bis auf einige eingeschleppte Fälle vollkommen frei und der Ruf der Immunität, welchen diese Erfahrungen dem Orte eingebracht hatten, veranlasste beim Ausbruche der letzten Epidemie in Rostock eine sehr ausgedehnte Übersiedelung der Wohlhabenderen. Aber man geriet unter schlimmere Bedingungen, als diejenigen waren, welche man verlassen. Denn von den 77 in Warnemünde Verstorbenen gehörten nicht weniger als 20 zu den Fremden, also den Begüterten, während in Rostock, und dahin kehrte die Mehrzahl der Ausgewanderten bei der weiteren Ausbreitung der Epidemie in Warnemünde zurück, von 498 Verstorbenen nur etwa 40 der wohlhabenderen Klasse angehörten.

*) Der auf einer Wiese, rechts von der Warnow befindliche Sumpf ist durch Herstellung eines Grabens noch während der Dauer der Epidemie trocken gelegt.

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In Groß-Klein ein, eine halbe Meile südlich von Warnemünde am Breitling belegen, erkrankten, nach etwa dreiwöchentlicher Dauer der Epidemie in Warnemünde, zuerst zwei Tagelöhner. Der eine hatte längere Zeit in Warnemünde gearbeitet, war dort erkrankt und ohne Einholung ärztlichen Rates nach Groß-Klein zurückgekehrt, der andere war mit dem Transport von Steinen auf der Warnow zwischen Warnemünde und Rostock beschäftigt gewesen, erkrankte in Rostock und begab sich noch zu Fuß nach Hause. In seiner Familie traten dann die nächsten Fälle auf, die Verbreitung wurde aber überall keine besonders große.

Nachdem nun so die Krankheit bereits in einzelnen nördlich und südlich von Rostock gelegenen Orten aufgetreten war, ereignete sich am 22. Juli auch in dem, eine Meile weit gegen Westen liegenden Dorf Groß-Schwaß der erste Todesfall bei einem drei Tage vorher auf dem Gehöft Friedrichshöhe während der Arbeit erkrankten Bewohner des Armenkathens. Eine Berührung desselben mit infizierten Orten oder Personen hat sich nicht nachweisen lassen, namentlich ist auch über Cholerafälle in Friedrichshöhe weder vor noch nach seiner Erkrankung etwas bekannt geworden. Im Armenhause zu Groß-Schwaß entwickelte sich jedoch einige Tage später eine Hausepidemie, welcher außer dem zuerst Verstorbenen noch vier Personen erlagen. Einen Monat später, während dessen weitere Erkrankungen nicht vorkamen, wurde in das vom Armenkathen ziemlich entfernte Gehöft des Hauswirts Giertz am 22. August ein Kind der Zimmermanns-Witwe Tied zu Rostock (Kuhstraße Nr. 14) gebracht, in deren Wohnung am 21. August zwei Kinder des Fouriers Häfke erkrankt waren. Am 26. August Abends erkrankte nun auch das Tiedsche Kind in Schwaß, wurde in der Nacht des 26/27. nach Rostock zurückgebracht und starb schon am 27. Morgens. Am 7. Tage nach der Ankunft und am 3. nach der Abreise dieses Kindes erkrankte dann der Hauswirt Giertz und einige Tage später noch eine Anzahl seiner Leute, unter denen jedoch einer, der am 1. September erkrankte Hirte Brun, schon einige Tage vor der Ankunft des Tiedschen Kindes an Diarrhoe gelitten haben soll. Auch verkehrte die Giertzsche Familie während der Dauer der Epidemie fast täglich in Rostock, suchte jedoch Cholerahäuser möglichst zu vermeiden.

In Schutow, einem 1/2 Meile von Rostock an der Chaussee nach Doberan gelegenen wohlhabenden Bauerndorfe, verstarb am 24. Juli der Einlieger Bobsien, nachdem er in der nächstvergangenen Woche in Rostock auf einem Baugehöfte gearbeitet hatte, wo um diese Zeit zwei Cholerafälle vorgekommen waren. Er erkrankte als erster Fall in Schutow einen Tag vor seinem Tode und wenige Tage später verstarben auch noch der Büdner, in dessen Wohnung der Kranke gelegen und eine Schwägerin dieses letzteren. Damit schlossen die ersten Fälle ab und es trat ein freier Zeitraum ein, welcher erst nach drei Wochen, gegen Ende August, durch neue Verschleppungen von Rostock unterbrochen wurde. Um diese Zeit wurde nämlich die Tochter eines Schutower Einliegers schon krank von Rostock in ihre Heimat gebracht, gleichzeitig erkrankte der ebenfalls in Rostock auf Arbeit gewesene Tagelöhner Saß und von dieser Zeit an behauptete die Krankheit eine bis zu ihrem Erlöschen, am 22. September dauernde epidemische Ausbreitung.

Ackermann, Hans Konrad Karl Theodor (1825-1896) deutscher Pathologe

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Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

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Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Hansestadt Rostock - Stadtansicht

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Rostock vor dem Steintor

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Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

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