Wirtschaftskrise und Sabbatheiligung

Aus: Kölner Jüdisches Wochenblatt
Autor: Rabbiner Salomon Samuel (1867-1942 ermordet im KZ Theresienstadt) Generalsekretär des Weltverbandes „Schomre Schabbos“, Erscheinungsjahr: 1930

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Wirtschaftskrise, Amerika, Industrialisierung, Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit, Fünftagearbeitswoche,
Kölner Jüdisches Wochenblatt. Ein Zentralorgan für die Juden in Rheinland und Westfalen. Nr. 2. 8. Jahrgang
Köln, 10. Januar 1930.

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Für die Menschen, die mit dem kritischen Blick des
Beobachters die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage
der Gegenwart überschauen, um daraus bestimmte Bewegungsgesetze ihrer Entwicklung abzuleiten, wird es sich
bald erweisen, dass es für ebendiese Bewegungsgesetze
kaum einheitliche Gesichtspunkte gibt. Während etwa für
ein Land mit geringen Arbeitskräften der Siegeszug im
allgemeinen und der Maschine im besonderen einen Segen
bedeuten kann, gibt er sich in Ländern mit großen Arbeitermassen, wie z. B. Nordamerika, immer mehr als
ein Unsegen kund. Die beste Illustrierung, die wir dieser
Behauptung geben können, geschieht durch die Tatsache,
dass, laut einer Mitteilung des Präsidenten des größten
amerikanischen Eisenbahntrusts, Mr. Alex Whitney, in
den letzten fünf Jahren infolge der Erfindung neuer
arbeitssparender Maschinen über 150.000 Arbeiter entlassen
werden konnten. So kommt es, dass es auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt ziemlich trostlos aussieht und dass die Arbeitslosigkeit überhand nimmt. Eine Zeitlang schien es, als ob durch das Eingreifen des Präsidenten Hoover, der die „Prosperity"* der Wirtschaft durch Vergebung
öffentlicher Staatsarbeiten fördern will, in der Tat ein
wirtschaftlicher Umschwung herbeigeführt werden könne.
Doch die führenden Kreise der amerikanischen Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften haben bald erkannt, dass die Not auf dem Arbeitsmarkt nur durch
eine viel umfassendere gesetzgeberische Aktion gelöst
werden kann.

Wie wirkt sich nun diese wirtschaftliche Entwicklung in Bezug auf den Sabbath aus? Während der Ruhetag des
jüdischen Volkes sonst der materiellen Not zum Opfer zu fallen pflegt, scheint die gleiche Not in Amerika als einzigartiger Finger Gottes in der Wirtschaftsgeschichte zu einer verstärkten Arbeitsruhe gerade für den Sabbath zu führen. Fünf tage-Woche heißt die Parole der besonders interessierten Kreise. In Cleveland haben sich im Anfang dieses Monats die bedeutenden Vertreter des amerikanischen Kapitals und die führenden Arbeitervertreter versammelt, um in gemeinsamer Beratung eine Lösung zu suchen für die brennende Frage der Arbeitslosigkeit und für andere Probleme, die sich als störende Faktoren in der ökonomischen Entwicklung des Landes gezeigt haben. Hier war es, wo man in einer Kürzung der Arbeitszeit übereinstimmen, die einzige Heilung aus dem wirtschaftlichen Dilemma zu finden glaubte. Diese Übereinstimmung fand Ausdruck in einer Entschließung, die den Arbeitgebern die fünftägige Arbeitswoche anempfiehlt. Sowohl der Sabbath als auch der Sonntag sollen als Ruhetage gelten.

Besonders propagiert wird die fünftägige Arbeitswoche
von Edgar Adams, einem der größten Unternehmer
Clevelands. Mr. Adams ging soweit, dem Präsidenten
Hoover den Vorschlag zu machen, die Initiative zu ergreifen und für die Regierungsangestellten die Fünftagewoche einzuführen. Dann solle der Kongress den Sabbath
als nationalen Ruhetag proklamieren. Es machte einen
besonders starken Eindruck, als diese Forderungen von
Alex Whitney, dem Präsidenten der großen Eisenbahngesellschaft nachdrücklich unterstützt wurde. Nicht eine augenblickliche „Prosperity“ sei anzustreben, vielmehr
eine gesunde Basis für die wirtschaftliche Erholung des
Landes. Der mit Sicherheit zu erwartende gesetzgeberische
Akt würde sich als ein Segen erweisen, wenn er in den
interessierten jüdischen Arbeitgeber und -Nehmerkreisen
den Sinn für die Heiligkeit des Sabbaths vertiefen könnte.
Es dürfte dann mancher erfahren, dass derjenige, der den
Sabbath in der Not hütet, schließlich dazu gelangt, ihn
in der Fülle zu hüten. Aus dem gesetzgeberischen Zwang
und der ökonomischen Notwendigkeit soll die sittliche
Freiheit des Individuums sich zum Zurückfinden zur
Sabbathidee erneuern, denn nur der Sabbath bedingt die
wahre "Prospertity. Der Weltverband für Sabbathschutz "Schomre Schabbos" hat es von Anbeginn her gekannt, dass das radikalste und zu erstrebende Mittel zur Rettung des
jüdischen Sabbath die Propagierung und Realisierung des
Wochenendgedankens, wobei Sabbath und Sonntag als
anerkannte Ruhetage gelten sollen, darstellt und nach
dieser Richtung hin eine starke Aktivität eingesetzt. Wenn
er dabei auf die Mitarbeit der ganzen Judenheit wird
rechnen können, muss das Werk der Sicherung des Sabbath und damit auch die soziale Heilung der Judenheit
gelingen.

Kölner jüdisches Wochenblatt, 10. Januar 1930, Wirtschaftskriese 2

Kölner jüdisches Wochenblatt, 10. Januar 1930, Wirtschaftskriese 2

Kölner jüdisches Wochenblatt, 10. Januar 1930, Wirtschaftskriese 1

Kölner jüdisches Wochenblatt, 10. Januar 1930, Wirtschaftskriese 1