Wotan und Brünnhilde.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1900
Autor: Atlantic, Erscheinungsjahr: 1900

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wagner, Wotan, Walküre, Göttervater, Schlachtfeld, Walhall, Siegmund, Hunding, Nothung, Niebelungen, Alberich
Wagners großartiges Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ beginnt mit dem Vorspiel „Rheingold“ worauf dann mit der „Walküre“ die eigentliche Trilogie anhebt. In diesem zweiten Drama versucht die Walküre Brünnhilde, Wotans liebste Tochter und Vertraute, gegen des Vaters Befehl und doch in Übereinstimmung mit seinem innersten Herzenswunsch, den Wälsung Siegmund zu retten, und wird dafür von dem zürnenden, aber sie immer noch liebenden Vater bestraft. Diese ergreifenden Szenen füllen den dritten und letzten Aufzug des Dramas, der auf dem Gipfel des Walkürenberges spielt, wohin Uns das Bild auf S. 49 (nach einem Gemälde von F. Leeke) versetzt.

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Die neun Walküren sind Töchter Wotans und der weisen Erda; sie „kiesen“ ihm den „Wal“, die Gesamtheit der gefallenen Helden, das heißt sie verteilen die Todeslose, reiten kriegerisch gerüstet auf das Schlachtfeld und bringen die im Kampfe heldenhaft Gefallenen nach der davon benannten Burg Walhall. Von den neun Töchtern der Erda stand Brünnhilde Wotans Herzen am nächsten; mit ihr, die das Wissen der Mutter besaß, ging der Vater stets zu Rate, und ihr waren daher alle seine Gedanken über das Götter- und Menschenschicksal vertraut. Auf Andringen seiner Gattin Fricka, der Hüterin der Ehe, muss Wotan den Brünnhilde zuerst erteilten Befehl, Siegmund in dem Zweikampf mit Hunding, dem Gatten der mit jenem entflohenen Sieglinde, den Sieg zu verleihen, widerrufen. Siegmund soll fallen, aber die Walküre erkennt den Zwiespalt im Herzen ihres Vaters und beschließt, trotz der ihr angedrohten schrecklichsten Strafe seiner ersten Weisung treu zu bleiben.

Da tritt am Schluss des zweiten Aufzuges Wotan selbst zwischen die beiden Kämpfer; Siegmunds Schwert Nothung zerspringt an dem vorgehaltenen Speer des Gottes, und der Wälsung fällt, von Hundings Stahl durchbohrt. Im dritten Aufzug kommt nun Brünnhilde, vor dem zürnenden Heervater flüchtend, mit Sieglinde auf dem Walkürenberge an. Sie befiehlt der Frau, die dem Helden Siegfried das Leben geben soll allein weiter zu fliehen, indem sie ihr den Wald als Zufluchtsstätte anweist, wo der in einen Lindwurm verwandelte Fasner Alberichs Ring hütet, und übergibt ihr die Stücke von Siegmunds Schwert. Als Wotan dann zornschnaubend heranbraust, decken die übrigen Walküren ihre schuldige Schwester, vergebens Fürbitte für sie einlegend. Ob Brünnhilde sich feig der verdienten Strafe entziehen wolle, fragt Wotan. Da tritt diese demütig, aber doch festen Schrittes hervor und nun spricht der Gott feierlich die Strafe über sie aus:

„Von göttlicher Schar
bist du geschieden,
ausgestoßen
aus der Ewigen Stamm;
gebrochen ist unser Bund;
aus meinem Angesicht bist du verbannt!
Hierher auf den Berg
banne ich dich;
in wehrlosen Schlaf
schließe ich dich;
der Man? dann fange die Maid,
der am Wege sie findet und weckt.“

Während die Walküren durch Gebärden ihr Entsetzen zu erkennen geben und dann sofort den Berg verlassen müssen, sinkt Brünnhilde mit einem Aufschrei vor dem Vater. Diesen Moment hat der Maler des Bildes zur Wiedergabe gewählt. Endlich fragt Brünnhilde, sich langsam wieder erhebend, ob denn ihre Tat wirklich so schrecklich gewesen sei, die doch Wotan selber gewollt, ehe Fricka seinen Sinn geändert. Sie fleht, dass Wotan sie doch nicht von einem wert losen Manne gewinnen lassen möge, aber dieser bleibt dabei:

„In festen Schlaf
verschließ ich dich:
wer so die Wehrlose weckt,
dem ward, erwacht, sie zum Weib.“

Da bittet Brünnhilde flehentlich, dass er dann wenigstens den Fels, mit loderndem Feuer umgeben möge, und dieser nicht zu widerstehen! Nachdem er die auf einem niedrigen Mooshügel Entschlummernde mit dem langen Stahlschilde der vielleicht die ergreifendsten sind, welche der Meister von Bayreuth je geschrieben! Dann weckt er den „Feuerzauber“. Loge muss auf seinen Befehl den Felsen, auf dessen Höhe die Walküre schläft, als „wabernde Lohe“ umbrennen. Hierauf verschwindet der Göttervater mit den Worten:

Wer meines Speeres
Spitze fürchtet,
durchschreite das Feuer nie!“

Wotan und Brünnhilde

Wotan und Brünnhilde